Artikel von Brepohl-Duss-Schmidtz,
Schwager von Karl Gräser, der sich 1910 energisch
für eine humane Behandlung der Zigeuner einsetzt und
jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus Anlass der
Zigeunerverfolgungen in Ungarn wieder abgedruckt
wird. Auch ein Beispiel für die Denkweise auf dem
Monte Verità und ihre fortdauernde Wirkung. Es ist
der selbe Brepohl, der, bzw. dessen Frau Karl Gräser
bis zum Ende gepflegt hat. Er lebte später in
Wiesbaden und Bad Nassau, war christlicher Missionar
geworden und ging (wie Ida Hofmann) nach Brasilien,
wo er als pangermanischer Agitator eine gewisse
Berühmtheit erlangte.
Ursprünglich ein Kämpfer gegen den Rassismus, wurde
er später selbst ein Rassist.
Einleitung
(2014):
Stefan Bársony: Unsere Zigeuner - eine Erwiderung
Ziegeunerstempeln:
Die Gipsy-Lore-Society, welcher der Autor
des ersten der folgenden Beiträge, F. W.
(Friedrich Wilhelm) Brepohl, angehörte,
wurde 1888 in England als
Wissenschaftsvereinigung zur Erforschung
der "fahrenden Völker" gegründet und
existiert noch heute. Sie hält jedes Jahr
an wechselnden Orten eine große Tagung ab
(2002 in Ungarn), auf der neben
ethnologischen auch zunehmend soziale und
integrative Aspekte des "Zigeunerproblems"
erörtert und publiziert werden. In dem
Text erfahren wir interessante
geschichtliche Hintergründe, wie die
Mehrheit mit den “fahrenden Gesellen”
umging und sehen erschreckende Parallelen
ins Heute. Anlass war der Wunsch eines
ungarischen Komitates, Zigeuner zu
stempeln und ihnen die Pferde wegzunehmen.
Der nachfolgende
Text von Stefan Bársony vom 23. März 1910
ist eine direkte Replik auf die
Ausführungen Brepohls im Pester Lloyd vom
16. März 1910. Er zeigt, wie tief
verwurzelt in bürgerlichen Kreisen die
Vorstellungen von der Existenz höher -und
tieferstehender Nationen und Rassen waren
und sind. Ein Rassismus, dem man heute
nicht nur subtil sondern oft noch eben so
direkt und unverblümt als lebendige
Vorurteile in weiten Teilen der
ungarischen Bevölkerung, relativ
unabhängig von politischer Zugehörigkeit
oder Bildungsgrad, begegnet, auch dadurch
bedingt, dass es in der Nachwendezeit
nicht gelungen ist, die Integration dieser
größten ethnischen Minderheit in sichtbar
taugliche Bahnen zu lenken. …
Aus
dem Pester Lloyd von 1910
F. W. Brepohl
Die Zigeuner in Ungarn
Eine vor Monaten
unter dem Vorsitz des Grafen Géza Mailáth
tagende Konferenz zur Beratung der
Zigeunerfrage in Ungarn (zu Csongrád)
beschloß auf Vorschlag des Barons Alexander
Jeßenßky, eine Eingabe an die Regierung zu
richten, man möchte doch den Zigeunern alle
Wagen und Pferde abnehmen, um sie dadurch
zum Aufgeben des Nomadenlebens zu zwingen.
Auch sollen ihnen alle Waffen und Messer
abgenommen werden, ferner solle man jedem
Zigeuner eine einem sichtbaren Teile des
Körpers eine Nummer abstempeln, um so eine
Kontrolle derselben zu ermöglichen.
Diese Nachricht hat
die Zigeunerforscher und Ethnologen Europas
einigermaßen überrascht. Hatte doch bisher
Ungarn den R u h m, diesem Volk gegenüber
unter allen Kulturvölkern Europas die
humanste Stellung eingenommen zu haben.
Hoffentlich lehnt auch die ungarische
Regierung den sonderbaren Vorschlag ab.
Würde doch dessen Ausführung die
Errungenschaften bedeutender
Zigeunerforscher, unter denen Ungarn
hervorragende Männer geliefert hat, in ihrem
Wert herabmindern. Nicht dazu haben ein
Erzherzog Josef, ein Professor Dr. Hermann,
ein Dr. Heinrich von Wislocki und ein Franz
Liszt mit solcher Aufopferung und Liebe sich
dem Studium der Eigenart und des inneren
Lebens dieses Volkes ergeben (Liszt löste im
Pester Lloyd einen großen Disput aus, in dem
er in einer Aritkelserie, die später als
Buch veröffentlicht wurde, die These
aufstellte, die ungarische Volksmusik sei
nichts originäres, sondern im wesentlichen
eine Adaption von Zigeunerweisen.
Eine
musikwissenschaftlich mittlerweile, auch
durch die Forschungen Bartóks widerlegte
These, die aber in der Zeitung zu
grundsätzlichen Überlegungen über das
Verhältnis und den Grad der Verwandschaft
der Ungarn mit "den" Zigeunern führte,
Anm.), um am Ende nichts weiter
hervorzubringen, als eine gesetzliche
Maßregel, die an das Mittelalter erinnert
und die eines Kulturvolkes, wie das der
Ungarn, unwürdig ist. Die Aufopferung jener
Männer verdiente es wahrhaftig, mehr
beachtet zu werden, als es auf der
Csongráder Konferenz geschehen ist. Dort
scheint man nur die Schattenseiten und die
dismoralische Qualifikation der Zigeuner
erwogen zu haben. Jedenfalls wäre man nicht
zu diesem Schluß gekommen, wenn man genügend
die Ergebnisse historischer und
ethnologischer Forschung beachtet hätte.
Gerade Ungarn nimmt ja in der Geschichte der
Zigeuner eine humane Stellung ein.
Nachdem der Reichsabschied des deutschen
Reichstages von 1497 (§21) die Zigeuner des
Landes verwiesen hatte und der Reichstag von
Freiburg 1498 sie für vogelfrei erklärte,
war es der edle Graf Georg Thurzó, Palatin
von Ungarn, der diesem gequälten und
gejagten Volk in Ungarn ein gastlich Asyl
gab und ihnen einen Freibrief ausstellte.
Diese Tat Thurzós wird der ungarischen
Nation bei allen humandenkenden Völkern und
Kulturmenschen zu dauerndem Ruhme gereichen.
Während andere europäische Völker mit
eiserner Faust die Zigeuner bedrückten,
brandmarkten und töteten, war es Ungarn, das
dank der weisen Einsicht seines Palatins
menschlich mit ihnen verfuhr. Während zu
Anfang des 18. Jahrhunderts der König
Friedrich Wilhelm I. von Preußen befahl, daß
die Zigeuner, welche preußische
Staatsgebiete betreten und über achtzehn
Jahre alt seien, ohne weiteres und ohne
Unterschied des Geschlechts am Galgen
aufgeknüpft werden sollten, während die
Grafschaft Reuß in einer Verordnung von 1711
befahl, daß alle männlichen Zigeuner,
einerlei, ob mit Pässen versehen oder nicht,
ohne weiteres zu erschießen seien, wenn sie
in reußischen Landern ergriffen würden, die
Weiber derselben aber mit Ruten gepeitscht
und ihnen der Galgen an die Stirne gebrannt
werden sollte, waren es die ungarischen
Behörden, die auf Grund des Freibriefes des
Grafen Thurzó und der siebenbürgischen
Fürsten sie gastlich aufnahmen.
Die Stadt Brassó
[Kronstadt / Brasov (Anmerkung des
Webmasters)] z.B. schenkte im Jahre 1416
ihnen Federvieh, Frucht aus den Stadtkammern
und zehn Denar. Franz Liszt lobte diese Tat
der Ungarn als eine humane und sagt, daß nur
das ungarische Volk ein menschliches
Empfinden für dieses geplagte und gehetzte
Volk gehabt habe. Dem ungarischen Volk sei
es auch zu verdanken, daß die Zigeuner sich
zu solch musikalischer Kunstfertigkeit
hätten aufschwingen können.
Man fragt sich nun billig, ob ein Vorschlag
wie der der Csongráder Konferenz, welcher
geeignet ist, das Ansehen der ungarischen
Nation und den Ruf ihrer Humanität zu
schädigen, einen praktischen Wert hat. Die
Geschichte lehrt, daß bei Zigeunern harte
Bedrückungen und Maßregelen von
unmenschlicher Strenge keinen Wert hatten.
Die schon erwähnten Verordnungen von Reuß
und Preußen fruchteten in diesen Ländern
nichts. Je mehr man das Volk drückte, je
mehr es sich mehrte. Diese alte
Bibelwahrheit erfüllte sich an den
Zigeunern. Eine sechshundertjährige
Geschichte dieses Volkes in Europa lehrt,
daß dadurch die Plage, die von diesem Volke
ausgeht, keineswegs aus der Welt geschafft
wurde. Der reußische Kriminalrat Liebich
sagt über die Behandlung der Zigeuner: "Man
muß sich billig wundern, daß die Zigeuner
bei so hartherziger und grausamer Behandlung
nicht noch weit bösartiger und feindlicher
gesinnt gegen Menschen anderer Art geworden
sind, als sie jetzt wirklich erscheinen.
Überhaupt hat die christliche Zivilisation
im Grunde noch sehr wenig, oder was dasselbe
ist, noch nicht das Rechte getan und tut
auch heutigen Tages noch sehr wenig, um das
arme Volk der Zigeuner zu sich zu erheben."
Liebich hat recht. Die zivilisierten Völker
haben es an der richtigen christlichen
Humanität diesem Volke gegenüber fehlen
lassen, n der Meinung, daß dasselbe einem
höheren Einfluß unzugänglich sei. Aber schon
der Forscher Grassunder kam zu der Ansicht,
daß auch dieses Volk höheren Einflüssen
zugänglich sei. Diese Ansicht wird von
vielen Zigeunerforschern geteilt. Sie war
es, die zuerst in England und in Nordamerika
der Auffassung Bahn brach, daß eine
Erforschung dieses Volkes notwendig sei, um
dasselbe missionieren und christlich
erziehen zu können. Das hat zu einer großen
englischen Zigeunerliteratur geführt. Zu
Anfang des 19. Jahrhunderts war es George
Borrow, der ihren Charakter, ihre Sprache
studierte, mit priesterlicher Klugheit und
mit sinnigen mütterlichen Umschweifen ihnen
die Glaubenssätze und Ideen des Christentums
über das Gute und Böse einpflanzte und mit
Zärtlichkeit diesen vernachlässigten, mit
Unkraut überwucherten Seelen Bruchstücke der
frohen Botschaft des Evangeliums verstehen
und ausüben lernte. Borrows Arbeit unter den
Zigeunern Spaniens ist für diese die
Grundlage einer moralischen Besserung und
eines Aufschwunges geworden.
Bekanntlich hat auch die edle Königin Maria
Theresia versucht, dieses Volk zu
christianisieren und ethisch zu heben, indem
sie 1761 versuchte, die Zigeuner im Banat
als Neuungarn ansässig zu machen und sie
zwangsweise taufen ließ. Liszt sagt hiezu:
"so besonders wohlwollend auch die Sorgfalt
war, welche die große Fürstin der Regierung
ihres treuen Ungarlandes widmete, das ihr
durch diese Horden ohne Treue und Gesetz,
ohne Haus und Herd beunruhigt zu sein
schien, so konnte sie unmöglich weder Muße
haben, sich zu erkundigen, noch die
Gelegenheit, zu erfahren, welcher Geist
diese Elenden, die nicht nur auf der
niedrigsten Stufe der Gesellschaft, sondern
fast unter derselben standen, tatsächlich
belebte. Wie wäre es möglich gewesen, nicht
als die verächtlichste und letzte aller
Menschenklassen zu betrachten, da
natürlicherweise ihre ganze Nation und
sämtliche Ratgeber in dieser Ansicht
übereinstimmten. Wie hätte es ihr jemals
einfallen können, sich die Frage vorzulegen:
Wer sie seien? Und warum sie das seien, was
sie sind? Die Jahrhunderte hatten die
Geringschätzung, die ihnen erwiesen wurde
gleichsam sanktioniert... Die fromme Königin
glaubte sehr gütig gegen sie und voll
Mitgefühls zu sein - sie zu taufen und ihnen
die Polizei als Paten zu ihrer Taufe zu
laden." Die Versuche Maria Theresias
scheiterten an der rein gesetzlichen
Ausführung, da das innere Wesen der Zigeuner
noch nicht genügend erforscht war. Was uns
keineswegs zu wundern braucht. Selbst der
strenge Befehl Maria Theresias von 1767, daß
die Kinder den Eltern entrissen und
zwangsweise erzogen werden sollten, blieb
ohne Erfolg. Ebenso erging es mit den
Versuchen Josefs II. Das Hauptregulativ
Josef II von 1783 ist durchdrungen vom hohen
Geist dieses Monarchen, aber leider, leider
fehlte auch ihm sowohl die historische wie
ethnologische Kenntnis des Zigeunerwesens.
Seine Verfügung hat etwas Ähnlichkeit mit
dem Beschlusse der Csongráder Konferenz. Das
Führen von Pferden war ihnen untersagt,
desgleichen der Pferdehandel. Gebrauch der
Zigeunersprache und Eheschließung
untereinander wurde strengstens verboten.
Denselben Erfolg hatten Versuche von Seiten
der ungarischen Geistlichkeit in den Jahren
1850 bis 1860, die Zigeuner zu einem
"gesitteten Leben zu erziehen". Der Bischof
von Szatmár, Johann Hám, der 1857 eine
Schule für Zigeunerkinder stiftete,
und Pfarrer Farkas zu Ersekújvár, der eine
Erziehungsanstalt gründete, mußten diese
wieder aufheben, da auch sie zu wenig
Kenntniß von dem Wesen der Zigeuner besaßen
und einsahen, daß eine rein mechanische
Erziehung unmöglich war.
Genau so würde es mit der Ausführung der
Beschlüsse der Csongráder Konferenz gehen.
Rein mechanisch ist dieses Volk nicht zu
erziehen. Die Konferenzbeschlüsse würden dem
Staat ohne jeglichen Nutzen nur hohe Kosten
auferlegen. Die Fortnahme der Pferde muß
naturgemäß eine Erbitterung bei den braunen
Gesellen hervorrufen, und würde daher die
Verschlagenheit derselben eher fördern, als
die Leute moralisch bessern. Ehrlichkeit
wird durch äußeren Gesetzeszwang nicht
geschaffen, sondern nur durch Herzensbildung
und Ethik. Was nützt es, ihnen die Waffen
wegzunehmen, da dieselben doch in jedem
Laden zu haben sind. Man denke nur auch an
den Mißerfolg, den das Deutsche Reich hatte,
als es den Eingeborenen seiner Kolonien
Waffen wegnehmen ließ. Und dabei war das
Deutsche Reich noch so vorsichtig, eine
Geldentschädigung für die Waffen zu geben.
Die Anbringung einer Nummer würde die
Zigeuner aber wieder zu Parias stempeln und
sie ihrer Menschenwürde berauben. Wir
brauchten uns nicht zu wundern, wenn die
Erbitterung dieses Volkes sich derart
steigern würde, daß sie zu einer noch
schlimmeren Plage für Ungarn als bisher
heranwüchsen.
Wäre es nicht besser, eine spätere Konferenz
und auch die ungarische Regierung zöge in
Betracht, was die Forschung des
Zigeunerwesens ergab, und versuchte auf
Grund dieser Forschungen dies Volk in
human-christlicher Weise zu beeinflussen?
Die seit Jahren gemachten Versuche der
Regierungen, dieses Volk ansässig zu machen,
werden erst dann wirklichen Wert erlangen,
wenn es gelingt, dies Volk nicht nur
äußerlich zum Christentum heranzuziehen,
sondern ihm auch eine ethische Grundlage zu
geben. Die ethnologische Forschung des
Erzherzogs Josef, Wlislockis und anderer
haben zur Genüge ergeben, daß auch dieses
Volk reges seelisches Innenleben besitzt.
Wird auf diesen fruchtbaren Boden ein guter
Same gestreut, nicht mit Gewalt und Gesetz,
sondern getragen von Liebe und wahrer
Humanität, dann geht er auch auf. Die Frucht
dieser Arbeit wird sein, daß die Zigeuner zu
nützlichen Gliedern der ungarischen Nation
und brauchbaren Werkzeugen der menschlichen
Gesellschaft werden. Was hätte Ungarn davon,
eine seinem Lande ein nach Zehntausenden
zählendes Volk zu besitzen, welches Gehorsam
gegen die Gesetze heuchelte und dabei im
Herzen doch grimmige Feindschaft und
Rachegedanken hegte?
Hier liegt ein weites Wirkungsfeld für
solche Glieder ungarischer Kirchen -
einerlei ob protestantisch, katholisch oder
orthodox -, die von wirklicher Liebe und
religiöser Überzeugung durchdrungen sind.
Franz Liszt machte den christlichen Kirchen
den Vorwurf, daß während sie in allen
heidnischen Ländern missionieren, sie doch
des unter sich lebenden Volkes der Zigeuner
vergessen haben. Möge recht bald eine Schar
wirklich ernster Menschen sich finden, die
diesem Volk gute Belehrung geben und Samen
in ihre Seelen streuen, der aufgeht und
Frucht bringt. solche Arbeit ist nicht
vergeblich.
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