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Zeittafel zu Ernst Gräser

nach dem Tagebuch seiner Mutter

und nach anderen Quellen

1884, 8. 5. Ernst Heinrich als fünftes Kind und dritter Sohn, fünf Jahre nach Gusto, geboren. Er starb 1944 mit sechzig Jahren.

Aug. 1894 Nach dem frühen Tod ihres Mannes übersiedelt Grossika mit ihren Kindern von Tekendorf nach Mediasch.

"Den 3ten August ließ ich auf 2 Saaz-Regener ... Wagen meine noch behaltenen Möbel nach Sz Regen auf den Bahnhof schaffen. Den 7ten nahm ich mit Gusti und Ernst Abschied. - Wie schwer es mir wurde, von meinen Lebenden und Toten Abschied zu nehmen, läßt sich nicht beschreiben, nur fühlen [dem], der Ähnliches von Gott auferlegt erhält.

1897, 31. 12. "Gott hat bis hierher geholfen und wird auch weiter helfen. Von allen Kindern habe ich gute Nachricht. ... Mit meinem Ernst und klein Böhm sitze ich hier und erwarte die Stunde, mit welcher wir das Neue Jahr antreten. Gott, in deine Hände befehle ich mich."

1898, 18. 8. Grossika besucht ihren Sohn Gustav auf dem Himmelhof.

"Den 18ten August 1898 fuhr ich mit Ernst nach Wien, um Gusti auf dem Himmelhof bei Diefenbach zu besuchen. Wir fügten uns 9 Tage der dort herrschenden Lebensweise, durchdrungen von der Idee, daß Diefenbachds Anschauungen allein der rechte Weg sind, um gesunde, die höchsten Ideale anstrebende Menschen zu werden und hervorzubringen.

Den 28ten abends um 1/2 8 Uhr schieden wir aus Diefenbachs Hause, um unsere Rückreise anzutreten. Den 30ten morgens um 1/2 4 Uhr langten wir glücklich und wohlbehalten in unserer Wohnung an."

Aufbruch zur Wanderschaft

Grossika findet keine Worte für den entscheidenden Schritt im Leben ihres Gustel: seinen Ausbruch aus der bürgerlichen Gesellschaft, seinen Entschluß zu einem Leben in Heimat- und Besitzlosigkeit. Der Zeitpunkt dieses Bruches ist unklar. Nach Grossikas Tagebuch trifft sich ihr jüngster Sohn Ernst mit den beiden älteren Brüdern in der Naturheilanstalt des "Sonnendoktors" Arnold Rikli in Veldes/Steiermark. Von dort aus machen die Brüder eine Wanderung, die sie bis nach Venedig und Verona führt. Ernst und Karl kehren danach nach Hause zurück. Doch während Ernst sich dem Architektenberuf zuwendet und eine Lehrstelle antritt, zeigt sich zum Schrecken der Mutter, daß ihr Karl sich den Anschauungen von Gusto angeschlossen hat. Sie muß beide für das bürgerliche und familiäre Leben verloren geben.

1899, 16. 8. Die Gebrüder Gräser in Veldes und Oberitalien.

Ernst besucht seine Brüder in der Kuranstalt Rikli in Veldes/Steiermark. Gemeinsame Wanderung nach Oberitalien. Der ältere Bruder Karl schließt sich den Anschauungen von Gusto an.

1899, 31. 7. – 16. 8. "Den 31sten hat Ernst seine große Reise nach Veldes zu seinen Brüdern angetreten. Sie waren in Triest, Venedig, Verona. Es ist ihnen gut gegangen. Ernst und Karl sind den 16ten August wieder in Tekendorf eingetroffen.

Auf Ernst hat diese Reise einen tiefen, wie es scheint, auch bleibenden Eindruck gemacht. Karl hat durch den Aufenthalt in Veldes durch Naturheilkraft die Gesundheit gefunden und ist in seinen Anschauungen vom Leben der zweite Gust geworden."

1899, 26. 8. "Den 26sten in der Früh um 3 Uhr ist mein Ernst zum Baumeister Bruß nach Kronstadt gefahren."

1901, 12. 7. „Den 12ten Juli hat Ernst seine praktische Arbeit bei einem Bau auf der Postwiese begonnen.“

1901, 17. 7. „Den 17ten sind Gust und Ernst mit Hackmüller und noch anderen auf den Bucsesz gewandert.“

1901, 4. 9. „Den 4ten [September] ist mein Ernst zu seiner weiteren Ausbildung nach Wien abgereist.“

1902, 14. 3. "Vor Ostern, den 14. März, ist Gustav [aus dem Militärgefängnis] f r e i geworden.“

1902, 25. 4. „Den 25ten April ist mein Gustav, nachdem er 10 Monate hier war, mit Otto Ott von Kronstadt abgereist. Auch dieses große Leid hat sich in Freude verwandelt.

Wie Gustav nicht mehr da war, am Morgen des 26ten April, sagte Frl. Mathild:

Alles ist leer,

Überall fehlt Er.

Du sollst dich bescheiden:

Auf Leiden folgt Freuden

Und die Rosenzeit sich auch erneut.

In diesen Tagen erhielt ich auch von Ernst einen Brief, in dem er sein Bekenntnis ablegt, daß ihm die Baumeisterei nie nie gefallen hat und er den Drang in sich fühlt, der Kunst (Wahrheit) sich zu widmen und die Baugewerbeschule verläßt, um den 6ten Oktober sich auf der Akademie der bildenden Künste [in München] einschreiben zu lassen.“

1902, Anfang Mai Umzug nach München.

1902, 23. 5. „Den 23sten habe ich 50 fl. an Ernst [nach München] abgeschickt für die Druckerei (Epheublätter-Gedichte), die Gustav der Öffentlichkeit preisgibt. Wie er schreibt, ist es ihm nicht darum zu tun, [sich] selber zu verbreiten, sondern, wie es im Tannhäuser heißt: Sie sollen ein Band von Herz zu Herz ziehen helfen."

1902, 6. 10. Einschreibung an der Akademie München.

1903, 12. 9. „Den 12ten September, Samstag gegen den Sonntag in der Nacht ist mein Ernst von Askona, wo er auch einen Monat war, in mein stilles Heim eingezogen. ... Zuhause verbrachte mein gutes Kind seine Zeit mit dem Fertigmalen seines Hamor-Bildes und mit Zeichnen (mein Bild). Wie so Vieles ein Mutterherz durchzukämpfen hat, so war es auch bei diesem Aufenthalt meines Jüngsten Ernst. Bei dieser Gelegenheit hat sich mir offenbart, welch selige Gefühle er hatte, wenn er von unser aller großem Meister und seinen allein wahren Lehren sprach.“

1903, 5. 10. „Den 5ten nahm ich Abschied von meinem Ernst. Er fuhr mit einem Rundreisebillet über Wien nach München zurück. Beim Abschied waren meine letzten Worte: Nicht verlier dich zu sehr auf deinem Lebensweg, damit dich auch deine Mutter immer verstehen kann."

Ernst wohnt vom Oktober 1903 bis Dezember 1904 in der Schleißheimer Straße 61. Er teilt sein Zimmer zeitweise mit seinem Bruder Gusto.

1904, Dez. „Zu Ende dieses Jahres ist Ernst von seinem Bruder [in München] geschieden und nach Zürich gegangen."

1905, 13. 2. "Den 13ten Februar schickte ich nach Berlin an Gust in Erinnerung des Geburtstages 10 fl., die wegen Nichtauffindung seiner Adresse an mich zurück-gelangten.

Den 17ten schickte ich selbes Geld an Ernst nach Zürich.

Den 17ten ist Lottchens Tagebuch verbrannt worden.

Den 23ten März erhielt ich aus Zürich von Ernst einen Brief, in dem er mir von dem Verhältnis mit Frl. Lavater Nachricht gibt und zugleich auch sagt, daß sie ihm nur als Freundin, aber nicht als Frau zu ihm passe.

Den 25sten, mit Ernstens letztem Brief in Zusammenhang, warf mir Gusti [ihr Schwiegersohn Gustav Kofranek-Kovàts] vor, ich sei keine Mutter meinen Söhnen visàvis und müßte eigentlich die schwerste Reue darüber empfinden, wenn ich mich vor Gott und meinem guten Mann verantworten müßte.

Und die Josefin [ihre Tochter] schickte mich mit den Worten: Geh in die Schweiz, damit du kuriert wirst, um dann einzusehen, daß es hier bei uns besser ist.

Dies alles nur, weil ich meine drei Söhne nicht auch verurteile.“

1905, Sommer „[Ernst ist] Anfang d. M. von Zürich nach Askona zum Karl übersiedelt. Dem Karl habe ich diesen Monat sein Erbtheil, 1000 fl., zugeschickt. Mit diesem Geld, welches er an Jennys Verwandte zahlen muß, bleibt er im ganzen Besitz seines Grundes. Gust ist jetzt noch in Genf bei Dr. Skarvan, um ein Landerziehungs-heim kennen zu lernen, kommt dann auch nach Askona, wo auch noch ein Freund Faßbänder mit ihnen zusammenleben will.


1907, 6. 10. "Miskolcz,den 6ten Oktober 1907.

Eben heute sind es vier Wochen, daß ich mich zum drittenmal aus der Schweiz auf die Heimreise aufmachte. Von November 1906 bis September 1907 war ich bei Karl. Es war für mich und alle, denn meistens waren auch Gust und Ernst mit uns zusammen, gut.“

1906/7, Winter Ausstellungen in Locarno.

"Nach Ernstens Ausstellung in Locarno machten wir zusammen eine Ausstellung mit an die 40 Bildern. Ernst hatte viel zu tun, bis er den Raum für seine Ausstellung praktisch und gut gestaltet hatte. Durch die Ausstellung hatten wir auch viele Besucher; in einem Monat sind 50 bis 60 Billets à 50 Centimes verkauft worden.

Ich hatte einen schönen Wirkungskreis, den ich nicht nur für die Kinder, sondern auch etwas weiter ausgedehnt habe. Die vielen lieben Menschen, die ich dort kennenlernte, werden mir stets in angenehmer Erinnerung sein.“

1907, Februar „Im Februar, es war ein schöner Tag, machte ich mich allein auf den Weg, die Neugeborens zu besuchen, und fiel so unglücklich, daß ich mir wahrscheinlich eine Rippe gebrochen. Drei Wochen mußte mein lieber Ernst meine rechte Hand sein und mir helfen.

Im übrigen war ich in dieser Lebensweise gesund und sehr leicht beweglich."

1907, Mai „Die Wintermonate brachte Gust seine Zeit in München zu. Ernst kam Mai 1907 zu seiner dritten Stellung [Musterung fürs Militär], wurde frei und machte dann einer Schweizer Reise mit selbsterworbenem Geld. Er verkaufte die 'Ruine' an Schneiders, an Schriftsteller Hesse das zweite und an Dr. Brupbacher ein drittes Bild. Er malte am Bodensee viel, von denen er auch zwei kleinere Bilder verkaufen konnte. Gustens Bild 'Erfüllung' haben wir auch kommen lassen und haben ihm einen Platz in Ernstens Ausstellung gegeben. Der Geist, das Leben haben mir gefallen, was in Askona herrschte solange ich dort war.“

Der 'Berliner Lokalanzeiger' berichtet im Mai 1907:

Der Leutnant [Karl] Gräser gehört ebenfalls zu jenen, die aus der Welt geflüchtet sind und sich hier in der Gegend [von Ascona] ihr Holzhaus errichtet haben. ... Gräser hatte, da er den Abschied als Offizier nahm, lebhaft gegen den Widerstand seiner Familie zu kämpfen - heute lebt seine Mutter bei ihm, und sein Bruder hat sich ebenfalls ein Häuschen gebaut.

1907, Sommer Karl schreibt an seinen Bruder Gusto, mit dem er im Streit liegt. Er wirft ihm vor, auch Ernst mit seinen „himmelschreiend maßlosen“ Ideen angesteckt zu haben.

„Unser guter Ernst fängt auch an, hart und ungerecht zu werden. – Es sind die Folgen seines Aufenthaltes an unzeitgemäßem Ort. Er ist angekränkelt, angesteckt, wie ich es war, von Ideen, die in den Himmel wachsen und dann ihre irdische Berechtigung nicht mehr haben.“

1908 "Josefin, Karl, Gust und Ernst. Ich fühle immer mehr eure Selbständigkeit, gleichsam wie das Reifen der Frucht an dem Baum des Lebens.“

1909, Januar „Karl ist mit Jenny [Hofmann], wie ich aus den Briefen ersehe, wieder gut zusammen. Von Gust [aus München] die letzte Nachricht: eine Fotografie von ihm und 'es sollen meine Werke reden' erhalten. Ernst ist in Stuttgart. Besucht die Akademie als außergewöhnlicher Schüler und erhält sich nebenbei mit seiner Kunst."

1909, 22. 6. Ernst wohnt vorübergehend bei Herrn Eisenbart in Neresheim, bezieht dann in Stuttgart eine neue Wohnung. Ein E. Schneyder schickt ihm aus Tübingen eine Photographie, die er von Jenny und Karl Gräser in Ascona gemacht hat.

1910, 28. 6. "Liebe Josefin und Lottchen! Balassagyarmat, den 28ten Juni (?)

Dieser Brief ist durch mein vor 14 Tagen gehabtes heftiges Unbehagen und dreimal hintereinander entstandene Ohnmachten veranlaßt, an Euch meinen letzten Willen zu richten.

Wenn ich nicht mehr unter Euch bin, habt Nachsicht untereinander und habt Euch lieb.

Meine Habe ist klein geworden, und doch will ich es unter Euch geordnet wissen. Im Tekendorfer Haus habe ich 800 fl., in der Mediascher Sparkasse 400, ein Kreditlos 200 fl. wert und noch 3 Stück Brinnschweiger [?] 20 Thaler Lose. Also 1200 fl. wären unter Euch - Karl, Gust, Josefin, Ernst und Lottchen - gleichmäßig aufzuteilen. Die Lose bleiben bei Dir, meine Josefin, und selbstverständlich wird, wenn eines gezogen wird, brüderlich auf 5 Teile geteilt. Das bißchen Silber und Wäsche teilst Du und Lottchen, meine Josefin. Das Bild von unsrem theuren Lottchen [und] die Uhr bleiben Dir, Lottchen. Das Bild 'Der Liebe Macht' gehört dem von Euch, der das wahrste Interesse dafür hat. Die Möbel macht zu Geld und teilt es auch auf.

Mutter und Großmutter."

1910, 6. 8. „Den 6-ten [August] ist auch mein Ernst von Stuttgart nach Miskolcz eingetroffen. Im September waren wir mit Ernst hier in B[alassa]gyarmat zusammen. In Miskolcz bei Josefin hat Ernst die Josefin und [ihren Ehemann] Gusti [Kofranek-Kovàts] in Öl gemalt. … Ernst ist nach fast zwei monatlichem Aufenthalt … zufrieden abgereist.“

ENDE DES TAGEBUCHS VON CHARLOTTE GRÄSER

* * *


1910 ‚Einfälle auf dem Gebiete der Malerei’. Notizheft, Winnenden.

1913, 28. 3. Karte von Vladimir Straskraba-Czaja (1852-1934), Tolstoianer und Wirt der vegetarischen Herberge ‚Heidelbeere’ in Ascona, an die Verlobte von Ernst, Baronesse Klementine von Pongrácz in Wien. Klementine hatte offenbar (sicher mit Ernst zusammen) den Monte Verità besucht.

1913, 21. 8. Zweite Postkarte von Straskraba.

1914, August Aufsatz von Theodor Bauer, Kandidaten der Kunstgeschichte in Heidelberg, über ‚Ernst Graeser’ in Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst, 19. Jg., Heft 8, August 1914, S. 239-242 mit 2 Abb.

„ … Es ist der junge, vielversprechrende Stuttgarter Künstler Ernst Graeser, ein Siebenbürger Sachse von Geburt (nebenbei ein Neffe des bekannten sächsischen Bischofs G. Teutsch). Zunächst zur Architektenlaufbahn bestimmt, entschloß er sich bald zum Maler und besuchte die Münchener und Stuttgarter Akademie, letztere jetzt als Meisterschüler von Prof. Ad. Hölzel.

Im Heidelberger Kunstverein war kürzlich eine Kollektivausstellung seiner Gemälde, die trotz ungünstiger, viel zu eng gedrängter Aufhängung, einen guten Einblick in das Schaffen dieses ernsten Künstlers gewährte. Auf den ersten Blick fällt das starke Ringen des Künstlers nach monumentaler Wirkung in die Augen. Manche seiner Bilder drängen förmlich aus dem Rahmen heraus … “ (240)

„Tiefen Eindruck macht der „barmherzige Samariter“, dessen flächenhaft aufgetragene Farben auf einen elegischen Ton gestimmt sind, der nur durch den leuchtenden Horizont unterbrochen wird. Das mühsame Herabbeugen des langbärtigen, greisen Samariters zu der zusammengebrochenen Gestalt des wunden Wanderers stimmt sich harmonisch im Rhythmus der Bewegung zur koloristischen Stimmung.“ (241f.)

„Alles in allem: Graeser ist ein außerordentlich ernster Künstler, dessen bisher von gutem Erfolg und ständigen Fortschritten begleitetes Ringen nach monumentalem Stil, speziell um einen Stil, der für religiöse Zwecke geeignet ist, weite Aufmerksamkeit und Beaschtung verdient.“ (242)

1915, August Anlässlich der Verhaftung und angedrohten Ausweisung seines Bruders aus Stuttgart schreibt Ernst einen offenbar vervielfältigten Protestbrief, der vermutlich an die Polizeidirektion, das Gericht und an Privatpersonen versandt wurde. Aus seinem Schreiben geht hervor, dass er Gustos Waldandachten im Bopserwald mehrmals besucht hat. Vermutlich hat er seinen Bruder während dessen Aufenthalt seit Frühjahr 1913 – er wohnte mit seiner Familie in einem Gartenhaus in Degerloch-Falterau – auch sonst nach Möglichkeit unterstützt. Er zeichnet auch die beiden Töchter Trudchen und Bernhardine (in Rückenansicht, an einem Tischchen sitzend) in Falterau. Sein Brief ist allerdings, im Unterschied zu den geharnischten Protesten anderer Freunde von Gusto, auffallend lau und gewunden im Ausdruck. Eine innere Distanz wird spürbar. Es versteht sich, dass Gustos Auftritte in Stuttgart für ihn eine Belastung bedeuteten.

„Die Ausweisung Gusto Gräser’s nötigt folgendes in kurze Erwägung zu ziehen. Sind seine Vergehen vor unvoreingenommenen Augen derart, dass sie die schwere Massnahme einer Ausweisung erklärlich machen? Oder – sind die Anregungen, von ihm gegeben durch das eigenartige Verhältnis, in das ihn sein Geschick und Streben zu Menschen rückt, nicht derart, dass man wünschen darf, der Richter hätte dies für sein Urteil berücksichtigen müssen? Ist er, der durch sein Dichten und Trachten die Verkörperung einer Lebensanschauung ist, die, wenn auch vielleicht ein Extrem und eine Reaktion unserer nicht so ganz einwandfreien Zivilisation bedeutet, nicht gerade hiedurch und für jede denkende Persönlichkeit unseres dankbaren Interesses wert? …

Es scheint fast, als ob die hier Richtenden gefürchtet hätten, Gräser könne der Ordnung des Staates gefährlich werden. Da wäre man allerdings sehr falsch unterrichtet, zumal er zu allem, was Staatswesen und Politik heisst, kaum Fähigkeiten besitzt und deshalb, selbst wenn er wollte, nicht gefährlich werden könnte – und als Dichter und Künstler, als der er einzig zu nehmen ist, auch nicht gefährlich werden kann – denn als solcher wirkt er in seinen Reden an der Schillereiche, die übrigens qualitativ merkwürdig verschieden sind, - aufbauend. …

Nebenbei bemerkt bezweifle ich, dass der Richter von seinen Untergebenen wohl unterrichtet werden kann, wie es hier geschah. So sehr an den Spürsinn dieser Leute geglaubt werden kann, etwa die verwickelten Absichten eines Diebes an dessen Nase abzulesen – bedingt doch die sittliche und künstlerische Beurteilung gerade Gräsers Vor.tragsart andere Organe. Eine Persönlichkeit kann nur von einer Persönlichkeit beurteilt werden.

Dies im Namen vieler, die an Gräsers edles Wollen glauben.

E. H. G.

Ernst.

1916, Februar Ernst Graeser heiratet in München die Geigerin und Malerin Klementine Baronin Pongracz.

  1. Aufzeichnung: „Ein Gespräch Prof. Wohlbolds mit Dr. St[einer] etwa Ende 1919, Anfang 1920.“

1927 Artikel von Ernst Graeser in einer Berliner Zeitung:

Der „Volkswart“

Ein Vortrag über Menschwerdung

Im Gewühl der Großstadtstraßen begegnen uns zuweilen seltsame Typen-Menschen in togaähnlicher Gewandung und Sandalen, manchmal auch nur ganz dürftig bekleidet, alle mit langem Haar und mit dichten Vollbärten. Sie erinnern in ihrem Aussehen an die Jünger-Erscheinungen auf Heiligenbildern …

Unzweifelhaft – all diese Typen bilden – wenn auch in losem Zusammenhang – eine Gemeinschaft, als deren Oberhaupt wohl der „Volkswart“ Gusto Gräser gelten darf. Ein nicht mehr junger Mann mit etwas leidvollen Zügen …

Wer ist der Mann? Johannes Schlaf hat diesen Siebenbürger Sachsen einmal einen „neuen Dichter“ genannt – aber das liegt etliche Jahre zurück, seitdem hat sich Gusto Gräser wohl mehr zum neuen Heiland entwickelt, der seine Lehre in durchdachten und formvollendeten Versen offenbart. …

Nun veranstaltet dieser Mann drei „Notwendabende“ (im Schubertsaal in der Bülowstr.), und an dem ersten dieser Abende stellte und suchte er die Frage zu beantworten: „Wie werden wir Volk?“ Etwa hundert Menschen hatten sich eingefunden, darunter viele, die in ihrem Äußern dem Volkswart ähnelten – durch Haar und Barttracht und Kleidung. Die jüngere Generation war nicht ganz so auffallend, trug Schillerkragen und langes Haar …

Dann stand der Volkswart auf dem Podium – sein Blick überflog den Saal, und mit tiefer, klangvoller Stimme bat er: „Kommt näher heran!“ Er setzte sich, sprach einen seiner Verse: „Groß kann einVolk nur in der Tiefe werden, als wie ein See…“ und begann nun in Prosa: „ … Wie werden wir Volk? Nicht im Hinblick auf die Masse, nicht im Hinblick auf andere, sondern im Hinblick auf unser eigenes Leben. … Kein Sollen, kein Gebot dürfen uns beherrschen, denn dieses Befehlen einer Tugend ist Herrschsucht, ist Herrenwahn, dessen Zeit vorüber ist. Jetzt ist die Zeit der „Herzhaften“ gekommen. Mut gehört dazu herhaft zu sein … „ …

Und dann kam er zum Schluß: „Wie werden wir Volk? Wenn wir recht geleitet werden – aber, herzlich, redlich muss man sein, um ein Volk zu leiten.“ …

Viel Idealismus ist bei diesen Menschen – man fühlte bei einem jeden, der da sprach oder eine Äußerung tat, eine inbrünstige Sehnsucht nach einem Leben, das ihn, den „Menschling“, zum Menschen, zum „wahren Menschen“ machen soll.

E. Gr.

1928, 30. 10 Siebenbürgisch-deutsches Tageblatt, S. 5:

In Stuttgart hat ein Landsmann, Ernst Graeser, der Sohn des verstorbenen Bezirksrichters Gustav [Verwechslung!] Gräser, Nachkomme des Bischofs Gräser (gestorben 1833), es zu einer angesehenen Stellung als Maler gebracht. … Die Dresdener Kunstgenossenschaft hat Ernst Graeser, der im Frühjahr die gleiche Sammlung wie jetzt in Frankfurt und Dresden ausstellte, zum Auswärtigen Mitglied ernannt. – Wir nehmen freudigen Anteil an der Anerkennung, die Graeser findet.

1928, 16. 11. Ernst schreibt an Gustos Tochter Gertrud:

„Liebe Gertrud! … Zwischen deinem Vater und mir bestehen ja mancherlei schmerzliche Gefühle, an denen ich selbst ja sicher einen Teil Schuld trage. Doch können wir Menschen nicht miteinander leben, wenn wir nicht den Willen haben, auch etwas gegenseitig zu tragen an dieser Schuld - oder Unvollkommenheiten – u. da meine ich vorerst nur die inneren Gefühle, die hiebei eine Rolle spielen. Die Lebensweise deines Vaters stellt an die Kraft seiner Mitmenschen jedenfalls aussergewöhnliche Anforderungen [an] dieselbe, besonders, wenn man das Leben anders ansieht, was ja an u. für sich zwischen strebenden Menschen nie ein Hindernis sein braucht. In des Lebens Praxis werden natürlich auch andere Bedingungen eine Rolle spielen, was man bei einem unmittelbaren Zusammenleben merken kann. …

Wir wohnen schon seit 5 Jahren nicht mehr bei Fr. Geiger – u. seit 3 in Stuttgart. So leb wohl – grüß deinen Bräutigam und deinen Vater herzlich. Dein Ernst Onkel.“

1928, 25. 12. Zweiter Brief von Ernst an Gertrud in Berlin:

„Liebes Trudchen … Hast du deinen Vater mit meinem letzten Brief gegrüßt? Ich grüße ihn auch in diesem – u. horche auf ein Echo –leise od. laut.“

1929, Dezember Ernst an Gertrud Gräser:

Liebes Trudchen! … Dein Brief klang nicht schlecht – dass Ihr draussen wohnt, kann angenehm sein, dass dein Mann an einem Verlag tätig ist, förderlich. Die Goetheanum-bücherstuben überragen jedenfalls alles, was literarisch und geistig in Druck gegeben werden kann. Sie können wohl die beste Nahrung auf allen Gebieten geben. … Ich spreche vor allem von den Werken Dr. Rudolf Steiners.

Inzwischen war auch dein Vater in Stuttgart. Ich weiss es leider nur von andern! Als ich’s hörte, versuchte ich ihn in seiner früheren Wohnung zu treffen – vergeblich. Als ich in dem veget. Restaurant nachfrug, war er schon offenbar nicht mehr in Stuttgart.

Wenn ich mich auch nicht immer so gegen meinen Bruder benommen hätte – er macht es einem wahrhaftig schwer – wie es genau genommen recht gewesen wäre, habe ich trotz allem mit meiner ganzen Kraft gestrebt, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Dies kann ich von mir und an dern sagen. Ob er sein Verhalten in diesem Falle verantworten kann?“

1930, 21. 12. Ernst an Gertrud in Oppershausen bei Mühlhausen:

Liebes Trudchen! Nun habe ich schon deinen 2ten Kartengruss … der gerade in den Tagen der Anwesenheit deines Vaters in Sttg. eintraf. … Möget Ihr u. dein Vater trotz allem Dunkel in der Welt warme u. lichte Weihnacht feiern. Dein Ernst Onkel.

1931, 17. 12. Gusto Gräser aus Stuttgart an seine Töchter:

„ … Weiter über andre Bekannte kam ich nun zu einem biedern Tischlermeister, Körner heisst er - der konnt mich nun auf seinem Werkstattboden genug gut betten, mit seiner Schwabenseel' und seinen Matrazen.

Das wär für eine Weil ja auch nit Puh und Pech gewesen, ababer aber Etwas schien mir doch zu ungereimt - ging's Euch nit auch schon durch den Sinn: "Hab doch, wennn ich nit irr, ein Bruderherz hier, nun wär's doch schön, wenn wir bei diesem Anlass, dieser kleinen Not, mal wieder so recht brudergut zusammenkämen".

Doch es wird spät, 9 Uhr des Abends wird's, bis ich Entschluss fass: "Ja - ich muss gehn, sonst wär es mein Verfehlnis". - Und denkt, wie schön zur r e c h t e n Zeit ich kam. - Der Bruder Ernst war noch im Reisemantel, 5 oder 10 Schritt vor mir trat er ein, er kam von Wien zurück, ein weiter Weg. Und seine Frau, von andrer weiter Reise, traf eben soviel Schritt etwa vor ihm im Hause ein, wie ich hörte, ohne vorherige Stundvereinbarung. (Ob vielleicht auch nit Tagvereinbarung, muss das noch klarer machen.)

War das nicht schön?

War das nicht Wink vom Leben: "Allso nun, ihr Brüder - lasst ihr's so rinnen, ruhn, oder werdet ihr nun auch Dieses, todesbang, zertun???" - - -

Ein Stündchen ging im Schwung des Wiedersehns, und meinerseits auch dank des schönen Dreifalls, genügend traulich hin, doch dann musst ja vom Nächsten, Nötigsten die Rede kommen, wie schön, wenn sie von seiner, ihrer Seite kommen wär: "Wo wohnst du, Bruder? - Paar Tage wenigstens, bis wir das Weitre finden, wirst du doch nun ein Weilchen Gast uns sein!?"

Was lag näher? - Was war selbstverständlicher? - Aber nein - nach meiner Frage: "Könnt Ihr raten, taten?" kam die Pein. -

Dann musste ja der Aufbruch kommen, konnt meinen Tischlermeister, übrigens auch Ernst mit Namen, doch nit ins Bodenlose so warten lassen. Da kam ein Schrein, so halb Gewein: "Ich war doch immer der Zusammenhalter der Familie, und Du fühlst Dich jetzt abgestossen!" - "Heut nacht doch bleibst Du hier", meint sie, die Klemmy [Clementine]. - Er - keinen Thon dazu. - Dann plötzlich, unvermittelt: "Ja - wenn man immer meint, Ich - Ich, sonst Kaner [Keiner]" - dann wieder Schluss. Das galt offenbar meiner Nichtanbetung [Rudolf] Steiners. - "Ich geb mich ganz und freu mich aller andern, die auch ihr Theil ganz zur Gemeinschaft tun. Wieso - warum jetzt das? - Ich komme wieder, wenn ich Wohnung hab - schlaft gut!" -

So ging's doch wieder auseinander - geht es immer, wo unser Herztun Hirnfrost grausam frisst.“

1933, 24. 10. Notizen von Ernst: „Die Schwaben. Tugenden und anderes.

Höflichkeit ist ihm Anlass zu Misstrauen.

Die Ruhe der Schwaben ist dick.

Der Schwabe denkt mehr winkliger als grade.

Er liebt Feste, ohne eigentliche Begabung sie zu feiern.

Das Volk hat wenig musikalische Begabung, doch liebt es die Musik sehr.

Sehr misstrauisch.

Lässt die Dinge sich entwickeln.

Seine Behäbigkeit hat viel Positives – artet jedoch auch manchmal aus, was sich z. B. in dem Gruß „Grüss Gott’le“ findet.

Des Schwaben Stärke liegt im Wirtschaftlichen – selbst durch die Feier der gestrigen Kircheneinweihung in Sillenbuch u. selbst in der Kirche war dies Moment stark spürbar.

Der gesellige Verkehr hat etwas Zähes u. Dickflüssiges, spielt sich in der Verwandtschaft, Sippe ab u. endet zu oft darin.“

1934, Mai Ausstellung im Stuttgarter Kunstverein zu Ehren von Ernst Graesers fünfzigstem Geburtstag.

1934, Juli Hans Klaiber in ‚Württemberg. Monatsschrift im Dienste von Volk und Heimat’, 6. Jg., Juli 1934, S. 295-300 mit 5 Abb.

„Wer die Proben seiner Kunst in unserer Staatsgalerie gesehen hat … (297) Inniges Gefühl verbunden mit unmittelbar einleuchtendem Bildbau lebt in der Krankenheilung, der die Stadt Stuttgart in einem ihrer Krankenhäuser die rechte Stätte bereitet hat. … Bei der umfassenden Ausstellung, die der Kunstverein zu Ehren von Ernst Gräsers fünfzigstem Geburtstag in diesem Frühjahr veranstaltet hat, sah man, wie manche Kirchen von seiner Hand in Wandgemälden und gemalten Kirchenfenstern einen edlen Schmuck erhalten haben.“ (298f.)

1935, Januar Aufsatz von Hans Klaiber, Stuttgart, in Klingsor, Siebenbürgische Zeitschrift, 12. Jg., Heft 1, Januar 1935, S. 13-17

Ernst Graeser

Ein siebenbürgisch-sächsischer Maler

Als ich im September 1934 in Stuttgart weilte, lernte ich einen mir bis dahin völlig unbekannten Maler in den besten Mannesjahren, Ernst Gräser – wie sich herausstellte, ein Bruder des bekannten Naturapostels Gusto Gräser – kennen, einen siebenbürger Sachsen. Ich besuchte ihn, sah seine Bilder und entschloß mich sofort, unsere Leser und unser Volk auf diesen Künstler unseres Blutes aufmerksam zu machen, der in seiner Wahlheimat hoch geachtet lebt und von dessen Werk nicht bloß Wort und Ruf kündet, sondern manches Bild in staatlichem Besitz und vornehmlich die etwa zwanzig Kirchen in Schwaben, deren wesentlicher Schmuck die Glasmalereien Ernst Gräsers sind. … Heinrich Zillich

[Folgt der Text von Klaiber]

1935 Lexikonartikel zu Graeser, Ernst H. in Degener: Wer ist’s? 1935

... Schül. v. Prof. Hölzel u. Prof. Landenberger. - W: Kompos. rel. Inh.; Landschaft u. Portr.; Radier., Glasmal. ...

1942, 31. 7. Gusto aus Berlin-Tempelhof an seine Tochter Trudel in Fischerkaten:

Eben kam die zweite Kart von Fischerkaten. Ein paar Zeilen liegen schon bereit und sollen hier auf Euch warten, nun fliegen nur diese nach Norden, und ich fahr morgen südwärts zu Ernst.

Brod wär wohl zu trocken geworden, drum liegt ein "Tausender" dafür auf dem Schreibtisch.

Ein schwarzer Kamm, dem 8 Zinken fehlen, ist, da mein grüner zerbrach, zu mir gekommen. Ihr könnt ihn wohl entbehren.

Nun fahr ich mit dem grösseren Handkorb zum Anhalter Bahnhof.

Gekehrt hab ich absichtlich nicht, da Du, mein Trudel, das doch gründlicher machen willst. An Post kamen nur 5 Mark an Henri, die da warten.

Ahtmet, ahtmet Luftlust und liebt und lebet!

Vater 1

1942, 2. 8. Nur teilweise erhaltenes Telegramm:

GRAESER KAISERWILHELMSTRASSE 3A BERLINTEMPELHOF = [AN ERNST GRAESER ? ]

Zweiter Telegrammschnipsel: [L]EINTALERST [MUENC]EN [ZU/VON?] SCHWEGERLE UNTERWEGS = ERNST +

Es scheint, dass Ernst die Unterkunft für Gusto bei dem Bildhauer Professor Hans Schwegerle in der Leintalerstrasse 8 in München-Freimann besorgt hat, wo sein Bruder dann bis etwa Kriegsende wohnte.

1942, 18. 8. Grusskarte mit mehreren Unterschriften von einem „Angerser Fest“ – an Heidi Gräser? - „Liebe Heidi, schön war’s, weil Ihr dabei gewesen.“

1942 ? ‚Samen für die neue Erde’. Heft mit rund. 60 Gedichten von Ernst Graeser, Sillenbuch, handschriftlich mit einigen Unterstreichungen, Änderungen und Bemerkungen von Gusto. Diese Eintragungen erfolgten vermutlich während seines Besuchs in Sillenbuch im Sommer 1942. Beispiele:

Wie im Wetter auf Blitz der Donnerschlag folgt – und der Regen,

so folgt auf den Blitz aus der Wahrheit, durch Wolken des Irrtums – der Segen,

alle Hinderung sprengend - mit Kraft aus der Fülle.

O Blitz aus der Wahrheit, spende der Erde den heilenden Segen –

spend ihn der Dürre.

Hoffnung

Noch bin ich von Morgenschlummer umfangen – und schon schmettert der Fink jubilierend und bebend sein Lied der Sonne entgegen.

So trage auch du das Licht deines Herzens ins Dunkel der Zukunft,

trotz Grauen und völkermordenden Schlachten, damit heller werde die Erde.

Fassung von Gusto:

Morgenschlummer umfängt mich – schon schmettert der Fink jubilierend und bebend sein Lied der Sonne entgegen.

So trage auch du, o Herz, dein Licht ins Dunkel der Zukunft,

helle die Erde!

1943, 11. 3. Gusto Gräser aus München an seinen Bruder Ernst:

… Liebliche Unterbrechung – Staatsbücherei brennt! Gestern noch loh in Flammen, heute in Rauch und Dampf. Oh Krieg, du Ungeheuer! Uns bleibt nur treu, mehr treu zu seien, sonst winkt kein Freun, kein Trost! …

Die folgenden drei Beispiele aus meinen „Urweltsprach“-Merkblättern waren schon vor dem Krach im Entwurf gekritzelt. Dies hier ist also erste Reinschrift, gar nicht etwa der besten, denn nur solcher in den „Merkblättern“ noch unbeschrieben, unbetrachtet, bloss gebuchten, also noch recht dunklich unerläuterten Worte: …

1943, 12. 3. Karl Gräser in Stuttgart in seinem Notizbuch:

„Heut haben mit Donnergeklirr und Gekrache Bomben in Schwefeldunst – Dämonen, die der Mensch rief – in durchdröhnter Nacht die Strassen zerrissen.

Und heut morgen - ? strahlt klar schon wieder der Tag im Lichte des knospenden Frühlings und die Vögel im Blauen zwitschern dazu.

O wärst du fähig, auch nur einen Strahl dieses Ganzen voll zu erleben, dünkt mich – du lerntest dem Wüten der Dämonen zu wehren. – Stuttg. 12. März 43“

1944, 10. 12. Ernst Graeser gestorben.

***

1946? Stuttgarter Zeitung:

Ernst Graeser – Reinhard Schmidhagen. Zwei Gedächtnis-Ausstellungen

Mit einer Gedächtnis-Ausstellung für den im Dezember 1944 verstorbenen Maler Ernst Graeser hat der Württ. Kunstverein eine Ehrenpflicht gegenüber einem Künstler erfüllt, der viele Jahre das Gesicht der Stuttgarter Malerei – wenn man diesen Begriff verwenden darf – mitbestimmt hat. … Es sind teils religiöse, teils Zeitprobleme, die darin behandelt werden, so der Kampf ums Goldene Kalb und eine deutliche Absage an den Krieg – wohlgemerkt schon 1914! … In diesen Werken erkennt man das grosse Wollen und die Ideenwelt des Künstlers, der an seiner Zeit und besonders unter dem Ungeist des braunen Regimes gelitten hat. – Der 1884 in Kronstadt in Siebenbürgen geborene Künstler, der über die Münchner Akademie 1906 nach Stuttgart gekommen ist und unter Landenberger und später Hölzel sich weitergebildet hat, war ein feiner und zarter Mensch, dessen Tod nicht zuletzt durch die Unterdrückung und Unfreiheit der Hitlerzeit beschleunigt worden ist. Eine charakteristische, ungemein lebendige Büste von Jakob Brüllmann hält die Züge des Verstorbenen fest.

  1. Oskar Kraemer: Ernst Graeser. In: Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender. Jahrbuch 1959, S. 88-91

„Zwischen den Münchner und der Reihe der Stuttgarter Jahre lagen Jahre, die Ernst Graeser in enger Gemeinschaft mit dem Bruder Arthur Gustav (weithin unter dem Namen Gusto Gräser bekannt, gestorben im Oktober 1958 in München), in Ascona im Schweizer Kanton Tessin verbrachte. … Ernst Graeser kannte zu dieser Zeit bereits die einem alten ungarischen Geschlecht entstammende Geigerin und nicht weniger begabte Malerin Klementine Baronin Pongracz de Szentmiklos et Ovári, die er im Februar 1916 in München heiratete, um mit ihr ein Leben freien Künstlertums zu führen. Daß Ernst Graeser, ebenfalls doppelt begabt, gelegentlich selbst zur Geige griff, um klassische Musik zu treiben, oder auch nur, um sich als besonderer Kenner ungarischer Zigeunerweisen zu erweisen, konnte die Verbundenheit des Künstlerpaares nur noch enger gestalten.“ (88f.)

Weitere Dokumente zu Ernst Gräser, zusammengestellt von Albrecht Vaihinger:
 
 
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