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Öffentliche Gespräche - Redlichkeit hat das Wort
Von November 1927 bis April 1928


Königstädtisches Gymnasium Berlin, Elisabethstraße 57

Arthur Siebenbürgers Gesprächsabende

Der „Volkswart" Arthur Siebenbürger ist wieder in Berlin - man trifft seine auffallende Erscheinung jetzt oft in den Straßen, weiß, daß er unter dem Titel „Notwendwerk" eine lange Reihe von „Gesprächsabenden" angekündigt hat, die jeden Freitag in der Aula des Königstädtischen Gymnasiums, Elisabethstraße 57, hinter dem Alexanderplatz stattfinden.

Erstaunlich und erschütternd, daß noch immer wieder Menschen fähig sind, einem fanatisch geliebten Lebenszweck und Ziel alle äußeren Werte zu opfern, und die Energie aufbringen, für ihr Ideal sich sogar der Lächerlichkeit auszusetzen. Diesen Mann erfüllt ohne Zweifel heiligster Ernst, er hat ein warmes Herz und Augen, die von echtem, innerem Feuer glühen ...

Man kommt zu solch einem „Gesprächsabend", bei dem „Redlichkeit das Wort haben soll". Da steht dann auf dem Podium der Aula, unwahrscheinlich fremdartig in solcher Umgebung, ein großer, dunkler Mann.

 

Mächtiger Kopf mit langem, fast schwarzem Bart, bis in den Nacken reichendem Haar, ernsten Augen in dem von schweren Linien ver-schatteten Gesicht. Es ist ein Haupt, das man sich auf den Schultern Johannes des Täufers denken könnte, der Kopf eines wirklichen Propheten, der in der Menschenwüste wandelt und schwere, ungelenke, primitive und schon sehr, sehr alte Gedanken hinter seiner mächtigen Stime wälzt. Gekleidet ist er etwa wie ein Franke aus der Zeit Karls des Großen: lange, rötlich-wollene Beinkleider bis zu den Knöcheln, die von den Schnüren der Sandalen umwickelt sind, und ein roher, brauner, mantelartiger Überwurf.

Dieser Mann, eine Mischung aus einem alttestamentarischen Priester und einem germanischen Bauer des Mittelalters, ist Arthur Siebenbürger, der Volkswart …

Heinrich Satter in: Vossische Zeitung

... Dann stand der Volkswart auf dem Podium - sein Blick überflog den Saal, und mit tiefer, klangvoller Stimme bat er: „Kommt näher heran!" Er setzte sich, sprach einen seiner Verse: „Groß kann ein Volk nur in der Tiefe werden, als wie ein See ..."

Groß kann ein Volk nur in der Tiefe werden –
als wie ein See.
Hinrieseln alle Tropfen zu den Tiefen,
die Bäche alle rennen, rinnen hin, die Flüsse alle kommen hingeflossen in hingegossner Eintrachtseligkeit.
So auch die Völker alle zu dem Stillsten, Tiefsten, Weiblichsten.
 Weil es sich untenhält, wirds Unterhalt und frohe Kraft und Nahrung vielen Völkern. - - - Stell dich nicht hoch, o Volk, sonst muß dich Neid zernichten –
halt klein, halt tief so wirst Du - bist Du groß.
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und begann nun in Prosa: „Wir werden heute nicht die Welt verbessern, aber wir können heute schon mit einem treueren, echteren Leben beginnen. Ja - wir müssen sogar, denn es tut not. Wie werden wir Volk? Nicht im Hinblick auf die Masse, nicht im Hinblick auf andere, sondern im Hinblick auf unser eigenes Leben. Es war ein Fehler, daß die Nächsten­liebe in den letzten zwei Jahrtausenden als Hauptgebot aufgestellt wurde, denn wenn das Leben zur Zweiheit wird, dann zerfällt es. Wenn ich kann und will, gut - dann liebe ich meinen Nächsten, wenn ich aber soll, dann ist das ein Gebot. Kein Sollen, kein Gebot jedoch dürfen uns beherrschen, denn dieses Befehlen einer Tugend ist Herrschsucht, ist Herren-wahn, dessen Zeit vorüber ist. Jetzt ist die Zeit der Herzhaften gekommen. Mut gehört dazu, herzhaft zu sein, vor der Mühsal des Lebens nicht zurück-zuschrecken, die Sicherheit aufzugeben . . ."

Er blickte in die Papierrolle, die er in der Hand hielt, und sagte: „Ich habe mir hier so manches aufnotiert, was ich euch sagen wollte, aber es war für einen größeren Kreis bestimmt. Nun suche ich nach einem intimeren Ton, lausche in mich hinein, was ich da höre. Verlangen nach einem Gespräch ist jetzt da - fragt, dann wollen wir unsere Gedanken austauschen. . ."
[i]

                                                                      E. Gr. in: Zeitungsausschnitt, Berlin, um 1928

 „Worträtselnüsseknacken“

 „Kinder und Erkennende“ hatte Arthur Siebenbürger vor Jahresende zu einem Abend geladen, an dem er ein großes Worträtselnüsseknacken veranstalten wollte. Kinder waren nun leider, wie der sonderbare Heilige sehr traurig feststellte, gar nicht gekommen,  - Erkenntnishungrige vielleicht…

Der Volkswart, bei dem man sich übrigens wirklich sehr gut vorstellen kann, daß er zu Kindern im Handumdrehen ein inneres Verhältnis zu gewinnen vermag, verstand es, wie stets an seinen Abenden seine eigenen Verslein einflechtend, in der Tat durch seine Erklärungen heranzuführen an die Geheimnisse der Sprache. Mögen vielleicht manche seiner „geknackten Nüsse“ den zünftigen Wissen-schaftlern sehr fragwürdig erscheinen, - wer dieses exakte Wissen nicht über-schätzt, hat doch den Eindruck, daß er aus einer inneren Schau heraus Worte und Wortbilder in ganz eigenartiger Beziehung zueinander nicht etwa erläutert, sondern ganz sinnfällig – erlebt, und zwar mit einer Inbrunst, die der unbewußten Sprachschöpfung von einst wohl wieder ahnend nahe zu kommen vermag.  …

Karl Otto Paetel in: Das Deutsche Tageblatt, Berlin, 5. Januar 1928


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