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Gusto Gräser in der Belletristik
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Auszüge aus dem Roman von Robert Hültner: Inspektor Kajetan und die BetrügerAus der Gruppe ragten Kopf und Schultern eines etwa vierzigjährigen, untersetzten Mannes mit athletischem Körperbau und braun gebranntem Gesicht. Das schwarze, von einer Stirnschnur gebundene und in der Mitte gescheitelte Haar fiel ihm über die Schultern. Der wallende Bart reichte bis zur Brustmitte. Er trug eine knielange Tunika aus von Flicken übersätem Bauernleinen, die um die Hüfte von einer Kordel zusammengehalten wurde. Seine Füße steckten in wollenen Kniestrümpfen und Ledersandalen, deren Riemen um die kräftigen Waden geschlungen waren. Der Mann stand aufrecht, den Kopf leicht nach hinten geneigt, so dass man den Eindruck gewinnen konnte, er spreche über die Köpfe der Zuhörer hinweg zu Menschen in irgendeiner fernen Welt. Die Zuhörenden, es waren Marktbesucher fast jeden Alters, lauschten gebannt. Gerade holte der Redner Atem, um mit Donnerstimme fortzufahren. „Ihr sagt: Was weiß denn der Narr schon? Was weiß er, wie es ist, wenn man in einer Wohnhöhle in den Gruben von Haidhausen, in der Au oder im Gries dahinvegetieren muss? … „ … Der Redner streckte beide Hände aus wie ein antiker Priester, geübt, mit der Kraft dieser Bewegung tobende Meere zu besänftigen. „Bruder! Aber Bruder! Du hast doch Recht!“ Er strahlte den jungen Mann mit überwältigender Güte an. „So unendlich Recht! Es stimmt! Ich weiß kaum etwas davon! Und mehr noch: Ich will auch nichts davon wissen! Ich will nichts wissen von dieser ungeheuerlichen Schuld und Schande, die die Menschheit sich aufgeladen hat! Schande, jawohl, Schande! Wie schändlich verschleudert ihr die Geschenke, die die Natur uns gemacht hat, diese Mütter aller Mütter? Was habt ihr gewonnen, als ihr euch dem Mammon verkauftet? … ? … Wie ein Hieb sausten seine Worte herab. … Der Körper des Predigers schnellte wieder in die Gerade. Seine Augen streuten vernichtende Blitze. „Ja, das glaube ich euch! Arbeit! Ha!“ Seine Halsadern schwollen an. „Und was ist mit dem Leben? Recht auf Leben fordert! Recht auf Glück!“ (53-56) Dieser Adolphe verstand es meisterhaft, seine krude Botschaft mit einer kalkulierten Mixtur aus Feierlichkeit und Grobheit vorzutragen. … „Ich sage euch: Nur jenen von euch, welche nicht länger Satan Mammon zu dienen gewillt sind, wird die unerschöpfliche Urkraft des Lebens zuteil werden! Und nur jene, welche die Tiere, die Pflanzen, die Erde, das Wasser, die Sonne und alles Lebendige zum Vorbild nehmen, die werden das Paradies erschaffen!“ … „Bebauen wir die Erde, denn dazu sind wir berufen! Ja! Warten wir nicht auf das Paradies – schaffen wir es! Schaffen wir ein Leben, glänzend in Schönheit und Wildheit!“ … “Gehorchen wir keinen Pfaffen mehr, keiner Obrigkeit!, wetterte er. „Lasst dies euer Gebet sein: ‚Ich’“ – er schlug sich mit der Faust auf die Brust – „’bin mein Vater, ich bin mein Himmel, ich heilige meinen Namen, ich erschaffe in mir das Reich und mein Wille geschehe!’“ „Jesus Maria.“ Die Frau mit der Schürze schlug ihre Hand vor den Mund. „Der tut ja unsern Herrgott lästern!“ Der Redner streckte seine Hände weit von sich, als wolle er seine Zuhörer segnen. Unvermittelt feierlich, mit singender Stimme, aus der die tröstende Güte eines übervollen Herzens strömte, beendete er seine Predigt. „Weint nicht mehr, hadert nicht – handelt! Am Anfang war die Tat! Schließt euch der Siedlung Neuer Menschen an!“ (58f.) Robert Hültner: Inspektor Kajetan und die Betrüger. Roman. btb Verlag München 2004 |
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"Gusto Gräser als Wasserleiche" Zu
Robert Hültners Roman: Seltsame Verwandlungen erfährt die Gestalt des Naturpropheten Gusto Gräser in diesem historisch-politischen Kriminalroman. Hültner hat offensichtlich gründliche Studien getrieben, beruft sich auch explizit im Nachwort auf die Forschungen von Ulrich Linse, von denen er viel profitiert habe. Vorlagen für einige Episoden des im München der Zwanzigerjahre spielenden Romans waren dessen Monographie über die Alternativkommune Blankenburg und dann Berichte und Erzählungen über Gusto Gräser. Der tritt auf unter dem Namen Adolphe und erscheint hier in der Rolle des Leiters und Inspirators einer Landkommune in der Nähe von München. Tatsächlich gab es eine Beziehung Gräsers zu den Leuten von Blankenburg, wenn auch nicht eine so enge, wie Hültner sie darstellt. Diese Siedler waren 1918/19 aus Berlin nach Bayern gekommen, hatten sich zuerst in Berg am Starnberger See bei dem Schriftsteller Oskar Maria Graf einquartiert. Gräser kannten sie wohl aus seiner Berliner Zeit um 1912, Graf zeigt sie als Besucher von dessen Vortrag im April 1919. Diese Veranstaltung, die im Kampfgeschrei von Linken und Rechten chaotisch endete (von Graf in ‚Wir sind Gefangene’ geschildert), hat Hültner zu einer sehr überzeugenden, sehr echt wirkenden Nachgestaltung angeregt. Wir begegnen Gräser-Adolphe zuerst als prophetenhaften Prediger auf dem Markt bei der Münchner Schrannenhalle, wo er eine flammende Rede hält: gegen den Mammonismus, für die heilende Urkraft alles Lebendigen, für die Selbstbestimmung jedes Einzelnen. Er ruft zur Tat auf: „Warten wir nicht auf das Paradies – schaffen wir es! Schaffen wir ein Leben, glänzend in Schönheit und Wildheit!“ Später tritt er auf als Leiter einer Versammlung, die Mittel für seine Siedlung beschaffen soll. Eine Anspielung auf seine Freundschaft mit Hesse fehlt nicht. Angeblich sollte der Schriftsteller bei der Versammlung anwesend sein, erscheint aber nicht. Als Moderator hat Gräser-Adolphe mit den erregten Diskutanten einigermaßen zu kämpfen, hält sich dabei jedoch mit seiner eigenen Meinung zurück. Nur einmal schlägt er mit der Faust donnernd auf den Tisch. Entschieden lehnt er es ab, einem völkisch-rassistischen Verein „Gelegenheit zu verschaffen, seinen Dreck zu verkünden! … Ist dieser Verein nicht der Urheber jener unerträglichen Schriften, die von der Züchtung lichtvoll blonder Menschen mit blauen Augen, von der angeblichen Gefahr der Vermischung der Rassen handeln?“ (S. 159) Damit hebt Hültner seinen Adolphe deutlich von präfaschistischen Tendenzen ab. Ja, er geht noch weiter. Er lässt ihn enden wie Liebknecht und Luxemburg, von Rechtsradikalen in einem Kanal ertränkt, weil er geplant habe, „die Wahrheit über den Führer der Nazipartei zu veröffentlichen“ (276). Das sind romanhafte Erfindungen, aber sie zeigen doch, wie Hültner Gräser sieht und gesehen haben will. Als einen führenden Kopf „der frühen Alternativbewegung, deren Ideen keineswegs erst in den siebziger Jahren entstanden, sondern ihre Wurzeln in der Industriekritik des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts haben, und gegen deren Radikalität heutige Ökobewegungen nur noch ein fader Aufguss sind“ (Hültner im Nachwort auf S. 283f.). Hültner idealisiert Gräser keineswegs. Er lässt den Volksmund sprechen, der ihn spöttisch als „Naturapostel“, „Spinnerten“, „Ersatzchristus“ oder „Heiligen“ bezeichnet. Seine Sicht von Gräser, soweit man die Romanfigur überhaupt auf den Siebenbürger beziehen darf, ist aber zweifellos eine positive und sympathisierende, und das in dem Maße, dass er dessen Bild mit dem Bild von Liebknecht und Luxemburg überblendet und ihn so zum Leitbild und Märtyrer einer frühen Alternativbewegung macht. In diesem historischen Roman, der die Nachkriegszeit der Zwanzigerjahre als eine von Betrügern beherrschte, Faschismus ausbrütende Dunkelzone schildert, leuchtet allein mit Gräser-Adolphe ein Fetzen Hoffnung auf. Dass der Verfasser diese Figur Adolphe nennt, den deutschen „Adolf“ französisierend, internationalisierend, könnte darauf hindeuten, dass er ihn als Gegenfigur zu Hitler sieht. Hültners Roman besticht durch Wirklichkeitsnähe, durch historische Genauigkeit und äußerst lebendige Dialoge. Ohne jede Feierlichkeit hat er ein legendäres Gräserbild geschaffen, das der gelebten Wirklichkeit wahrscheinlich näher kommt als eine Aneinanderreihung von dürftigen, durch Dokumente belegten Details. |
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Für
seinen im Frühjahr 2009 im Verlag btb erschienenen Kriminalroman „Inspektor
Kajetan kehrt zurück“ erhält Robert Hültner den Tukan-Preis der Stadt München.
„Dieser vielschichtige, zeitgeschichtlich geerdete und in der bayerischen
Provinz verortete Kriminalfall ist akribisch recherchiert, dramaturgisch
versiert inszeniert und sprachlich höchst anschaulich gestaltet“, heißt in der
von der Stadt München veröffentlichten Begründung der Jury.
…
(Auszug
aus einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 23. November 2009, S.14,
unten)
Dieses Lob gilt sicher gleichermaßen für den schon 2006 erschienenen Kriminalroman „Inspektor Kajetan und die Betrüger“, in dem Gräser in der Gestalt des Naturheil-Predigers „Adolphe“ eine bedeutsame Rolle spielt. Indem der Verfasser den Namen des verruchten Adolf französisiert, internationalisiert, damit humanisiert und seinen Träger, den er einen „Heiligen“ und „Apostel“ nennt, durch Nationalisten ermorden lässt, deutet er an, dass er in Gräser die Gegenkraft zu Hitler sieht. |
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Samir Girgis: Eine
informative und unterhaltsame
Einführung in die Geschichte des Monte Verità
von 1900 bis 1947. Mit Zeittafel und Quellenangaben aber ohne Bilder.
190 Seiten. Leseprobe
Dies war nun der
legendäre Gusto Gräser, ein Mitbegründer des
Monte Verità,
den Oedenkoven vom Berg
verjagt hatte und den Kinder für den Heiland hielten, den
Jakob hier auf so seltsame Weise kennenlernte.
Nachdem sie eine
Weile dagestanden, sich unterhalten und Jakob seine Verwunderung
über die unübliche Erscheinung Gusto Gräsers
geäußert hatte, worauf dieser ihm noch versicherte,
draußen in den Bergen zwischen zwei Felsen in einer
Höhle zu wohnen, lud Gräser Jakob
schließlich ein, seinen Schlafplatz aufzusuchen, damit er
nicht so ungläubig dreinschaue. Jakob willigte ein und war
gespannt, ob er mit Gusto Gräser vielleicht das erste Original
einer anderen Lebensform gefunden hatte. Es dauerte nicht
lange, und sie erreichten die Höhle, die aus zwei
großen, gegeneinandergelehnten
Felsblöcken bestand, die sich neben einer hohen Felswand
befanden. Die Vegetation gedieh spärlich, außer ein
wenig Gras und ein paar ausgedörrten Edelkastanien, die hier
und da standen, wuchs nichts auf dem steinigen Boden. Die Gegend machte
einen rauhen und
verlassenen Eindruck auf Jakob. Gusto
erzählte Jakob, daß
die Bewohner des kleinen, armen Dorfes Arcegno
ihm dieses Stück Land geschenkt hatten. „Sie konnten
auf dem steinigen Boden zwar nichts anbauen, aber deshalb muß man ihn ja nicht
gleich verschenken, und außerdem haben sie mir die Erlaubnis
erteilt, im See zu fischen, und das, so viel ich will“,
ergänzte er mit anerkennender Dankbarkeit. Jakob schaute sich
um und sah die Feuerstelle, aber nichts, was auf ein angenehmes,
zivilisiertes Leben hindeutete. Plötzlich raschelte es im
Gebüsch, und ein kleiner, drahtiger Mann mit kurzen Haaren und
einer Brille auf der Nase trat lächelnd hervor.
Gräser schrie lauthals: „Hermann, wo kommst du denn
her?“ und der antwortete: „Ich komme geradewegs aus
Gaienhofen und habe mich für ein paar Wochen im Sanatorium
einquartiert“, dann blickte er auf Jakob und fragte:
„Ist das dein neuer
Schüler?“ Gräser lachte laut. „Nein, das
ist ein Wanderer namens Jakob Hansen, der nicht glauben wollte, daß ich in einer
Höhle lebe. Nun hat er sich überzeugt und kann dich
ja auch fragen, schließlich hast du im letzten Jahr einige
Zeit hier oben verbracht“, antwortete Gräser, sah zu
Jakob hinüber und ergänzte: „Das ist
übrigens Hermann Hesse, ein junger deutscher
Dichter.“ (S.
44f.) |
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Gusto Gräsers Goldmedaille an der
Weltausstellung in Budapest 1896
und Gusto als Maler Möckel in Adolf Meschendörfers Roman "Die Stadt im Osten" Ein romanhafter Reflex des Malers Gusto Gräser findet sich im Werk von Adolf Meschendörfer (1877-1962). Der hatte sich früh in den 'Karpathen' für Gräser eingesetzt und seiner Auswahl-Sammlung 'Aus Kronstädter Gärten' von 1930 zwölf Gedichte seines Landsmanns vorangestellt. In seinen Kronstadt-Roman 'Die Stadt im Osten' hat Meschendörfer ein verstecktes Gräserbildnis eingefügt. Zwar sind Lebensart, Denkweise und Charakter seines Malers Möckel alles andere als gräserisch, aber sein Lebenslauf bildet die Stationen von Gräsers Leben ab: der Gymnasiast, der zum Lehrling degradiert wird, der Maler werden will und es wird, der in Budapest zur Tausendjahrfeier eine Goldmedaille erringt, der in explosiver Empörung aus der heimischen Ordnung ausbricht, durchbrennt, in der Ferne verschwindet, der in Münchner Lokalen mit seinen Bildern und Karten von Tisch zu Tisch geht, als scheinbar Gescheiterter nach Kronstadt zurückkehrt, vor den Augen seiner Schulkameraden von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf hausieren geht, der, geläutert in der Mühle des Leidens, erst recht seinen Weg mit Bewußtsein fortsetzt, in Berlin und München in öder Werkstatt auf dem Strohsack haust, als Rübezahl wie ein Fremdling zu den Menschen niedersteigt, in bitterer Armut nur noch seinem Werk lebt, verachtet und verborgen "unermeßliche Schönheit" schafft. So, in der Tat, hat Gräser gelebt, so hat Meschendörfer ihn gesehen. Sein verehrendes Altarbild hat er an den Schluß seines Romans gestellt. Er zeigt nicht den Kriegsdienstverweigerer, nicht den Friedensapostel, nicht den grund-stürzenden Denker und Rebellen - ein Kriegsdienstverweigerer als Held war in einem siebenbürgischen Roman undenkbar - , er tarnt ihn als dämonischen Künstler. Aber am Ende bricht überraschend doch so etwas wie ein Bekenntnis durch, steht der in der Heimat Verachtete, aus der Heimat Vertriebene plötzlich da als derjenige, der das reichste Leben gelebt und die höchsten Werte geschaffen hat. Gräsers Weg, wie der des Malers Möckel, war eine endlose Straße des Scheiterns gewesen - des Scheiterns im Außen und der sieghaften Überwindung im Geist. Über seinem Leben könnte das Wort eines Landsmannes stehen, aus dessen Schule er kam: "Nicht der Erfolg einer Tat - die Seelengröße darin, wenn auch unterliegend, ist der Ehrfurcht wert, des Andenkens und der Tränen der Dankbarkeit" (Stephan Ludwig Roth). Aus
Hermann Müller: Ein Prophet aus Siebenbürgen.
In: Siebenbürgische Semesterblätter 1, 1988, S. 42-58
Mit
einer Schnitzerei gewinnt Gräser eine Goldmedaille
an der Weltausstellung in Budapest 1896
Rund 30
Jahre später verwendet der Kronstädter Autor
Adolf Meschendörfer Motive aus Gräsers Leben in
seinem Roman.
Zitate:
In der ungarischen Zeitung steht heute, daß der Kronstädter Maler Möckel in Budapest die Goldene Medaille bekommen hat. Das Nationalmuseum hat das Bild angekauft.“ … Ich schwang den Stock: Hurra! Ein Kronstädter! … Der Maler Möckel ist durchgedrungen! „Maler will er werden, der rotzete Bub! Das Handwerk schmeckt ihm nicht. Aber heute muß man arbeiten, Herr! Verrecken wird er, verrecken! Er soll verrecken!“ Euch, ihr Bürger von Kronstadt, danke ich heute, denn ihr habt mich geschmiedet in dieser Zeit und den ungeschickt tastenden Jüngling so hart gemacht, daß er den Weg nie mehr verlieren konnte. Die spärlichen Blumen, die ich an meinem Wege fand, die goldene Medaille (Herz, wie schlugst du!) – sieh, Mensch, was ist mein Leben: Sieh die öde Werkstatt, den Strohsack, die Speisereste, diese schwieligen Hände. … Wie Rübezahl steig ich nieder zu den Menschen, ein ungewohnter Gast. Und doch, heute will ich danken … Ihr Armen, die ihr nie gelebt habt, wie war mir jede Stunde gesegnet, jeder Tag ein Fest! Denn ich habe Schönheit gesehen, ihr Menschen dort unten, Schönheit, unermeßliche, endlose Schönheit, sechzig lange, gesegnete Jahre! – So lese ich dir, Maler Möckel aus dem Siebenbürgerland, dein Leben. Aus Adolf Meschendörfer: Die Stadt im Osten. 1931. * | ||||||
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