Die Schicksalsschwestern:
Mina und Marie


Wilhelmine und Marie Vogler

Inhalt:

Mina: Ankunft und Aufnahme Mina räumt das Feld und sucht sich ein anderes (1904-1905)
Erkrankung und psychiatrische Behandlung
(August 1898)
Marie hin, Mina her
(1905)
Rückkehr und Rivalität mit Hilaris
(August/September 1898)
Mina hin, Marie her. Stella kommt
(1906)
Auszug aus dem Himmelhof
(Oktober 98)
Mina pflegt Marie und reist nach Deutschland (1907-1908)
Neue Erkrankung, Wiederanschluß und zunehmende Entfremdung
(1899-1901)
Mina, Meister und Marie lähmen sich gegenseitig (1909)
Diefenbach verlobt sich mit Mathilde Scholl (Sommer/Herbst 1900) Paul gegen Mina und Marie, Mina und Marie gegen Paul
(1910-12)
Zweite Ehe: Der Meister zwischen Mina und Marie
(1902-1903)
Verwitwet und verlassen: Leben und Tod von Mina und Marie
(1912-1940/41)
Marie kämpft und räumt das Feld
(1903-1904)



Mina: Ankunft und Aufnahme

Zehn Jahre nach seiner ersten Begegnung mit Wilhelmine Vogler (genannt Mina) erinnert sich Diefenbach an ihr Erscheinen auf dem Himmelhof im Frühjahr 1898. Sie kommt dorthin durch einen Irrtum, findet aber letztlich mehr, als sie erwartet hat. Ihre Schwester Marie, die mit ihr zusammen im Waisenhaus aufgewachsen ist, kann allerdings ihre Begeisterung nicht teilen.

1898 Mina ist im Jahre 1898 am "Himmelhof" bei Wien zu mir gekommen auf der Suche nach einer ihrem Wesen entsprechenden familiären Stellung als Stütze und Gesellschafterin einer vermögenden und gebildeten Frau. Sie war durch das öffentliche Gerede sowie durch eine von ihrer Schwester aus einer theosophischen Abend-gesellschaft heimgebrachte Broschüre über mich zu der Meinung gekommen, daß ich als armer Teufel und Sonderling aus Mitleid und Hochherzigkeit von der adligen Familie der Ritter von Spaun unter deren schützende und kunstfördernde Fittiche genommen worden sei und erhalten werde, da an der Spitze einer großen Reihe von hervorragenden Männern und Frauen, welche unter dem Namen 'Ehrenvereinigung zur Rettung Diefenbachs' auf meine verkannte und mißhandelte Bedeutung als Mensch und Künstler die öffentliche Aufmerksamkeit lenken und durch würdige Verwertung meiner Werke mein Schicksal wenden wollten, die Namen der beiden Brüder von Spaun sowie der Frau des älteren mit dem ihr gesetzlich zukommenden Titel: Magdalene, Edle von Spaun, standen. Bei dieser Frau von Spaun, welche sie für die Herrin des "Himmelhofs" hielt, glaubte sie sicher, eine ihr zusagende Lebensstellung zu finden, welche sie seither in der "christlichen" Gesellschaft vergebens gesucht hatte.

Zu ihrem Staunen wurde sie von Frau von Spaun zu dem "armen Sonderling" geführt, von dem sie Aufklärung über ihren Irrtum und eine rückhaltlose Erklärung meiner gewonnenen Lebensgrundsätze erhielt, bei deren Annahme und Befolgung ich jeden Menschen, auch wenn er noch so arm sei oder aus dem Zuchthaus komme, Anschluß an meine Person zur Mitarbeit an meinem der Menschheit der Zukunft gewidmeten Lebenswerk gewährte. Mit glühender, ständig sich steigernder und mir zustimmender Begeisterung hörte sie meine ernste, fast zweistündige Rede an und erklärte nach deren Schluß ohne die leiseste Einwendung, Zweifel oder Bedenken sich beglückt und freudestrahlend bereit zur Annahme aller meiner Reformen, von welchen sie die wesentlichste: Lossagung von der Priester-Kirche, von dem Bestialismus des Tierleichen-Verzehrens schon durch ihre eigenen theosophischen Studien kennen gelernt und angenommen hatte, und eilte, nachdem ich sie nach jeder Richtung auf den folgenschweren Lebensentschluß aufmerksam gemacht hatte, ihre Kleider und Wäsche zu holen und ihre ahnungslose Schwester von ihrem Entschluß zu verständigen.

Ihre, um vier Jahre ältere, aber kleinere und schwächere Schwester, mit der sie zusammen nach dem Tod ihrer Eltern von ihrem fünften Lebensjahre an im städtischen Waisenhause (Wien) erzogen worden war, hatte sich nach der Entlassung aus dem Waisenhaus in jahrelanger Erduldung brutalster "christlicher" Ausbeutung als armes schwaches Dienstmädchen von der gewissenhaften Pflege neugeborener Kinder zu deren Erziehung nach Pestalozzi und Fröbel sowie weiterer wissenschaftlichen Ausbildung bis zu deren Jugendreife selbst herangebildet und genießt heute noch den Dank, innigste Liebe und Wertschätzung von Seiten aller ihrer Zöglinge (auch Knaben) und deren Eltern.

Mina erhielt bei ihrer Entlassung aus dem Waisenhaus ein Stipendium zu einem öffentlichen Lehrerkursus als Kindergärtnerin (Fröbel), nach welchem sie eine Anstellung in einer städtischen Kleinkinderschule und Kindergarten erlangte. Hier lernte sie einen neben ihr wirkenden Lehrer ihr entsprechenden Alters kennen und lieben; sie fand gleiche Gegenliebe, verlor dieselbe aber, als sie auf Grund der blödsinnigen Katechismusmoral die erste zärtliche Annäherung des Lehrers zu einem Kusse als "Sünde" (entgegen ihrem eigenen sehnsüchtigen Verlangen) derart zurückgewiesen hatte, daß der sich verkannt und tief verletzt fühlende Lehrer sich völlig von ihr zurückzog. Dieses sie erschütternde Unglückserlebnis (Kirchenmoral!) zusammen mit anderen tiefen Kränkungen und Zurücksetzungen, welche sie wegen den von einer in ihrem siebten Jahre überstandenen Blatternkrankheit zurückgebliebenen Narben im Gesicht und Trübung des einen Auges von der "christlichen" Gesellschaft zu erdulden hatte, trieb sie der Verzweiflung und wiederholten Selbstmordversuchen durch mehrere Jahre hindurch zu, in welchem Zustand sie natürlich ihre Stellung verlor, nichts verdienen konnte und wiederholt auf lange Zeit in der psychiatrischen Klinik untergebracht werden mußte.

In diesen fürchterlichen Jahren opferte ihr die Schwester in heroischem Edelsinn ihre karge Erholungszeit nach ihren ihre Kräfte überanstrengenden Dienststunden und ihre in darbender Sparsamkeit für das Alter zurückgelegten Notpfennige und setzte dies auch noch fort, nachdem Mina von ihrem schweren hysterischen Nervenleiden geheilt, in ihrem Gemüt beruhigt war und ihr krankes Auge nach mehreren höchst schmerzhaften Operationen, soweit dies überhaupt noch möglich war, wenigstens den äußeren Schein eines gesunden Auges wiedererlangt hatte. Sie nahm ihre Schwester zu sich in ihre eingeschränkte Wohnung, bestritt aus ihrem kargen Verdienste ihre Ernährung, Kleidung sowie ihre Reisen nach Deutschland zum Zwecke, bei deutschen Ärzten oder deren Instituten eine Stellung als "Medium" zu finden, was ihr in ihren Halluzinationen eines somnambulen Zustandes und ihrer eifrigen Beschäftigung mit dem Lesen medizinischer, übersinnlicher und okkultistischer Bücher als einzige, ihrem Grundwesen und leidenden Zustand entsprechende Stellung erschien.

Nachdem alle diese, mit großen Kosten für Reise, präsentable Kleidung und Hotel-aufenthalt in fremden Großstädten verbundenen Bemühungen nutzlos gescheitert waren, war sie seit längerer Zeit wieder zu ihrer Schwester nach Wien zurückgekehrt ohne irgendwelche Aussicht auf eine für sie passende Stellung, als diese ihr jene Broschüre über mich aus dem theosophischen Verein, den sie an jenem Abend wegen heftiger Kopfschmerzen nicht besucht hatte, als interessante Neuigkeit zum Lesen gab. Die hochgradige Erregung und der plötzliche, ohne jede Rücksprache mit ihr und ehe sie noch selbst jene Broschüre gelesen hatte, gefaßte Entschluß, mit Sack und Pack zu mir, dem überall als dämonischen Verführer der Jugend und besonders der weiblichen Jugend und weiblichen Tugend verleumdeten und verschrienen "Abenteurer" zu ziehen, versetzte die ältere Schwester aufs neue in höchste Angst und Besorgnis und ließ sie alles aufbieten, sie von diesem verhängnisvollen, nicht überlegten und nicht mit ihr oder einem anderen erfahrenen Menschen besprochenen Schritt abzuhalten.

Umsonst. Nach Verlauf kaum einer Stunde war sie wieder zurück und betrat unter nochmaliger begeisterter Versicherung treuer Folge und Mitarbeit, verhängnisvoll für sie wie für mich, den schweren, hohe Charakterstärke fordernden, dornenvollen Pfad meines Lebensweges, der sie beglückt hätte, wenn sie eins mit meinem Wesen geworden wäre, auf dem sie unglücklich werden mußte, wenn sie dessen nicht fähig war.

Sie war damals dreiunddreißig Jahre alt. Sie wählte sich selbst eine häusliche Arbeit, welche bei dem großen Haus und der Masse der durch die Brüder Spaun, in deren gegenseitigem Kampf um die arme Stella, nicht nur nicht beaufsichtigten sondern durch deren schlechtes Beispiel verhängnisvoll beeinflußten fremden jungen Leute, die sich mir ebenfalls angeschlossen hatten (oft zehn bis zwanzig), in unerledigter Lebensfülle vorhanden war und welche, da ich mit der Leitung der künstlerischen und schriftlichen Arbeiten zusammen mit der häuslichen Leitung überlastet, leidend und meist ans Bett gefesselt war, ein erfahrenes, starkes und energisches Weib an meiner Seite erforderte. Meine damalige, ihr gleichaltrige Pflegerin fand sie gegen Abend weinend allein in einem kleinen Raume des unteren Stockwerks und schlug mir vor, die Novizin, die sich sehr unglücklich und schwach zu fühlen scheine, an ihrer Stelle an meine Seite zu nehmen, da sie dem schweren Posten im Hause besser gewachsen sei.

Nach meiner gegebenen Zustimmung nahm auch Mina diesen ihr von meiner seitherigen Pflegerin gemachten Vorschlag erleichtert und erfreut an. Sie erholte sich rasch, fühlte sich glücklich und arbeitete sich mit hohem Eifer und Ernst in ihren Tagebuchaufzeichnungen in die ihr unerwartet zu Teil gewordene neue Lebensaufgabe ein, sodaß sie nach wenigen Wochen ihrer Schwester, die auf ihren unbeugsamen, ihr verhängnisvoll erscheinenden Schritt jeden Verkehr mit ihr abgebrochen hatte und mit Unglück befürchtenden Vorurteilen gegen mich erfüllt worden war, eine beruhigende briefliche Mitteilung über ihr Befinden machen konnte, worauf diese sie am "Himmelhof" besuchte - allerdings unter einer verletzend-kalten Zurückhaltung gegen mich, die ich nur von dem Standpunkte des "Verzeih-ihnen,-sie-wissen-nicht,-was-sie-tun" ruhig zu ertragen vermochte. (Dfb: Mein Testament)

12./15. April 1898 Mina Vogler verabredet sich auf die Osterfeiertage mit ihrer Schwester zum gemeinsamen Besuch des Himmelhofs und der Diefenbach-Ausstellung in Wien. Sie schreibt an Marie: Kann morgen nicht kommen, komme aber Samstag Nachmittag und bleibe bis Sonntag Mittag. Vielleicht kannst Du es Dir so einrichten, daß Du mit mir [zum Himmelhof] herauskommst ... Sonntag Vormittag [Ostern] könnten wir nur die Ausstellung [in der Wiener Seilergasse] besichtigen. (KB 20/443)


Mina und Marie auf dem Himmelhof, Ostern 1898

Ostern, 15. April 1898 An Ostern wird während eines Ausflugs eine Aufnahme der Humanitasfamilie mit ihren Gästen gemacht. Mina steht mit ihrer Schwester zur Rechten des Meisters, als gehöre sie schon zur Familie. Sie trägt die diefenbachische Gewandung und wendet sich sichtlich hochgestimmt dem Manne zu, der vielleicht schon ihr Geliebter ist. Ihre Schwester Marie dagegen, bürgerlich gekleidet, blickt verschlossen geradeaus. Mit den beiden zusammen hat sich ein anderer "Novize" auf dem Himmelhof eingefunden: der Kunststudent Gusto Gräser (ganz links, seinen rechten Arm auf dem gebeugten Knie aufstützend). Ebenfalls auf dem Bild sind die Diefenbachkinder Stella und Lucidus, der Buchhandlungsgehilfe Magnus Schwantje (in der Mitte rechts liegend) und Paul von Spaun (links liegend). Ganz rechts stehend dessen älterer Bruder Friedrich von Spaun mit seiner schwangeren Ehefrau Magdalene Bachmann-von Spaun. An ihrem Arm Mathilde Oborny, genannt "Hilaris", die bisher die Pflegerin und Vertraute des Meisters gewesen war. Sie hat sich in betontem Abstand zum Meister zum Ehepaar Spaun gestellt. Es scheint, daß Mina bereits ihre seitherige Stelle an der Seite des Meisters eingenommen hat.

23. 4. Magdalene von Spaun schreibt an Marie Knitschke, eine Wiener Verehrerin des Meisters. Sie kündigt die bevorstehende Geburt ihres ersten Kindes an und umschreibt vorsichtig die besondere (Vorzugs-)Stellung zweier Frauen zum Meister:

Unsere um den Meister gescharte kleine Gemeinde besteht jetzt aus dreizehn Personen, die in den nächsten Wochen noch um ein ganz kleines Persönchen vernehrt werden wird ... [zu ihr gehören] auch zwei weibliche Personen [Mina Vogler und Mathilde Oborny], von denen jede in ihrer Art dem Meister von Wert ist.

Top


Erkrankung und psychiatrische Behandlung (August 1898)

Nach knapp viermonatigem Aufenthalt auf dem Himmelhof ist Mina von den Zumutungen, namentlich von Seiten der Mathilde Oborny, derart erschöpft, daß sie sich in psychiatrische Behandlung begeben muß.

4. 8. Friedrich von Spaun und seine Frau Magda schreiben an Mina Vogler, die weggegangen ist und sich in einer Irrenanstalt befindet. Sie soll sich nicht dem mit Hypnose experimentierenden Psychiater Schrenck-Notzing ausliefern, soll zurückkommen.

Liebe, arme Mina! ... Wenn Dir Dein Leben noch lieb ist, so nimm die dringende Warnung des Meisters an, nicht zu Schrenck-Notzing zu gehen, da er er denselben als Vivisector etc. kennt, sowie als Menschen, der sich kein Gewissen daraus macht, auch Menschen, die er von dem Director des Münchener Krankenhauses bekommt, für seine "Experimente" als Versuchskaninchen zu verwenden.

Wir haben große Sorge um Dich und möchten Dich recht bald wieder haben. Was Du nicht hier aus Dir gewinnen wirst, erreichst Du nimmer durch "Hypnose" etc. Magnetische Behandlung wird Dir gewiß zuteil. ... [Du hast hier] Gelegenheit, Dich täglich von Dr.B.[oenisch] magnetisieren zu lassen.

(KB 21, 472 = Kopierbuch Nr. 21, S. 472 im Spaun Archiv Dorfen)

5. 8. Magda von Spaun berichtet an Diefenbachs Tochter Stella, die sich seit einigen Tagen in Dorfen bei München aufhält, über die kurzfristige Rückkehr Minas. Diese hat Angst, durch eine andere Jüngerin aus ihrer Stellung an der Seite des Meisters verdrängt zu werden.

Mina kam am Sonntag unerwartet zurück, sehr freudig und aufgeregt, sie könne es nicht mehr aushalten, fern von uns zu sein. .... Mina war jedoch durch ihre Abwesenheit noch nicht zur Ruhe gekommen, vielmehr steigerte sich ihre Aufgeregtheit in dem Gedanken, durch Karola [Bayer] an dem Meister die ihr so nötige Stütze zu verlieren, was ja gar nicht der Fall ist, daß sie noch einmal bat, auf einige Zeit fortgehen zu dürfen. Gestern erhielten wir einen Brief von Graz, daß sie sich in die dortige Irrenanstalt begeben hat.

(KB 21, 475)

7. 8. Gustav Gräser schreibt an seinen Bruder Karl, Berufsoffizier in der öste-reichischen Armee: Was wir gründen, was wir bauen wollen, ist ein Boden für solche, welche die Natur als Gott erkannt und ihre Gesetze zu erfüllen streben. Es muß das eine untergehn, damit das andre kann erstehn! Das ist Naturgesetz. Mit fast jedem Ereignis unserer Erde sehe ich, wie die Herdenmenschheit abwärts schreitet und sich das Gute vom Bösen scheidet, ein neues Reich zu gründen. ... Darum, Bruder, was wir leiblich sind, sollen wir auch geistig sein und bleiben. Ich erwarte dich mit allen, die um mich sind. Dein Bruder Gust.

8. 8. Magdalene von Spaun schreibt an Stella in Dorfen. Hilaris, die im Mai den Himmelhof zusammen mit dem Jünger Baumgartner verlassen hatte, ist als Reuige wieder in Gnaden aufgenommen worden. Baumgartner plante mittels gestohlener Briefe eine öffentliche Demaskierung Diefenbachs.

Mina hat noch nicht geantwortet. Hilaris ist beständig beim Vater, mit Sticken und Schreiben beschäftigt. Sie hat einen Bekenntnisbrief an Vater geschrieben, der veröffentlicht wird, ebenso wie der letzte Brief Rühls und [Elisabeth] Guttzeits, da Baumgartner den Anklagebrief letzterer bei sich hat und verbreitet. ... Walthers treffen heute ein. ... Friedrich führt noch immer die Wirtschaft mit großer Strenge.

13. 8. Magda erzählt Stella von einem gemeinsamen Ausflug der Humanitas-Familie zum Schloß Schönbrunn in Wien: Gestern ... wir gingen nach Schönbrunn, Großväterchen [Bachmann] mit Enkelkind im neuen Wagen, gezogen von Josef [Baumgartner? Heilmayer?], geschoben von [Wilhelm] Walther, begleitet von Lucidus, Hilaris, Friedrich und mir; Gustav [Gräser] und Hans [Paule] holten uns ab. Carola konnte nicht mitgehen, weil ihr Fuß sehr angeschwollen ist. ... Paul malte an dem Reklame-Bild, Hermann [Seidel] schrieb Briefe. Elisabeth [Guttzeit], Ida [Walther] und die Kinder blieben zu Hause. ...

Von Mina noch keine Nachricht. Vielleicht ist es ganz gut, denn es würde ihr sehr schwer werden, sich jetzt noch mit Hilaris einzuleben; außerdem müssen sich auch Carola und Hilaris an einander gewöhnen. ... Auf Vaters Anordnung nennen wir uns jetzt alle "Du", damit wir uns mehr als Glieder der Familie fühlen. Es gefällt mir sehr gut ... Elisabeth [Guttzeit] ... erwartet das Kind Ende August. (KB 23, 81)

18. 8. Diefenbach an Helios und Stella in Dorfen:

Mina ... [die] 8 Tage lang als "Vagabundin" ... gefangen gehalten wurde, ist ruhig und heiter nach 14tägiger Abwesenheit zurückgekehrt. Karola ist ein modernes oberflächliches, halbgebildetes Wesen ... Gustavs Mutter [Charlotte Gräser] kommt morgen mit ihrem jüngsten (12jährigen) Sohn [Ernst] - zunächst nur zu einem Besuche. Ich werde bald klar wissen, [ob sie für] die nach den Schilderungen Gustavs ihr zugedachte Stellung einer von allen geachteten Vorsteherin der jetzt so gewaltig vergrößerten Haushaltung und des geselligen Verkehres in der Er[holungs?]zeit, dem ich durch mein Ruhebedürfnis nur sehr wenig beiwohnen kann, genügend geeigenschaftet ist oder nicht; ersterer Fall wäre von unabsehbarem großen Nutzen und Segen, letzterer [böte?] jede Gefahr, da sie dann bald wieder abreisen würde. ... eine zweite Büste von mir modelliert. -

Die Ausstellungs-Gläubiger drängen und drohen mit Exekution um Geld, die "... he Gesellschaft" zieht sich immer mehr von "diesem Diefenbach" zurück, die Arbeiterkreise bekunden hohe bedeutsame Begeisterung, die Paul [von Spaun] bereits wieder mit der Polizei zusammengebracht hat. ... Mut, Vertrauen und Ruhe! Euer Vater. (KB 23, 78)

18. 8. Den 18. August 1898 fuhr ich mit Ernst nach Wien, um Gusti auf dem Himmel-hof bei Diefenbach zu besuchen. Wir fügten uns 9 Tage der dort herrschenden Lebensweise. Durchdrungen von der Idee, daß Diefenbachs Anschauungen allein der rechte Weg sind, um gesunde, die höchsten Ideale anstrebende Menschen zu werden und hervorzubringen. (Tagebuch von Mutter Gräser)

23. 8. Mina Vogler schreibt an ihre Schwester Marie. Nach ihrer Kur ist sie als auffällige Fußgängerin für eine Vagabundin gehalten und festgenommen worden.

... Dies im Zusammentreffen mit anderen Schwierigkeiten regte mich so auf, daß ich ohne Meisters Wissen zu Doktor Böck nach Graz fuhr, um mich hypnotisieren zu lassen; der Erfolg war unter 5 Tagen ein überraschend günstiger ... nach Neunkirchen zu Fuß ... Gendarm ... Klage wegen Amtsmißbrauch eingereicht ... Jetzt ist Herrn Gräsers Mutter zu Besuch hier bei uns; vielleicht bleibt auch ihr jüngerer Sohn, der mit ihr ist, ganz hier, um sich hier auszubilden. Hilaris, die mit Baumgartner schreckliche Erfahrungen machen mußte, ist freiwillig gekommen, um Wiederaufnahme zu bitten. Da sie Ursache der Ausbreitung von verleumderischen Gerüchten in der Öffentlichkeit war, wird sie auch öffentlich widerrufen. (KB 23, 124)

Top


Rückkehr und Rivalität mit Hilaris (August/September 1898)

Nach etwa vierzehntägiger Abwesenheit ist Mina auf den Himmelhof zurückgekommen.. Sie ist nicht eben glücklich darüber, Hilaris wieder anzutreffen, versucht aber sich mit der Lage abzufinden.

31. 8. Mina an Stella: Es war mir eine große Überraschung, daß Hilaris wieder da sei, doch verursachte mir dieselbe keine unangenehme Empfindung. ... Wir haben jetzt häufig photographische Aufnahmen ... Vor einigen Tagen schon ein Gruppenbild im Salon, das als Studie zu einem "klassischen" Gemälde dienen kann; auch heute einige reizende Aufnahmen; die Kinder nackt in Meisters Wagen mit Zweigen bedeckt, Homo in Meisters Schoß. (KB 23,152)


Abendmusik

Photographische Aufnahme im Gemeinschaftsraum des Himmelhofs. Von links: Diefenbach sitzend mit zwei Kindern der Familie Walther und einem dritten Kind. Rechts neben ihm stehend Lucidus. Anschließend in der hinteren Reihe: Hilaris, der Naturarzt Dr.Boenisch, Paul von Spaun. In der Mitte am Klavier Magdalena Bachmann-von Spaun, vor ihr sitzend Friedrich von Spaun. Ganz rechts außen Gustav Gräser. Links neben ihm Hans Paule und Mina Vogler. Im Mittelgrund acht weitere Jünger und Jüngerinnen, unter ihnen vermutlich: Ida und Wilhelm Walther, Elisabeth Guttzeit, Anna Bayer, Anton Losert, Matthias Czerney, Hermann Seidel, Franz Mayer, vielleicht auch Albertin Gold (Simplizius), Carola, Ignaz oder Robert. Insgesamt anwesend sind 21 Personen. Von der Familie Diefenbachs fehlen Stella und Helios, die sich zu dieser Zeit in Dorfen/Oberbayern aufhalten. Mit ihnen zusammen und dem Söhnchen Homo von Friedrich und Magda zählte die Gemeinschaft zu dieser Zeit 24 Mitglieder.


Diefenbachjünger

In der Mitte Diefenbach in seinem Rollwagen sitzend mit einem nackten Kind der Familie Walthe zu seinen Füßen. Homo, das kleine Söhnchen von Friedrich von Spaun und Magda, hält er im Schoß.An seiner Seite der zwölfjährige Lucidus. Vor und seitlich vom Wagen auf dem Boden sitzend Mathilde Oborny („Hilaris“) und Frau Ida Walther. Hinter Frau Walther das Ehepaar von Spaun. Ganz rechts außen der bucklige Jünger Paul von Spaun. Vorn an der Deichsel, wie ausschauend die Hand vor die Augen haltend, Gusto Gräser. Vor ihm, mit Vollbart und langem Haar, der neu hinzugekommene Wilhelm Walther. Hinter ihm der ehemalige sozialdemokratische Agitator Anton Losert. Die drei bilden sichtlich eine Einheit für sich, die sich von den anderen absetzt. Es sind die künftigen Rebellen, die schon bald die Gemeinschaft verlassen werden. – Aufnahme vom 31. August 1898


5. 9. Die Ursache, warum ich weggehen muss (weil ich nicht gegen Gott handeln will), hier zu dokumentieren, schreibe ich diese Worte nieder.

Den, welchen ich als Meister anerkannt hatte, ist mir unmöglich gewor­den, auch heute anzuerkennen! Denn es war mir die ganze Zeit über, dass ich da bin, nicht möglich, mich ihm gegenüber auch nur einmal gründlich auszusprechen. …

Verschlossen ist mir worden der Weg, wo ich hätte Gutes thun können, indem ich bleibe. So muss ich gehen, um hier zu sein! …

Gustav Gräser,
seit 15.April im Hause K.W.Diefenbach,
hat am 5.September 1898
diesen Entschluss gefasst, welcher ist:
"Ich gehe, um hier zu sein".

(Tagebuch von Gustav Gräser)


8. 9. Mina an Stella: Karola [Bayer] hat gestern auf Meisters Wunsch das Haus verlassen --- unter Thränen: "Ich lasse den Meister grüßen". (KB 23, 152)

8. 9. Die alkoholsüchtige Hilaris ist wieder rückfällig und nach ihren üblichen Exzessen ins Wiener allgemeine Krankenhaus eingeliefert worden. Mina schreibt an sie: Liebe Hilaris! Im Auftrage des Meisters beantworte ich Deinen Brief vom 6. d. M. ... (KB 23, 175)

9. 9. Mit Friedrich von Spaun kommt auch Stella Diefenbach auf den Himmelhof zurück und übernimmt die Haushaltsführung. Franz Mayer schreibt in sein Tagebuch:

Nächstfolgende Woche reiste Friedrich nach Dorfen, um des Meisters Kinder zu holen und kam erst nach 4 Tagen zurück. Unter dieser Zeit hatte Mina die Haushaltung übernommen und es als Hausfrau sehr gut ausgeführt. ... Sie möge mir verzeihen, wenn ich hier meine Gedanken über sie schreibe: Mina hat etwas Eigentliches, welches mich sehr stark unter sie stellt und dadurch sehr weh tut. Ich glaube, wenn sie es nicht der Mühe wert findet, mir auf meine ganz offenen Fragen zu antworten, [so könnte sie] mir doch mit einem Worte [sagen], dass sie es entweder nicht verstanden hat oder mich zu gering schätzt,. um zu antworten.

Die Tage sind mir langsam vergangen, und endlich ist jener Tag schon da, wo Friedrich mit unserer neuen Hausmutter, der Tochter des Meisters, Stella, gekommen ist. Wir hatten am selben Tage alles schön hergerichtet, und es wurde uns vom Meister erklärt, wie wir es zu machen hatten ... Am dichten Abend wurde ich fertig, und wir sahen durch das Kommen Stellas einer nothwendigen Verbesserung entgegen. Später Abend war es, als wir mit dem Meister nach Hause kamen; Friedrich kam uns schon entgegen und aus dessen Munde hörte ich, dass Stella auch schon hier ist, und von dieser Stunde an begann für uns alle ein

" N e u e s L e b e n " . 9/9 Himmelhof

Ein neues Leben mit Ordnung, auch mit Ausnützung zweier freier Stunden durch Lernen von Orthographie sowie Zeichnen, ein Leben voll Freude unvergleichlicher Weise, ein Leben so, wie ich es mir gewünscht hatte. Die Tage vergehen, es rücken die Ergebnisse des "Neuen Lebens" immer näher.

12. 9. Ein hochgebieldeter Metallbieldhauer, Gustav Gräser hies er, ein Schüler des Meisters, muste heute von unseren Hause scheiden … Mit nassen Augen und Barfus zog er schweren Herzens fort seiner Heimat zu. Nichts durfte er mit nähmen, welches an den Meister erinerte. (Tagebuch von Franz Mayer)

14. 9. Als ich auf der Post war, kamen die Minna [Diefenbachs Frau] und Magda [Bachmann-von Spaun] eines Nachmittags und sagten mir, dass der Gustav Gräser weggehe; es erschien mir unglaublich, ich konnte nicht fassen, dass so ein erbärmlicher Charakter, wie ein schwankes Rohr im Winde, existieren könnte, nachdem, wie ich wähnte, durch sein Hiersein er den Seelenadel empfangen hätte.

(Tagebuch von AnnaBayer)

29. 9. Die 'Ehren-Vereinigung zur Rettung K.W.Diefenbachs' informiert, um Gerüchten und Angriffen entgegenzutreten, das Wiener 'Neue Tagblatt':

"Frau Mina" ... für deren trauriges, durch Krankheit und andere daraus entsprungene soziale Übelstände bis zu äußerster Qual gesteigertes Schicksal, wir stets die lebhafteste Theilnahme empfanden ... Baumgartner ... (willigte) ... in die Trennung von Meister Diefenbach ... und lebt jetzt in der Gesellschaft im Geiste M.D's fort. ... Homo ... 4 1/2 Monate ... vom ersten Tage an stets ganz nackt in freier Luft, nie im Federbett oder in eine andere Hülle gewickelt und schläft wie seine Eltern nachts bei offenem Fenster. Bei dieser Behandlung fängt der Knabe schon seit einer Woche zu gehen an. (KB 23, 270)

Top


Auszug aus dem Himmelhof (Oktober 98)

Mathilde Oborny ist vom Krankenhaus zurückgekommen. Der gute Wille Minas reicht jedoch nicht aus, "das Wüthen der Hilaris" und zu vermutende Zurücksetzungen durch den Meister zu ertragen. Sie schließt sich Friedrich und Magda an, die aus anderen Gründen den Himmelhof verlassen. Diefenbach schickt sie zu ihrer Erholung nach Dorfen; Helios wird nach Wien gerufen.

5. 10. Auszug der dem Meister besonders nahestehenden Jüngerinnen und Jünger Mina Vogler, Friedrich und Magda von Spaun. Am Vortag ist es zu peinlichen Auftritten und zur Rebellion des Schriftstellers Anton Losert gekommen.

Das ist ein harter Kampf; Schlag auf Schlag trifft unseren armen, lieben Meister! Mina, Friedrich, Magda sind in einem verblendeten Überzeugungsgefühl fortgegangen; es ist auch unfaßlich. Mina thut am Meister entschieden schwer unrecht; was mit Friedrich und Magda vorgegangen ist, das weiß ich nicht, darüber wird der Schleier nicht gelüftet.

Gestern am 4.10. war eine entsetzliche Szene; Simplizius wurde, darauf schwöre ich, ungerecht beurtheilt; zwei Briefe sind weggekommen; in einem unbewachten Augenblick hat sie jemand aus Stellas Tagebuch herausgenommen; einer wurde gefunden, der zweite ist bis jetzt noch nicht ans Licht gekommen, wird daher auch schwerlich noch herauskommen. Losert [ein Jünger] hat sich in einer ganz niedrigen, pöbelhaften und opponierenden Weise entfernt; es ist auch besser, wenn solche Elemente fern bleiben.

Das ist eine Bangigkeit und eine Beklommenheit, die über dem ganzen Hause liegt; mir ist bange, aber ich verzage nicht. (Tagebuch von Anna Bayer)


Himmelstür

Am selben Tag werden Fotoaufnahmen der Himmelhof-Gemeinschaft gemacht, in gedrückter Stimmung und schon ohne die Flüchtigen. Anwesend und abgebildet sind: Diefenbach, seine Kinder Stella und Lucidus, die als Wirtschafterin tätige Frau Walther mit ihren beiden Kindern, die Jüngerinnen Anna Bayer (mit Humanitas-Namen: Jukunda), Marianne Kohnhäuser (Leta) und Mathilde Oborny (Hilaris), die Jünger Paul von Spaun (genannt Fidus), Hans Paule, Matthias Czerny (genannt Ignatz), Franz Mayer, Albertus Gold (genannt Simplicius) und ein Unbekannter.

14. 10. Auf Vorhaltungen von Diefenbach hin verläßt auch Hilaris den Himmelhof. Friedrich will gerichtlich gegen seinen Meister vorgehen, um die Herausgabe geliehenen Geldes zu erzwingen. Diefenbach schreibt ihm:

Nachdem Hilaris auf meine Erwähnung, daß Minna ... mein Haus verlassen habe ... in rasender Wut vor einer Stunde mein Haus abermals verlassen hat ... wenn Du als Gläubiger gegen mich vorgehst ...

16. 10. Eine freudige Nachricht, die sich aber nicht bewahrheitet.

Morgen nachmittag soll Friedrich mit Magda und Homo [dem Söhnchen der beiden] wieder kommen! Welche Freude! (Tagebuch Anna Bayer)

Alle haben durch das Entfernen der uns, mir so liebgewordenen Magda, Mina und Friedrich etwas verloren, welches uns nicht zu ersetzen war. Der Geist, welcher mit dieser Zeit im Hause geherrscht hat, ist nicht zu erklären. Man sah, dass etwas im Hause vorgegangen war, denn wenige heitere Gesichter waren zu sehen und auf den übrigen konnte man das Vorgefallene ablesen. Ein Tag nach dem anderen verging und nur wenig Erfreuliches kam mir zu Ohren. Einigen ihr Gemüth verlangte, dass gesungen werde, unter welchen auch meines war; mit bestem Willen - es ging nicht, der Chor war zersplittert, mit ihm das fröhliche Gemüth. (Tagebuch Franz Mayer)

19. 10. Mina wird zu ihrer Erholung nach Dorfen geschickt. Sie soll dort Helios ablösen, der nach Wien gerufen wird. Diefenbach schreibt an Helios:

... nur melden, daß Mina am Samstag den 22ten dieses M. mit dem Abendzuge dort ankommt, um längere Zeit zu ihrer inneren Sammlung und Erholung dort zu bleiben. ... Ich erwarte Dich am Montag ... Du mußt mir und Paul Stütze sein bei der übermenschlichen Arbeit zu meiner Rettung! Dein Vater. (KB 23, 348)

? Rückkehr Minas auf den Himmelhof.


Zwangsräumung

Top


Neue Erkrankung, Wiederanschluß und zunehmende Entfremdung (1899-1901)

Der Konkurs des Himmelhof-Unternehmens führt auch bei Mina zu einem seelischen und körperlichen Zusammenbruch. Am Tage der Zwangsräumung wird sie auf einer Tragbahre aus dem Haus getragen und in ein Krankenhaus gebracht. Sie folgt im Sommer 1899 Diefenbach nach Triest und später nach Capri als seine Pflegerin und Sekretärin, muß aber zunehmend harte Zurechtweisungen des Meisters über sich ergehen lassen.

Januar 1899 Die etwa vier Monate später über mich hereinbrechende, durch die "christliche" Ächtung der "Aristokratie" von Wien sowie die feindliche Stellung der Wiener Judenpresse gegen mich einerseits sowie andererseits durch die durch die beiden Brüder Spaun verschuldete Disziplinlosigkeit der mich umgebenden "Anhänger" verursachte Katastrophe traf Mina derart schwer, daß ich sie in einem Krankenwagen der Rettungsgesellschaft in ein von ihr gewähltes Wiener Krankenhaus bringen und ihrem Schicksal überlassen mußte, während ich selbst mit meinen Kindern und den beiden sie umstrickenden Brüdern wie ein Schiffbrüchiger - mitten im Winter - um das nackte Leben ringen mußte. Drei Monate später hatte ich mir in der mir gänzlich fremden Handelsstadt Triest, wohin ich mich gewandt, um durch Vorstellung meiner Lage von dem Präsidenten des österreichischen Lloyd freie Überfahrt nach Ägypten zu erhalten (was durch das "Christentum" des mich wie einen Vagabunden behandelnden deutschen Generalkonsuls verhindert worden war), trotz der durch die gesamte Wiener Presse mir nachgeschickten Verleumdung und Herabwürdigung, mit drei neu geschaffenen Gemälden (zu welchen ich mir das Material auf Kredit erbetteln mußte) (darunter das 2 x 4 Meter große Bild: 'Höllriegelsgreut' mit der Christus-Vision) die Hochachtung von ganz Triest erworben und war mir die zur Demolierung bestimmte Festung Kresic oberhalb Triest auf meinen Wunsch zur Wohn- und Werkstätte überlassen, von mehreren Hoteliers Betten und von einem Klavierhändler ein Pianino gegen Gemälde auf dieselbe geschafft worden.

März 1899 In eisigem Bora-Sturm zog ich im März 1899 mit Helios, Lucidus und dem jüngeren Spaun in die seit Jahren von Menschen verlassene, dagegen von unzähligen Mäusen und Ratten bewohnte Festung [von Triest] über die morsche Zugbrücke ein, während ich die arme, ihrer ersten schweren Stunde entgegengehende Stella den Krallen des zum Satyr an ihr gewordenen älteren Spaun und dem "christlichen" Haß von dessen Frau (ihrer früheren Lehrerin!) in einem weit abgelegenen einsamen Bauernhof überlassen mußte.

Drei Monate später hatte ich mir in der mir gänzlich fremden Handelsstadt Triest, wohin ich mich gewandt, um durch Vorstellung meiner Lage von dem Präsidenten des österreichischen Lloyd freie Überfahrt nach Ägypten zu erhalten (was durch das "Christentum" des mich wie einen Vagabunden behandelnden deutschen Generalkonsuls verhindert worden war), trotz der durch die gesamte Wiener Presse mir nachgeschickten Verleumdung und Herabwürdigung, mit drei neu geschaffenen Gemälden (zu welchen ich mir das Material auf Kredit erbetteln mußte) (darunter das 2 x 4 Meter große Bild: 'Höllriegelsgreut' mit der Christus-Vision) die Hochachtung von ganz Triest erworben und war mir die zur Demolierung bestimmte Festung Kresic oberhalb Triest auf meinen Wunsch zur Wohn- und Werkstätte überlassen, von mehreren Hoteliers Betten und von einem Klavierhändler ein Pianino gegen Gemälde auf dieselbe geschafft worden.

Der jüngere Spaun befand sich begreiflicherweise in einem Zustand rasender Verzweiflung, die er in der mit Stella auch von ihm gehegten Meinung, daß die Stellung seines Bruders zu Stella von mir angeordnet sei, in stumpfem Trotz gegen mich äußerte, in welchem er sich den ganzen Tag auf seinem Zimmer im Bett rauchend zu betäuben suchte. Die gleiche Stimmung und das gleiche Verhalten gegen mich übertrug er auf Helios, der sich ebenfalls in seinem Zimmer einschloß, rauchte und mit Trotz jede Arbeit, jedes Lernen verweigerte. Lucidus war kaum zwölf Jahre alt und konnte mir trotz seiner kindlichen Anhänglichkeit nicht die Pflege und Stütze bieten, deren ich bedurfte. In diesem Zustand ließ ich Mina, die inzwischen aus dem Krankenhaus wieder zu ihrer Schwester gezogen war, fragen, ob sie willens und bereit sei, zu meiner Pflege und Wirtschaftsführung zu mir zurückzukehren., was sie freudigst bejahte und sofort ausführte.

In Triest wurde Mina von allen gebildeten Menschen, die mit mir verkehrten, besonders von mehreren Frauen, deren erwachsene Töchter zu mir kamen, um sich in der Malerei zu vervollkommnen, die größte Achtung entgegengebracht, obwohl alle wußten, daß sie nicht meine Frau war, dagegen klagte sie, daß sie bei ihren Einkäufen auf dem Markte, wo sie in ihrer einfachen Kleidung ohne Hut auffiel, als "eines der schlechten Weiber des Diefenbach" insultiert wurde, nach der seit meinem öffentlichen Auftreten in München über mich in alle Welt verbreiteten und besonders von der Wiener Judenpresse kultivierten verleumderischen Legende. Ich konnte sie nicht anders trösten als mit dem Hinweis auf das Los aller derer, die sich vom Wege der großen Herde trennen und ihre eigenen Wege gehen sowie derer, die diesen Einsamen folgen und dafür von den durch Priestererziehung bornierten und verrohten Herdenmenschen mit Kot beworfen werden, und mit der Belehrung, daß ihr reines Gewissen und ihr klar bewußtes Ziel an meiner Seite ihr Kraft geben müsse, die Insulten des "christlichen" Pöbels ruhig zu ertragen. Selbst Christus, dem von den Pharisäern und selbst von seinen Jüngern vorgeworfen wurde, daß er mit öffentlichen Sünderinnen verkehre, Ehebrecherinnen verteidige und mit einem Weibe der Samariter geredet habe, Christus würde kein Unrecht in ihrer natürlichen Stellung zu mir erblickt haben. (Diefenbach)

9. 8. Mina hat sich der Diefenbach-Familie in Triest-Barcola wieder angeschlossen. Von dort schreibt sie an "Herrn Josef Baumgartner, Krems": Es gieng heute an Franz Kot ein Paket Schriften und ein ausführlicher Brief ab ... in Verbindung mit Simplizius Gold ... Nachforschungen nach den gestohlenn egyptischen Plänen zu halten ...

(KB 25/96)

26. 9. 1899 Während Diefenbach sich in Wien aufhält, um dem unter Anklage stehenden Paul von Spaun in seinem Prozeß beizustehen, schreibt er an Mina in Triest: Laßt mich ... Euch bei meiner Rückkunft als fügsame Teile von mir finden! (Briefe Vogler) Offenbar ist es bereits zu ernsthaften Differenzen mit Mina gekommen.

16. 6. 1900 Dfb an Mina: Dich wie weiches Wachs von mir bilden, anders gestalten zu lassen, als Du seither warst, ist der einzige Weg, Dich bei mir zu erhalten und segenbringend glücklich zu werden und einziger Beweis wahrer Verehrung und Liebe.

17. 6. 1900 Dfb an Mina: Capri verlasse ich ... nicht mehr! .... Ich will endlich nach meinem Empfinden atmen, leben und schaffen und trenne ich Alles auch nur im leisesten mir Widerstrebende. (Briefe Vogler)

18. 6. Mina aus Capri, Villa Serena, an Dfb: Meister! Freitag Nachmittag kam Friedrich mit Magda zu mir und sagte mir in seinem gewohnten für ganz ruhig gehaltenen Tone eine Menge von Änderungen, welche er in seinem Verhältnis zu Dir eingeführt wisen wolle. (Briefe Vogler)

25. 6. Dfb aus Neapel an Mina: Bedenke, daß auch nicht die leiseste Spur eines widerstrebenden Gedankens oder Empfindens in Dir bleiben darf, wenn Du Dich nicht selbst härtester Schicksals-Züchtigung preisgeben willst! Nur indem Du Dich ganz in mein Wesen auflösest und keinen Augenblick anders als in empfänglicher williger Weichheit mir gegenüber stehst, kannst Du dieses Ziel erreichen. (Briefe Vogler)

2. 8. 1900 Friedrich von Spaun aus Anacapri an Fräulein Mina Vogler, Capri: Die stets sich steigernde Ungeheuerlichkeit des Urteiles Meister Diefenbachs über solche, die ihm in irgendeiner Weise nahegestanden haben, schnürt auch mir die Kehle zu ... in seiner hastigen und krankhaften Weise begründet ... die Villa Giulia verlassen ... so möge er denn die Schritte einleiten, mich gerichtlich aus dem Hause treiben zu lassen.

4. 8. Friedrich an Mina Vogler: … die Beweggründe meiner Trennung von ihm ... durch 3 1/2 Jahre ... seit meiner Vereinigung mit Diefenbach ... er würde den Trost gewinnen, seine Tochter nicht verloren geben zu müssen, wenn sie an meiner Seite einem neuen Lebensabschnitt entgegen geht ... verlasse ich die Insel ... mit meinem Bruder Studienreise zu Fuß durch Italien ... während die Frauen mit der Bahn vorausreisen ... Friedr.

Top


Diefenbach verlobt sich mit Mathilde Scholl (Sommer/Herbst 1900)

In selbstlosem Verzicht führt Mina dem Meister die Theosophin Mathilde Scholl zu, und Diefenbach ist bereit, dieser Verbindung zuliebe das Joch einer Ehe abermals auf sich zu nehmen. Das Vorhaben scheitert jedoch an den anmaßenden Bedingungen der Scholl, die Mina entfernt sehen will. Nach seinem Abbruch der Beziehung wird Diefenbach durch Mathilde Scholl denunziert und seine Aufnahme in die Theoso-phische Vereinigung vereitelt. Nun verspricht er - nicht zuletzt auf das Drängen einer theosophischen Freundin hin, die ihm reiche Kundschaft aus ihren Kreisen in Aussicht stellt - Mina die Ehe, beleidigt sie aber zugleich durch äußerst harsche Zurechtweisungen, worauf die derart Angegriffene sich zur Wehr setzt. Sie flüchtet sich vorübergehend zu jener Theosophin nach Neapel, die sie in ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Meister bestärkt. Der wachsende Widerstand seiner Kinder und Jünger - Friedrich sagt sich ganz von ihm los - zwingt Diefenbach, Capri zu verlassen und sich in Positano eine neue Lebensmöglichkeit zu schaffen. Obwohl er ein weiteres Zusammenleben nicht mehr für möglich hält, trennt er sich nicht von Mina, deren Pflege und Hilfe ihm jetzt, da er sich von seinen Kindern verlassen sieht, weniger als je entbehrlich ist.

Im Dezember verließ ich mit Mina und Lucidus Triest, um an der italienischen oder französischen Riviera einen geeigneten Ort zu suchen, an dem ich in Einsamkeit leben und schaffen könne und in dessen Nähe die Verwertung meiner Werke bei dem reichen Fremdenstrome möglich sei. Ich wählte auf Grund von Reiseerkundigungen Capri, wohin ich dann sofort Helios und Stella sowie die Brüder Spaun nachkommen ließ, um mit vereinten Kräften eine neue Existenz auf diesem herrlichen Eiland zu gründen, welche mir endlich die so dringend benötigte Ruhe böte, um das seither so gräßliche Schicksal meiner armen Kinder zum Besseren wenden zu können.

Gegen dieses, zunächst nur durch rastloses Arbeiten zu erreichende Ziel bildete, außer dem Kampf der beiden Brüder Spaun um Stella, die gänzliche Entfremdung und Erbitterung Helios' gegen mich und seine in verletzender Weise sich äußernde Antipathie gegen Mina das schwerste Hindernis. Im Gefühle ihrer Unfähigkeit, diese Antipathie gegen sie zu überwinden und mir in der Überwindung seiner Entfremdung gegen mich irgendwie helfen zu können, schlug Mina mir vor, eine für mein Lebenswerk hoch begeisterte Theosophin [Mathilde Scholl] , die uns öfter besuchte und zu welcher sich Helios sympathisch hingezogen fühlte, statt ihrer an meine Seite zu nehmen, während sie sich nur mit der Wirtschaftsführung und der Ausstellung beschäftige, und eröffnete nach meiner Zustimmung selbst derselben unter Erklärung meiner schweren Verhältnisse ihren Vorschlag. Die Theosophin erklärte sich beglückt und bereit, jedoch nur unter der Bedingung gesetzlicher Eheschließung, einer Forderung der internationalen Theosophischen Gesellschaft, der sie als hervorragendes Mitglied angehörte. Zur Rettung Helios' überwand ich zum zweiten Male meine Empörung und Abneigung, meine Freiheit unter ein Joch zu beugen, unter welchem jeder über den Herdencharakter hinausragende Mann unsagbar zu leiden hat, seiner Wesenheit und Kraft beraubt und gänzlich aufgerieben wird.

Doch schon das erste Schreiben meiner nach unserer "Verlobung" nach England reisenden "Braut" zeigte mir, außer einer brutalen Ungerechtigkeit gegen Mina, wessen ich mich nach vollzogener Verbindung zu versehen hätte, sodaß ich sofort mit meiner ersten Antwort die Verlobung sowie jeden weiteren Briefwechsel abbrach. Hierdurch in ihrer, durch jenen Antrag hervorgerufenen, höchsten Lebenshoffnung und -rechnung auf das schmerzlichste enttäuscht, verübte die Theosophin höchst untheosophische Rache, indem sie der (weiblichen!) Oberleitung der Theosophischen Gesellschaft in Rom, welcher ich und Mina auf ihre Anregung beigetreten waren, unser Verhältnis zueinander als Konkubinat denunzierte, worauf mir die Ausschließung angedroht wurde, falls ich nicht sofort die gesetzliche Eheschließung einleite.

Die Leiterin des Theosophischen Vereins von Neapel, künstlerisch und literarisch hoch gebildet und selbst tätig, hatte in ihrem Sommeraufenthalt auf Capri den ganzen Roman meiner Ver- und Entlobung unter tiefer ernster Teilnahme an meinem Schicksal von Anfang bis zu Ende miterlebt und solche Hochachtung für mich und Mina gewonnen, daß, als sie mir die ihr von der Oberleitung in Rom aufgetragene Ausweisungsandrohung brieflich mitteilte, hinzufügte, daß sie im Falle der Ausführung dieser Androhung ihren Austritt aus der Gesellschaft erklären würde. Meine Antwort auf diese, nicht theosophische sondern pfäffische Weiber-Verfügung über mich war die Erklärung meines Austritts aus der Gesellschaft.

Bei rückhaltloser Billigung und Hochachtung meiner Stellung in der ganzen zur Gesellschaftsangelegenheit gewordenen Sache riet mir Fräulein H. [Heinecke] , die Leiterin des theosophischen Vereins von Neapel, in herzlichster Teilnahme an meinem Schicksal und in freundschaftlicher Wertschätzung Minas trotz "unserer völligen Schuldlosigkeit vor Gott" in Rücksicht auf die Schwäche und ("christliche"!) Bosheit der heutigen Gesellschaft, welche "Ärgernis nimmt" an einer ungesetzlichen Verbindung zwischen Mann und Weib, mit Mina die gesetzliche Zivilehe einzugehen: ihr und mir zum Schutze gegen christliche Gemeinheit. Sie versicherte mir ihre eifrigste Verwendung und zweifellosen Erfolg zur Verwertung meiner Werke bei der reichen englischen Theosophischen Gesellschaft und damit eine gründliche Wendung meines bis dahin so tragischen Schicksals.

Gemartert bis aufs Blut von allen Seiten, im höchsten Grade einer ungestörten Ruhe und liebevollen aufmerksamen Pflege bedürftig, nahm ich diesen gut gemeinten und gut begründeten Rat an und teilte Mina von Neapel aus brieflich meinen sie überraschenden Entschluß mit - ahnungslos, daß mein mit unsagbarer Selbstüberwindung gefaßter Entschluß zur abermaligen Beugung unter das "Joch" (!) der Ehe statt der erwarteten Erleichterung meines Schicksals das denkbar gräßlichste Gegenteil zur Folge haben sollte, unter welchem ich, wenn ich nicht bald Befreiung von demselben finde, unrettbar der Gehirnlähmung durch unausgesetzte Marter und einem gräßlichen Ende meines Lebens - eines solchen Lebens! - zugetrieben werde.

Schon sehr bald nach meiner Rückkehr nach Capri sah ich mich in meiner Erwartung bezüglich der Wirkung meines Entschlusses auf Mina auf das allerschwerste und schmerzlichste enttäuscht, sodaß ich ihr nach Neapel, wohin sie auf einige Zeit "zur Erholung" (ihrer wie meiner) auf Einladung des Fräulein H. gegangen war, brieflich derart ernste Vorstellungen machen mußte, welche sie als "Beleidigung" empfand und nach ihrer Rückkehr mir vorhielt mit der sehr scharf betonten Mitteilung, daß Fräulein H. ihre verzeihende Geduld bewundert und hinzugefügt habe, sie würde auf eine solche Beleidigung nicht mehr zu mir zurückgekehrt sein! Das war der Anfang! Noch ehe ich das Joch auf dem Nacken hatte! Doch ließ mich einesteils mein "kindlicher Optimismus" Besserung hoffen und andernteils machte die täglich brutaler und unertragbarer mich würgende Stellung der beiden Brüder Spaun gegen mich und meiner ältesten, von diesen gegen mich immer weiter verblendeten und aufgehetzten Kinder mir jeden Gedanken einer Trennung von Mina in meinem pflegebedürftigen Zustand unmöglich. Durch die rabiate Brutalität des älteren Spaun auf meinen Vorhalt seines Unrechtes meines Lebens bedroht, nicht mehr fähig zum weiteren Ertragen und Arbeiten unter solcher Mißhandlung, flüchtete ich mich mit Mina nach Positano, alle meine Werke und das gemietete Haus den Brüdern Spaun und meinen Kindern zur Verwaltung und Verwertung überlassend. (Diefenbach)

21. 9. 1900 Diefenbach denkt an Eheschließung mit der Theosphin Mathilde Scholl. Er schreibt aus Anacapri an Friedrich in Triest: ... Ihre Rückkehr in mein Haus angeordnet ... Weibe, dem ich, um Helios zum zweiten Male zu retten, das für mich ungeheure Opfer einer nochmaligen "legitimen" Ehe ... zu bringen entschlossen bin ...

? (o.D.) Dfb an Mina: Mina! DeinVerhalten auf meinen heutigen Brief, der eine Lebensfrage lösen soll, welcher Du nicht gewachsen bist trotz bestem Willen, zeigt Dich nicht nur aauf sehr törigter sondern auch sehr häßlicher Stufe, bei deren Beharren Du Deine Stellung zu mir untergräbst, erniedrigst und vernichtest!

Dein heutiges Benehmen ist die mir tausendmal ins Gesicht geschlagene Pöbel-Manier meiner vielen "Anhänger", die mir alle nur folgten, soweit ihr niedriger Horizont und niedriger Charakter reichte aber sich weigerten, sich darüber hinaus führen und veredlen zu lassen. Bei all Deinem sonstigen Wert für mich, fehlt Dir jede Spur von Fähigkeit zur Rettung meiner Kinder, im Gegenteil wird, wie ich Dir schon oft gesagt und Du nie beachtet hast, deren Verrohung durch Dein Benehmen, welches ebenfalls roh ist, nur schlimmer! Daß ich zu der Rettung meiner Kinder - von meinem persönlichen Gefühle des schmerzlichen Empfindens der Dir anhaftenden Pöbel-Manieren und -Empfindungen ganz zu schweigen - in M. Scholl eine höhere Fähigkeit gefunden und sie in der äußersten Gefahr, Helios dem Untergange verfallen zu sehen, wodurch mir das Herz und die Schaffenskraftt gebrochen würde - als einzige Rettungsmöglichkeit durch mein 2tägiges qualvolles Schreiben zu sofortigem Eintritt in mein Haus zu bewegen suche, wobei Du nichts verlieren sondern nur gewinnen kannst zu Deiner Veredlung und größerer Annäherung an mich und größerem Wert für mich - solltest Du aus mehr als einem Grunde mit Achtung vor mir ganz anders aufnehmen als Du getan hast. Ich lege Dir, um Dir Gelegenheit zur Sühne Deines Unrechts zu geben, den Brief nochmals vor Absendung vor: Du sprichst Dir durch Dein Verhalten zu demselben Dein Urtheil!

Mit dieser Häßlichkeit weise ich auch Deinen sonstigen Wert für mich zurück und gehe lieber allein zu Grunde als mir solche Gemeinheit bieten zu lassen, als Du heute getan. Diefenbach (Briefe Vogler)

24. 9. 1900 Entwurf Diefenbachs: ...Wahnsinniges Weib! Wenn die "Theosophie" Dich zu keiner höheren Weisheit erleuchtet ...

Brief aus Anacapri an Mathilde Scholl:

Meine Jo???

Die so oft an Dich gerichtete und von Dir mit heiligstem "JA" ... beantwortete Frage ist durch Deine gestrigen recom. Schreiben an Mina und mich .. mit einem gräßlichen "Nein" beantwortet worden. ...Seit Jahren gebrochen ... und von meinen entarteten ältesten Kindern verlassen und mißhandelt, glaubte ich in Dir zunächst Hilfe in der auf mir lastenden Riesen-Arbeit und dann die Möglichkeit der Entwicklung meines zweiten Ichs zu finden: des "weiblichen Diefenbach", so oft besprochen, von Allen außer mir für möglich gehalten. Im Stillen stets, in Worten wie oft richtete ich diese Frage an Dich! Denn nur ein solches Wesen, was mit jedem Atemzuge in dem meinen aufgeht und wo es nicht begreift, mir folgt wie Kinde - k a n n m i r h e l f e n ! ...

Auf Deinen Vorhalt wahnsinniger Selbstüberschätzung will ich Dir nur sagen, daß die Menschheit trotz eines Buddha, eines Christus, eines Sokrates und unzählig anderer "Gottmenschen" bis jetzt nicht "erlöst" worden ist, nur in dem Umstand liegt, daß deren Lehren von Pfaffen verdreht und mißbraucht wurden

26. 9. 1900 An Mathilde Scholl - Rom Anacapri 26. Sept. 1900

Sei meinem Sohne Mutter, Retterin! Ohne ihn mir als "Helios" wiederzuzuführen, kannst Du weder Beratherin, noch Weib, noch Mutter noch mein zweites Ich mir werden. ...

Du hast mich in Tränen gesehen ... Die Verkennung dieses Hilferufes als "niedrige Leidenschaft" hat mich kalt und stahlhart gemacht. Ich werde die Kraft finden, auch in meiner Verlassenheit von jeder Hilfe meinen Weg zu vollenden, aber auch jede Fessel zu sprengen, die mir sollte aufgelegt werden und sei es im Kampfe auf L e b e n u n d T o d zwischen Dir und mir! ... mit Suchen um weitere Hilfe als Mina und Lucidus mir zu bieten vermögen.

Dfb am 18.5.1911 an seine Frau:

Du weißt, daß ich die Verlobung mit M.Scholl deshalb abbrach, weil dieselbe anmaßende Forderung an mich stellte und Deine Entfernung aus dem Hause verlangte. (Tgb Nr.29, S.121)

9.10. 1900 Mina aus Neapel an Dfb: Deine in Deinem gestern erhaltenen Briefe mir vorgelegte Ausweisung ... (Briefe Vogler)

9. 11. Dfb an Fräulein Scholl: ... Zurückziehung Ihrer Empfehlung zu meiner Aufnahme in die theosophische Gesellschaft.

15. 11. 1900 Schreiben der Società Theosophica, Roma.

4. 7. 1901 Durch die rabiate Brutalität des älteren Spaun auf meinen Vorhalt seines Unrechtes meines Lebens bedroht, nicht mehr fähig zum weiteren Ertragen und Arbeiten unter solcher Mißhandlung, flüchtete ich mich mit Mina nach Positano, alle meine Werke und das gemietete Haus den Brüdern Spaun und meinen Kindern zur Verwaltung und Verwertung überlassend. (Testament, S.22)

17. 7. 1901 Zu meinem Tagebuch - Positano 17. Juli 1901 ... daß ich auch durch sie - gleich meiner ersten Frau - mich wie ein lebendig Begrabener von mich verzehrender Wurmnatur umgeben, fühle. ... Zusammenleben mit Mina mir unmöglich sei.

Top


Zweite Ehe: Der Meister zwischen Mina und Marie (1902-1903)

In Positano erleidet Mina infolge der Aufregungen eine Frühgeburt. Das Kind, das nicht von Diefenbach stammt, stirbt nach wenigen Tagen und wird unter seinem Namen begraben. Zur Entlastung der geschwächten Mina und auf deren Wunsch wird ihre Schwester Marie herbeigerufen. Diefenbach und Marie finden sich zusammen, doch will Marie einem dauernden Zusammenleben in einer "Ehe zu dritt" nur dann zustimmen, wenn Diefenbach ihrem Verhältnis nach außen hin einen legitimen Anschein gibt - durch Heirat mit Mina. Am 24.Januar 1902 beugt sich der Meister zum zweitenmal in ein ungeliebtes und ungewolltes Ehejoch. Sein Opfer bleibt freilich vergebens: Die Eifersucht Minas gegen Marie führt schon nach kurzer Zeit zu heftigen Spannungen, die sich in "Gewittern" entladen.Nach etwa einjährigem Aufenthalt sieht Marie nur noch die Möglichkeit des Rückzugs vor ihrer Schwester. Sie setzt damit Diefenbach unter Druck, der diesen Druck an Mina weitergibt. Mina wehrt sich. Durch diese Aufregungen und durch den erfolgreichen Aufbau einer Ausstellung für Diefenbach erschöpft, erkrankt sie aufs neue. Im Frühjahr 1903 reist Marie nach Wien zurück.

In Positano leitete ich sofort bei dem dortigen Sindaco die standesamtliche Zivileheschließung ein, bestärkt und getrieben duch die Noch-Schwangerschaft Minas. Aber ehe dieser, durch die bürokratischen Schwierigkeiten zur Beschaffung der erforderlichen Papiere (darunter die amtliche Austrittserklärung Minas aus der katholischen Kirche!) unerwartet verzögerte Akt vollzogen werden konnte, verfiel Mina in Folge der durchlittenen Aufregungen von Capri der vorzeitigen Geburt eines Kindes, welches, lebensunfähig, am vierten Tage starb. Ich mußte, wenn ich mich nicht der Gefahr, als "animale luterano" gesteinigt und aus dem Ort vertrieben zu werden, aussetzen wollte, die "christliche" Taufe und Beerdigung des Kindes über mich ergehen lassen, was ich aus dem Grunde geschehen ließ, als dem toten Kinde dieser Wahnsinnsfanatismus, welchen ich als höchste Lebensschädigung von dem Kinde, wenn es am Lebe geblieben wäre, mit allen meinen Kräften abgehalten hätte, (o idealer Optimismus dem Weibe gegenüber, zumal das Kind nicht mein Kind war!), nicht zu schaden vermochte. Auf dem hochgelegenen Friedhof von Positano, mit großartigem Blick auf die steil abfallende Küste bis zur Pinta Campanella und über das unbegrenzte Meer, steht ein weißes hohes Kreuz mit der Aufschrift: "Leo Diefenbach".

Die schwere Gemütsalteration und körperliche Schwächung, welche Mina durch diese nach vielfacher Hinsicht unglückliche Geburt erlitt, ließ sie den Besuch ihrer Schwester, mit welcher sie in regem Briefwechsel stand, wünschen, wozu ich ihr das erbetene Zugeständnis machte, daß ihre an Selbständigkeit gewöhnte und sehr empfindliche Schwester nach ihrer Gewohnheit sich ihr Essen selbst bereite, Wein dazu genieße etc. Eingedenk des Vorurteils und der Kälte, mit welchen die Schwester am "Himmelhof" mir gegenübergetreten war, verhielt ich mich zurückhaltend gegen sie, es ihr überlassend, die konventionellen Verkehrsformen beizubehalten oder sich persönlich zu mir zu stellen. Die beiden Schwestern, die sich bei den abenteuerlichen und ungeheueren Verhältnissen, in welche Mina an meiner Seite geraten, natürlich viel zu sagen hatten, was brieflich nicht möglich war, meist allein lassend und rastlos mit Malen in meiner kleinen Werkstatt beschäftigt, gab ich Marie Zeit und Gelegenheit, mich ungeniert zu "studieren" und durch Aussprache mit Mina über mich näher kennen zu lernen.

Zu meiner angenehmen Überraschung bot sie mir nach etwa acht Tagen als "Schwägerin" als Zeichen ihrer gewonnenen Hochachtung für mich und Wertschätzung meiner Lebensideale, welche den ihrigen verwandt und sympathisch ihren Gesichtskreis erweiterten und mit höherem Menschheitswerte erfüllten, das "Du" an, ohne damit auch nur den leisesten Gedanken einer erotischen Annäherung an mich, einer Verkleinerung oder gar Verdrängung ihrer Schwester zu verbinden oder in mir zu erzeugen, was ich ausdrücklich betone als Grundlage der mir aufgezwungenen Widerlegung der von Mina später gegen ihre Schwester und mich erhobenen und heute noch aufrecht erhaltenen Beschuldigungen.

Marie war damals vierzig Jahre alt. Ich fand bei ihr weit mehr sachliches Verständnis, Interesse und tieferes Eingehen und Empfänglichkeit für meinen, über den Herdengeist Minas hinausgehenden und deshalb für denselben unfaßbaren Lebensgedanken, als Mina mir zu meinem tiefsten Schmerze und drückender Beklemmung auch selbst seit meinem unerwarteten Anerbieten der Ehe entgegenbrachte. Als sich dazu noch weiter zeigte, daß die Schwester auch für mein Kunstschaffen ein unvergleichbar größeres Verständnis nicht nur in der geistigen Auffassung desselben als Ausdruck meines Menschheits-gedankens, sondern auch eine praktische Geschicklichkeit und Verständnis für alle zu dessen Ausdruck nötigen materiellen Hilfsarbeiten besaß, die geeignet waren, mein von meinem Schicksal mir so unsagbar schwer gemachtes Kunstschaffen wesentlich zu erleichtern, welche Eigenschaften ich noch niemals in einem weiblichen Wesen in solchem Grade gefunden hatte, entstand in meiner "dämonischen" (d.h. magnetisch anziehenden) Seele der Gedanke, daß nach dem Verluste meiner mir von Kindheit an systematisch entfremdeten Kinder an die beiden Brüder Spaun mir zur Gründung einer neuen Existenz, neben der längst schmerzlichst empfundenen Unzulänglichkeit Minas in jeder Hinsicht, als Ergänzung deren Schwester wie vom Himmel vorbereitet und geschickt sei und daß die Betätigung von deren Eigenschaften und Fähigkeiten an meiner Seite der Menschheit unvergleichbar mehr Nutzen schaffe als ihre mit noch so hohem Erfolg seither in Wien ausgeübte Tätigkeit als Erzieherin von Kindern, welche durch die stumpfe Gewohnheit und Beschränktheit ihrer Eltern nicht aus dem naturwidrigen Kreis der "christlichen" Weltanschauung hinausgeführt werden können und deshalb für die Menschheit der Zukunft nutzlos bleiben.

Nachdem dieser Gedanke nach jeder Richtung in ruhiger und ernster Überlegung in meinem Innern zur Reife und vollen Klarheit gelangt war, sprach ich denselben auf einem größeren Spaziergang, an welchem Mina durch Unwohlsein verhindert war teilzunehmen, Marie in gründlicher Entwickelung aus. Natürlich war dies für dieselbe unerwartet und von so gewaltiger Lebensbedeutung - handelte es sich doch darum, ihre gesicherte und geachtete Stellung in der Gesellschaft aufzugeben und sich einem Manne anzuschließen, den sie am Himmelhof und jetzt wieder im völligen Zusammenbruch seiner Existenz befunden hatte. Sie bat sich Bedenkzeit aus, in welcher sie, um völlig frei von jedem Einfluß meiner Person zu sein, früher nach Wien zurückkehren wolle, als sie sonst vorhatte.

Sie schrieb einige Monate später von Wien aus, daß sie nach reiflichster Erwägung aller Umstände entschlossen sei, meinen Antrag anzunehmen, nur verlange sie als Bedingung zu dessen Ausführung den vorherigen Vollzug meiner Eheschließung mit ihrer Schwester, nach welchem sie in kurzer Zeit ihre Verhältnisse in Wien geordnet haben und zu uns kommen werde. Im Gegensatz zu dem nach so fürchterlichen Verlusten mich stützenden und erhebenden Gefühle, in Marie unerwartet eine Kraft gefunden zu haben, die fast dem Werte einer zweiten rechten Hand gleichkam, indem sie meine eigene Schaffenskraft wesentlich unterstützte und steigerte, und im Gegensatz zu der Hoffnung, daß der Anschluß Maries auch für Mina einen Lebensgewinn bedeute, da sie, wesentlich entlastet und ergänzt durch ihre Schwester, mit welcher sie seither trotz regem Briefwechsel sich nur unvollkommen und ungenügend und ohne jeden Nutzen aussprechen konnte, beklemmte mich das Wesen Minas, welches ich durch mein Anerbieten der Ehe, an welche sie auch im kühnsten Traume nicht hätte denken können, mir so ganz anders vorgestellt hatte, als es sich seitdem zeigte. Doch nahm ich "kindlicher Optimist" an, daß die Gemütserschütterungen infolge der unter so abnormen, abenteuerlichen Umständen entstandenen Schwangerschaft, der Frühgeburt und des Todes des Kindes sowie die Schwere aller meiner Verhältnisse die Ursache ihres gedrückten Wesens sei, welches sich heben würde, wenn durch den Anschluß Maries ich zur Gründung einer neuen Existenz mit erhöhter Kraft schaffen könne und sie außer dem Rat und der Hilfe der um vier Jahre älteren und erfahreneren und praktischeren Schwester einen Gedankenaustausch mit einem ihr sympathischen und so nah verwandten weiblichen Wesen genießen würde, welchen ihr in unserer isolierten, abnormen Stellung der ganzen übrigen heutigen Welt gegenüber kein anderes Weib so hätte bieten können wie ihre Schwester, welche sich in ihrer früheren so furchtbaren Schicksalszeit so edelmütig aufopfernd und liebend zu ihr gestellt hatte.

Der Gang zum Standesamt, auf welchem und von welchem sie auch nicht ein Wort, einen Blick, einen Händedruck für mich fand, brachte mir das Gefühl, daß ich, statt eine dankbare Anerkennung zu finden für den bevorstehenden lebenswichtigen Akt, der ein so hohes Opfer meiner Selbstüberwindung forderte und nur im Vertrauen auf ein völliges Einleben oder mindestens Nachstreben in meinem Wesen möglich war, einer verhängnisvollen neuen Schicksalsverkettung entgegengehe. Dieses Gefühl steigerte sich während des durch den, sehr ehrerbietig und herzlich zu mir gestandenen, Sindaco vollzogenen Aktes und schnürte mir auf dem in eisigem Schweigen erfolgten Rückweg die Kehle und die Seele zu. Das war meine zweite "Hochzeit"! Doch ich unverbesserlicher Optimist glaubte, durch liebevolles Umarmen des Weibes, das jetzt meinen Namen trug, den mir unbegreiflichen gedrückten Gemütszustand Minas zu heben, und bemühte mich, neben meinem rastlosen Schaffen und dem Schmerz um meine verlorenen Kinder, dies zu erreichen, wie es kein Mann, ohne sich schmachvoll zu entwürdigen, mehr tun könnte. Außerdem erhoffte ich Besserung von der Ankunft Maries.

Doch wie so oft in meinem Leben mußte ich auch jetzt die Erfahrung machen, daß in meinem Kopfe anders als in anderer Menschen Köpfe die Welt sich malt.

Marie hatte alle Beziehungen, welche sie sich aus drückendster Armut heraus mit schwachem, blutarmem Körper aber rastlosem Fleiße und hoher Intelligenz in Wien geschaffen hatte, welche ihr einen geachteten und vor Not geschützten Lebensabend sicherten, gelöst, um alle ihre Kräfte der Mitarbeit an meinem Lebenswerke zu widmen. Sie war trotz der kurzen Zeit unseres persönlichen Verkehrs meinem Geiste und meiner Seele näher gekommen als ihre Schwester in vier Jahren gekommen war, weil sie mir in Geist und Seele verwandter war als diese. Aber diese größere Geist- und Seelenverwandtschaft zwischen Marie und mir würde würde weder von ihrer noch von meiner Seite auch nur die allergeringste Verdrängung oder Zurücksetzung Minas herbeigeführt, sondern im Gegenteil die Kluft, die zwischen meiner Lebensstufe und derjenigen Minas von Natur aus und durch unseren beiderseits so himmelweit verschiedenen Entwicklungsgang besteht, überbrückt und Mina mir näher geführt haben, als sie ohne diese schwesterliche Hilfe aus eigener Kraft jemals zu erreichen vermocht hätte. Dies war damals mein und Maries Empfinden und Wollen und ist es auch heute noch, und kein urteilsfähiger Mensch, der mein und Maries, während unseres ganzen Lebens konsequent betätigtes Wesen kennt, wird hieran zweifeln.

Durch schaudererregende, mich und Marie wie Keulenschläge treffende rasende Selbstsucht und Torheit Minas sollte mir Aufklärung werden über ihre in meinem naiven Künstler-Idealisten-Optimismus für belehrungs- und veredelungsfähig gehaltenes, seit meinem Entschluß zur Zivilehe unbegreifliches Wesen und über die Ursache des beklemmenden Gefühls, mit welchem ich meiner zweiten Ehe wie einer zweiten Hölle, in meinem Alter nicht weniger gräßlich als die Hölle meiner ersten Ehe, entgegenging.

Wie es für jeden feinfühlenden und darwinistisch gebildeten Menschen nicht anders denkbar und nicht anders möglich ist, als daß die geschlechtliche Vereinigung von Mann und Weib in erster Linie als heiligster, den Menschen zur lebenzeugenden Gottheit erhebender Akt empfunden wird, der in sich heilig, göttlich aber nicht "Sünde" ist, wie das naturwidrige, gottlästernde, aus dem schweinischen Judentum und gegen das schweinisch-entartete Römertum entstandene "Christentum" lehrt, und nicht erst durch die "Ehe", dieses das Weib wie den Mann entwürdigende, zur Sicherung der Pfaffen- und Fürstenherrschaft über den Mann (durch das Weib) eingeführte, von jedem großdenkenden Menschen (auch weiblichen!) von jeher als Schmach empfundene und gebrandmarkte Zwangsinstitut erlaubt und "geheiligt" wird, so ist es für jeden feinfühlenden und großdenkenden Menschen ebenso selbstverständlich und delikat, daß darüber kein Wort gesprochen werden braucht und kann, daß dieser heilige intimste Verkehr zwischen einem seelenverwandten Paar, auch wenn der ursprüngliche Zweck infolge von eingetretener Zeugungsunfähigkeit nicht mehr erfüllt werden kann, ein natürliches Bedürfnis ist, dessen Nichtbefriedigung Unruhe, Beeinträchtigung der Schaffenskraft (welche nur bei vollem und allseitigem körperlichem Befriedigtsein und bei Seelenruhe und -Freude sich betätigen kann) und krankhafte Aufreibung der Lebenskraft zur Folge hat.

Das aus herrschsüchtigen Gründen des Papsttums den katholischen Priestern aufgezwungene Zölibat sowie das unzähligen Männern und Frauen, die sich nicht "heiraten" können, durch das naturwidrige "christliche" Sittengesetz aufgezwungene Zölibat sind zum Himmel schreiende Verbrechen gegen "Gott" und gegen die Natur, welche unsagbares Elend, Siechtum und ausschweifende Verbrechen und Selbstschändung zur Folge haben und durch keine pfäffische "Moral"-Predigt beseitigt und bemäntelt werden können. Dieses Verbrechen an der Menschheit, welches die Prostitution erzeugt und erhält, bildet neben dem scheusäligen Militarismus und Kapitalismus die schwerste Anklage des durch den Darwinismus zur Erkenntnis der "Quellen des menschlichen Elends" gekommenen Menschen gegen die fast zweitausendjährige Pestwirkung des teuflischen Instituts der katholischen Kirche und der von dieser abstammenden "religiösen" Sekten.

Und dieser Punkt der Aufklärung über die heute noch herrschende Unnatur war einer der wesentlichsten, welche ich Mina bei ihrem ersten Erscheinen bei mir vorstellte und welchen sie nebst allen anderen nicht nur theoretisch sondern auch praktisch angenommen hatte, als ich sie zu meiner persönlichen Pflege zu mir nahm. Marie, welche nie in einem intimen Verhältnis zu einem Manne gestanden war, welche mit Ausnahme der Väter ihrer Zöglinge, die in achtungsvoller Freundschaft zu ihr standen, die meisten Männer wegen ihrer Brutalität gegen das weibliche Geschlecht verachtete und haßte und welche derart von ihrem Erziehungsberuf und ihrer eigenen geistigen und seelischen Höherbildung erfüllt war, daß sie sich gar nicht als Geschlechtswesen fühlte, war, von Geburt aus klein und schwach, blutarm und bleichsüchtig, als sie zu mir kam. Weit mehr als ihre seitherige naturwidrige Ernährung und Kleidung stellte ich auch ihr, wie früher Mina, die naturwidrige Enthaltung vom Geschlechtsverkehr als Ursache ihrer Blutarmut vor und hatte Mühe, ihre eingewurzelte Abneigung gegen einen solchen Verkehr zu überwinden, welchen sie schließlich von mir annahm. Diesen naturgesetzlichen, aus tiefernster Seelenüberzeugung und -Anziehung entstandenen Verkehr als "Leidenschaft", "Ehebruch" und, wie es später auf Belehrung des "Hochwürden-Seelenführers" von Mina geschah, als "Blutschande" zu bezeichnen, ist nur einem selbstsüchtigen, gottentfremdeten, pfäffisch-bornierten und verdrehten Gehirn möglich: Der eigenen Schwester, die ihr ganzes Leben in Entsagung und schwerster rastloser Arbeit zugebracht, die ihr die größte Liebe und die größten Opfer entgegengebracht zu ihrer Heilung von dem selbstmörderischen Wahnsinn, in welchen sie durch die Naturwidrigkeit der Kirchen-"Moral"-Gesetze und Begriffe gestürzt worden war, und die auf meinen lebensernsten Antrag zu uns gekommen war zur Ergänzung und Hebung ihrer gegen mein Wesen und meine gewaltigen Verhältnisse wurmhaften Unzulänglichkeit, - einer solchen Schwester die endliche Erfüllung des heiligsten Leibes- und Seelenbedürfnisses, welche ihrer Befriedigung nicht den geringsten Abbruch tat, zu mißgönnen, zu bestreiten und derart zu vergällen, wie es Mina getan hat auf Grund ihrer gesetzlichen "Rechte" - derart erlangter "Rechte"! - und ihrer "religiösen Überzeugung", welche sie mir bis dahin nicht nur verheimlicht sondern durch ihre amtliche Austrittserklärung aus der katholischen Kirche, um "meine Frau" werden zu können, verleugnet hatte, - ist nur einer bodenlos selbstsüchtigen, niedrigen Seele möglich!

Es widerstrebt mir, Dir die Höllenmartern zu schildern, welche Marie und ich von der "christlichen", "moralischen" Denkungsweise Minas zu leiden hatten und heute noch zu leiden haben, obwohl wir zur Verhinderung von Ausbrüchen rasender Wut - echt "christlich"! - ihr unseren vor Gott reinen und berechtigten Geschlechtsverkehr zum Opfer gebracht haben, welches "Opfer" sie roh zurückweist, dagegen brutal auf ihrem "Recht" besteht. (Diefenbach: Testament)


Mina Vogler

? 1901 Frühgeburt Minas und Tod des Kindes. Kirchlich getauft und unter dem Namen Leo Diefenbach begraben.

23. 1. 1902 Kirchliche Trauung mit Wilhelmine Vogler, 37 Jahre alt, in Positano.

24.1. Staatliche Trauung von Dfb und Mina Vogler. (Tgb Nr.21)

29. 10. Zimmermann an Minna Dfb: Mit Ihrer Ausstellung wünschen wir Ihnen besten Erfolg und schnelles Fortschreiten.

21. 11. 1902 Marie Vogler erklärt, dass sie - nach der Rückkehr ihrer Schwester Mina von Neapel - wieder ihrer Wege gehen will (also Dfb verlassen). (Tgb 21, 13)

19. 1. 1903 Brief von Dfb aus Capri an Mina in Neapel - Vorwürfe; Verbot, vor der Eröffnung der Ausstellung in der Villa Camerelle nach Capri zurückzukehren.

(Tgb 21, 37)

22. 1. 03 Mina an Meister: Ich reise mit dem nächsten Morgendampfer ab. ... Ungeheuerlichkeiten, die Sie mir jetzt schon zur Last legen. (Tgb Nr.21, 39) - Schwere Auseinandersetzungen. (Fridolin von Spaun)

23./24. 1. Capri, Villa Camerelle. Tobsuchts-Anfall Minas - Schreikrämpfe etc. "Ehe-Gewitter" - Alles im Haus läuft zusammen, Leute auf der Strasse bleiben stehen. Dfb: Ohnmachtsanfall, Herzkrampf. (Tgb 21, 62ff.)

17. 2. Eröffnung der Dfb-Galerie in der Villa Camerelle/Capri.

1903 ‘Diefenbach-Ausstellung, Villa Camerelle, catalogo della mostra, Capri, 1903’.

17. 3. Marie Vogler aus Capri an Dfb: Meister! Durch Nachtwachen, da Mina sehr krank ... (Briefe Vogler)

April 1903 Dfb aus Positano an Signora Dfb, Capri: ... In ruhiger Überlegung unserer nächsten Zukunft hat Marie sich entschlossen, Ihren für den Sommer beabsichtigten Besuch in Wien jetzt zu machen. (Positano IV 1903)

30. 6. 03 Meister! ... Mit diesem letzten Schreiben löse ich, so wie ich hier mit meinen Freunden allen gebrochen habe, jedes Band, das zwischen Dir, Mina und mir bestand. ... Marie Vogler (Briefe Vogler)

Top


Marie kämpft und räumt das Feld (1903-1904)

Marie kommt zurück, lebt in Positano und Sorrent mit Diefenbach zusammen, Mina bleibt in Capri und führt die Ausstellung in der Villa Camerelle. Unter dem Druck ihrer eifersüchtigen Schwester und den Angriffen von Helios droht Marie wiederholt ihr Fortgehen vom Meister an, verläßt ihn schließlich zu Beginn des Jahres 1905. Zu ihrer Hilfe und ihrem Ersatz wird Maja herbeigerufen aber nach 14 Tagen als untauglich und unwürdig von Diefenbach wieder aus dem Haus gewiesen.

17. 10. 03 Tagebuch: Mein seit vielen Jahren von meiner Umgebung und den von diesen über mich verhängten Verhältnissen unterdrücktes und geschmähtes Bedürfnis, mich in meinem Tagebuch über meinen Lebensgang auszusprechen, wird auch dieses Mal, da ich es zur Beruhigung meines unausgesetzten, die Arbeit zur Qual machenden Herzklopfens befriedigen wollte, durch die Brutalität der Umstände unbefriedigt gelassen. Mir drohen die Sinne zu schwinden und nur mit unaussprechlicher Qual vermag ich mich aufrecht zu halten, zu arbeiten und die mir aufgedrungenen Briefe zu schreiben, welche von Keinem beachtet, dagegen als Beleidigung und Verbrechen aufgefaßt und mit Keulenschlägen ins Gesicht und ins Herz erwidert werden.

(Tgb Nr.24, S.139-B)

9.12. Maja aus München an Dfb: ... Deine Zeilen erhalten - welche Enttäuschung ...

27. 12. 03 Maja aus Mailand an Marie Vogler: ... 2 Nächte habe ich im Freien auf dem Schiff zugebracht unter gewaltigem Sturm und Regen ...

7. 9. 1904 Ankunft von Mina, Stella und deren Kindern in Napoli. Abholung durch Dfb und Helios. In Capri gleich wieder Zwistigkeiten zwischen Dfb/Mina/Stella und Helios/Maria. (Tgb 23, 25)

11. 10. Sorrent. Vor einigen Tagen fuhr Dfb noch einmal nach Capri zurück, um Trennung mit Mina zu besprechen. Ihr Plan: Eine 3. Ausstellung in Rom von ihr betreut, "wertvoller Gedanke" für friedliche Lösung des Problems "Mina-Marie". (Tgb 23, 32)

14. 10. Mina aus Capri an Dfb: Meister! ... Notwendigkeit wäre es, Maja als Deine Verwandte - nicht in dem Sinne Ihrer früheren Stellung zu Dir - infolge meiner räumlichen Trennung von Dir hierher kommen u. sie dies vorher wissen zu lassen ...

17. 10. Dfb an Maja: Kannst sofort zu mir abreisen, ich nehme Dich wieder in meinem Hause auf. (Tgb 23, 34)

21.10. Maja an Dfb: Meister! ... Unendlich glücklich - o so glücklich bei Dir, bei Euch nun Aufnahme zu finden ...

4. 11. Marie Vogler aus Capri an Dfb: ... Arbeiten an der Außenseite des Hauses ... immer alles im Halben stecken bleibt ... [Ich] kann Dir keine Hilfe, nur eine Störung sein ... Indem Maja in den nächsten Tagen hier sein kann, so mache ich es kurz ... und reise am Montag ab. Marie Vogler

Dez. 04 Maja in Capri an Dfb: Meister ... weist Du mir die Thüre ... ich zu Marie mich äußerte wegen warmem Wein bereue ich tief ...

Top


Mina räumt das Feld und sucht sich ein anderes (1904-1905)

Um den andauernden Zwistigkeiten mit ihrer Schwester ein Ende zu machen und doch einen Rest des ehelichen Verhältnisses aufrecht zu erhalten, hat Mina dem Meister vorgeschlagen, sie zum Aufbau einer Ausstellung nach Rom zu schicken. Diese Gelegenheit benutzt sie zu einem Klosteraufenthalt und zu entschiedener Rückwendung zur katholischen Kirche. Es gelingt ihr, Diefenbach die Einwilligung zur kirchlichen Eheschließung abzuringen, ein Zugeständnis, das unerwartete Folgen für ihn haben sollte.


Die Sphinx, von ihm so oft thematisiert, war für Diefenbach das Bild für das Rätsel und Ungeheuer Weib. Die Figur entstand in jener Zeit seiner Ehehändel auf Capri.

In ihrer "sittlichen Entrüstung" als "anständige unglückliche Frau" reiste Mina - angeblich zu ihrer Erholung sowie zur Anknüpfung von Geschäftsverbindungen - nach Rom. Dort suchte sie den Vorstand der deutschen Pfaffenkolonie im 'Campo Santo' auf und klagte diesem ihr Leid. Dieser, wie ich ihn später persönlich kennen lernte, ein alter, rauch- und schnupftabakstinkender, bornierter und fanatischer Pfaffe, ohne jede Spur von jener Vernunft, welche der Benediktinerpater von München zeigte, dem Du über meine beginnende "Gottlosigkeit" klagtest, führte die "verlorene Tochter" wieder in den Schoß der "allein selig machenden" katholischen Kirche zurück und stellte sie, um den "apostolischen Segen" zu ihrem schweren Bekehrungswerk an mir "Ketzer" und "Wüstling" zu erhalten, dem Papst vor. Ich besitze einen Brief dieses "Seelenführers" an Mina, worin er ihr meine Bekehrung und die meiner Kinder als heiligste, ihr "von Gott gestellte Lebensaufgabe" ans Herz legt. Im Gegensatz zu dieser vielleicht ehrlich gemeinten, blödsinnigen, in ihren Folgen entsetzlichen Erfüllung seines "heiligen Priesterberufes" gab er Mina die jesuitische Unterweisung, mich dadurch zur Zulassung der kirchlichen Trauung zu bewegen, daß sie mir vorstelle, ohne den Empfang der heiligen Sakramente, deren seitherige Verleugnung sie an den Rand des Verderbens gebracht, könne sie nicht mehr leben und ohne die kirchliche Heiligung unserer, vom Standpunkt der Kirche nur als sündhaftes Konkubinat geltenden Ehe könne ihr das allerheiligste Altarsakrament nicht gereicht werden. Die Zeremonie werde in der Sakristei der hiesigen Pfarrkirche ohne jedes öffentliche Aufsehen nur im Beisein von zwei Zeugen erfolgen und habe für mich als Nichtkatholiken keinerlei verpflichtende oder belästigende Bedeutung und Folgen.

In meiner optimistischen Lammnatur gehe ich auf diesen jesuitischen Leim, beuge mich unter das satanische Hohngrinsen des über mich triumphierenden hiesigen italienischen Pfaffen und der beiden von diesem gestellten Zeugenpfaffen und das Spottgerede von ganz Capri, um gleich darauf zu hören, daß ihr, nachdem unsere Ehe jetzt dem Kirchengesetz unterstehe, das "allerheiligste Altarsakrament" auch so lange nicht gereicht werden könne und sie nicht ehelich mit mir verkehren dürfe, als ich das "Verbrechen der Blutschande" mit ihrer Schwester fortsetze, welches vom Staatsgesetz mit mehrjähriger Zuchthausstrafe und Landesverweisung belegt werde. Meinen über solche schweinisch gemeine Schlinge mit "apostolischem Segen" auflodernde Empörung unterdrückte ich auf die inständige Bitte Maries, unsere Entsagung ihr als Opfer zur Erlangung häuslichen Friedens anbietend.

Aber außerdem daß sie erklärte, ein "Opfer" nicht anzunehmen, setzte sie der von den "geistlichen Seelenführern" geleiteten Weiberherrschaft über den Mann dadurch die Krone auf, daß ich in ihrem Beisein in die Hand des Pfarrers der deutschen katholischen Kolonie von Neapel, einem kaum vierundzwanzigjährigen anmaßenden tonsurierten Burschen, das Gelöbnis ablegen mußte, fortan in "keuscher" Ehe mit meiner frommen Ehefrau zu leben. Trotz meiner unglaublichen, durch mein Ruhe- und Pflegebedürfnis an der Kehle gewürgten Lammnatur konnte ich kaum die kochende Empörung über diese fortgesetzte schmachvolle Behandlung unterdrücken und erklärte dem jungen "Seelenführer" meiner Frau (in ihrem Beisein), daß diese Ehe ein langsamer Mord an mir sei.

16. 12. 04 Dfb aus Capri an Mina: ... daß Du mich als einen Mann Deinesgleichen behandelt hast ... unvermeidbare Trennung von mir ... Deine der Kirche wieder zugewandte Geistes- und Seelenrichtung ... Zweck Deines jetzigen Klosteraufenthaltes ... (Briefe Vogler)

21. 12. Dfb an Maja: Nie sind meine, schamloser und stumpfsinniger, Perlen vor Schweinen gleich, missachtet und nie schamloser und heuchlerischer gegen mich gesündigt worden als durch Sie. Statt die früher gegen ich begangenen Verbrechen und Schwindeleien, wegen deren ich Sie aus meinem Hause weisen mußte, zu sühnen, haben Sie die Frechheit, mich heute zu beschuldigen, dass ich Sie als unschuldig erbarmungslos in das Unglück gestürzt hätte, nachdem Sie in ehrloser Heuchelei und Schwindelei gegen mich und andere Menschen mein Erbarmen, Sie nochmals bei mir aufzunehmen, ebenso missbrauchten als jedes Ihnen früher gewährte. Der Ekel gegen Ihre undurchschaute Schlechtigkeit ... Sie haben morgen früh (Donnerstag) Ihre Sachen einzupacken ... ich die Polizei anrufen würde. . Dfb.

Abends. Marie findet dies Schreiben grausam hart und widersetzt sich mit Heftigkeit gegen dessen Absendung. ... keine Härte gegen Dich, sondern das für schwache kleinliche Naturen unfaßbare Gegenteil.

26. 12. Dfb im Tagebuch: Weihnachten! ... Schaffenskraft rücksichtslos darauf richten, meinen Lebensgedanken vor meinem Tode wenigstens niederzuschreiben, nachdem ich an der praktischen Ausführung gehindert wurde. Mögte Marie die Höhe der Lebensaufgabe erkennen.



Kreuztragender Diefenbach mit geißelnder Frau

1905? Bild entworfen - seine 2.Ehe - Dfb trägt das Kreuz, die Frau schlägt ihm den Rosenkranz um die Ohren, gefolgt von einem Pfaffen. Januar 1912 vollendet, dazu ein zweites (über Ehe 1 mit Polizei). (Tgb 30, S.54.)

6.1. (1905?) Dfb an ?: ... Majas etwa 14tägiger Aufenthalt bei uns zeigte eine bodenlose Unfähigkeit eines Verständnisses oder einer Würdigung meines Lebens und Strebens ... (Briefe Vogler)

11.1. 05 Dfb an Mina: An meine Frau in Rom ... Dein Verlassen meines Hauses ...

Top


Marie hin, Mina her (1905)

Marie reist nach Wien, Mina wird vom Meister aus Rom zurückgerufen. Für Diefenbach ist das Zusammenleben mit seiner Ehefrau, die sich nun offen gegen ihn auflehnt, unerträglich geworden; Mina verfällt in Rasereien und Krämpfe und muß in ein Krankenhaus nach Rapallo verbracht werden.

24. 1. Mina seit Ende Oktober in Rom (Tgb 24, S.39). Marie Vogler nach Wien abgereist. Mina Vogler von Rom zurückgerufen. Bis zu ihrer Rückkehr übernimmt Alma Abels Dfbs Haushaltung. (Tgb 24, 13)

18. 2. Dfb: Fahrt (mit Musik) nach Sorrent. Auf dem Schiff Bekanntschaft mit einem jungen Maler KRÜGER, der mich am 20. Febr. besucht und mein Schüler werden möchte. 20. Febr. Wanderung mit Mina und Krüger auf den Berg. - Mina fährt abends wieder nach Capri. (Tgb 24, 39f.)

Febr./März soll die Ausstellung in Sorrent eröffnet werden (von Marie? betreut).

(Tgb 23, 37)

24. 4. 1905 Dfb aus Sorrent an Stella:

Die gemeine Selbstsucht "meiner Frau" läßt mich die Höllenqual der "Ehe" mit einem verständnislosen, widerstrebenden Weibe, die ich durch Eure Mutter 12 Jahre lang habe erdulden müssen, zum zweiten Mal in entsetzlicher Weise erleiden; sie läßt nicht zu, daß ihre Schwester ... die gleichen Rechte mit ihr teilend mich umgebe; seit vier Monaten ist Marie verbannt von hier ... in Wien ...

8. 5. Dfb an Stella: ... mein ... Zustand schreit nach der Rückkehr Maries zu mir, während das Wesen Minas ... mich völlig umbringen würde.

25. 6. Dfb aus Sorrent an Stella:

An meine verlorene Tochter Stella - Weihermühle bei Graz ... An meiner Leiche wirst Du Dir sagen: auch ich habe meinen Vater morden geholfen! Dein Vater.

5. 7. 05 Hinweis über das in Positano [im Jahr 1900] geborene Kind von Mina - Dfb nicht der Vater! (Tgb 24, 121/122)

22. 6. 1906 … wurde Mina, nach neuerlichem Anfall von Raserei und Krämpfen, von der "Grauen Schwester" Leonarda (von der sie schon tage- und nächtelang gepflegt wurde) nach Rapallo gebracht, wo sie bei den dortigen deutschen ("grauen") Krankenschwestern kuriert werden soll. (Tgb 24, 171)


A m  W e g  n a c h  S a n  M i c h e l e
von Stella Spaun-Diefenbach
(Anacapri - Ostern 1939)

Am Weg nach San Michele steht ein kleines weißes Haus. Es besteht nur aus einem einzigen hohen Raum, der "Salone" genannt wird. Heute dient es zwei armen Frauen als Zuflucht, seine großen Fenster sind erblindet, seine Flügeltüren verschlossen, die Mauern verwittert und das Gärtchen wuchert in üppigster Fülle. Dieses kleine Haus war vor 35 Jahren eine Festhalle, zu der die Gestaltungskraft einer tapferen Frau es gemacht hatte. Das war die Frau meines Vaters, die sein schweres Dasein in Armut und Arbeit treulich geteilt und getragen hatte und die nach sechsjähriger Zurückgezogenheit [?] in dem damals armseligen Fischerdorf Positano den mutigen Plan faßte, das Ergebnis dieser Zeit in dem bescheidenen Salone von Anacapri der Welt zu zeigen. Diese Ausstellung wurde ein ganz großer Erfolg und damit der Wendepunkt im Leben meines Vaters.

Top


Mina hin, Marie her. Stella kommt (1906)

Mina schlägt TRennung vor.Sie besucht eine Sprachenschule in der Schweiz, um sich als Lehrerin auf eigene Füße zu stellen. Marie ist zu Diefenbach zurückgekehrt, wird jedoch durch den Haß ihrer Schwester und die Angriffe von Helios in eine lebensgefährliche Erkrankung getrieben, so daß sie Mitte September Capri verlassen und ein Sanatorium aufsuchen muß. Um sie zu ersetzen wird Stella mit ihren Kindern herbeigerufen. Jetzt hat Diefenbach unter dem Widerstand von Helios und Paul und, nach seiner Darstellung, unter "roher Pflegelosigkeit" zu leiden. Im Februar 1907 weist er seine Tochter aus dem Haus und ruft Marie zu sich zurück.

Sie [Mina] erklärte mir, ein solches Zusammenleben nicht aushalten zu können. Sie schlug mir endlich vor, uns ohne öffentlichen Skandal friedlich zu trennen. Ich solle ihr 4000 Lire geben, mit welchen sie an der Frauenhochschule in Freiburg (Schweiz) sich als Sprachlehrerin ausbilde und als solche sich später ihren Lebensunterhalt selbst verdiene, ohne mir weiter mehr irgendwie zur Last zu fallen. Obwohl mich dieser Vorschlag zwang, meine Werkstätte in Sorrent zu schließen, stimmte ich aufatmend demselben zu und erhob auch keinen Vorwurf gegen sie, als sie mir von Freiburg aus berichtete, daß sie 500 Lire mehr mitgenommen habe. (Dfb: Testament)

5. 8. 1906 Dfb aus Sorrent an Stella: Vor fünf Wochen hat Mina mein Haus verlassen ... Ende September muß die Villa Camerelle geräumt werden. Marie ist durch die Selbstsucht-Raserei Minas gegen sie lebensgefährlich erkrankt ... Helios liegt ... zu Bett ... ein "egoistischer Tyrann", ein "Spekulant" etc. etc, außerdem ein "unmoralischer Mensch", ein "schlechter Gatte", der seine erste Frau gemordet hat und ihr jetzt Schlechtes nachredet und der seine jetzige Frau durch sein unmoralisches Verhältnis zu deren Schwester zu sittlicher und rechtlicher Entrüstung und aus dem Hause treibt; ein schmutziges Skandal-Leben, das den Söhnen jede Achtung vor dem Vater und das Zusammenleben mit ihm unmöglich macht etc. etc.

30. 8. 06 Schreibt Dfb an Mina nach Freiburg/Schweiz, wo sie sich zur Sprachlehrerin ausbilden will. Ablehnung einer Rückkehr Minas. (Tgb 24, 199ff.)

15. 9. 06 Marie verläßt Dfb zur Kur in einer Natur-Heilanstalt.

Dfb an Wilhelm Müller, Karlsruhe: (Meine Frau) bildet sich an einer ... Frauen-Academie in der Schweiz zur Sprachlehrerin aus ... Weit mehr noch trifft mich der Verlust ihrer Schwester, ... die infolge des jesuitisch betriebenen Kampfes der letzteren gegen ihre Stellung in meiner Sorrentiner Werkstätte ... des brutalen Auftretens meines Sohnes Helios gegen sie ... Nieren-Leiden ... Sie hat mich am 15. September verlassen ... Verlust der Villa Camerelle … (Tgb 24, 277)

16. 9. 06 Stellas Ankunft mit den Kindern am Morgen in Neapel. Marie zur gleichen Zeit nach Wien abgereist! (Tgb 24, 207ff.)

2. 2. 07 Dfb aus Capri an Stella: Ein Mensch, der Dich in schändlichstem Mißbrauch meines Vertrauens als zwölfjähriges Mädchen verführte, mich ins Irrenhaus zu bringen trachtete, um Dich damals schon ganz besitzen zu können ... Mina wieder zu mir zu nehmen ... und sein Urteil gegen die Rückkehr Majas ..

6. 2. Dfb an Stella: … rohe Pflegelosigkeit ... sofortige Rückkehr Maries erforderlich .... fordere ich Dich hiermit in äußerster Notwehr auf, sofort mein Haus zu verlassen.

11. 2. 1907 Stella hat mein Haus verlassen. (Tgb 25, 80)

Top


Mina pflegt Marie und reist nach Deutschland (1907-1908)

Im April 1907 kehrt Marie zu Diefenbach zurück. Sie erkrankt jedoch wiederum so schwer, daß Mina zu ihrer Pflege und zur Führung von Haushalt und Ausstellung herbeigerufen werden muß. Diese nutzt ihre Unentbehrlichkeit, um von ihrer Schwester "das Opfer ihrer geschlechtlichen Zurückziehung" zu erzwingen. Diefenbach entledigt sich Minas, indem er sie zur Vorbereitung einer Ausstellung nach Deutschland schickt. Er erkrankt nun seinerseits.

Nach einem Jahr schrieb sie [Mina] mir von Wien aus, daß ich ihr als meiner Frau doch nicht zumuten könne, mit Stundengeben ein elendes Leben zu fristen; sie wolle eine Frauenschule gründen oder kaufen, aber dazu gehöre Kapital. Ehe ich ihr auf dieses "christliche" Ansinnen entsprechende Antwort geben konnte, mußte ich ihr telephonieren, daß ihre Schwester im Sterben liege. Hierauf kam sie zwar umgehend, benutzte aber die ihr durch unsere Not gegebene Gelegenheit, sich zu einem neuen, halbwegs ertragbaren Verhältnis zu mir zu stellen derart, daß es nicht auszuhalten war. Der geringe Bilderverkauf des letzten Jahres, der nicht einmal die Hälfte der "christlichen" Wuchersumme (5200 Lire), die ich jährlich als Hausmiete zahlen muß, einbrachte, sowie der Rat fast aller Besucher der Ausstellung und schließlich die herzliche Einladung des Dr.Schmidt und dessen Frau von Höchst ließen Mina mir den Vorschlag machen, in größeren Städten Deutschlands eine Turnusausstellung zu veranstalten und damit in Frankfurt und Wiesbaden zu beginnen.

Diese Himmelsfügung zu meiner Befreiung von einer unbeschreibbaren unausgesetzten Höllenqual benützte ich mit übermenschlicher Anstrengung meiner äußersten Kräfte, um die nötigen Bilder zu meiner würdigen Vertretung in Deutschland zu vollenden, welchen ich jeden Monat weitere nachfolgen lassen wollte, sodaß mit der Zeit eine stattliche Ausstellung zu Stand gekommen wäre, welche außer dem Lebensunterhalt für Mina einen Beitrag zu den hiesigen ungenügenden Einnahmen brächte.

So kamst Du dazu, "meine Frau" und einen kleinen Teil meiner, von dieser nur als Marktware gewürdigten Werke kennen zu lernen. Deine schon bei dem, ohne mein Wissen erfolgten, Besuche meines Sohnes Lucidus betätigte Schwesterliebe ließ mich hoffen, daß Du meiner zweiten Frau mit umso größerer schwesterlicher Liebe und Teilnahme entgegenkommen würdest, wenn Du Kenntnis erhieltest, daß sie aus ganz demselben Grunde, aus welchem Du nicht hast bei mir bleiben können: der Unvereinbarkeit der katholischen (überhaupt "christlichen") Weltanschauung und Lebensaufffassung mit derjenigen, welche ich in meinem Leben gewonnen habe und betätige - unmöglich zu mir zurückkehren könne. (...)

Aber ehe ich Mina und Dir meinen unabänderbaren Entschluß schreiben konnte, warf mich die seit Jahren unter rastlosem Schaffen pflegelos ertragene Bronchitis auf das Krankenlager, und als bald darauf auch Marie, deren, bei ihrem schwachen Körper früher von jedem angestaunte Lebens- und Arbeitsenergie durch die unausgesetzte, an meiner Seite erduldete Seelenmarter gänzlich gebrochen war, wieder schwer erkrankte, mußte ich Mina abermals hierher zurückrufen. "Fügung Gottes" werdet Ihr sagen, "Fügung des Satans", sage ich.

Der nach solch ungeheuerem Lebenskampfe an Stelle von Ruhe und Erholung in meinem Alter durch diese zweite Ehe mir weiter aufgezwungene Kampf hat, unter ständig kochendem Blut und pochendem Herzen, meine körperliche Widerstandskraft völlig aufgerieben. Anstatt die Früchte meines Lebens - in solchem Sturm gereift! - sammeln und der Nachwelt hinterlassen zu können, statt vor meinem Tode meine Seele und meinen Geist ausruhen lassen zu können in der Überblickung und Niederschrift meines typischen Entwicklungskampfes aus den Banden der Kirche, die seit sechzehn Jahrhunderten die Menschheit verelendet, bis zu jener Erkenntnis, die ich im Vorwort zu 'Per aspera ad astra' ausgesprochen habe, muß ich Tag und Nacht mein müdes, wundes Gehirn weiter abmartern, wie ich mich des nach meiner gesetzlichen Fesselung in "meiner Frau" zu Tag getretenen "Christentums" erwehre, wie ich mich der würgenden Schlinge entledige, ehe mein Gehirn erkrankt und ich wahnsinnig werde über solche seit vierunddreißig Jahren erduldete, gut gemeinte "christliche" Mißhandlung meines innersten Wesens, des Wesens, das unsere Eltern mir aus dem Kern ihres Wesens vererbt und dessen Entwickelung auf Grund ihrer und meiner Lebenserfahrungen sie beide vor ihrem Tode gesegnet haben, des Wesens, für dessen Entwickelung und Behauptung ich mein ganzes Leben gekämpft und gelitten habe.

"Ich pfeife auf Deine Ideale, ich will mein Leben genießen!" "Ich bin ein Weib des Jahrhunderts und nicht Deine Sklavin!" schrie mich die "christliche", "anständige" und entsetzlich "unglückliche Frau" noch vor zwei Jahren auf den Vorhalt meiner Lebensideale an, daß mir Sehen und Hören verging. (Dfb: Testament)

31. 3. Marie Vogler aus Wien an Dfb: Reise Mittwoch ab Marie

18. 5. Endlich (verspätet) die Ausstellung in der "Casa Grande" eröffnet! Tgb 25, 92

30. 9. Dfb an Stella: … daß ich Mina und deren Schwester je 4000 Lire mitgegeben habe und Dir nichts ...

28. 10. 07 Dfb an Lucidus:… Mina wieder zurückgekehrt - nicht als meine Frau, sondern als Pflegerin der schwer erkrankten Marie (und Führung von Ausstellung und Haushalt). (Tgb 25, 125-132)

Mina Diefenbach kommt aus Wien zur Pflege ihrer Schwester nach Capri zurück. (Testament, 2.Teil, S.16)

5. 11. 07 Mina aus Capri an Dfb: Sie werden mir die fremde Anrede "Sie" verzeihen ... Ich konnte Ihnen meinen katholischen Standpunkt nicht verheimlichen, weil dieser als solcher erst die Frucht der Leiden ist, die mir aus dem Verhältnis meiner Schwester zu Ihnen erwachsen sind. ... Doppelehe ... Wenn Marie jedoch ... das Opfer ihrer geschlechtlichen Zurückziehung bringen will, so werde ich das Äußerste aufbieten ... (Briefe Vogler)

9. 1. 08 Dfb schreibt über Mina - ihr Leben, Eintritt in Himmelhof und weitere Entwicklung. (Tgb 25, 159ff.)

1908 ? Mina Diefenbach stellt ihrem Mann ein Ultimatum:

... Will Marie sich nicht rückhaltlos und für immer geschlechtlich von Ihnen zurückziehen, so verhindert sie mich eben dadurch, meine Pflicht in Ihrem Hause zu erfüllen ... In schwerstem Ernste Mina Diefenbach. (ABD - Briefe)

25. 3. 08 An seine Schwester Elisabeth in Wiesbaden (Tgb Nr.27). Nachschrift von Mina: ... Meine Schwester noch immer lebensgefährlich krank. Besuch der Ausstellung schwach; aber doch 2 Bilder verkauft; gebe heute an Lucidus 100 L. auf!

Juli 1908 Dfb schickt seine Frau mit 14 Bildern und mit Silhouetten nach Wiesbaden. (Tgb. Nr.27 v.17.4.09) - Von Juli/August 1908 bis Sept./Oktober in Homburg vor der Höhe, Luisenstraße 74. Dfb schreibt an seine Schwester Elisabeth.

23. 9. 08 Lucidus aus Capri an Mina in Homburg: Liebe Mina! Vaters Zustand ist noch immer ein derart schwerer (infolge des schmerzhaften Aushustens von Massen zähen Schleims und festem Eiter, starken Kopfschmerzen und meist Fieber) ...

(Tgb 27, 23)

Top


Mina, Meister und Marie lähmen sich gegenseitig (1909)

Marie fühlt sich von Diefenbach als bloßes Arbeitstier mißbraucht und den Angriffen von Helios, den sein Vater immer noch "retten" will, schutzlos preisgegeben. Diefenbach sieht sich nun von allen Seiten - von Mina, von Marie, von Helios, von Paul und Stella, dazu von der Kunstkritik und seiner Umwelt überhaupt - im Stich gelassen und in die Enge getrieben. Er erkrankt, fühlt sich am Ende und sieht die endgültige Katastrophe über sich hereinbrechen. Im Bett liegend schreibt er einen Lebensbericht als "Testament" für seine Schwester Elisabeth, der er sich jetzt, nach Jahrzehnten der Entfremdung, wieder annähert. Das von ihm erhoffte Pardies einer Ehe zu dritt hat sich für alle drei in eine Haß- und Schweigehölle verwandelt.

Elisabeth! Wenn ich Dich, die Du mir blutsverwandt bist und auf gleicher gesellschaftlicher Bildungsstufe mit mir standest, in Deiner starren Vertretung des von Dir für Religion, von mir für Satanswerk gehaltenen und bekämpften Kirchentums, nicht mehr zu ertragen vermochte, da ich noch jung war, wie soll ich in meinem Alter ein Weib ertragen, das die ihr, im Vertrauen auf die bei der Aufnahme in mein Haus versicherte Annahme und Befolgung meiner Lebensideale, angebotene Ehe durch acht Jahre hindurch mir zur Hölle gemacht hat (im Verhältnis nicht weniger als das erste Weib getan), das, nachdem es die gesetzlichen Rechte, die mich fesseln, stillschweigend angenommen, "auf meine Ideale pfeift", mein heiligstes Empfinden mit Hilfe von Pfaffen in den Kot der "christlichen" Moralanschauuung (!) zerrt und schändet, das mich nur würdigt und benutzt als Verfertiger von verkäuflicher Marktware zur Fristung seiner in der Rolle "meiner Frau" anmaßend gewordenen Pöbelexistenz; das mit all seiner, mir beständig vorgehaltenen "Pflichterfüllung" mir nicht den millionsten Teil dessen ersetzt, was seine Gegensätzlichkeit gegen mein Wesen in mir schädigt und vernichtet?

Auch auf die Gefahr hin, daß die "christliche" Moral und die "christliche" Bosheit die durch das achtjährige Martyrium halbtote Marie alsdann auch nicht mehr an meiner Seite duldet und ich, der ständigen liebevollen und verständigen Pflege bedürftig, pflegelos und ohne jede Aussicht auf einen Ersatz Maries durch ein anderes Weib den "christlichen" Gaunern und dem Skandalklatsch der "gebildeten" und "moralischen" Deutschen preisgegeben daliegen müßte, verlange ich die Trennung meiner Frau von mir für immer! Und zwar unter Abbruch jeglicher Verbindung, indem auch die allerweiteste Lockerung mich schon bei dem bloßen Gedanken an die durch diese "christliche" Ehe verlorene Schaffenskraft würgt , arbeitsunfähig macht und ständig wie ein Damokles-Schwert über mir hängen würde. Mina hat durch vorheriges vierjähriges Zusammenleben mit mir gewußt, daß jeder Atemzug und jeder Schritt meines Lebens von der Unnatur der "Moral" des pfäffischen "Christentums" weg nach der entgegengesetzten Richtung geht und daß ich diese entgegengesetzte Richtung nicht nur zur Auslebung meiner Individualität sondern als öffentlicher Prediger eines höheren Menschheitsideals verfolge. Wenn sie in jenen vier Jahren zu dem Bewußtsein gekommen ist, daß sie die bei ihrer Aufnahme in mein Haus mir versicherte Befolgung meines Lebensweges nicht länger mehr betätigen könne, weil derselbe ihr nachträglich als Irrtum oder Unrecht erscheine oder ihrem Wesen widerstrebe, so hätte sie mir dies auf meinen, im Glauben an ihre Gefolgschaft gefaßten Entschluß zur bindenden Ehe rückhaltlos sagen müssen. Dies hat sie nicht getan, weil sie wußte, daß sie alsdann nicht länger hätte bei mir bleiben können. Sie hat mich in dem Glauben an die Fortsetzung ihrer Gefolgschaft gelassen, mit Bewußtsein und Absicht gelassen und gewartet, bis sie nach vollzogener Zivilehe die "gleichen Rechte wie der Mann" habe, und mir dann erklärt, daß sie meine Ideale für Irrtum, Utopie und Unmoral halte und denselben nicht mehr zu folgen vermöge ( - in allen Punkten! - ), und nun in völliger Nichtwürdigung meines Künstlertums, meines persönlichen Empfindens und meines Menschheitsberufes mich "unterzukriegen" gesucht, wie die Schusterin ihren Schuster unterkriegt, unter ihre, mir bis dahin verhehlten, "weiblichen" Pöbelanschauuungen und Prätensionen, zu deren Durchsetzung sie die Hilfe der katholischen Kirchensatzungen (Signori!) - (die ich bekämpfe!) - anrief, indem sie erklärte, ohne "Religion" nicht leben zu können.

Daß dies alles ohne berechnende Absicht und ohne Kenntnis des tausendfach gegen "einfältige" Männer - und ich bin einer der einfältigsten der "Einfältigen"! - seit Jahrhunderten mit Hilfe der Jesuitenmoral ausgeübten Weibertricks geschehen sein soll und sie erst nach der vollzogenen Ehe durch das Hinzukommen ihrer Schwester zum Bewußtsein der Unmoral meiner Lebensgrundsätze gekommen sein soll, von welchen sie dann mit Hilfe von tabakstinkenden Zölibatspfaffen, Rosenkranzbeten - und dem "Pantoffel" mich zu kurieren gedachte, das glaube, wer "katholisch" genug dazu ist. - Mir ekelt zum Erbrechen vor solchem "Christentum", und ich kämpfe auf Leben und Tod um meine Befreiung aus dieser mich würgenden Schlinge.

Mina wird natürlich von ihrem Standpunkte aus alles anders darstellen, da sie sich nach den Satzungen der katholischen Kirche, welche sie als von "Gott" gegeben hält, von mir und ihrer Schwester in ihrem "Rechte" gekränkt und deshalb tief unglücklich fühlt. Gewiß ist es für sie ein Lebensunglück, meine Schwelle überschritten zu haben und in eine Stellung an meiner Seite gekommen zu sein, welcher sie nach keiner Richtung gewachsen ist. Aber ich habe sie mit rückhaltloser Offenheit auf alles aufmerksam gemacht, als sie zu mir kam und habe seitdem weder meine Gesinnung geändert noch auch das mindeste Unrecht gegen mein Gewissen begangen. Dagegen ist, auch wenn sie ohne jede berechnende hinterhältige Absicht in die Ehe mit mir getreten sein sollte (worüber ich nicht streite), die Zumutung, mich ihrem Standpunkt unterzuordnen, gleichbedeutend mit der Verurteilung und Verwerfung meines ganzen vergangenen Lebens sowie die mörderische Vernichtung des Restes der mir noch übrig gebliebenen Lebens- und Schaffenskraft. Dagegen kämpfe ich auf Tod und Leben!

Ich erwarte, daß Mina nach Lesung dieses Schreibens ruhig ihres mir vor zwei Jahren vorgeschlagenen Weges geht und mir nicht länger das mich würgende Joch einer so unnatürlichen Verbindung aufdrängt und mich nicht dadurch zur Notwehr treibe zu meiner Befreiung und Rettung.

Die Frömmigkeit meiner "christlichen Ehefrau" zeigte sich zunächst darin, daß sie jeden Morgen nicht etwa bloß zur Kirche sondern zur Kommunionbank ging, um das allerheiligste "Altarsakrament" zu empfangen, was selbst in diesem von einer unglaublichen Unzahl von schmarotzenden Pfaffen beherrschten Lande unerhört war und, da sie stets als einzige zur Kommunionbank ging, in ganz Capri besprochen wurde und sie in den Geruch der Heiligkeit, dagegen ihre Schwester und mich, die wir nie die Kirche betraten, in den Verruf "gottloser", d.h. schlechter, unsittlicher Menschen brachte, welcher Verruf durch die direkten und indirekten Klagen Minas über ihre "entsetzlich unglückliche Ehe" bei Besuchern meiner Ausstellung (!), dem Pfarrer von Capri und Anacapri echt "christlich" genährt wurde. Da mir auf solche Klagen hin von verschiedenen Seiten wohlmeinende, oft auch boshafte Vorstellungen über die von mir vermeintlich nicht gewürdigten, dagegen mit rohem Undank vergoltenen "vorzüglichen Eigenschaften" meiner Frau gemacht wurden, sah ich mich natürlich zu meiner "Verantwortung" und Verteidigung gezwungen, diese Klagen von meinem Standpunkte aus zu beleuchten, dieselben als unbegründet und als roheste Brutalisierung ihrer armen, schuldlosen und hoch verdienstvollen Schwester sowie meiner Persönlichkeit als Mensch, meines Küstlertums und meines menschheitlichen Berufes zu erklären.

Wie weit meine, von der Herzogin von Nassau und vielen anderen Menschen angestaunte und bewunderte Geduld solchen Ausbrüchen kompletten Wahnsinns und rohester Selbstsucht, in der Absicht, diese krankhaften Naturanlagen - ihr Vater ist im Irrenhaus gestorben, und sie war das jüngste Kind desselben - zu beruhigen, ging, wird Dir genügen, wenn ich erwähne, daß ich unter schwerster Schädigung meines Kunstschaffens und meiner Existenz Marie mit Sack und Pack (sie hatte ihre ganze Einrichtung mitgebracht) nach Wien zurückkehren ließ, Mina zu mir nach Sorrent nahm (während ich zugleich mit der Verwaltung meiner Werke auf Capri Helios eine Gelegenheit zu einer würdigeren Stellung zu mir gab), auf ihre Bitte mit ihr einen Besuch bei dem dortigen Erzbischof machte, der mich mit dem Vorwurf empfing, warum ich nicht schon längst zu ihm gekommen sei (nachdem ich schon über ein Jahr in Sorrent in dem von mir gemieteten zweiten Stock des Palazzo Municipale an einem gewaltigen Werk zur Erbauung eines Tempels 'Humanitas' auf dem zweigipfeligen letzten Berg der Sorrentiner Halbinsel gearbeitet hatte, was in ganz Sorrent als höchstes Stadtereignis und Weltkuriosum besprochen wurde, mein Plan ihm bekannt war, und er über eine kleine, auf dem zweiten Gipfel des Monte San Costanzo stehende, in meinen Plan einbezogene Kapelle zu verfügen hatte) und nie zur Kirche ginge, wogegen er meine Frau, deren auch in Sorrent öffentlich besprochene "Frömmigkeit" natürlich ihm zu Ohren gekommen war, als ein Muster christlicher Tugend pries und mir zum Vorbild empfahl, wobei er mir zur Auffrischung meines Gedächtnisses aus meiner Jugendzeit einen katholischen (italienischen) Katechismus (den er schon für meinen angemeldeten Besuch bereit gehalten hatte) schenkte (welche Schenkung er mit einer Salve stinkenden Schnupftabaks begoß), meine Frau ermahnte, mich wieder "katholisch zu machen", worauf diese ihm, strahlenden und glühenden Gesichtes, inbrünstig und dankbar die tabakstinkende Hand küßte und eine ehrfurchtsvolle Kniebeugung vor ihm machte und dadurch - echt "katholisch"-taktvoll - mich in meiner manneswürdig einfachen Verabschiedung als unverbesserlichen, gegen die hochwürdigen Statthalter Gottes (mit Schnupftabak!) respektlosen "Ketzer" demonstrierte.

Die gleiche widerliche Komödie am andern Tag, als der Erzbischof, offiziell angemeldet, mit seinem Galawagen am Municipio vorfuhr, um mir unter offizieller Begleitung eines Staatssekretärs (natürlich auch Pfaffe) seinen Gegenbesuch zu machen, wozu der ganze Palazzo eigens gereinigt worden war, und auf dessen Gängen und Treppen von der neunköpfigen Hausmeisterfamilie und jedem ihm begegnenden Mann (!) ihm die - hingehaltene (!) - Hand geküßt wurde. Meine, die Wände von sieben großen Sälen (darunter einer von 14 Metern Länge) bedeckenden, von jedem angestaunten Gemälde (darunter Christus-Darstellungen) wurden wegwerfend als "heidnische Kunst" bezeichnet und mir anempfohlen, Bilder aus dem Leben und Sterben der "Heiligen" zu malen, z. B. wie die Engel die Seele des sterbenden heiligen Josef (seines Namenspatrons!) aus dessen Mund wie eine Fischblase herausziehen und zum Himmel tragen, oder wie die allerheiligste "Jungfrau" Maria in rotem Kleid und blauem Mantel durch die Luft in den Himmel "fährt", und dergleichen Blödsinn mehr.

Beim Abschied dieselbe widerliche, mir ins Gesicht schlagende, Kniebeugung mit inbrünstigem Handkuß vor diesem naturwidrigen tabakstinkenden Zölibaterich, den seiner öffentlichen Stellung entsprechend durch das ganze Gebäude bis zu seinem Galawagen (echter Nachfolger Jesu!) zu begleiten und ihm auch nur einfach die Hand zu reichen, ich meine tiefste Mannes- und Menschheitsempörung unterdrücken mußte.

Doch reiche dem Teufel nur den kleinen Finger, so bemächtigt er sich der ganzen Hand und so fort des ganzen Menschen. Ein verachtendes Hohnlachen oder ein sprachloses bewunderndes Staunen wird in der ganzen von dem Pfaffentum emanzipierten Welt entstehen, wenn durch meine Lebensgeschichte öffentlich bekannt wird, zu welchem "Nachgeben" ich, als Don Juan und Wüstling verschriener Mann, mich diesem - derart zu mir gekommenen und derart "meine Frau" gewordenen Weibe gegenüber herabgelassen habe, nur um endlich Ruhe zu haben zur Betätigung meines seit vierunddreißig Jahren durch die "christliche" Unterdrückung meiner Eigenart untergrabenen und lahmgelegten und jetzt in meinem ruhe- und pflegebedürftigen Alter durch die roheste Selbstsucht dieses Wurmweibes noch weiter untergrabenen und lahmgelegten Kunstschaffensdranges! Und mit solchem, mit den für einen Mann von Geist und Charakter schmachvollsten und empörendsten Demütigungen durch die "christlichen" "Stellvertreter Gottes" verbundenem Nachgeben, um Ruhe zum Schaffen zu erlangen, habe ich statt dankbare Anerkennung und bescheidene Unterordnung einer so viel tieferen geistigen und gesellschaftlichen Bildungsstufe unter die meinige, feinfühlende Rücksicht auf meinen allein schon durch die Entfremdung und den Verlust meiner Kinder gemarterten Seelenzustand, bescheidene und achtungsvolle Zurückhaltung jedes Widerspruchs gegen mich im Beisein meiner Schüler, Rücksicht auf mein, nur in Gemütsruhe und -Heiterkeit mögliches, mir so entsetzlich erschwertes Kunstschaffen - habe ich statt allediesem das haarsträubende, in Bänden kaum zu beschreibende Gegenteil geerntet!

Wie der dümmste katholische Mistbauer den absurdesten Blödsinn des ihm eingetrich-terten Katechismus gegen die weltbewegenden Ideen eines Darwin, Schiller, Goethe als "unfehlbare, von Gott geoffenbarte, allein wahre und allein seligmachende Wahrheit und Religion" behauptet und verficht, "wie die Weiber, die beständig zurück nur kommen auf ihr erstes Wort, wenn man Vernunft gesprochen stundenlang!", so setzte mir "meine Frau" all den Pfaffenmist, den ich seit vierzig Jahren bis zum Grunde durchschaut, mit persönlichem Ekel zurückgewiesen und menschheitlicher Entrüstung bekämpft habe, von morgens bis abends bei jeder Berührung, im Beisein meiner Schüler in dem Tone der jedem fanatischen Katholiken eigenen pfäffischen Anmaßung und Zurechtweisung vor. Sie brach ein in ihrem Beisein mit einem Schüler (einem der tüchtigsten, für mich wertvollsten Gehilfen bei meinem Riesenschaffen) während der Erholungsstunde geführtes ernstes Gespräch über Religion und deren Mißbrauch durch das gewerbsmäßige pharisäische Pfaffentum mit dem Trumpf ab: "Du hast doch Deine Kinder nur deshalb verloren, weil Du abgefallen bist von der Religion und Deine Kinder ohne Religion hast aufwachsen lassen!" (Dfb: Testament)



Ehekreuzträger

12.1. 09 Dfb an seine Schwester über Mina: Jedes Wort, welches ich zu ihrer Schwester sprach... so fauchte sie mich, rot wie ein Puterhahn, mit zornglühendem Gesicht an, daß ich stets mit ihrer Schwester rede und niemals mit ihr ... So herrscht Trappistenschweigen, wie den ganzen Tag so auch bei Tische …

31.1. 09 Dfb an Emmy Meier, Capri: ... gibt es nur eine Möglichkeit zu seiner (Helios') Rettung: die harmonische Vereinigung Grethes mir mir! Scheitert diese an der Unfähigkeit Grethes, dann ist Helios rettungslos verloren! Diesen, im vorigen Herbst zuerst von meinem Sohne Lucidus in Hinsicht auf die dringend notwendige Unterstützung Maries in der Verwaltung der durch die Sorrentiner Gemälde verdoppelten Ausstellung ausgesprochenen Gedanken habe ich gestern in ausführlichem Schreiben an Grethe (Ronnek) klar entwickelt nach jedem Betracht. Der Umstand, daß ich, um nicht der Eifersucht meiner Frau zu furienhaft rasendem Ausbruch wieder Veranlassung zu geben, keine zwei zusammenhängende Sätze mit Marie sprechen kann, machte, zumal da jetzt Marie ebenfalls in schwerem Leiden ans Bett gefesselt ist, eine Vorbesprechung ... unmöglich. (Tgb 27, 95)

11.2. 09 An Ida Zerratte, Berlin-Steglitz:... ein alter erfahrener und zum Glücke als seltene Ausnahme unter Italienern gewissenhafter menschenfreundlicher Mann stellte nebst chronischem Allgemeinleiden heute Rippenfellentzündung mit schwerem Exsudat fest, die, wenn letzteres nicht auf innerem Weg zu absorbieren sei, eine Operation von außen zur Verhütung von Lebensgefahr nötig mache (115) ... Mir schwinden außer Bett die Sinne; was ich an einem Tage gequält gearbeitet, muß ich am andern übermalen, ohne bis jetzt die Vollendung zu erzielen (116) ...

Meine von den wenigen Menschen, die Würdigung für mich empfinden, als übermenschlich und unbegreiflich angestaunte Schaffenskraft ist gebrochen, und ein Bild, das ich früher mit sicheren flotten Strichen in einigen Tagen zu schaffen vermochte, bringe ich jetzt unter namenloser Qual in Monaten nicht zu Stande. In der stützenden Ruhe und gleichmäßigen Wärme des Bettes schreibe ich auf künstlich über dasselbe gebautem Pult einen Abschnitt meiner Lebensgeschichte, durch welchen ich meinen ältesten, jetzt 28jährigen Sohn zu retten suche vor einem gräßlichen Ende durch Selbstmord der Verzweiflung und des Irregewordenseins an seinem Vater (durch seine tote Mutter!). ... (117)

Für sie (Marie Vogler) ist Helios der Teufel, und der bloße Gedanke, seiner Bosheit nochmals ausgesetzt zu werden, macht sie wahnsinnig, läßt sie die heftigsten Vorwürfe gegen mich erheben, daß ich sie, die mir ihr Leben gewidmet, hinmorden lasse durch meinen faulen nichtsnutzigen Sohn, läßt sie ihren raschen Tod als einzige Erlösung in gräßlicher Verzweiflung, in lauten Selbstgesprächen herbeisehnen. (119) (Tgb Nr.27)

12.2. 09 An Emmy Meier, Capri: Die Katastrophe scheint mir immer mehr für Marie unabwendbarer als für Helios, weil sie - bei völlig erschöpftem und krankem Körper - in Hinsicht auf Helios an der Grenze ihres Verständnisses und - was schlimmer ist - ihrer Achtung für mich steht. Sie beurteilt und behandelt mich hier trotz meinen 58 Jahren von einem ähnlichen Wahnstandpunkte aus wie ihre Schwester. Während diese mein früheres Leben für ein "Vagabundenleben" erklärt hat, aus welchem ich nur durch sie auf meine jetzige höhere Lebensstufe gelangt sei, betrachtet mich Marie, in ihrer früheren Erziehungstätigkeit kleiner Kinder starr geworden, wie einen am Gängelband zu führenden unzurechnungsfähigen Knaben, und da ich ihr nicht folge und Helios, den sie für einen unverbesserlichen schlechten Lumpen und boshaften Satan hält, zu retten suche, für einen undankbaren gewissenlosen Schurken gegen sie. Über diesen Punkt, den sie mir schon früher wiederholt angedeutet hat, gegen den alle meine erklärenden Gegenvorstellungen ganz vergebens blieben, kann sie nicht hinüber; dieser Punkt, irre geworden zu sein an mir, sich von mir nur als "Arbeitstier" geachtet und der Roheit meines Sohnes preisgegeben zu wähnen, gibt ihr den Todesstoß. Ich halte die Katastrophe für unabwendbar. (Tgb 27, 121)


12. 1. 09 Dfb an seine Schwester Elisabeth: Jedes Wort, welches ich zu ihrer Schwester sprach, einerlei ob eine Anordnung bezüglich meiner Werkstätte, welche dieselbe neben der Ausstellung besorgte, oder eine Bemerkung philosophischen oder politischen Inhalts infolge meiner Zeitungslektüre - Bemerkungen, welche ich stets im allgemeinen und niemals an ihre Schwester allein machte, von meiner Frau aber stets entweder mit einem Kübel katholischer Pfaffenjauche übergossen oder, nachdem ich sie damit zurückgewiesen, mit geräuschvollem Knittern oder Umwenden ihres Romanbuches beantwortet wurden, ganz besonders aber, wenn ich in ihrer Abwesenheit, im Nebenzimmer oder in der Küche, auch nur ein einziges Wort, sei es über Pinselputzen oder dergleichen redete, so fauchte sie mich, rot wie ein Puterhahn, mit zornglühendem Gesicht an, daß ich stets mit ihrer Schwester rede und niemals mit ihr, daß ich stets ihre Schwester anblicke und niemals sie. Zu letzterem Vorwurf war dadurch Veranlassung gegeben, daß ich, auch wenn ich einige Stunden an der Staffelei gearbeitet hatte, mein Mittagmahl stets im Bett, halb liegend, sitzend einnahm, meine Frau, auf ihren Wunsch, respektive Anordnung, an meiner Seite, der schmalen Seite des Tisches, während die Schwägerin an der entgegengesetzten schmalen Seite des Tisches sitzt, sodaß ich mir in der beengten Bettlage den Hals nach der einen Seite verrenken müßte, um meine Frau anzublicken, und nach der anderen Seite, um die Schwägerin nicht anzublicken.

Mein, von der Schwägerin unterstützter Vorschlag, ihre Plätze zu wechseln, wurde gleichwohl nicht angenommen aus anderen Eifersuchtsgründen. So herrscht Trappistenschweigen, wie den ganzen Tag so auch bei Tische; jedes hat eine Zeitung oder ein Buch in der Hand und würgt sein Essen in entsetzlicher Gemütsstimmung hinunter. Und dabei soll ich gesund werden und in solchem Zustand und solcher Gemütsstimmung Kunstwerke schaffen, nur um das Geld zu verdienen, was dieses Leben kostet!

Aber nicht genug mit derartiger Verekelung meiner Mahlzeiten! Das mir abgezwungene Zugeständnis ihres Fleischessens wurde mit solcher Rücksichtslosigkeit auf meine Empfindung mißbraucht, daß sie, dicht neben mir, Sardinen und dergeichen aß, von deren Geruch mir das Erbrechen kommt, sodaß ich, um dies zu vermeiden, selbst keinen Bissen essen konnte und, soweit dies meine beengte Lage erlaubte, mich nach der entgegengesetzten Seite zu wenden gezwungen war und, als alles dies nichts nützte, ich ihr direkt sagen mußte, daß, wenn sie mein Erbrechen bei Tisch verhüten wolle, sie derartige Dinge wenigstens nicht in meiner Gegenwart essen dürfe. Eine Bemerkung, welche sie natürlich wieder in kochende Wut brachte, mich wohl fortan vor diesem Ekel bewahrte, nicht aber davor, solchen Geruch aus ihrem mir nahe gebrachten Munde erdulden und sie aus meinem Glas trinken lassen zu müssen, während das ihrige vor ihr stand.

Ein anderer natürlicher Ausdruck ihres Wesens, welches sie als "Weib des Jahrhunderts" (ihre selbsteigenen Worte!) nach den Lehren der Frauenemanzipation dem meinigen rücksichtslos und dummdreist trotzend immer mehr gegenüberstellt, ist das hastige Hinunterschlingen des Essens ohne zu kauen, was mir tagtäglich bei jeder Mahlzeit unsagbaren Ekel verursacht. Nach meinem tausendfältigen Predigen gegen diese hygienisch ebenso schädliche wie vom ästhetischen Standpunkte häßliche und gemeine "Sitte" - muß ich von einem derart in mein Haus und an meinen Tisch gekommenen Weibe solchen Ekel erdulden! Dabei hat sie auf meine Vorstellungen darüber jetzt noch stets Ausreden und Rechtfertigungen wie: "großer Hunger" (bei welchem sie dickgemästet ist, sodaß sich jedermann darüber aufhält; was sie aber als Kraft gebende Wirkung des Fleischessens triumphierend über den "undurchführbaren" Vegetarismus erklärt) oder: das Fleisch müsse man warm essen; wenn sie so langsam essen solle, wie ich es tue, würde ihr alles kalt und ungenießbar.

Ekel über Ekel, umso gräßlicher für mich, als ich seit 2 Monaten in meinem durch das lange Zubettliegen geschwächten Zustand und bei der Unmöglichkeit, hier diesem Zustand entsprechende Früchte und sonstige vegetabile Nahrung haben zu können, auf den dringenden Rat eines alten, von mir hochgeachteten Arztes unter ständiger, mir unsagbar schwerer Überwindung meiner inneren Empfindung wieder Fleisch zu essen gezwungen bin, was mir an sich schon, selbst bei sonst harmonischer Umgebung, den Ekel nahe legen würde. Nach dem Essen muß ich ständiges Schnalzen mit der Zunge zwischen den Zähnen, direkt bei meinem Ohre, anhören!

In meiner Jugend wurde ich von meinen Kameraden, die nur für "schöne" Mädchen schwärmten und "nicht schöne", still bescheidene Mädchen verletzend unbeachtet ließen, ausgelacht und abgewiesen, weil ich solcher Roheit gegenüber behauptete, daß ich lieber ein Mädchen, dem die Nase oder ein Auge fehle aber eine edelweibliche Seele besitze, lieben würde als ein auf seine Schönheit eitles, und ich betätigte diese meine verlachte Behauptung bei jeder gebotenen Gelegenheit, bei Bällen, Eislauf etc. durch mein ganzs Leben mit inniger und reicher Befriedigung meines Seelenempfindens für das Weib. Es wird mich niemand, der nur das geringste Verständnis für mein Wesen besitzt, für fähig halten, daß ich meine Frau, weil sie kein "schönes" Gesicht hat, weil sie durch die in ihrer Kindheit erlittenen Blattern ein Auge verloren hat, welches sie später durch ein künstliches ersetzen ließ, nicht anschaue, oder weil ich sie ungerecht oder aus noch niedrigeren Motiven ihrer Schwester nachsetze; aber jedermann, der die Gesetze der Physiognomie kennt, nach welcher sich der Charakter der Seele eines Menschen in dessen Gesicht ausdrückt, wird es begreifen, daß mir der Anblick eines Weibes widerlich sein muß, welches ich trotz Mangels einer höheren gesellschaftlichen und geistigen Bildungsstufe und trotz Mangels jeglichen körperlichen Reizes für mich als Mann auf seine Bitten und heiligen Versicherungen, meinem Lebensideal zu dienen und zu folgen zu mir genommen und welchem ich im Vertrauen auf diese Versicherungen die gesetzlichen Eherechte aus rein menschheitlichen Gründen gegeben habe. (Tagebuch Nr.27)

Top


Paul gegen Mina und Marie, Mina und Marie gegen Paul (1910-12)

Sowohl Mina wie Marie stemmen sich gegen Diefenbachs innigen Wunsch, seine Tochter und deren Kinder um sich zu haben. Hindernisgrund ist Paul, von dem sich die Schwestern schlecht behandelt fühlen. Sie drohen Diefenbach zu verlassen, wenn Paul kommen sollte. Mina weigert sich aber auch, mit Marie weiter zusammen zu leben. Vor dem Druck der Drohungen und Zwistigkeiten weicht Diefenbach nach Neapel aus. Als Marie ihm dorthin nachkommt, löst er die Verbindung mit beiden. Mina und Marie verlassen Capri im Februar 1912. Ende des Dramas. Diefenbach atmet erleichtert auf. Ende Juni 1912 kommt seine Tochter mit Familie nach Capri.

2. 6. 10 Dfb an Stella: ... Euer Nichterfassen ... keine Geldunterstützung mehr ... Erheiterung durch Deine Kinder! ... fundamentales Lebensbedürfnis ... Drohung Mina's und Maries, mich zu verlassen, wenn die "Spaun-Wirtschaft" wieder bei mir einziehe ... sofortige Ausführung ... Briefe Beethovens gelesen ... Schreiben an Avenarius ..

19. 6. 10 Mina an Paul: ... warum ich es zurückweise, mit Euch zusammen zu leben und zu wirken ist ein moralischer: Die Nichtwürdigung, die Ihr meiner Person und meiner Stellung im Hause entgegenbringt.

2. 8. 1910 Dfb. an Stella in Kronberg-Böheimkirchen über Paul:das Widerstreben Minas und Maries gegen diese Wiedervereinigung und ihre Drohung, mich zu verlassen, bei deren Beschließung und Ausführung ... Geld - Civiltrauung - Tabaklaster ... (Briefe an Stella)

19. 9. 1910 Dfb an Mina: Ausweisung Minas angedroht?

30. 4. 1911 Mina: Ich leide viel durch Marie und da ich mich geweigert habe, mit ihr weiter zusammen zu leben resp. mit ihr das neue Haus zu beziehen, so werde ich ja wieder gehen müssen. (Tgb 29, 100)

12./14. 5. Dfb von Anacapri "Hotel Paradiso": Mina und Marie sollen Capri verlassen - Stella mit den Kindern soll kommen! (Tgb 29, 106-9)

22. 5. 1911 Dfb grundsätzlich über die Unmöglichkeit, die Ehe mit Mina fortzusetzen. Anrufung von Ignaz Cerio als Schiedsrichter. (Tgb 29, 124-132)

3. 6. 1911 Letzter Tag in Neapel. Der Höllenlärm dieser Stadt war eine Friedens-Oase für mich gegenüber der Schweige-Hölle, welche mir der "christliche" "Standpunkt" (!) "meiner Frau" in Capri aufzwingt. Mein Herz krampft sich und pocht in beängstigenden Schlägen bei dem Gedanken, in diese Hölle zurückkehren und bis zu meinem Tode aushalten zu müssen. Nichts würde mich hierzu bewegen können, wenn nicht meine leidende Altersschwäche mich dazu zwänge! (Tgb 29, 134)

30. 6. 1911 Dfbs Formulierung "Krieg". (Tgb 30, 8)

3. 1. 1912 Marie nach Neapel gekommen. Am 7.Januar unerwartet in Capri, Villa Mercedes (bei v.Reinke). Bestürzung Dfbs. (Tgb 30, 44-47)

9. 1. Dfb an Marie Vogler: Dein Hierherkommen, dessen Motive ich Dir nachfühle, löst zugleich auch meine Verbindung mit Deiner Schwester ... (Tgb 30, 48)

9. 1. Dfb an seine Frau: Aus meinem Schreiben an Deine Schwester ersiehst Du die Lösung unserer Verbindung, die für Dich nicht weniger als für mich zur unabweisbaren Lebensnotwendigkeit geworden ist. ... bis zu Deinem Tode monatlich 100 L. von mir ... (Tgb 30, 48)

13. 1. 1912 Nachmittags entführte der Dampfer für immer das Wurmweib (Mina!) von meiner Seite (zugleich auch Marie) (Tgb 30, 49/50)

13. 2. 1912 Dfb an August Püringer, Dresden: Noch zittert jeder Nerv in mir über das durch die zweite Ehe Erduldete, noch habe ich keinen "weiblichen Diefenbach" gefunden, dessen ich bedarf, um die Wunden zu heilen, die mir "großen Kinde" die selbstsüchtigen Philisterseelen "christlicher" Wurmweiber (auch die Magda Bachmann, die zu Ihrer Zeit im Kaisergarten von Wien zu mir kam, zeigte sich als solches) geschlagen haben - (eine geniale junge Russin, groß im Leben wie in der Kunst (Musik-Componistin, Malerin) kann sich in Rücksicht auf ihre Eltern nicht an meine Seite stellen) aber, unterstützt und beschützt von Helios und Lucidus, die seit Dezember nach langjähriger tragischer Entfremdung wieder mit mir vereint sind, atme ich trotzdem erleichtert auf, befreit vom mich würgenden Alb "christlicher" und "emanzipierter" Weiblichkeit. (62f.)

Ich habe mir jetzt den Vorraum meiner (großen) Werkstätte als Wohn- und Schlafstätte eingerichtet, umgeben von den Bildern meiner Eltern, meiner Jugend- und meiner Manneszeit und meiner Kinder, den lebensgroßen Bildern Helios', wie ich ihn mir dachte als Verkörperer und Verkündiger meines Menschheitsgedankens, Stellas zusammen mit der unvergeßlichen Katinka, Otto Drießens und jener jungen Russin, meinem Klavier, dem Bilde Beethovens (mit ihrem Bilde); das mir nach rastlosem Tagesschaffen an der Staffelei meine einsamen Abende durch die göttlichen Töne Beethovens - für mich die höchste Gottesoffenbarung der Menschheit - erleichtert und mich vor dem Gespenst des Wahnsinns schützt, das mich in meiner himmelschreienden Vereinsamung angrinst. Hätte ich nur die Kinder Stella's um mich ... (Tgb 30, 63)


7. 12. 1913 Dfb an Frau Mina Diefenbach. Wien: Im Auftrage Dfbs ... durch seinen Sohn in Cairo zu veranstaltende Ausstellung ... (Tgb 31; 878)

15. 12 1913 Tod von Diefenbach.


Mina und Marie

Top


Verwitwet und verlassen: Leben und Tod von Mina und Marie (1912-1940/41)

Die Vogler-Schwestern haben nach dem Weggang von Diefenbach noch in Wien weiter gearbeitet, kamen schließlich in ein städtisches Altenheim, wo es ihnen gar nicht gefiel. Schließlich erlöste sie meine Mutter [Stella] und nahm sie in Dorfen auf. Hier sind sie auch gestorben und ruhen im Grab meiner Mutter in Dorfen.

(Brief von Fridolin von Spaun vom 1.10.1996)

Sterbeurkunde:

Wilhelmine Diefenbach, geb. Vogler, katholisch, wohnhaft in Dorfen, ist am 13.Feburar 1940 um 14 Uhr 30 Minuten in Wolfratshausen (Krankenhaus) verstorben. Die Verstorbene war geboren am 13. Januar 1865 in Wien. Die Verstorbene war die Witwe von Karl Wilhelm Diefenbach.

Sterbeurkunde:

Maria Vogler, katholisch, wohnhaft in Dorfen, ist am 01.Juni 1941 um 20 Uhr 30 Minuten in Wolfratshausen (Krankenhaus) gestorben. Die Verstorbene war geboren am 26. August 1861 in Wien. Die Verstorbene war nicht verheiratet.

Top