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Fernblick vom Waidberg über den Zürichsee

Waidberg und Wahrheitsberg

Theodor Stern besucht die Gräserfamilie

Die Naturheilanstalt auf dem Waidberg über Zürich, 1902 gegründet, war ein Gegenstück zum Sanatorium auf Monte Verità. Besuche gingen hin und her; Stern scheint sich stark für die Gräsers interessiert zu haben.

 Theodor Stern war als Pfarrer in Köniz tätig. Jahrlang von Krankheiten geplagt, begann er im Wald Luft- und Sonnenbäder zu nehmen, was zum Verlust seiner Stelle führte. In der Folge gründete er das Kurhaus Waidberg in Zürich.

Zum Teil unter dem Pseudonym Konrad Wahr veröffentlichte er Bücher und Artikel zur Naturheilkunde. Zu seinem Buch Mehr Menschen oder das Buch von der Dummheit steuerte Fidus die Umschlagzeichnung bei. Zudem war er Redaktor der Zeitschrift Die Gesundheit.

Veröffentlichungen: Jesus Christus. “Und leider auch Theologie!” Faust 1. Teil, 3. Zeile. Religiöse Schnitzel eines Laien-Theologen. Langnau i. E. 1941. – Menschenbildung. Ein Wort an Natur- und Schönheitsfreunde. Zürich 1908. – Mehr Menschen oder das Buch von der Dummheit. Zürich, Bern, Basel 1901. Artikel Nacktheit und Sittlichkeit. In: Die Schönheit des menschlichen Körpers, Stutgart 1905. – Ein schweizerisches Spiel-Dorado. In: Kraft und Schönheit, Jhrg. 4, Nr. 8, 1904, S. 233-237.

Literatur: Bernd Wedemeyer-Kolwe: “Der neue Mensch”. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Würzburg, 2004. Zu “Konrad Wahr” S. 244. – Sabina Roth: Im Streit um Heilwissen. Zürcher Naturheilvereine anfangs des 20. Jahrhunderts. In: Hans Ulrich Jost, Albert Tanner (Hrsg.): Geselligkeit, Sozietäten und Vereine / Sociabilité et fairs associatifs. Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Heft 9. Zürich 1991, S. 111-137. Zu Stern insbesondere S. 121.

Das Kurhaus Waidberg wurde 1902 von Pfarrer Theodor Stern eingerichtet: Er baute eine Scheune zum Pensionsgebäude und einen Stall zum “Pavillon” um, daneben errichtete er einen Speisesaal und sieben Lufthütten für Damen und für Herren. Eine weitere Lufthütte mit 10 Zellen folgte 1905. 1921 wurde der Betrieb in eine alkoholfreie Sommerwirtschaft umgewandelt, 1926 in das Speiserestaurant “Waidberg”. Die Lufthütten wurden 1922 bis 1935 abgebrochen.

Der FKK-Ideologe Richard Ungewitter bemerkt in seiner Schrift Nackt: “Gemeinsam Lichtluftbäder werden schon seit Jahren in der Kuranstalt Waidberg bei Zürich genommen. Dort ist es sogar üblich, dass die Kurgäste in der Luftbadtracht stundenweise Spaziergänge ausserhalb der Anstalt machen, woran sich die umliegenden Dorfbewohner schon lange nicht mehr kehren, da sie es gewöhnt sind.”

Literatur: Richard Ungewitter: Nackt. Eine kritische Studie. Verlag Stuttgart 1909. Zum Kurhaus Waidberg S. 113.   

 Edi Goetschel: Lebensreform in der Schweiz. In: www.lebensreform.ch

Ida Hofmann bei Theodor Stern, Sommer 1903

Ich … wandere im Geiste nach Waidberg, wo wir endlich einer praktischen Durchführung unserer Ideale näher rücken.

Pfarrer Stern hat auf luftiger und waldiger Höhe oberhalb Zürich einen sehr reizvollen Lichtlufthain angelegt – auf einer grossen Wiese, nur durch Tannen-wald von aussen abgeschlossen, tummeln sich nackte Männergestalten und Frauen in luftigen Hemden – sie jagen Bällen nach; es ist gerade Sonntag und viele Züricher schliessen sich für den ganzen oder halben Tag diesem idyllischen Leben an; wir lernen angenehme und wertvolle Menschen kennen und die Trennung fällt uns schwer.

Ida Hofmann-Oedenkoven: Monte Verità. Lorch 1906, S. 65

Lichtluftheim Waidberg 1912


 
Das Kurhaus von Theodor Stern in heutiger Gestalt

Ida Hofmann, Robert Jentschura und Henri Oedenkoven auf dem Waidberg, 1903

Käthe Simon-Kruse bei Pfarrer Stern, Herbst 1904

„Dann auf den Waidberg bei Zürich zum prachtvoll rotbärtigen Pfarrer Stern, wo wir dann dem Vegetarismus auf die Spur kamen und den Leuten von Askona.“ Sie [die später als Puppenmacherin berühmt gewordene Käthe Kruse, damals noch alleinerziehende Mutter zweier unehelicher Kinder] hatte Zuflucht im Kurhaus von Theodor Stern gefunden, einem Anhänger der Gesundheitsreform und des alternativen Lebens. Jahrelang von Krankheiten geplagt, hatte dieser schließlich im Wallis Luft- und Sonnenbäder genommen und deswegen seine Pfarrstelle verloren. Selbst in der liberalen Schweiz war der Konformismus so groß, dass ein Pfarrer eher mit der Schulmedizin krank zu bleiben hatte, als mit Licht- und Luftbädern gesund zu werden. Von den alternativen Heilmethoden überzeugt, gründete Stern sein eigenes Kurhaus, veröffentlichte diverse Bücher, verfasste Schriften zur Naturheilkunde und wurde Redakteur der Zeitschrift Gesundheit. …

Der Schweizer Pfarrer war angetan von  einer Gemeinschaft auf dem Monte Verità am westlichen Ufer des Lago Maggiore, über der Stadt Ascona im Tessin, wo Menschen nach von ihnen selbst geschaffenen Regeln außerhalb jeder gesellschaftlichen Norm lebten.

Gabriele Katz: Käthe Kruse. Die Biografie. Berlin 2010, S. 155

                                  Blick vom Waidberg auf den Zürichsee

Theodor Stern auf dem Monte Verità, 1907

Über seinen Besuch auf dem Monte Verità 1907 fasst sich Theodor Stern in Eine Schweizerreise im Naturkostüm kurz:

Den “Monte Verità”, ursprünglich eine vegetarische Colonie, nun ein vegetabilisches Sanatorium (wo es nur Vegetabilien, also keine Milch und Eier gibt), hatte ich schon vor drei Jahren besucht. Sehr schön gelegen und den Langensee, soweit es von seinem Nordende möglich, beherrschend, hat doch die Landschaft für mich etwas eintöniges, schweres, fast düsteres. Leider war der Besitzer, Hr. Oedenkoven, mit seiner Frau eben abwesend. Dafür wurde ich von seinem Stellvertreter, Hr. de Beauclair, auf’s freundlichste empfangen und in das Anstaltsleben eingeführt. Das Mittagessen, das man sich in etwas umständlicher Weise schriftlich bestellt, schmeckte recht gut und bestand aus verschiedenen rohen Früchten und Salaten, gekochtem Gemüse und Nüssen mit Brot. Mir sagten besonders die frischen Feigen mit Zitronensaft und Zucker gegessen sehr zu. Wer natürlich aus seiner gewöhnlichen Lebensweise an diesen Tisch kommt, dem wird anfangs etwas bänglich zu Mute und es ist nicht zu verwundern, wenn manche gleich wieder Reiβaus nehmen. Andere aber fühlen sich, wenn sie einmal den ersten Schrecken überwunden haben, sehr wohl dabei und werden mancherlei Gebrechen los. Auβer der Diät wird natürlich das Luft und Sonnenbad mit den dazugehörigen Wasseranwendungen gepflegt, wofür ausgedehnte Anlagen zur Verfügung stehen. [1]

1.      Gesundheit, 10. Jahrgang, Nr. 16, 7. August 1909, S. 194.

Theodor Stern war im August 1907 auf dem Monte Verità gewesen. [1]

1.      Locarno et ses Environs. Fremdenblatt mit offizieller Fremdenliste. Visitors’ Journal and Official List, Nr. 32, 17. August 1907.

Written by Edi Goetschel in www.lebensreform.ch

Theodor Stern über Gusto Gräser

In Eine Schweizerreise im Naturkostüm beschäftigt sich Theodor Stern ausführlich mit “der Naturmenschenfamile Gräser”, den drei Brüdern Karl, Gustav und Ernst Gräser sowie ihrer Mutter. Über Gusto schreibt er:

Gusto, gross und stattlich, der schönste der drei, der überall Aufsehen erregt, wo er mit seinem wallenden Haar und Mantel erscheint, dabei einfach wie die andern, wenn auch etwas theatralischer, hat sich im letzten Jahre mit Schiffsbau beschäftigt und ein schönes und wie man sich denken kann hochoriginelles Boot gebaut. Es hängt unten am See unter einer Torwölbung an der Luft, indessen sein Erbauer auf Reisen gegangen und alles stehen gelassen, als ob er sich eben entfernt; da liegen noch die Werkzeuge, die er benützt und da steht auch sein Lager, da er Tag und Nacht hier hauste. Merk-würdigerweise wird ihm nichts gestohlen, die Askonesen mögen ihn gut leiden, wenn sie auch nicht an sein Schiff glauben, sondern behaupten es werde nicht schwimmen. Es wird sich zeigen, wenn der Stapellauf stattfindet, und ob es G. Gräser wirklich ernst ist mit seinem Plan, das Boot als sein Wohnhaus zu benützen und darin die Welt zu bereisen. [1]

1.      Gesundheit, 10. Jahrg., 17. August 1909, Nr. 16, S. 196f.

Written by Edi Goetschel

                                            Torwölbung der Brissagobrücke

Dass Theodor Stern sich so ausführlich über die Familie Gräser ausspricht und so kurz über das Sanatorium, lässt den Schluss zu, dass ihm die Gräsers stärkeren Eindruck gemacht haben. Er traf Gusto 1907 in Ascona nicht an, kannte ihn aber. Gusto wird sicher den Waidberg besucht haben.                H. M.  

„Ein schönes und hochoriginelles Boot ..."

 

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