Der
Lieblingsjünger
Diefenbachs
Lieblingsjünger: der erste und am innigsten liebende, sein „Johannes“
sozusagen, und der am tragischsten endende, in erzwungener Trennung und
frühem, selbstgewolltem Tod
Otto
Driessen wird schon im Sommer 1884 auf Diefenbach aufmerksam. Er ist
ein begeisterter Anhänger von Professor Jäger, der eine wollene
Reformkleidung propagiert, und wird unter dem Eindruck der Vorträge
eines Dr.Aderholt auch Vegetarier. Driessen, der sich in seinem
Eltern-hause unverstanden und einsam fühlt, möchte mit Diefenbach in
Kontakt kommen, kann ihn jedoch zunächst nicht erreichen.
Als
dieser dann am 10. Oktober seine erste öffentliche Rede "Über die
Ursachen des menschlichen Elends" hält, nimmt Driessen die Gelegenheit
wahr, den Verehrten anzusprechen. Er ist jetzt überzeugt, in ihm den
Menschen gefunden zu haben, den er gesucht hat, schwebt auf Wolken des
Glücks. Er weint sich an der Brust seines Meisters aus, der ihm den
Namen Lucidus, der Leuchtende, gibt. Im November macht er seinen ersten
Besuch in Thalkirchen, an Weihnachten zieht er dort ein und betätigt
sich als Helfer. Als Frau Diefenbach in die Wohnung eindringt, um
Helios zu entführen, versucht er diesen zu schützen, kommt aber gegen
die wildgewordenen Weiber nicht auf. Meister und Jünger bewegen den
Gedanken an ein Kinderasyl, besichtigen auch schon ein Anwesen, das als
künftige Behausung in Frage kommt.
Doch
Ende Februar 85 wird Driessen von seinem Vater nach Berlin
zurückgeholt, nach der Darstellung von Diefenbach unter Anwendung
körperlicher Gewalt. Warum kann Driessen sich diesem Zwang nicht
entziehen? Ist es die finanzielle Abhängigkeit, die ihn ans Elternhaus
bindet, der Wunsch, sein Studium mit Examen abzuschließen, den auch
Diefenbach als für das gemeinsame Vorhaben nützlich unterstützt? Oder
hat die harte und manchmal enttäuschende Wirklichkeit der
Diefenbachschen Existenz seine Begeisterung schon etwas abgekühlt? Es
fällt auf, daß sein Tagebuch, das ja wohl auf Wunsch seines Meisters
angelegt wurde, schon nach kaum vier Wochen, am 26.Dezember 84, wieder
endet. Eine seiner letzten Eintragungen lautet: "Homo [d. i.
Diefenbach] war sehr schwach und empfindlich. Ich kämpfte meinen
inneren Zorn nieder. Hülsenbeck war da. Homo sagte zuviel; der Mann
sieht auch nur seinen Vorteil, das Ideal ist ihm gleichgültig." (23)
Wenn die beiden letzten Satzteile auf Diefenbach zu beziehen sind, wie
es den Anschein hat, dann ist eine gewisse Ernüchterung unübersehbar.
Ein
lebhafter, geradezu stürmischer Briefwechsel zwischen
Thalkirchen/Höllriegelskreuth und Berlin entspinnt sich, von
Diefenbachs Seite (die allein hier vorliegt) mit spontaner Offenheit
geführt. Immer wieder ermahnt und ermuntert er den jungen Freund, dem
er seine eigene Siegesgewißheit gegen alle Widerstände einimpfen will:
"Halte Deinen Mut aufrecht und studiere ruhig! Du bist
auf gutem Wege und wirst Dein Ziel erreichen" (18.6.1885). Man gewinnt
den Eindruck, daß der von Haus aus eher schwermütige
Driessen solchen Zuspruch nötig hatte. Driessen stellt in Berlin eine
direkte Verbindung her zu dem Reformprediger Johannes Guttzeit, der
dort ein 'Zentralblatt für Menschlichkeit' herausgibt, in dem
Diefenbach offenbar häufig besprochen, aber auchs scharf von
Gesinnungsgenossen angegriffen wird. Diefenbach will Guttzeit als
Helfer zu sich holen, Driessen warnt, kann seinen Meister aber nicht
überzeugen.
Guttzeit
schickt zunächst seine Schwester, und auch Driessen kommt im August 85
zu vierzehntägiger Hilfe nach Höllriegelskreut. Im Herbst 85 schließt
sich Johannes Guttzeit dem Meister als Mitarbeiter an. Nachdem jedoch
beide Guttzeits, Johannes wie Elisabeth, die Einöde wieder verlassen
haben, ruft Diefenbach im Januar 86 dringlich die Hilfe seines Jüngers
an. Er hat einen Vertrag mit dem Verleger Ströfer über seine
'Kindermusik' abgeschlossen und soll seine Arbeit bis Februar liefern,
kommt aber nicht damit zurande. Endlich, im Juni 86, kann "Lucidus"
sich losreißen, wie es scheint, unter dem Vorwand seiner
Erholungsbedürftigkeit. Um die Eltern von Driessen zu beruhigen, setzt
Diefenbach einen Vertrag auf, in dem er Driessen "zur ärztlichen
Leitung meines im Entstehen begriffenen Kinder-Asyls" bestimmt. Eines
Asyls, das es noch gar nicht gab!
Am
13. Juni 1886 kommt Otto Driessen nach Höllriegelskreut und führt dort
im Juni und Juli Diefenbachs Tagebuch. Wegen der andauernden Konflikte
mit Frau Diefenbach und um mehr Ruhe zum Arbeiten zu haben, ziehen
Meister und Jünger nach etwa vier Wochen gemeinsam in das Hotel
Rottmannshöhe über dem Starnberger See. Der erhoffte Arbeitsfortschritt
an der dringlich fertigzustellenden 'Kindermusik'
stellt sich jedoch nicht ein, da Diefenbach andere und, wie Driessen
meint, illusionäre Projekte verfolgt. Darüber kommt es zum Streit und
zur Entfremdung zwischen den beiden, mit der Folge, daß Driessen am
19.September seine Koffer packt und abreist.
Ob
es danach noch einen nennenswerten Briefwechsel zwischen Meister und
Jünger gegeben hat, ist nicht klar. Bekannt ist mir lediglich ein Brief
Diefenbachs vom 17.Juli 1887, in dem er Driessen wegen seines
Hodenleidens um ärztlichen Rat bittet. Etwa um diese Zeit, im Juli 87,
muß Driessen in Berlin gestorben sein. Nach einem späteren Bericht
Diefenbachs hat er seinen Tod wissentlich und willentlich durch
Selbstvergiftung herbeigeführt.
Diefenbach
hat diesem Jünger ein hohes Andenken bewahrt. Im Rückblick seines
Alters sah er in ihm den einzigen unter seinen Anhängern, der seine
Ansprüche erfüllte und der sein Werk hätte fortsetzen können. Das
verklärende Bild verdrängt allerdings die Tatsache, daß auch dieser
Jünger gegen ihn revoltiert und sich letztlich von ihm abgewendet hat.
Ob
er sich wirklich abgewendet hat oder ob er eher dem Druck seiner Eltern
erlegen ist, läßt sich aus den vorliegenden Zeugnissen nicht beurteilen.
Auszüge
aus dem Tagebuch von Otto Driessen,
aus Briefen
seines
Meisters und aus anderenQuellen
I.
Beginn und Hochzeit der Jüngerschaft (Oktober 1884 - März 1885)
12.
10. 84 Der
erste, am 12.November [Irrtum: Oktober 1884] gehaltene öffentliche
Vortrag ... führte Diefenbach einen jungen Mann zu, der, begeisterter
Aufopferung fähig, ihm in den nächsten Jahren wesentliche Stütze
gewesen ist ... Student der Medizin Otto Drießen
... Am Ende des Jahres 1884 schrieb jener junge Mann ... "Und wenn ich
auch mit 'Homo' allein bleiben sollte, Thalkirchen ist der Punkt
ausserhalb der Welt. Wir wollen dieselbe bewegen." (CD 23/24)
28.
11. 84
O.Driessen
wandert
mit Dfb nach Thalkirchen. Notizbuch: "Ich ziehe zu ihm." (Tb OD 6)
30.
11. 84 Tb
OD: Ich hörte Dich
und ging mit Dir hinaus. Zum ersten Male sah ich Helios, Stella und
Deine "Frau" ... Dank Dir, Mensch, endlich, zum ersten Male in meinem
Leben konnte, durfte ich an der Brust eines mir nahestehenden lieben
Menschen weinen. Du ersetztest mir in dem Augenblick Vater, Mutter,
Freund, Lehrer. (7)
2.
12. Thalkirchen,
den 2.Dezember 1884. - An Otto Driessen / München / Lindwurmstr.39/I
Dein
Besuch wird mein Herz erquicken; ich fühle mich unsäglich schwach und
bin überlastet von tausend Seiten. Du kannst mir jetzt schon mehr
helfen als Du weisst und glaubst ...
Diefenbach.
4.
12. Tb
OD: Abends hörten wir ... den Vortrag über Volapük. ... Nachher
sprachst Du über Religion und rissest mir ein Teures nach dem andern
aus dem Herzen. (8)
6.
12. Tb
OD: Des Abends hörte ich den Vortrag ... über Jägers Entdeckung der
Seele und weigerte mich, über mein erhabenes Vorbild, Professor Jäger,
am Biertisch zu diskutieren. (8)
7.
12. Tb
OD: Am 7ten sprachst Du in Deinem Vortrage schon schärfer ... Abends war Volapükverein
Konstituierung. (8f.)
8.
12. Otto
Driessen beginnt
sein Tagebuch. (Tb OD)
10.
12.
Tagebuch
OD: Lucifer
hat mein Meister mich genannt! ... Als ich mit Dir in der Wildnis der
Sonne entgegenging, zum ersten Male in meinem Leben der aufgehenden
Sonne, da war es entschieden. (2) ... Ich bin auserwählt. ... Ein Reich
der Liebe soll erstehen! ... Ja, das Paradies liegt vor uns! Auf denn,
es zu suchen! ... Ich stand allein von jeher, ruhelos irrte ich umher,
bis ich an Deine Brust sank, Homo! Ja, ich habe gefunden, was ich suchte, einen Menschen! ...
Ich habe alles aufgeboten, Dich im Sommer zu sehen, jeder sah Dich,
wenn ich kam, warst Du fort. ... Als ich dann die Vorträge Dr.Aderholts
hörte, fühlte ich meine Kraft erwachen. Ich wurde Vegetarianer. ... Die
Sache begeisterte mich, die Vertreter derselben imponierten mir nicht.
Ich selbst fühlte mich anders. Da sah und hörte ich Dich und hätte laut
auflachen mögen; mir war mit einem Male klar, Du bist derjenige, den
ich suchte (5) ... Ich will ein Priester sein, gleich Dir. (6)
12.
12.
Tb
OD: Dr.Hacker sagte zu Diefenbach: "Ich begreife nicht, wie Sie den Mut
haben, dergleichen Dinge in öffentlichen Vorträgen zu sagen". (10)
13.
12.
Tb
OD: Sobald ich konnte, eilte ich abends nach Thalkirchen hinaus, ich
schwebte, ich fühlte mich so leicht. ... Dann gingen wir zum Vortrag.
Ich nahm Helios mit. Homo und Helios entzückten die Zuhörer. Heute
haben wir einen Sieg errungen. Ich ging mit Homo auf die Insel, wir
sahen das Haus und suchten einen Platz aus für das grosse Asyl. (11)
... In der Nacht träumte ich von einem Kampf ... (12)
17.
12.
Tb
OD: ... "Wo ein Priester hintritt, wächst kein Gras mehr." ... Jetzt ginge ich mit Dir ...
der aufgehenden Sonne zu, in Gottes herrlicher freier Natur, da betet
man. Und nur da ist Frieden, Ruhe. (14) ... Ich habe seit 3 Tagen Homos
Tagebuch hier. (15)
21.
12.
Tb
OD: Sonntag 10 Uhr war Vortrag. Homo sprach vorzüglich, siegesbewusst.
... ziehe für die Weihnachtsferien hinaus ins Paradies, nach
Thalkirchen. ... Ich möchte jetzt schon gern meinen
Religionswechsel, vielmehr meine Verbesserung in der Hinsicht
schreiben. Das wird aber einen Sturm geben ... (17)
22.
12. Tb
OD: Homo lag den ganzen Tag mit heftigem Fieber zu Bett. Ich arbeitete
die Einrichtung der Bibliothek. ... Antonio, ein Italiener, welcher
Homo helfen soll ... Lübenau (Fidelis) ist unpraktisch, unselbständig,
mürrisch, leicht gereizt. Helios zuweilen eigensinnig weinend. ... Nach
unserer Auffassung darf nur durch reine Liebe solch junges Bäumchen
erzogen werden. (18)
24.
12. 84 OD
bei Michael G.Conrad: Mittwoch 24.12. besuchte ich für Homo
Rechtsanwalt Dr.Bernstein. Er war geschäftsmässig und schrieb sich die
Adresse in sein Buch. Dr.Georg Conrad (Jägerianer) schien ein geistig
höherstehender junger Mensch. Er war sichtlich erfreut über Dfbs
Aufforderung, ihn zu besuchen, und war freundlich. Er scheint mit
seinem hübschen stattlichen Weiblein gemütliches Leben zu führen, wie
es mir früher als Ideal vorstand. (19)
25.
12.
Dann
zog ich hinaus, es schlug Mitternacht, die Glocken riefen zur Mette.
(20) Da ging ich durch die Isarauen oder schwebte, denn es kam mir vor,
als wäre ich in einem Feenpalast. Die weissen Bäume bildeten einen
märchenhaften Baldachin. Der Boden weiss, so rein. Darüber ein
magisches Licht und ruhige, wie verzauberte Luft. Nur weit, ganz leise
hörte ich das Rauschen der Isar. Und in der Umgebung ich, das
Christkind mit meinen Idealen, der Welt ein Christkind zu sein mit
meinem Kampfe ... Dann kam ich nach Thalkirchen. Homo freute sich, mich
zu sehen, er hatte offenbar an mich gedacht. Ich war so froh, so
glücklich, ich lag an seiner Brust, wir erneuerten unseren Bund. (21)
Weihnachten.
... Mit einem Arm voll Holz, das ich gesägt, kam ich herauf. Antonio
sagte kaum guten Morgen, Lübenau sah mich an und schwieg. Lübenau nahm
die zwei besten Schnitten, welche ich für Homo geschnitten, und setzte
sich mit einem Seufzer ruhig zum Frühstücken. ... Aber auch Homo war so
kalt und still. ...
Nun
habe ich meinen Glauben verlassen, meine Eltern, Geschwister, Freunde
verlassen, um die Religion der Liebe, der Freude zu finden, und finde
nur traurige, mürrische Gesichter, fressbegierige Menschen. Und ich
weinte bitterlich. ...
Dann
gingen wir hinauf. Hier oben, bei der Menterschwaige, schüttete ich
mein Herz aus, ganz, alles habe ich Homo gesagt, das war meine Beichte.
Und ich war ruhiger und befriedigter als in früheren Jahren. Es war,
als seien mir die Augen aufgegangen. Ich sah ein Licht, es war nicht zu
beschreiben, die Welt war so schön geworden. (22)
26.
12. 84 Homo war
sehr schwach und empfindlich. Ich kämpfte meinen inneren Zorn nieder.
(23) ... Doch werden stets mir die beiden Männer vorschweben, die mich
zur Erkenntnis gebracht haben. Jäger in Bezug auf die Kleidung,
Diefenbach in Bezug auf die ideale Seite der Nichtkleidung und des
Essens. Der Bauchvegetarismus, wie ich ihn seit Jahren kannte,
imponierte mir nie und ich ging auch nicht dazu über. Jetzt bin ich
Vegetarier und esse nichts mehr, was vom Tiere kommt. (24)
[ENDE
des Tagebuchs von Otto Driessen.]
1.
Jan. 1885 Zusammen
mit Otto Driessen und Helios und einem Italiener "Antonio" - getrennt
von seiner Frau und seinen 2 kleinen Kindern.
5.
Febr. [Dfb
aus Thalkirchen an Driessen in Berlin?] Lucidus! ... Noch tobt alles um
mich her; mein bloser Name gibt Aufruhr
unter diesen Jammermenschen; doch das Ende ist nahe; ich unterlasse Alles, um malen
zu können. Das Bild von Sinners Vater ist fertig, höchste Wirkung
des Erstaunens und Bewunderung über Lebendigkeit ... Ruhe ist die erste (die
Bedingungs)-Tugend des Weisen ... Gott ist die Ruhe!
Homo Diefenbach.
Diefenbach
hat Maximiliane Schlotthauer, genannt "Maja", eine ehemalige Geliebte,
die von seiner jetzigen Frau verdrängt worden war, zur Hilfe gerufen -
und verschärft damit den ehelichen Konflikt.
7.
Febr. Ankunft
von Maja
(von Italien her kommend). Nach schier unglaublichen Hindernissen
schickte Lucidus [= Driessen] sein Studiengeld (150 M.)
an sie mit Telegramm "Höchste
Gefahr".
Am
7.Februar Rückkehr [von Maja nach Thalkirchen] - Driessen mit Helios an
der Hand holen mich am Bahnhof ab. - endlich angekommen in d. Wohnung
lag ich mit einem Freudenschrei an seiner Brust. Mein jahrelanges
Sehnen ward endlich gestillt und ein neues, überglückliches Leben
begann für mich.
(Tgb IV, hier von Maja am
18.März rückblickend geschrieben)
12.
Febr. D.
hatte, als die Schlotthauer zu ihm kam, seinen Sohn Helios bei sich und
den Ehescheidungsprozeß eingeleitet. Am 12.Februar 1885 stand
Sühne-Termin vor dem Amtsgericht an. (CD 25)
(Am
12.Febr.) wurde C.(arl)
aufs Landgericht gerufen - wegen Ehescheidung, um 10 Uhr. Seine Frau
benutzte die Gelegenheit, um Helios zu rauben, was ihr mit höchster
List gelang. Driessen sprang, ihr das Kind zu entreißen, wurde aber von
den wild gewordenen Weibern mit Beißen und Kratzen abgewehrt und kam
marmorbleich zurück, lag einige Zeit besinnungslos.
C.(arl)
kommt 10 h heim - große Aufregung - Anzeige bei Gendarmerie
(Protokoll). Antonio (Italiener) muß das Haus sofort verlassen. Am
15.Febr. holt er seine Sachen und O.Dr. die Sachen aus der Wohnung von
Frau Dfb. (Tgb
IV)
26.
Febr. Dfb
und Driessen gemeinsam spaziert - das leere Anwesen "Waldheim"
gefunden.
27.
Febr. Beide
mit Schlüssel zu dem Anwesen, 2 h zurück. 3 h kommt der Vater von
Driessen und fordert seine sofortige Rückkehr.
(Tgb IV)
28.
Febr. Beide
lassen sich bei Albert fotografieren. Abends schmerzlicher Abschied.
(Tgb IV)
Driessen
wird von seinem Vater nach Berlin weggeholt.
1.
März Otto
Driessen 6.50 morgens Abfahrt von München. (Tgb IV)
II.
Briefwechsel mit dem Meister und kurzfristige Aushilfe (März 1885 -
Juni 1887)
27.
März 1885 [Dfb
an Driessen in Berlin:] Lucidus!
Noch
immer in Hoch-Flut, doch nahe dem Hafen; noch rast der Sturm - so
wütend als je; doch sichere Rettung in kürzester Zeit.
Oh
könntest Du hier sein, die Brust würde Dir schwellen im Hochgefühl
gewaltigen Ringens! Doch dulde geduldig Dein Los! Jegliche Trübsal
treibt Keime späterer Wonne, von der wir vorher nichts geahnt. Verzeihe
den Menschen, die Dir jetzt Wehe bereiten; sie wissen ja nicht was sie
tun. Sorge Dich nicht um mich; denke nur Ruhe zu
finden zum Lernen, denk
allein an den Zweck der Prüfung ... Und welcher Himmel
steht uns bevor! - So nahe!
Das
Landgut ist nicht gekauft, trotzdem Sinner M.18000 für mich bar
beschafft hatte; seine Familie widersetzte sich dieser Verwendung des
Geldes - doch mir zum Heile,
"es riss mich nach oben"! M.2000 habe ich erhalten, die übrigen sind
hier von Sinner sicher deponiert zu augenblicklicher geeigneter
Verwendung. Meine Gemälde schreiten vorwärts ... heiliges Feuer
durchglüht mich, immer höher mir hebend Geist und Herz und stützend
meine natürliche Schwäche. Göser ist gestern entlassen; gleich Assmuss
und allen den anderen wollte auch er mich belehren und meistern, statt
mir zu dienen zur Verwirklichung meiner Ideen. Zur Schlange ward mir
seither noch jeder Wurm, des Elends ich mich erbarmte. Arme,
verblendete Menschen! Was ausserhalb ihres beschränkten Gesichtskreises
liegt, ist ihnen "Schwindel", "Verrücktheit", "Grössenwahn und
Selbstüber-schätzung".
Das
rohe Weib hat drei Tage Haft, ihre Helferinnen je zwei, wegen "groben
Unfugs" erhalten. ... Die Zeitungen schweigen seither; ich vermeide
jegliches Aufsehen; doch wenn ich, notgedrungen, die Stadt betrete,
herrscht immer grösser werdendes Gedränge um mich; ehrerbietigen Gruss
erhalte ich von Fremden, der Spott verstummt, selbst die Gassenbuben
haben ihre Gesinnung gegen mich geändert; das "Volk" zieht mir nach mit
wahrhaft heiliger Scheu und bespricht sich auf offener Strasse über
mich. Teilnahme für die mir geraubten
Kinder finde ich überall und höchste Spannung auf den Gerichtstag, der
mich befreien wird von der drückenden Fessel des rohen, selbstsüchtigen
Weibes. Die armen Kinder! als Geiseln gegen mich werden sie gehalten;
ich habe sie nicht mehr gesehen, ausser als "die Gemahlin" sie selbst
zum Fotografen brachte. Die Kinder hingen an mir, stumm mich umarmend.
... Aderhold geht jetzt, nachdem er in München kläglich Fiasko gemacht
und erbärmlich an mir gehandelt hat. ... Maja entwickelt sich langsam,
doch sicher; ich habe es nicht zu bereuen, sie wieder zu mir genommen
zu haben trotz der vielen und grossen Gefahren, die jetzt noch durch
sie mir erwachsen.
Der
Brief Deines Bruders [Clemens] ist wertvoll
...
31.
März 1885 Lucidus!
...
Du
bist nicht verlassen, wie ich es war, wir haben uns gefunden in "Gott"
- die "Welt" vermag uns nicht zu trennen!!! Omnia vincit amor! Nichts -
auch das härteste Martyrium kann ihr widerstehen. Dulde mutig, dulde
freudig! Auch wenn es Herzblut kostet. Ich wusste nicht, dass das Alles
naturnotwendig war. Mir sagte es kein Freund, und bis ich zum
Bewusstsein kam, dass der "Menschensohn" und Menschenfreund leiden
muss, glaubte ich hundertmal sterben zu müssen. - Omnia vincit amor! -
Die Liebe überwindet den Tod! Auch meine "Liebe" hat den Tod, dem ich
so oft ins Auge geschaut, überwunden; - ich lebe, solange ich Liebe
empfinde. - Und wenn tausendmal der Dämon der Menschheit den Götzen der
Selbstsucht auf den göttlichen Thron der Liebe erhöht - die Liebe, der
wahre Gott, stirbt nicht.
20.
April Dfb
an OD: ... Hier weht es gewaltig; ich halt' es nicht mehr aus ohne
öffentliche Reden. In Ruhe will ich mich diese Woche sammeln und
stärken zu wuchtigem Schlage; nächsten Sonntag 10 Uhr stehe ich wieder
im Feuer. ... Noll ist abgereist ohne Wort ... - "Der Starke ist am
mächtigsten allein"! ... Homo.
Driessen
gerät unter den Einfluß der Theosophie. Diefenbach zieht in den
Steinbruch von Höllriegelskreut. Er trennt sich von Maja und ruft den
Naturprediger Johannes Guttzeit zu sich. Zunächst kommt aber dessen
Schwester Elisabeth und wird seine Geliebte,
der er den Namen "Fidelis" gibt.
10.
Mai Dfb
an OD: ... Deine Hinneigung zum Spiritualismus ist selbstredend ... ich
glaube Dir gesagt zu haben, dass ich auch in dieses Gebiet Blicke
getan, die mich mit hohem Bewusstsein für die Zukunft der Menschheit
erfüllen. ... Mein inneres Schauen ist namenlos - oh welche Wonne wird
uns erfüllen, wenn wir uns Ruhe erkämpft haben ... "Eins mit Gott"
heisst unser Ziel. Wir kämpfen den Kampf des reinen Geistes gegen den
Satan ... Gott ist mit uns, wer will wider uns sein?!
Homo.
Falls
Du zu Gericht verlangt wirst betreffend Kindsraub ... Zeugenschaft ...
wie Dich die beiden Frauenspersonen verletzten ... Herzlichen Gruss Maja.
18.
Juni Dfb
an OD: ... Der tobende Sturm um mich isoliert mich auch von Dir!
Gedulde Dich! Vertraue, glaube, hoffe, liebe! ... Homo.
3.
Juli 85 Lucidus!
... Hiermit die ganz nüchterne Nachricht, dass ich gestern den
verlasssenen Steinbruch und das dazugehörige Haus bei
Höllriegels-Gereute gepachtet und die Herrichtung des letzteren zu
möglichst passendem Wohn- und Arbeitsraum angeordnet habe. ... Ich ...
ziehe mich zurück in so stille Einsamkeit, dass ich meinen "Rivalen"
als "ganz tot" erscheine. Ich
ziehe mich vor meinen "Rivalen", nicht vor den Feinden meiner
Prinzipien zurück!
8.
Juli Lucidus!
Ein Wort über mich in Nr.4 des "Zentralblattes" wäre von grossem Werte.
... deshalb bitte ich Engelmann ... und bitte jetzt Guttzeit, mich ...
zu besuchen. Es hat allen Reformbestrebungen unserer Zeit der zu ihrem
Gedeihen absolut nötige innere Zusammenhang, ein fester mächtiger
Zentralpunkt ausserhalb der "Gesellschaft" (intra ecclesia nulla
salus!) gefehlt, alle Reform-"Parteien" bekämpfen sich gegenseitig ...
Diese Äusserungen meines "Berufes" hat mir seither von allen Sorten
meiner "Gesinnungsgenossen" den Vorwurf der Selbstüberschätzung,
Anmassung etc. eingetragen ... Der Kerl ist wirklich ein Narr! sagten
alle Gesinnungsgenossen und prügelten auf mich los
...
9.
Juli Lucidus!
Suche von Guttzeit und Engelmann die gegen mich einlaufenden "Proteste"
zu erhalten. .. Ich habe noch immer täglich Unaussprechliches zu
erdulden - aber bald, bald winkt die Erlösung. Homo.
Nach Berlin, Luisenplatz 4/III
10.
Juli
[Dfb
noch aus Thalkirchen an OD:] Lucidus!
Jeder
Tag bringt Gewaltiges ... Feinde ringsum! Mit Dreinschlagen erreiche
ich jetzt nichts, die Übermacht ist zu gross und ich bin erschöpft.
Vorsicht, Klugheit, auch vielleicht List ... sind jetzt die einzigen
Waffen ... Das heutige Geschlecht ist schuldig, zugrunde zu gehen. Es
auf Kosten der künftigen Menschheit zu schonen wäre Torheit -
Verbrechen! Frei von allem Fanatismus gegen das Individuum muss
freilich der Kampf sein, um nicht unmoralisch zu sein ... Aber sich der brutalen
Gewalt, der vernichtenden Gemeinheit dieses Geschlechts zu entziehen,
allein für uns in aller Stille, wenn nicht anders möglich, auch mit
List an der Erziehung eines besseren Geschlechts zu arbeiten, ist unser
Recht und unsere Pflicht! Das gelobte Land kann nicht erreicht werden
von dem verlotterten entmenschten Gesindel unserer Zeit; wir selbst,
die wir zur Erkenntnis gekommen sind, können es nicht einmal erreichen:
wir erblicken es von ferne ... Wir können uns nur ihm nähern auf
langem, dornen- und allen Hindernissen vollem Wege. Dieser Weg ist
nicht einmal gerade, überhaupt kein Weg, sondern Wildnis! Gewunden zu
einem Labyrinth - aus welchem die wenigsten den Ausgang finden, führt
er uns fort rückwärts, rechts oder links im Kreise herum. ...
Wir
sind die Überbringer eines kostbaren Kleinods, dessen Besitz
Himmelseligkeit verleiht - an die künftige Menschheit. Liebe darf nie schwach sein
... Vorwärts! dem Stern entgegen - ... An unserem Ziel,
der Pforte
des Paradieses, angelangt ist erst Rast, Anspannung, Erholung möglich
... Am Dienstag muss ich abziehen! ... Meine Pläne? Ich habe nur einen
Plan. die Erwerbung eines Eigentums! ...
Maja
hat es selbst unmöglich gemacht, mir noch etwas beim Umzug helfen zu
können. Bei ruhiger Zeit, behaglichem Leben hätte sie ja viel helfen
können, aber den Stürmen, die mich umrasen, ist sie nicht gewachsen -
nicht einmal so viel, dass sie auf meinen Notschrei hört, ihn beachtet
(da sie ihn nicht versteht). Der gemeine Hass, mit welchem meine Frau
sie verfolgt, erfüllt auch ihr ganzes Wesen gegen ihre "Feindin". In
diesem beiderseitigen Hasse vernichten sie sich gegenseitig und stürzen
mich - auch jetzt, wie seither - in höchste Gefahr. ... Ich bin
gezwungen, will ich nicht ihretwegen zu Grunde gehen, beide von mir zu
schleudern! (Welche "Roheit"!) ...
Kinder-Asyl!
Die ganze Zukunft, die ganze Welt liegt in diesem Wort! - Und welchen
Eindruck auf das jetzige Geschlecht würde unsere Tat machen! Du
solltest die sprachlose Bewunderung sehen, zu welcher alle durch
meine Kinder (und dazu so vernachlässigte! Kinder!) wie magnetisch
gebannt werden. ... "Ihr Gesinnungsgenosse und Schüler Hermann Voit." -
Soll ich diesen kommen lassen? ... Homo.
13.
Juli 1885 Lucidus! Auf
schwindelnder Höhe, von Wolken umwogt, von Donnern umbraust, von
grellem Scheine geblendet stehe in düsterer Nacht ich da - zitternd -
der Ruhe, der Pflege bedürftig! Schauerliche Abgründe, das Geheul der
dämonischen Meute, menschliche Rufe: rechts, links, links, rechts,
zurück, so - nicht so - Rufe, gut gemeint - ob gut verstanden? -
Selbstsucht, niedrige, erbärmliche zentnerschwere Schwäche mit eisernen
Ketten mir angeschmiedet ... und ich verzweifle nicht? bin ruhig,
trotzdem jede Faser an mir bebt vor
Erschlaffung? - Wahrlich: mich hält eine mächtige höhere
Hand! - Schauer
erfassen mich, mir schwinden die Sinne - - ich schwebe, fliege - - -
- - - - -
- - -
Ausser
Dir "keinen Erwachsenen mehr"! nie mehr! - Sie schaden mehr, als sie
nützen.
16.
Juli Lucidus!
... halte ich Guttzeit für geeignet ... Er arbeitet sein Zentralblatt
unabhängig von mir weiter ... Also - lass ihn zu mir kommen!
17.
Juli Lucidus!
... Kannst Du Guttzeit nicht begleiten auf einige Tage? Von mir aus:
Wochen?
18.
Juli Lucidus!
... wird es mir ein Leichtes sein, die Gerichtsverhandlung gegen mich
wegen "Vergehen wider die Religion" zu einem Wendepunkt in der
Kulturgeschichte der Menschheit zu gestalten. ... Stenogramm meiner
letzten Rede ... hat eben Conrad, dem dadurch ein Licht aufgegangen
ist; er wird bald Auszug davon in seinem Blatt bringen. (Er begrüsst
mich auf der Strasse demonstrativ in herzlichster Weise und besuchte
mich kürzlich mit seiner Frau - höchstes Staunen, Ver- und Bewunderung
über meine künstlerischen Arbeiten.) ... Gestern habe ich den Kindern
zwei junge Schafe gekauft - himmlische Freude! ... Umzug: Dienstag oder
Mittwoch. [Noch aus Thalkirchen]
25.
Juli [Dfb aus Höllriegelskreut an
OD:] In der "Wüste"
25.Juli 1885
Endlich
Ruhe! ---- Noch zittert alles an und in mir, doch bin ich geborgen! ...
Guttzeits Schwester fühlt sich glücklich und ich glaube fest ... in ihr
eine tüchtige Gehilfin gefunden zu haben; Gantz wandelt als Novize in langem weissen Gewande.
1.
August? Otto
Drießen kommt zu 14tägiger Hilfe. (CD 27)
August
Totgeburt
seiner Frau. (CD 27) - Um die Kinder wieder zu haben, nimmt Dfb die
Frau wieder auf. (Frido 5) - Otto Driessen führt Tgb IV bis Mitte
August.
13.
Aug. Otto
Driessen aus Höllriegelskreut an Maja: ... Ich reise morgen nach Berlin
zurück ...
23.
Sept. Lucidus!
... Statt Ruhe - oh Ruhe! Leben und Treiben von sechs Menschen ...
Welches Wogen! ...
6.
Okt. Lucidus!
... Seit vier Tagen hier mit [Elisabeth] Guttzeit
allein. ...
9.
Dez. An
Lucidus, Berlin ... Immer höher, aber unter welchen Schmerzen. ---- Ich
zittere Tag und Nacht, fühle mich nicht mehr stehend, sitzen und
liegen, sondern immer schwebend, fliegend und - Sturz. ... J.F.Guhtzeit ist
seit 2 Wochen fort. ... Der edle Kern seines Innersten wird doch
erbärmlich ... am meisten durch sein "ICH": ...
verkrüppelt. ... Die arme Fidelis. Sie
muss die Fehler ihres Bruders
bitter büssen. Der kindliche Glaube an mich, der mich wie sie so
glücklich und stark machte, ist ihr getrübt - fast genommen worden;
an seiner Stelle ist "selbständiges"
Urteilen über mich und meine Verhältnisse getreten. ... Nur erst Dein
Staatsexamen ... - halte aus. ...
13.
Jan. 1886 Dfb
an Otto Driessen,
Berlin:
Nach
achttägigem Aufenthalt in der Stadt gestern zurück, will ich in Eile
Dir berichten, dass ich meine "Himmelsklänge" (Kinder-Musik) verkauft
habe (1000 M. Honorar u. Tantiemen bei weiteren Auflagen). Höchstes Staunen
und Bewunderung bei den Spitzen
der M'er Künstlerschaft über meine Zeichnungen. - "Was - der Narr kann so
etwas machen? - Sensationeller
Erfolg! Zwei Verlagshändler reißen sich jetzt schon um
weitere Bücher. ...Wann ist Dein Examen beendet? ... "Fidelis" (II) ist
das Opfer ihres Rache schnaubenden Bruders sowie meiner übrigen
"Gesinnungsgenosssen" geworden u. als "Fräulein E.Guttzeit" von mir
weggegangen. Es tut mir leid, denn ich hatte eine tüchtige Hilfe
durch sie gefunden. ...
21.
Jan. An
Lucidus, Berlin ... Dir Vorsicht anzuraten (Die Unterlassung dieser
Tugend habe ich so oft unnennbar bitter büssen müssen!!!) ... Lieber Otto komme bald zu
uns. Helios und Stella.
5.
Febr. Dfb
aus Höllriegelskreut an Lucidus, Berlin: Am 1.Februar hätten die
"Musikanten" abgeliefert sein sollen. ... Rastlos schaffe ich daran Tag
für Tag und des Nachts ... Ein Präludium
zu meinen übrigen Werken.
Homo.
24.
Febr. An
Lucidus, Berlin. Ich
bin mit meinen Musikanten [‚Kindermusik’, später ‚Per aspera ad astra’]
nicht fertig geworden ...
In Ströfer glaube ich den Geschäftsmann gefunden zu haben, den ich
notwendig brauche; er hat mir ... M.1500 Vorauszahlung gegeben. ... Je
näher ich meinem Ziele komme, desto gewaltiger schlagen die Wogen von
allen Seiten gegen mich. Die "Einöde" schützt mich nicht gegen den
"Sturm" meines Lebens ... der Dämon, "meine Frau" macht dies unmöglich.
Der Name "Alia" ist zu demselben Hohn gegen mich geworden wie "Fidelis"
(I.II.) ...
Grosses,
Gewaltiges, Himmlisches wartet auf Deine Hilfe! Ich bin zu gebrochen
und gelähmt und gefesselt, als dass ich ohne Hilfe (eines selbständigen Menschen!) meine
Pläne verwirklichen könnte. Durch diese Hilfe zur Freiheit und
dann - viribus unitis - zum Siege! ...
Lucidus!
Wir sind berufen, den guten Schwachen als Führer zu dienen auf der
Flucht vor der Zerstörung der jetzigen Menschheit, als Führer in das
gelobte Land, als Erschliesser des Paradieses für die künftige
Menschheit!
23.
März Dfb
aus Höllriegelskreut an Lucidus, Berlin: ...
Vor Ende April werde ich mit dem Buche: "Musikanten"
nicht fertig.
3.
April 1886 An
Lucidus, Berlin. ... Zitternd, schweisstriefend flüchtete ich aus
meiner Einsiedelei. Der Satan fletschte mir wieder die Zähne entgegen.
Es gilt: Hel zu
retten. ... Gräßliche Wut erfaßt ihn, er tobt und schlägt
seine Mutter, wie ich dem stumpfsinnigen Weibe es vorausgesagt, aber in
solchem Grade ich nicht geglaubt hätte. Ihre Roheit und Bosheit reizt
den Knaben zur Wut. Ich fürchte, er tötet sie einmal.
Ich
floh - das wirkte. Blieb 4 Tage ohne Nachricht fort und kam vorgestern
mit einem (fürchte nichts) erwachsenen Manne als Hilfe und Stütze
zurück. ... Meine "Musikanten" werden die Welt durchtönen und freie
Bahn und Achtung schaffen für meine weiteren Werke. - Hel und Stella
spielen und arbeiten schon lange nackt im Freien. Turn- und
Arbeitsgeräte habe ich gekauft und heute wird durch Schmidt (mein
Gehilfe) und einen Taglöhner ein Turnplatz im Freien geschaffen. Durch
photographische Momentaufnahmen bekomme ich gutes Studienmaterial. ...
Homo. (Tb OD Anhang)
8.
April An Lucidus,
Berlin. ... Das Weib ist mir vom Satan in den Weg gestellt worden ...
Satanisch werden meine Schwächen - "Gott" kennt deren Ursache! -
benutzt, um mich in Ketten zu halten. ...
"Grünschnabel"
nannte Dich "meine Frau"; "unselbständig" ist die Bezeichnung des
Urteils über Dich von Guttzeit und seiner Schwester. Nachdem letztere
durch ihren Bruder (Johannes) "selbständig" gemacht worden war (in
dreitägigem Aufenthalt in München) konspirierte und klatschte sie mit
meiner Frau über mich und den "unreifen" Menschen, welchen ich ihnen so
oft als Vorbild hinstellte. ... Die "Vegetarier und Vegetarianer" sind
Schwächlinge. Jedes Wort verschwindet wie eine Perle im Mist. Lass sie!
11.
Mai An
Lucidus, Berlin ... Gerade heute stehe ich an einem Abschnitte. Bis
gestern Vorbereitungs-Studien und Arbeiten. Morgen will ich die
endgültigen Blätter zu fertigen anfangen. "Gott" allein kennt die Qual,
in meinem Zustande und meiner Lage zu arbeiten. Kaum kann ich mich aufrecht erhalten vor Fieber.
Meine überspannten Nerven zittern Tag und Nacht. ...
Sinner hat mir den Gerichtsvollzieher auf den Leib
gehetzt ... Ströfer hat mir grosse Hilfe geboten ... Vorstudium zu den
"Musikanten" ... Zu den weiblichen Figuren haben mir meine beiden
"Schwägerinnen" Modell gestanden ... Kennst Du 'Sphinx'?
Hübbe-Schleiden ist ein uns sympathischer, etwa 50 Jahre alt.
Diefenbach
arbeitete in dieser Zeit an einer größeren Komposition (Silhouetten),
auf welche ihm der Kunsthändler Ströfer in München eine größere
Anzahlung gegeben hatte, welche den Sommer über jegliche Not von dem
Hause fernhielt. (CD 29)
19.
Mai An
Lucidus ... Das Aufsehen, noch mehr aber das Ansehen, Anerkennung,
Bewunderung, Befolgung, Besprechung beim "Volk" wird immer grösser,
ebenso bei den Spitzen der "gebildeten Gesellschaft", während das
eingebildete, protzig-dumme Mittelvolk, Männer wie Weiber, öffentlich
gegen mich Front macht.
29.
Mai An
Lucidus, Berlin ... "Grosse Sehnsucht" gegenseitig.
7.
Juni Vertrag
zwischen Otto Drießen und Dfb "zur ärztlichen Leitung meines im
Entstehen begriffenen Kinder-Asyls".
An
Lucidus, Berlin ... komme! ... Bettgestell, Seegrasmatrazze und 2
wollene Decken stehen Dir zur Verfügung.
9.
Juni An Lucidus
(Hofgeismar b/Kassel) ... komme! ... der Aufenthalt bei Deinem Bruder
Clemens ... Rat ist daher: das Examen aufzuschieben bis November;
sofort hierher zu kommen ... Ich erwarte Euch beide als Pfingstgäste.
Homo
III.
Wiederkehr und Abschied im Zorn (Juni bis September 1886)
13.
Juni Am
13.Juni 1886 kam Otto Drießen, seine Studien erholungshalber
unterbrechend, zu Diefenbach, den er mit der Frau und den Kindern in
Höllriegelsgereute fand. - Differenzen mit Frau - zur Erholung mit Dfb
nach Rottmannshöhe.(CD 29)
O.Driessen
schreibt Tagebuch IV im Juni und Juli 86.
10.
Juni 86
Driessen
da - wir machen uns im Freien unser Lager und schlafen unter dem
Sternenhimmel. Der Stütze Driessen, des einzigen "Menschen", den ich
bis jetzt gefunden, verdanke ich die kurze Abspannung meiner
gemarterten Nerven. (Tgb
IV)
20.
Juli 1886 O.Driessen
nach Rottmannshöhe mit Dfb. (Tgb IV)
26.
Juli Dfb von Hotel Rottmannshöhe an
Lucidus, Höllriegelskreuth ... Paul und Virginia zu Ende gelesen ...
Man wundert sich weit mehr über Dich als über mich; mich betrachtet man
"von Haus aus" für - bemitleidenswert.
August Die
mancherlei Miseren ... veranlassten Diefenbach, sich ein anderweitiges
Unterkommen zu suchen, welches er in dem Hotel Rottmannshöhe bei
Starnberg fand. Dort brachte er mit Drießen, mit Unterbrechungen auch
die Kinder bei sich habend, die Monate August und September zu. Gegen
Ende September kehrte Drießen nach Berlin zurück. Diefenbach war noch
auf der Rottmannshöhe, als seine Frau in Höllriegelsgereute den (noch
lebenden) jüngsten Sohn "Lucidus" gebar. Die nächsten Monate brachten
bittere Not. (CD 29)
3.
August Dfb
aus Leoni an Driessen, Grosshesselohe ... hoffe ... mit einem anderen
geeignetenWagen kommen zu können.
... Homo.
12.
Aug. Dfb
an Frau Lesser-Kiesling, Wien -
Hotel "Rottmanns-Höhe"
... Ich erkenne den
"Vegetarismus" als eine Halbheit ...
(Wirbt um ein Weib wie seine Mutter) .... Driessen, der junge
Mediciner, der mich als Mensch pflegte ... (während die "Vegetarianer"
in ihren autor. Vertretern: Lilienbach, Dr.Aderholdt, Dr.Dock, Baltzer,
Meta Wellmer, M.Kleiupp mich als "verrückt", "unsittlich", "schamlos
faul", "bettelhaft", "gefährlich oder schädlich für die gute Sache" pp
meinem Schicksal überliessen) .... Driessen ist jetzt seit 2 Monaten zu
meinem Schutz und zur Hilfe bei mir. Er hat sein Staatsexamen
unterbrochen, weil für mich Gefahr im Verzug lag ... "Johannes
Friedrich Guttzeit" rächte sich für seine Entlassung ... dadurch, dass
er zuerst Gifttropfen des Misstrauens
gegen mich ihr [Elisabeth] beibrachte
...
5.
Aug. Dfb
aus Rottmannshöhe an Lucidus ... Welch
furchtbarer ungeahnter Abgrund ... Das Anschnauben der letzten Zeit,
das grässlich mir Mark und Bein durchzitterte und das auf meinen
Leidenszustand achtungslose Poltern und Rauschen bei Hantierungen
ertrug ich stille, weil ich Deiner Worte gedachte, dass bis zum
Vollmond Du jedesmal hochgradig krankhaft erregt seiest, meines Herzens
Schmerzen-Eröffnung sowie die Erklärung, dass und warum ich auf
Peitschenhiebe nicht mehr reagiere, glaubte ich trotzdem auf "guten
Boden" gemacht zu haben ebenso wie die freudige Mitteilung, dass in der
Nacht, die ich unter freiem Himmel zugebracht, ich einen sicheren,
leichteren Weg gefunden habe. - -
- -
- Statt "gutem Boden" sehe ich seit gestern in einen Abgrund, vor dem
mir schaudert. ... Ich rufe Dir zu: Fürchte nichts! Vertraue mir ...
Folge mir ... das Ziel ist nahe, wir erreichen es sicher, halte aus!
14.
Sept. An
Otto Driessen, Rottmannshöhe: Hindernisse und Vorteile bedingen
längeren Aufenthalt in der Stadt. ... Ich habe beide Kinder bei mir
---- mit grossem Erfolg nach jeglicher Richtung. Ich wohne im
"Kollergarten" Schwanthalerstrasse. ... Vergiss mein Tagebuch nicht.
Diefenbach.
Sept.
Otto
Driessen schreibt Tgb IV im September; S.145-173. - Große
Auseinandersetzung mit Dfb (schriftlich). Gefahr der Trennung!
17.
Sept. (Dfb
nach Höllr. gegangen - noch nicht zurück). "Vor Hellwerden auf.
Eingepackt. Lebe wohl! Otto Driessen". (Trennung! O.Dr. geht wieder
nach Berlin).
IV.
Tod in Berlin (Juli
1887)
17.
Juli An
Otto Driessen, Berlin: ... Seit 3 Wochen bin ich allein ... Arzt zu
mir. - Sein Ausspruch ist: "Neubildung, Folge einer alten (im Jahre 77
erhaltenen) geschl. Ansteckung, welche durch unsinnige
Medicin-Behandlung (Dr.Popelt) nicht beseitigt, sondern unterdrückt,
d.h. zurückgedrängt worden war; seither latent, jetzt wuchernd um sich
greife und lebensgefährlich (krebsartig)
werden muß, wenn nicht bald der kranke (6-8fach
vergrößerte) Hoden
herausgeschnitten wird. Die Operation sei nicht gefährlich
... erhalte mich zeugungsfähig (der linkss. Hoden ist gesund) ... Außer
deinem Rath will ich Dr.Lahmann und Wohlbold hören. ... Wo und wie
befindet sich Fidelis? und Du? D. (KB 3/85)
Juli
1887 Tod
von Otto Driessen in Berlin. Besuch von Clemens Driessen. (CD 30)
* * * * *
Rückblick
von Diefenbach:
28.
1. 1913 Dfb
an seinen Sohn Helios:
Du
scheinst keine Kenntnis davon zu haben, daß Drießen von seinem Vater
auf falsche Denunziation des Münchener Polizeipräsidenten im Verein mit
dem dortigen Universitätsrektor unter brutaler körperlicher Mißhandlung
und sonstigem Zwange mit Gewalt von meiner Seite gerissen und gezwungen
wurde, in Berlin unter Aufsicht seines älteren Bruders seine
medizinischen Studien zu beenden und den Doktortitel zu erwerben; daß
Drießen dort dem fanatischen Einfluß des Theosophen Dr.Hübbe-Schleiden,
welcher in seinem Wahnsinnsfanatismus auch verhängnisvoll an Deiner
Entreißung von mir beigetragen und das treulose Verlassen des "Fidus"
gegen mich bewirkt hat, nicht blos irre an mir sondern irre am Leben
sowie an der Menschheit gemacht wurde, sodaß dieser von seiner
blühenden und strahlenden Apostelgestalt zu einem grämlichen, asketisch
ausgehungerten Jammerbild wurde und sich in solcher Verzweiflung am
Leben bei einer Leichensektion absichtlich verwundete, mit Leichengift
infizierte, und daran nach einigen Tagen starb, worüber mir mit
Namensunterschrift drei seiner Studienkollegen öffentliche Zeugenschaft
zu meiner Verteidigung gegen die von Drießens Eltern sowie von mir
gehässigen Zeitungsschreibern wider mich erhobene Anklage der
Verschuldung seines Todes anboten. ...
Daß
dieser kraftstrotzende Jüngling, der in sorgenlosen äußeren
Verhältnissen leben konnte, auf solche Weise und so schnell zugrunde
ging, beweist, daß er mit seinem Geist und mit seiner Seele von meiner
klaren Lebens-Erkenntnis, Lebens-Betätigung und Lebens-Bejahung durch
den theosophisch-buddhistischen Wahnsinn einer Lebensverneinung zur
Vermeidung weiterer irdischer Wiedergeburten und zur raschesten
Erreichung des "Nirvana" entrückt und "verrückt" gemacht worden war.
(Tgb 31; S.82f.)
Otto
Driessen Gemälde
von K. W. Diefenbach
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