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„Bin Sachs von Siebenbürgen“

 
Leserbrief von Gusto Gräser an die ‚Volkswacht’, Freiburg, gegen seine Ausweisung
Abgedruckt am 8. Januar 1920

Weil die Behörde schweigt – angeblich „in meinem Interesse“ – verschweigt, was zu sagen zu unser aller Wohl erforderlich ist, so muß ich reden und die „Gründe“, deretwegen ich des Landes verwiesen werden soll, bekannt geben.

Einige Jahre vor dem Kriege brachte ich in Mannheim Gedichte von mir herum – ich weiß nicht mehr welche, vielleicht kann jemand eins oder einige davon zur Veröffentlichung senden. Aus meinem Ringen um Reinigung unseres Gemeinlebens geboren, sind meine Gedichte vor allem Rufe und Winke zu einem von Fremdtum reinen, arttreu heimatlichen Leben. Solche gab ich in Mannheim jedem, der sie haben wollte, frei, und ließ mir frei dafür geben, was jeder wollte. Merkt man etwas? Noch nicht? Dann hat man eine schlechte Nase für „Gerechtigkeit“, denn dies war und ist mein Verbrechen und ich darum der unerträglich lästige Ausländer. Bin Sachs von Siebenbürgen. Als „verkappter Bettler“ gebrandmarkt, wurde ich 3 Tage in Haft genommen und dann aus dem Land geschoben. Und nun noch nicht genug der Quälerei. Nun soll ich für solche Mißgriffe, die meine Schuld doch nicht sind, immer noch verfolgt werden? Aber da muß mehr dahinter sein, wird man denken. O, ja! Ein ganzer Pack solcher Mißgriffe, aus ähnlichen Mißverständnissen entsprungen, aber nicht in Baden.Wie das nur möglich war?

Mein ganzes Gebaren spricht wohl ziemlich deutlich davon, daß ich keine standbefangene Staatsperson, vielleicht aber ein freimütiger Heimatsohn bin, und das fällt einigen der Herrschaften eben auf die Nerven. Es geht aber nun nicht anders, denn ehe sich Mann für Mann aufmacht, sein Leben auf Schritt und Tritt aus fühlendem Denken selber zu führen, kann unsere Gemeinschaft nicht gesunden. Nur aus selbst prüfend wahrem Wandel kann unserem Volk Wohlfahrt gedeihen.

Für solche Worte wie diese wäre ich freilich vor dem Kriege auch gepackt und als lästiger Fremdling ausgestoßen worden. Das war einmal. Jetzt leben wir in einer anderen Luft, leben in einem durch mancherlei Wehen gereiften, mannbaren Volke. Trübsalsatt sehnt es sich nach Sonne, weh dem, der sie ihm wehren will. Heute dürfen nicht nur müde, durch Überlastung übellaunige Beamte über unser Wohl und Wehe entscheiden, sondern das lebendige Volk, seine Wackern, alle entscheiden mit. So glaub’ ich, werde ich nicht wie früher xmal so ohne weiteres als lästiger Ausländer abgetan werden können!?

Nun ist es Zeit, nun drängt die Not, daß wir reinlich scheiden, herzhaft, helläugig unterscheiden, wer Freund und wer Feind ist. Seht, hört mich an, wer ich wohl bin. Und bin ich Feind, dann ganz hinaus, doch bin ich Freund, dann ganz herein mit mir.

Gusto Gräser


Kommentar:

Gräser sollte als „lästiger Ausländer“ ausgewiesen werden. Auch wenn diese Begründung nur ein Vorwand war, um einen unbequemen Denker und Mahner loszuwerden – er musste auf dieser formalen Ebene auf sie antworten. Zwar galt er schon vor dem Krieg als Ausländer, war jedoch als Mitglied des deutsch-sprachigen Österreich einigermaßen willkommen. Durch die staatliche Neuordnung nach dem Krieg war er jedoch zum „Rumänen“ geworden. Er musste also sein Deutschsein trotzig hervorheben, betonen: „Bin Sachs von Siebenbürgen“.

Er musste betonen, dass sein Aufenthalt in Deutschland eben nicht lästig-schädlich sondern im Gegenteil nützlich und notwendig sei, weil er mit seinen Gedichten den „Gemeinleib“ stärke und nähre. Von daher auch die Aussage, dass sein Leben „arttreu“ und rein von Fremdtum sei. Er musste die Assoziation abwehren, die sich mit seiner Abstempelung als „Rumäne“ verband: den Argwohn, hier wolle ein Fremder die Deutschen mit bolschewistischem Gedankengut infiltrieren. Mit Rassismus hatte seine Formulierung nichts zu tun, das Wort „Rasse“ kommt in seinen Schriften nicht vor. Er begrüßt vielmehr die durch die Revolution vollzogene Demokratisierung. Das Volk sei dadurch reifer und mannbar geworden. Er will herausstellen, dass er nicht zu den Feinden sondern zu den Freunden dieses Volkes gehöre. Das eben war das Thema seines Vortrags gewesen: Nicht Feind sondern Freund, nicht Rumäne sondern Deutscher nach Herkunft, Sprache und Gesinnung.

Darum, das sollte damit gesagt werden: Es gibt keinen Grund für meine Ausweisung.