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Von Michael
Eckhoff
Hagen. (09.06.10)
Künstlerisch, politisch und heimatkundlich zugleich geht es am Freitag, 11.
Juni, in der Kanzlei der Anwälte Stahl, Krafzik & Partner, Neumarktstraße 2c
(„Rotes Haus“), zu. An diesem Tag wird hier um 19 Uhr eine von Petra Holtmann
zusammengestellte Schau eröffnet, in der Überraschendes aus der Osthaus-Ära zu
entdecken ist: Wilhelm „Will(y)“ Lammert trifft auf Max
Schulze-Sölde.
Wir
schreiben die Jahre 1918 und 1919. Der Erste Weltkrieg ist endlich vorbei.
Millionen von Menschen waren auf den Schlachtfeldern ums Leben gekommen. In
Deutschland war der Kaiser am Ende. Die Politik auch. Die Überlebenden hatten es
schwer, sich zurecht zu finden. So mancher suchte sein
Heil in radikalen Parteien, wieder andere in esoterischen Bewegungen. Und
etliche Städter flohen aufs Land, um ein neues Leben zu
beginnen...
Dieses Foto
zeigt Max Schulze-Sölde circa 1919,
als er in Hagen wohnte. Karl Ernst Osthaus
übergab ihm damals das Atelier von Milly Steger.
(Foto: Archiv Eckhoff)
„Inflationsheilige“
In
dieser Phase gaben sich in Osthaus’ Hohenhof zahlreiche Künstler die Klinke in
die Hand, die das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ vor einigen Jahren in einem
Beitrag als „Lumpenpropheten auf dem Jesus-Trip“ und als „Gurus der
Führersehnsucht“ - politisch rechts wie links - bezeichnete. Den Höhepunkt
erreichte diese Entwicklung um 1922/23, als die Inflation den nächsten
Angst-Schub auslöste. Aus diesem Grund sprechen Spötter heute gern von
„Inflationsheiligen“.
Im
Künstlerort Worpswede waren sie genauso anzutreffen wie etwa in der Kommune auf
dem Monte Verità am Lago Maggiore. Oder halt bei Osthaus in Hagen, in dessen
Umfeld sich damals ein Kreis bildete, der heute manchmal - um einen Begriff von
Max Schulze-Sölde zu verwenden - als „Hagener Bohème“ bezeichnet wird. Hier
schwang eine Zeitlang ein gewisser Ernst Fuhrmann, der spätere
Testamentsvollstrecker Osthaus’, das große Wort. Typisch für diese seltsamen
„Heiligen“: ein religiöses Schwärmertum, manchmal gepaart mit einem skurrilen
Germanenkult, und eine ausgeprägte Zivilisationsfeindlichkeit. Einige von ihnen
hofften auf einen neuen „Messias“ oder
„Heilsbringer“.
„Johannes
der Jugend“
Zu
den damals sich in Hagen ein Stelldichein gebenden „Wanderheiligen“ zählt auch
Max Schulze-Sölde - ein im Januar 1887 in Dortmund geborener Maler, der als
„Johannes der Jugend“ in die Geschichte der Weimarer Republik eingegangen ist.
Als Sohn des in Hamm ansässigen Generalstaatsanwalts sollte er eigentlich Jurist
werden, brach jedoch dieses Studium 1910 ab und wandte sich stattdessen der
Malerei zu. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, weilte er zufällig in Frankreich
und wurde sogleich von den Alliierten
interniert.
Aus
französischer Haft heimkommend, „landete“ er recht bald in Hagen und im
„Fuhrmann-Hohenhof-Kreis“. Hier bekam der Maler einerseits das frühere Atelier
von Milly Steger zur Verfügung gestellt, zum anderen geriet er in Kontakt mit
der seinerzeit vorherrschenden Verherrlichung des
kommunistisch-ländlich-ursprünglichen Lebens - was ihn sogleich veranlasste, die
Malerei erst einmal „an den Nagel“ zu hängen.
Schlüssel
zum Paradies
Später
finden wir ihn als Bergarbeiter im Ruhrgebiet sowie als „Jugend-Führer“ bei
einer christlich-revolutionären Bewegung (daher sein Spitzname „Johannes der
Jugend“), in der er überzeugt ist, „den Schlüssel zu haben, der uns das Paradies
öffnet“. Max Schulze-Sölde starb 1967 nahe Soest, wo er nach dem Krieg auf
Vermittlung des weithin bekannten Künstlers Viegener eine neue Heimat gefunden
hatte.
Als
Maler ist er heute weniger bekannt, dabei hat er durchaus sehenswerte Bilder
geschaffen, wovon man sich am Freitag bei einem Besuch im „Roten Haus“ bestens
überzeugen kann. Eine Zeitlang stand er stark unter dem Einfluss von Picasso -
genau wie Will Lammert, dem der zweite Teil der Ausstellung gewidmet
ist.
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Max
Schulze-Sölde
Jesus
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In
Düsseldorf
Auslöser,
diese beiden Künstler aufeinander treffen zu lassen, war die Erinnerung an eine
Ausstellung vor gut 90 Jahren in der legendären Düsseldorfer Galerie von Alfred
Flechtheim. Der aus Münster stammende Galerist vertrat unter anderem
Künstler-Berühmtheiten wie Pablo Picasso, Paul Klee, George Grosz, Max Beckmann
und Aristide Maillol. Überdies stufte er auch Schulze-Sölde und Lammert als
herausragende Künstler ein. Vor den Nationalsozialisten musste Flechtheim wegen
seiner jüdischen Abstammung 1933 über Paris nach London fliehen. Die nazistische
Ausstellung "Entartete Kunst" zeigte in ihrer Düsseldorfer Version ein Großfoto
von Flechtheim mit dem Kommentar: „Der Großmanager dieser
Kunst.“
Überzeugter
Kommunist
Auch
Wilhelm Lammert musste 1933 fliehen. Der 1892 geborene Arbeitersohn aus
Altenhagen errang seine ersten großen Erfolge in seiner Heimatstadt - mit
Skulpturen an der Stadthalle auf der Springe. Gefördert von Karl Ernst Osthaus
wurden Christian Rohlfs, Johan Thorn Prikker und Milly Steger seine Lehrer und
Freunde. Bereits 1913 zeigte Osthaus erstmals Lammerts Werke einer breiteren
Öffentlichkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg, den er schwer verwundet überlebte,
kehrte Lammert zunächst heim - mit dem Wunsch, sich dauerhaft am Stirnband
niederzulassen. „Doch für mich ist es in Hagen unerträglich“, schrieb er 1920 an
Osthaus. Wenig später zog er nach Essen um - zur berühmten Margarethenhöhe, wo
mittlerweile eine Künstlerkolonie entstanden war und wo es Lammert zwischen 1924
und 1927 gelang, eine bedeutende „Werkstatt für Keramik“ aufzubauen; sie besteht
noch heute (auf dem Gelände der Zeche
Zollverein).
Lammert
war Mitglied der KPD. Aufgrund seiner intensiven Parteiarbeit erfolgte deshalb
1933 eine Anklage: Hochverrat! Der Verhaftung konnte er nur durch Flucht über
Frankreich in die Sowjetunion entgehen. Fast alle Werke, die er in Deutschland
zurücklassen musste, wurden in den folgenden Jahren zerstört, vor allem in
Essen.
1951
in die DDR
1951
kehrte er nach Deutschland zurück - allerdings in die DDR, wo man ihn 1952 zum
Professor und zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste der DDR berief.
Zu den wichtigsten Werken des 1957 verstorbenen Hageners zählen eine
Osthaus-Skulptur (beheimatet im Hohenhof), das Thomas-Münzer-Denkmal im
thüringischen Mühlhausen sowie das Mahnmal des Frauenkonzentrationslagers
Ravensbrück.
Die
im „Roten Haus“ gezeigten Werke von Lammert und Schulze-Sölde (etwa 75 Bilder
aus diversen Schaffensperioden) stammen allesamt aus Privatbesitz und wurden in
dieser Zusammenstellung noch nie in Hagen präsentiert. Insofern füllt das „Rote
Haus“ erneut eine sowohl kunsthistorische wie heimatkundliche
Lücke...