Der Dichter im
Wahrheitsberg
Till Gerhard mythisiert den Monte Verità
In the large canvases of German painter Till
Gerhard (born 1971), hippy-era media images are reworked, gouged and
besplattered, enacting a painterly aggression -- and sometimes affection --
upon the cults, heroes, villains, and the utopian and spiritual ideals of the
1960s and 1970s.
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Wenn
ein Hügel „Berg der Wahrheit“ getauft wird – wie der Monte Verità von Ascona - , dann beflügelt das die Phantasie. Und wenn ein junger
Dichter – wie der Kronstädter Gusto Gräser – in diesem Berg eine Felshöhle
bewohnt, dann erst recht. Erinnerungen tauchen auf an den sagenhaften Barbarossa
im Kyffhäuser, der eines Tages, nach tausendjährigem Schlaf, wiederkommen wird,
um die Deutschen zu erlösen. Der Heilsbringer im Heiligen Berg – eine uralte
Menschheitssehnsucht, ein archetypisches Bild.
Der
lang verkannte Dichterprophet Gustav Arthur Gräser (1879-1958) hat – ein halbes
Jahrhundert nach seinem Tod – eine späte Würdigung erfahren durch eine
malerische Installation von Till Gerhard unter dem Titel: ‚Arbeit im Berg der
Wahrheit’.
Till
Gerhard, 1971 in Hamburg geboren, ist ein international vielbeachteter
Künstler, der in Galerien und Museen von Stockholm, London, New York, San
Francisco ausstellt. Gerhard ist offensichtlich fasziniert von dem Thema
Umwelt, Natur, Alternativbewegung. Er beschäftigt sich mit der Hippie-Szene der
Siebzigerjahre, mit den Aussteigern, Baum-schützern, Stadtindianern. Dies aber
nicht in einer naiv bekennenden oder gar pathetischen Weise. Vielmehr kritisch,
mit Ängsten, Zweifeln und Trauer. Ein typisches Bild nennt er ‚Schwarze
Nostalgie’. Den Morgen nach der musikalischen Massenorgie von Woodstock (1969)
malt er als ein ernüchterndes Bild der Verwüstung, setzt weiße Grabsteine
zwischen den Müll der übernächtigten Camper (‚Dämmerung’, 2005). Kein Bild der
Hoffnung sondern der verlorenen Illusionen. In jüngster Zeit aber scheint der
trauernde Romantiker, der Schwarznostalgiker, eine lichtere Aussicht gewonnen
zu haben: eben auf dem „Berg der Wahrheit“ und in der Person Gusto Gräsers.
Die
Ausstellung in Gstaad war dreigeteilt, eine Abfolge von drei Räumen, die einen
Läuterungsweg bezeichnen. Im ersten Raum befinden wir uns noch auf der
Außenseite des Berges, wo die naturverehrenden Siedler von Ascona ihr Tagewerk
betreiben, mit dem Spaten die Erde umgrabend oder in rauer Waldmenschentracht
nachsinnend über den verfehlten Gang der westlichen Zivilisation. So wie Karl
Gräser, der von Gerhard in einer Fotoübermalung als der mythische ‚Wilde Mann’,
als Waldbold oder Waldschrat, dargestellt wird. Im zweiten Raum betreten wir
die Höhle Gusto Gräsers und damit den Innenraum des Berges wie auch den
Innenraum der Seele. Der Maler erläutert selbst: „Höhlen sind oft ein Motiv in
Mythen, Träumen und Märchen. Nach der analytischen Psychologie in der Tradition
von C. G. Jung stellt die Höhle ein Symbol dar für den sogenannten
Mutter-Archetyp. Indem wir Platos Höhlengleichnis folgen, verabschieden wir uns
vom Scheinbild der äußeren Welt und begegnen unserer inneren Welt in der
Gestalt weiser Frauen, der heiligen Jungfrau oder in Form von Kristallen. Wir
betreten die Über- oder Anderwelt“. In diese Welt ist ihm Gusto Gräser der
Führer. Er überschüttet ihn mit einer Woge von Licht, lässt fröhliche Farben
wie einen Blumenregen über ihm niedergehen. Damit bereitet er den Besucher vor
für den Aufstieg in den dritten Raum mit dem Bild ‚Totale Erleuchtung’. Ein
junger Mann schlägt sich überwältigt die Hände vors Gesicht, hält seinen Kopf,
der in einer Explosion von weißem Licht zu zerplatzen scheint. Andere
Gleichnisse dieser Erleuchtung sind Bergkristalle und ein Reigentanz fröhlicher
junger Menschen vor einem Horizont mit Radioteleskopen. Das letztere Gemälde
nennt er ‚Das Wir-Gefühl’ und verbildlicht damit den von Gräser vielfach beschworenen
„Wirweltreigen“.
Der
in Till Gerhards Raum- und Bildfolge dargestellte Weg hinab ins Dunkel der
Innenwelt und der ihm folgende Wiederaufstieg ins Licht scheint
auf malerische Weise nachzugestalten, was Gräser vorgesprochen hat in seinem
Gedicht:
Wir müssen,
wolln wir leben, wie Athemhauch verwehn,
müssen, uns
Licht zu heben, hinab ins Dunkel gehn.
Was wär, was
wär uns eine Welt,
die immer
steht und nimmer fällt?
Was wär, was
wär uns Erde ohn dieses
‚Stirb und
Werde’?
In seinem
Buch ‚Inneres Licht gegen äussere Dunkelheit’ von 2008 hat Gerhard in einer
Foto-Übermalung Gräser noch einmal als Lichtträger vorgestellt.
Aus den Ausstellungen von Till Gerhard:
"Arbeit im Berg der Wahrheit", Galerie Patricia Low Contemporary, Gstaad /Schweiz, 6. 9. 2008 - 1. 10. 2008
"Das Wir-Gefühl", Stellan Holm Gallery, New York, 2005
Doors of Perception 2008
Gemälde von Till Gerhard, mit freundlicher Genehmigung des Malers
Man in purple (Gusto Gräser)
Wild man (Karl Gräser)
Die
Auswanderer, 2008
Waldgeister
Walden, 2004
Das Wir Gefühl
Totale Erleuchtung 2008
Quellen:
Till Gerhard: Die Guten und die Anderen. Frankfurt/Main 2006
und
Till Gerhard: Inneres Licht gegen äussere Dunkelheit. Bielefeld/Leipzig
2008
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