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Arthur Segal in Ascona
Arthur Segal: Ascona im Herbst, Ascona 1915 „Die Schweizer Jahre (bedeuten) für Segal … eine Umorientierung seiner Innerlichkeit, eine Annäherung an die christliche Mystik und an die überlieferten geistlichen Praktiken in der neuen Version von Rudolf Steiner“ (Amelia Pavel in Herzogenrath 83). Der Maler Segal, rumänischer Jude aus Moldawien, lebte in Ascona in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Gräsers, nur wenige Schritte entfernt. Seiner pazifistischen Einstellung nach auch in geistiger Nachbarschaft. Was trieb ihn überhaupt, kurz nach Ausbruch des Weltkriegs, nach Ascona und dort auf den Monte Verità? Er muss von der Gesinnung der Siedler gewusst haben, möglicherweise durch Gustos Auftreten in Berlin von 1912. Segal lebte zu der Zeit in Berlin, kam also 1914 nicht von Moldawien her sondern aus der deutschen Hauptstadt nach Ascona. Es lag nahe, dass die beiden „Rumänen“, beide Maler, miteinander ins Gespräch kamen und sich verstanden. Suchte Segal sich deshalb ein Haus in der Nähe von Gustos Bruder, von Karl? In Berlin hatte er zusammen mit Klee, Kandinsky, Werefkin ausgestellt. Warum begibt er sich ohne äußere Not in eine Lage, wo er als Künstler (durch Verkäufe) kaum überleben konnte? Er war dort mit seiner Familie auf Spenden und private Hilfen angewiesen – und damit in ähnlicher Lage wie die Gräsers. Es war offenbar sein Widerwillen gegen die Kriegs- und Machtpolitik der Deutschen, die ihn dazu bewegte. „Für den Künstler bricht eine Welt zusammen, er bekommt Herzbeschwerden und Depressionen. Er kann nicht verstehen, wieso Menschen aufeinander schießen können, wieso sich der kultivierte westeuropäische Mensch wie ein Barbar verhalten kann. Sein einziger Gedanke ist: Weg von hier! Weg aus dem Kriegsgeschehen. Weg aus Deutschland!“ (Pavel Liska in Herzogenrath 28). Er entwickelt seine „Gleichwertigkeitstheorie“. Sie besteht „in der Gleichsetzung aller anerkannten Werte angesichts des einzigen von Segal zugelassenen Maßstabes – nämlich des individuellen Subjekts … die überlieferte Wertskala der anerkannten Tugenden wie Stärke, Leistung, Unternehmungslust, Durchsetzungsvermögen wird durcheinandergeschüttelt, die Wert- und Leistungshierarchie vollkommen umge-stürzt: Das Genie steht nicht höher als der Dilettant, der Meister als der Anfänger, der Künstler als die Putzfrau, ja der Schwache ist stärker als der Starke“ (Liska in ebd. 31) . Man erkennt die Nähe zu Gusto Gräser und zum Denken des Laotse. Segal stellt sich auf die Seite der Schwachen.
Er ist aber selbst schwach und braucht Hilfe. Darum zog er sich nach Ascona zurück, auf den heiligen Berg der Pazifisten. Er gestaltet das in seinem Ölbild ‚Moses’ Hände’ von 1915.
Im Gebetskampf mit seinem Feind Amalek kann Moses die Hände nicht mehr hochhalten. Da stützen ihn seine Freunde. So müssen die Kriegsgegner von Ascona für Segal eine Stütze gewesen sein in seiner Not. Hier fand er Gleichgesinnte, hier fand er Mitbetroffene. Einer dieser Gleichgesinnten stellte sich 1917 ebenfalls in Ascona ein: der jüdische Philosoph Ernst Bloch. Der lebte damals noch ganz in den Verheißungen des Alten Testaments, fühlte sich selbst als kommenden Messias. Ob sie in dieser „Weltmitternachtsstunde“ (Bloch) zusammengefunden haben? Darf man phantasieren, dass diese drei auf dem Monte Verità zusammengesessen und sich ausgesprochen haben: die Juden Segal und Bloch und der Siebenbürger Gusto Gräser? Es legt sich nahe. Erhob doch Bloch damals ebenfalls „das Feldgeschrei der secessio plebis in montem sacrum“ (Geist der Utopie, S.259). Sein Erstlingswerk, das er 1917 in Locarno-Monti vollendete, zeugt von seinem Ringen mit dem Geist des Monte Verità. Diese drei – und mit ihnen nicht wenige andere – haben damals den Auszug auf den heiligen Berg tatsächlich vollzogen.
Arthur Segal: Porträt Baron Wrangel, Ascona1915 Zu diesen anderen gehörte der baltische Baron Ferdinand Georg Friedrich von Wrangell (1844-1919), ehemaliger Marineoffizier, Ozeanograph und Pädagoge im Dienste des russischen Zaren, der zum Pazifisten geworden war und auf dem Monte Verità sich niedergelassen hatte. Wie Hermann Hesse, mit dem zusammen er auf dem bekannten Foto von 1907 zu sehen ist, kämpfte Wrangell als Schriftsteller und Redner gegen Kriegspolitik und Kriegsgesinnung. Dass Segal ihn porträtierte, ist daher kein Zufall sondern Aussage. (Allerdings konnte Wrangell ihn auch bezahlen, was auf Gräser gewiss nicht zutraf.) „Wie die Leute [in Ascona] lebten und wovon sie lebten, kann ich nicht sagen“ schreibt Ernestine Segal in ihren Memoiren. „Es war … wie ein Wunder, aber sie alle schafften es zu überleben, wenn auch oft in einer mehr als bescheidenen Weise. Ich erinnere mich an ein Paar. Sie kauften ein kleines Haus mit einem Garten, pflanzten Gemüse, da sie Vegetarier waren und … den Geldrest verschenkten sie an einen Bauer. Sie begannen von den Produkten ihres Gartens zu leben, die sie für andere Lebensmittel eintauschten. Sie war, bevor sie nach Ascona kam, eine professionelle Sängerin, er war Schriftsteller. Eines Tages bekam sie Zahnschmerzen und mußte nach Locarno zum Zahnarzt. Als er ihr die Rechnung überreichte, sagte sie ihm: ‚Sie waren so gut, mir Ihr Können zu zeigen, jetzt werde ich Ihnen das meine zeigen’ und begann eine Opernarie zu singen. Das ist eins von vielen Beispielen, wie Leute in Ascona miteinander verkehrten“. (Zit. von Liska in Herzogenrath 39) Es ist klar, von wem sie spricht: von Jenny Hofmann und Karl Gräser (den sie, als „Schriftsteller“, vielleicht mit Gusto verwechselt oder in eins sieht). Das geräumige Haus der Segals auf der Collina, heute ein Hotel, wurde zum Treffpunkt der Künstler und Kriegsgegner. „Zu den regelmäßigen Besuchern gehören: der Koloniegründer Oedenkoven, die Schriftsteller Emil Ludwig, Leonhard Frank, Werner von der Schulenburg, Waldemar Jollos, Heinrich Goesch, die Maler Hans Arp, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, Tristan Tzara, Hugo Ball, Emmy Hennings, Vicking Eggeling, Otto und Adya van Rees, Artur Bryks, Lou Albert-Lasard und der Pazifist Bernhard Mayer“ (Wulf Herzogenrath in Herzogen-rath 29). „Es hatte sich hier eine Gemeinschaft von Idealisten aus der ganzen Welt zusammengefunden: Pazifisten, Theosophen, Vegetarier, Fanatiker, Künstler, Politiker, Tänzer … Bald wurde unser Haus zu einer Begegnungsstätte; hier wurde diskutiert, Lesungen wurden gehalten, Probleme besprochen und zu lösen versucht. Materielle Themen wurden hier keine erörtert, ich kam sogar zu der Auffassung, daß Geld der Hauptfeind der Menschheit sei. [Hier wird der Einfluss der Gräsers spürbar!] In Ascona konnte man kein Geld verdienen, wohl aber wertvolle Erfahrungen gewinnen; man hatte Zeit für Kontemplation und Träume. Alles konnte man hier machen, nur kein Geld. Es war eine wichtige Lebenserfahrung, daß hier alle, trotz unterschiedlicher Meinung und Nationalität, in Frieden miteinander leben konnten“ (Ernestine Segal in Herzogenrath 88). Die Gräsers, als Nachbarn, musste man nicht extra zu den Besuchern zählen, man begegnete ihnen ja Tag für Tag. Sophie Taeuber, die mit Hans Arp zusammen zeitweise bei den Segals wohnte, erzählt, dass sie jeden Morgen den steilen Weg zum Park des Sanatoriums hinaufging, der unmittelbar am Haus und Grundstück der Gräsers vorbeiführt. Man kannte sich, man verstand sich. Segal schnitt das Gräserhaus in Holz.
Im Katalog der Ausstellung über die Anfänge des Museo Comunale d’Arte Moderna Ascona schreibt Mara Folini über Segal: „All’inizio della prima guerra mondiale si rifugia ad Ascona, dove vi giunge già nel 1914, probabilmente sollecitato dall’ambiente della comunità di Monte Verità; qui trasforma la sua casa ‘all’Angolo’ in un luogo di incontro e di accoglienza, rap-presentativo di tutta una vita di lotte antiborghesi a contatto con i circoli socialisti, anarchici e comunista dell’epoca. Qui si dedica alla formazione di giovani artisti, tra i quali Otto Niemeyer-Holstein, Anna Iduna Zehnder, Ernst Frick, Arthur Bryks e César Domela. Ad Ascona conosce Jean Arp, che ritroverà a Zurigo, durante gli anni di Dada, partecipando alla loro rivista, alle loro mostre e spettacoli, ma ritornando sempre ad Ascona, da dove partirà per Berlino, nel 1920” (Folini 124). “Zu Beginn des Ersten Weltkriegs flüchtet er sich nach Ascona, wo er schon 1914 ankommt, wahrscheinlich angezogen vom Milieu der Monte Verità-Gemeinde. Dort macht er aus seinem Haus “all’Angolo” einen Ort der Begegnung und der Gastfreundschaft, der bezeichnend ist für seinen lebenslangen antibürgerlichen Kampf in Verbindung mit den sozialistischen, anarchistischen und kommunistischen Kreisen seiner Zeit. Hier widmet er sich der Ausbildung junger Künstler, darunter Otto Niemeyer-Holstein, Anna Iduna Zehnder, Ernst Frick, Arthur Bryks und Cäsar Domela. In Ascona lernt er Hans Arp kennen, den er in Zürich wieder treffen wird, wo er sich an den Aufführungen, Ausstellungen und Spektakeln von Dada beteiligt, aber immer wieder nach Ascona zurückkehrt, von wo er 1920 nach Berlin aufbricht”. Man darf zu seinen Schülern wahrscheinlich auch Allander Streng rechnen, einen Sohn aus erster Ehe von Elisabeth Gräser-Streng, also ein Stiefsohn von Gusto Gräser. Wir sehen ihn auf einem Foto mit Alexej Jawlensky und Ernst Frick 1919 in Ascona.
Ascona, 1919, von links nach rechts: Alexej von Jawlensky, Andreas Nesnakomoff Jawlensky, Lotte Valeska, Helene Nesnakomoff, Emmy Scheyer, Allander Streng (ein Freund der Familie Jawlensky), der Maler Ernst Frick. 1920
zog Segal, den seine Freunde seiner warmherzigen Art wegen "Apostel"
nannten, nach Berlin. Dort setzte er seine Malschule fort.
Wiederum wurde sein Haus ein Treffpunkt für Künstler und
Intellektuelle. Nach
1933, als Jude gefährdet, emigrierte er nach Mallorca und
später nach England, wo er 1944, im Bombenhagel der Deutschen, zu
Tode kam. Lebenslauf Arthur Segal 1875 Jassy (Rumänien) – 1944 London Segal studiert 1892 an der Kunstakademie in Berlin und wird 1893 Meisterschüler von Eugen Bracht. Ab 1895 setzt er sein Studium an der Académie Julien in Paris fort und besucht ein Jahr später die Malschule von Ludwig Schmid-Reutte und Friedrich Fehr in München. Anschließend ist er Schüler bei Carl von Marr an der Kunstakademie in München. Dort ist er ab 1899 als freier Künstler tätig, bevor er 1904 nach Berlin geht und sich 1909 und 1913 an den Ausstellungen der „Berliner Secession“ beteiligt. Von 1910 bis 1912 ist er gemeinsam mit Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Moriz Melzer u. a. auf der Ausstellung der „Neuen Berliner Secession“ vertreten. In der Zeitschrift von Herwarth Walden „Der Sturm“, die 1911 erscheint, sind seine ersten Holzschnitte abgebildet. 1912 stellt er in der gleichnamigen Galerie aus. Er emigriert zwei Jahre später nach Ascona und macht die Bekanntschaft mit Hans Arp, Alexej von Jawlensky, Hugo Ball und Leonhard Frank. 1916 stellt er im „Cabaret Voltaire“ der Zürcher Dadaisten aus und kehrt 1920 nach Berlin zurück, wo er seine eigene Malschule eröffnet. Nikolaus Braun und Lou Albert-Lasard zählen zu seinen Schülern. Er ist Mitglied der „Novembergruppe“, gehört zeitweise dem Vorstand an und ist von 1921 bis 1931 mehrfach an den Ausstellungen der Künstlervereinigung beteiligt. In seinem Atelier in Berlin finden regelmäßige Zusammenkünfte statt, an denen Adolf Behne, Raoul Hausmann, Hannah Höch, Kurt Schwitters und George Grosz teilnehmen. An den Aktionen der Gewerkschaften und der SPD „Für den 8-Stunden-Tag“ beteiligt er sich mit Otto Dix, George Grosz, Käthe Kollwitz u. a. 1925 veröffentlicht er mit Nikolaus Braun die Schrift „Licht-probleme der Bildenden Kunst“. 1933 wandert er nach Mallorca aus, drei Jahre später nach London und eröffnet dort 1937 eine Malschule. Bei einem Fliegerangriff der deutschen Luftwaffe stirbt er 1944 an Herzversagen.
Arthur Aron Segal was born on 13 July 1875 in Jassy, a town in northern Moldavia, in Rumania, and was brought up in the town of Botosani. In 1889 he began to work, against his will, in his father's bank, while he practised drawing and painting, and became actively involved in the political activity of the Socialist Club in Botosani. In 1892 he broke away from his family and moved to Berlin, where he studied at the Academy under Eugen Bracht. He was especially attracted to Impressionist painting, and went to Paris in 1895, to study at the Académie Julian, finally establishing himself as a painter in Munich. Giovanni Segantini's oeuvre, and gradually the representation formulas of Italian divisionism, marked the work of the young Segal around 1900. From 1908, his transition to the expressionist language became visible in a new colour range and a different brushstroke. In 1904 he moved to Berlin again to marry his cousin, Ernestine Charas; they had two children, Walter (1907) and Marianne (1908). In 1907 he exhibited a painting for the first time, at the Berliner Secession. In 1910 he joined the Neue Berliner Secession and took part in very different exhibitions and initiatives of the expressionist circles, especially around Herwarth Walden, owner of the Der Sturm gallery. Religious themes had a prevalent place in the works he exhibited at the Werkbund in Cologne in 1914, the last exhibition in which he took part before immigrating to Switzerland, where he spent the war years. Segal and his family settled in Ascona, a centre of pacifism, of political anarcho-idealism and of artistic revolution since the creation, around the turn of the century, of the philosophical, poetic and vegetarian community Monte Verità . The egalitarian ideas of the painter developed and matured with the social model of Ascona and became the definition itself of his art. It was then that Segal worked out his theory of the "equi-balance" in the composition, which marked an extraordinary change in his oeuvre. Zurich, where he began to participate in the exhibitions at the Cabaret Voltaire thanks to his connections with Hans Arp and Hugo Ball, was the second place that marked Segal's permanence in Switzerland. He did not go back to Berlin until February 1920. On his arrival there, he opened a painting school, and his commitment to the teaching of art, an activity in which he excelled, began to have special importance. He developed his artistic activity in the context of the Novembergruppe, the vanguard association created in Berlin in 1918. In 1922 he began experimenting with his "prismatic painting", a formula for pictorial images deriving from his definition of "equi-balance" and from his exchange of ideas with his friend the Goetheian philosopher Salomo Friedländer-Mynona. Prismatic painting marked Segal's artistic production in the period between the two wars, in which he achieved maximum recognition. He also experimented with other models of representation, such as "optical relief" and "new naturalism". In 1933 Segal and his family, being Jewish, abandoned Germany and moved to Palma de Mallorca, where they remained until October 1936. During his exile in Spain, Segal held various exhibitions in Palma and in Barcelona and worked frequently on Mediterranean themes. But in 1936 the outbreak of the Spanish Civil War forced him to emigrate again. London was his next refuge. There he opened a painting school, which he moved to Oxford in 1939, to flee the threat of imminent bombings. In 1940 the British authorities deported him to the Isle of Man where he was detained for several months. Segal returned to London with his family in 1943, this time very well received, to reopen his famous painting school. He established it at 1, Englangs Lane and he taught painting to British soldiers, an activity he had begun in Oxford, when he had put himself at the service of the War Ministry in 1941. Segal's Painting School remained open until 1977, but the artist died on 23 June 1944 due to a heart attack he suffered during the Luftwaffe bombings of London. Javier. Arnaldo – El Museo de arte Thyssen-Bornemisza Literatur zu Arthur Segal (1875-1944)
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