Zurück

ZEIT Geschichte 1/13:  Anders leben
    
Hier bestellen
Wilder denken,
freier lieben,
grüner wohnen
Jugendbewegung und Lebensreform in Deutschland um 1900

Vereinfache dein Leben, Simplify your life. Diese Aufforderung, sich von der Tyrannei der tausend Dinge zu lösen, ist ein Echo aus der Zeit um 1900: Simplifier la vie hieß es bei dem viel gelesenen Philosophen Henri Bergson, denn schon damals fühlten sich viele Menschen versklavt von der großstädtischen Moderne, die ihnen doch das Gegenteil verhießen hatte: ein besseres, ein freieres Dasein.

Das deutsche Kaiserreich, einst Nachzügler im Wettlauf der Nationen, startete in jenen Umbruchjahren mit Hochdruck in die Zukunft. Industrie, Elektrizität – Nervosität. Dazu: Militarismus, Kaiserkult – Untertanengeist. Aber nicht alle marschierten mit. Die Jugend zog es wandernd ins Grüne. Überreizte Großstädter suchten Heil und Heilung in Landkommunen, in Naturmedizin und Freikörperkultur, im Vegetarismus und in fernöstlichen Glaubenslehren. Es entstanden Gartenstädte – als Alternative zu Mietskasernenvierteln. Es wurden Reformschulen gegründet – als Alternative zu den Paukanstalten des Wilhelminismus.

Lebensreform nannte sich die Gesamtheit dieser Bewegungen. Wilder denken, freier lieben, grüner wohnen, gesünder essen! Doch der Impuls gegen die moderne Welt brachte auch weniger lichte Ideen hervor, Träume von Menschenzucht und völkischem Gemeinschaftsleben. Da war es oft nicht weit zum Blut-und-Boden-Wahn der Zeit nach 1933.

Bedeutender jedoch sind andere Kontinuitäten. Vom Öko-Gedanken bis zu einer emanzipativen Pädagogik ist heute vieles Alltag, was um 1900 neu war und gewagt. Könnten die Lebensreformer von einst unsere Gegenwart bereisen, wären sie indes nicht nur begeistert. Die Frage, wie ein gutes Leben möglich ist unter den Bedingungen der Turbomoderne, ist offener denn je. Dieses Heft schildert die Antworten von damals. Manche sind aus gutem Grund Geschichte. Andere aber halten uns noch heute den Spiegel vor, ja bergen womöglich manch verblüffende, manch wegweisende Idee für morgen.

Inhalt:

  • Fundstück [Seite 3]
  • Anders leben
    Die Welt der Lebensreform in Fotografien aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik [Seite 6]
  • Ins Freie, ins Licht!
    Von der Suche nach einer alternativen Moderne zur Zeit der Jahrhundertwende Von Joachim Radkau [Seite 16]
  • Frohe neue Welt
    Das Jahr 2000 in einer Prophezeiung von 1904 [Seite 22]
  • Quietschen, Hupen, Fauchen
    Der Kampf des Kulturphilosophen Theodor Lessing gegen den Großstadtlärm Von Volker Ullrich [Seite 24]
  • Immer größer, immer mehr
    Das "erste deutsche Wirtschaftswunder" in Zahlen [Seite 28]
  • Vollpension mit Gartenfron
    Monte Verità: Wie ein Sanatorium zum Treffpunkt der lebensreformerischen Avantgarde wurde Von Tobias Engelsing [Seite 30]

    "... In den Siebzigerjahren erfuhr der Geist des Monte Verità eine sensationelle Wiedergeburt … die Brüder Gräser und andere “Naturmenschen” wurden zu frühen Vorbildern alternativen Lebens erhoben und 1978 mit der “Fiesta Monte Verità“ gebührend gefeiert. ..." (S. 36)

  • Schön bis in den letzten Winkel
    Ein Besuch der ehemaligen Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt Von Andreas Molitor [Seite 38]
  • Grüner Wohnen
    Work-Life-Balance anno 1906: Die Essener Margarethenhöhe Von Benedikt Erenz [Seite 45]
  • Yin und Yang im Giebel
    Die Gartenstadt Hellerau bei Dresden war ein Mekka des modernen Tanzes Von Hella Kemper [Seite 46]
  • Im Lichtkleid zum Lebensglück
    Nackt und frei: Die FKK-Kultur und ihre Anfänge im Zeitalter der Aufklärung Von Jürgen Overhoff [Seite 48]
  • Lodernd, blond
    Das "Lichtgebet" des Malers Fidus – ein Kultbild der Jugendbewegung Von Christian Staas [Seite 55]
  • Raus aus dem Korsett
    Wie die Lebensreform den Alltag der Frauen revolutionierte Von Elisabeth Meyer-Renschhausen [Seite 56]
  • Besser essen, besser sein
    Die frühen Vegetarier waren keine weltflüchtigen Rohköstler, sondern Pioniere der Ökobewegung Von Judith Baumgartner [Seite 60]
  • Auf einem Meer dunkler Triebe
    Das lebensphilosophische Denken von Friedrich Nietzsche bis Oswald Spengler Von Martin Hartmann [Seite 68]
  • Eine friedliche Provokation
    Wie deutsche Buddhisten die protestantische Kirche herausforderten Von Martin Baumann [Seite 74]
  • Feuer machen, tanzen, frei sein
    1913 pilgerten mehr als zweitausend Jugendliche zum Ersten Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner Von Reinhard Osteroth [Seite 76]
  • Aus grauer Städte Mauern
    Die Wandervögel träumten von einem einfachen Leben jenseits bürgerlicher Konventionen Von Ulrich Grober [Seite 84]
  • Raum für Fantasie
    Schluss mit dem Rohrstockdrill: Eine kleine Geschichte der Reformpädagogik Von Barbara Sichtermann [Seite 86]
  • "Gegen allen Zwang"
    Das "Lichtschulheim" Lüneburger Land Von Maren Preiß [Seite 92]
  • Zucht und Boden
    Wie rechts war die Lebensreform? Von Volker Weiß [Seite 94]
  • Macht es selbst!
    Was aus den Ideen der Jahrhundertwende geworden ist: Fragen an die Grünen-Politikerin Antje Vollmer und den Historiker Ulrich Linse [Seite 100]
  • Menschen, Daten, Bücher [Seite 108]
    Lebensläufe
  • Bücher und Ausstellungen
  • Bildnachweise
  • Zugabe Von Arne Bellstorf
  • Impressum
  • Vorschau
  • Die guten Dinge (I–IV)
  • Vier Gegenstände, die das Leben schöner machen Von Christian Staas [Seite 37, 73, 83 und 99]
    Zurück