Ein
Freund in der Not Am 18. Dezember 1916
schreibt Gusto Gräser an Hermann Hesse. Seine Lage ist verzweifelt. War
es immer schon schwer genug, riesenschwer gewesen für ihn, auf die Art
wie er lebte, das Brot zu schaffen für sich, seine Frau und seine acht
Kinder, so war jetzt im Krieg, in einem fremden Land mit fremder
Sprache, ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsbewilligung, die Not
noch größer geworden. Im Tessin hatte er keine Wirkungsmöglichkeit,
weil kein Publikum, das ihn verstanden hätte. Er geht also im November
1916 nach Zürich, um durch Vorträge sich einige Einkünfte zu
verschaffen. Er wird aber sofort verhaftet und nach Ascona abgeschoben.
Das Geld, das er für den Druck der Plakate ausgegeben hatte, ist
verloren.
Trotzdem unternimmt er anfangs Dezember einen zweiten Versuch in Bern – mit dem selben Ergebnis: Verhaftung, Gefängnis, Abschiebung. Dieses Drama in Bern – sozusagen vor der Haustür seines Freundes – hat noch einen zweiten Rückschlag zur Folge. Hesse hatte den brennenden Wunsch gehabt, sich in Ascona in der Nähe von Gräser eine „Zuflucht“ zu verschaffen (siehe das so betitelte Feuilleton vom Dezember 1916). Er hatte den ihm befreundeten Maler Gustav Gamper beauftragt, ihm eine passende Unterkunft zu vermitteln, was auch geschah. Gamper findet in Monti „ein wunderbar geeignetes Häuschen“. Nun aber sagt Hesse ab, vermutlich weil ihm vor Augen geführt worden war, wie gefährlich es sei, sich zu nahe mit dem rebellischen Siebenbürger einzulassen. Er geht auf Distanz. Doch damit nicht
genug: Beim Sammeln von Brennholz, das er auf dem Rücken kilometerweit
herschleppen muss, hat sich Gräser eine Zerrung oder einen Bruch
zugezogen, er muss liegen und kann nichts mehr für seine Familie tun.
In dieser Situation wendet er sich Hilfe suchend an Hesse. Mit ihm war er im
September einige Wochen zusammen gewesen, vermutlich hatte er ihn
anfangs Dezember in Bern besucht.
Lieber
Hermann Hesse – Die blasse
Tinte ist symbolisch. Der Farbstoff ist zu teuer für
uns, denn – ich liege bettgebunden, staatsgeschunden da und kann mich
nicht anders als mit der Feder rühren um das Nötige. Hab mir mit
Holztragen vor Tagen den Rücken überhoben und muß nun krank und krumm
daliegen und zusehen, wie der harte Mangel, der diesmal auch hier recht
harte Wintergraus unser Haus, meine sieben, halt, acht Lieben immer
drohender umkreucht und umwettert. – Soll ich
warten, bis die Meinen auch krank werden, wovon sich schon Spuren,
Halsanschwellungen, Frosthände, zeigen? Muß Sie fragen: Können und
wollen Sie mir, uns, mit etwas Geld beispringen? Ich glaube, Sie
sprängen sich selber bei. Wohlauf!
Gusto Gräser – Askona. (Original im
Hesse-Archiv der Landesbibliothek Bern) Gräsers Hilferuf
erreicht Hesse kurz vor Weihnachten. Es ist anzunehmen, dass er den
Freund mit einer Gabe unterstützt hat. Aber seine Mittel reichen nicht
aus. Er ist selbst, wegen der kriegsbedingten Devisenbestimmungen, in
einer misslichen finanziellen Lage. Angesichts von Hunger und Kälte in
seinem Hause bleibt Gräser nichts anders übrig, als im neuen Jahr noch
einmal eine Reise nach Norden zu unternehmen und die Berner Freunde
noch dringlicher um Hilfe anzugehen. Daraufhin kommt es zu einem
Spendenaufruf zugunsten Gräsers im Berner ‚Bund’. Hermann
Hesse werde
die Spenden entgegennehmen und der Familie überbringen. Nach diesem Aufruf,
dem ein zweiter folgte, muss Hesse die Spenden an Gräser übersandt oder
überbracht haben. Der ist nun in der Lage, ein Flugblatt zu drucken,
was ohne diese Gaben sicher nicht möglich gewesen wäre. Ausschnitt
aus Gräsers Flugblatt von 1917, finanziert aus den von Hesse
gesammelten Spenden |
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