Am 1. Mai
1896 versendet Paul von Spaun an Wiener Zeitungen folgende Notiz:
„Vor
kurzer Zeit
drang aus Kairo die Kunde herüber, dass Meister Diefenbach dort
künstlerisch
tätig sei und sich Freundschaft und Achtung in hohem Grade zu erwerben
gewusst
habe. Auch wir haben Gelegenheit einige seiner Werke aus letzter Zeit
bewundern
zu können.
Die
Einsamkeit der
Tiroler Berge, in die sich der müde Meister zurückgezogen hatte, um
auszuruhen
von den langjährigen Kämpfen um seine Ideale, zeitigte in ihm 2 Bilder,
charakteristisch für sein Wesen und Streben. Die ruhige Heiterkeit
eines
starken Gemütes spricht aus dem ersten Gemälde: Nebelstreifen, welche
Herbst
kündend nachts zwischen den Tannen huschen, verwandelte die Phantasie
des
Künstlers in weiß duftige Frauengestalten, die, wie zum Abschiede vom
sommerlichen Walde in schwungvollem Reigen dahinschweben.
Das 2.
Bild trägt mit
schwarzen Lettern die Aufschrift „Du sollst nicht töten!“ und ist
die Verbildlichung des Augenblicks, da der beutesichere Jäger vor der
Erscheinung
des Berggeistes zurückbebt, während im Brausen des Sturmes dieses
ernste Gebot
der Liebe an sein Ohr dringt.
Die
Erscheinung des Berggeistes, zusammengeballt aus der Gewitterwolke,
versinnlicht ungemein glücklich die Idee, daß die Macht der
Naturerscheinung es
ist, welche den Menschen zur Sammlung in sich und zum Bewußtsein seiner
Schuld
an der Natur im höchsten Grade zu bringen fähig ist.
Die
beiden
Kunstwerke sind in der Kunsthandlung Stupperger (Opernring) zum
Verkaufe ausgestellt.„
Elfenreigen
im Hochgebirge 1895
„Nebelstreifen,
welche Herbst kündend nachts zwischen den Tannen huschen, verwandelte
die
Phantasie des Künstlers in weiß duftige Frauengestalten, die, wie zum
Abschiede
vom sommerlichen Walde in schwungvollem Reigen dahin-schweben“
Alpenjäger
oder
„Du sollst nicht töten!“
Fasssung von 1893. Standort:
Certosa di San Giacomo, Capri
„Das
Bild trägt mit
schwarzen Lettern die Aufschrift „Du sollst nicht töten!“ und ist
die Verbildlichung des Augenblicks, da der beutesichere Jäger vor der
Erscheinung des Berggeistes zurückbebt, während im Brausen des Sturmes
dieses
ernste Gebot der Liebe an sein Ohr
dringt. Die Erscheinung des Berggeistes,
zusammengeballt aus der
Gewitterwolke, versinnlicht die Idee, daß die Macht der
Naturerscheinung es
ist, welche den Menschen zur Sammlung in sich und zum Bewußtsein seiner
Schuld
an der Natur im höchsten Grade zu bringen fähig ist.“
Du
sollst nicht töten! Fassung von 1902
Standort: Archivi Arti
Applicate, Rom
Die
Diefenbach-Expertin Claudia
Wagner kommentiert:
Während
eines Aufenthalts
im Karwendelgebirge, den Diefenbach 1895 auf einer Alm des Herzogs von
Sachsen-Coburg-Gotha verbrachte, entstand das allegorische Gemälde als
Anklage
gegen den vom Fürsten „zur Lust betriebenen rohen Mord unschuldiger
Thiere“ (Lebensbericht, 1897).
Dem
ursprünglichen Titel
folgend, handelt es sich um den „Geist, den Bergesalten“ im
pantheistischen Sinne Schillers. Bei den Erläuterungen zur Ausstellung
des
Bildes in Neapel 1900 beschreibt Diefenbach die Gestalt eindeutig als
„Der göttliche Geist der Natur“. Schützend hält dieser die
„Götterhände“ über „das gequälte Tier“. Seine
Physiognomie trägt in der frühen Fassung noch nicht so deutlich
Diefenbachs
Züge wie in der späteren Fassung, in der der Künstler eindeutig zu
erkennen
ist. Dort wehrt auch der Jäger den Zugriff des Berggeistes nicht mehr
durch
erhobene Hand ab, sondern fällt, fast wie durch eine unsichtbare Macht
gestoßen, zurück. Das Gemälde ist auf dem Rahmen mit der Plakette Non
uccidere, will heißen, Du sollst
nicht töten versehen und bekommt bereits durch
die neue Betitelung,
eine Erweiterung des fünften Gebots auf die Tierwelt, eine weitere,
christliche
Konnotation. Christlich ist auch der Eindruck der richtenden Gestalt,
obwohl
Diefenbach selbst ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur christlichen
Religion, speziell dem Dogma der Kirche und deren Konventionen hatte. An dieser Stelle nutzte er
jedoch die göttlichen
Gebote als Allgemeingut einer christlichen Gesellschaft für eigene
Zwecke.
Claudia
Wagner: Der Künstler Karl
Wilhelm Diefenbach (1851-1913)
Meister und Mission.
Band 1, S. 121 und Band
2, S. 10