Im Herbst 1891
wurde Diefenbach vom Direktor des Österreichischen Kunstvereins,
Regierungsrat Terke, nach Wien geholt, um dort eine Ausstellung seiner
Gemälde zu schaffen. In einem notariell beglaubigten Vertrag musste er
sich verpflichten, seine gesamten „Kunstproducte“ dem Verein zur
Ausstellung zu übergeben und seine sämtlichen Entwürfe zu vollenden.
Sein Auftrag war, wie ihm in Briefen mehrfach unmissverständlich
bedeutet wurde, dem von Bankrott bedrohten
Herrn Direktor „schnellstens zu Sensationsgemälden
zu verhelfen“ (B I, 50).
Am 19.
December, Abends 10 Uhr,
kam ich mit meinen drei Kindern und meinem Schüler in Wien an. …
Die
jetzt so nahe Aussicht auf die endlich erlangte Möglichkeit der
Bethätigung meines Kunstschaffensdranges aus inneren Gründen und damit
zugleich der Wendung meines Schicksals elektrisierte meinen erschöpften
Körper und liess mich das Peinliche meines Gastverhältnisses zu dem
Verwaltungsrathe Knesek v. Bartosch, in dessen enger Wohnung ich mit
meinen Kindern und meinem Schüler auf dem Boden (Beitrag I, 73)
schlafen musste und nicht die geringste Bequemlichkeit und Pflege
hatte, überhaupt ertragen.
Am
Morgen nach unserer Ankunft dachte ich, dass unser erster Gang der in
den Kunstverein sein werde, um mich dem Director desselben, von dem
Herr v. Bartosch mit gruselnerregendem Respecte zu mir sprach,
vorzustellen und die Stätte meiner nächsten eifrigen künstlerischen
Arbeiten kennen zu lernen, auf welcher ich die Befreiung aus meiner
seitherigen brutalen Unterdrückung endlich zu erreichen dachte.
Auf
diese meine nur ausgesprochene Meinung eröffnete mir mein Gastgeber,
dass Herr Regierungsrath niemals vor 5 bis 6 Uhr Abends im Kunstverein
erscheine und in seiner Privatwohnung nicht gestört sein wolle; er sei
ein sehr strenger Herr, mit dem nicht leicht zu verkehren sei; er dulde
von Niemandem Widerspruch, da ihm seine 27jährige Thätigkeit als
Director des „Oesterreichischen Kunstvereines“ die höchste
unwidersprechbare Kenntnis aller
in Betracht kommenden Verhältnisse gegeben habe
und auch mir ein Auskommen mit ihm nur durch
unbedingtes Fügen unter ihn möglich sei! (74) …
Diefenbach wird
als erstes dem Polizeipräsidenten von Wien zugeführt, dem Bartosch ein
ihm nicht mitgeteiltes Schreiben übergibt. Ein Regierungsrat empfängt
ihn freundlich, wünscht ihm Glück zu seinem Aufenthalt und versichert
ihm, dass die gesamte Wachmannschaft Wiens dahingehend verständigt
werde, ihn vor jeder Unannehmlichkeit auf der Strasse (seiner
eigenartigen Bekleidung wegen) zu bewahren und zu beschützen.
Ich schildere diese
Polizeivorstellung so ausführlich zur Charakteristik des
mir einige Stunden später zu Theil gewordenen Empfanges bei dem
Director des „Oesterreichischen Kunstvereines“.
Nach
einigen Begrüssungsworten, deren Phrasenhaftigkeit mich stechend
berührte, sagte dieser mir in grossem Wortschwall: dass er grosse Kämpfe bei der
hiesigen Polizei zu bestehen gehabt habe, um für mich die Erlaubnis zum
Aufenthalte in Wien zu erwirken; die Direction habe geltend gemacht,
dass die Polizei der österreichischen Hauptstadt nur unter der
Bedingung die Erlaubnis zu meinem Aufenthalte in Wien geben könne, wenn
er in seiner amtlichen Stellung als Director des „Oesterreichischen
Kunstvereines“ und als k.k. Regierungsrath durch schriftlichen Revers
garantire, dass ich während meines Aufenthaltes in Wien weder ein Gast-
noch sonst ein öffentliches Local betrete ohne Begleitung, noch auf der
Strasse gehe ohne die Begleitung (75)eines der Verwaltungsräthe des
Oesterreichischen Kunstvereines“. (!) Ferner habe die Polizei als
Bedingung gestellt, dass ich im Kunstverein mit den Besuchern meiner
Ausstellung nicht verkehre und keine Rede halte. Dem ersten Theil
dieser Polizeiforderung habe er ohneweiters durch seine Unterschrift
zugestimmt, mit der Erklärung, dass ich mit meinen Kindern bei der
Familie eines der Verwaltungsräthe des „Oesterreichischen
Kunst-vereines“ untergebracht sei und stets von diesem
Verwaltungs-rathsmitgliede begleitet werde; gegen den zweiten Theil der
Polizei-forderung habe er geltend gemacht, dass mir auf den
vorherzusehenden Wunsch der meisten Besucher meiner Ausstellung die
mündliche Erklärung meiner Gemälde gestattet werden müsse, was ihm dann
nur unter der Bedingung zugestanden worden sei, dass ich hiebei
ebenfalls von diesem Verwaltungs-rathsmitgliede begleitet, sowie dass
dieser in meiner dem öffentlichen Zutritt freistehenden Werkstätte
zugegen sein müsse!
Heute
durchschaue ich, wie der Kunstvereins-Director, mich ganz und gar von
seiner Leitung abhängig machend, mit meiner Ausstellung sich mit
unglaublichem Raffinement eine Sensations-Ausstellung und Schaustellung
meiner Person zurechtmachte, während ich damals kaum die Geduld fand,
um den Mann ausreden zu lassen, weil mir sofort die ganze Tragweite
solcher Beschränkung meiner persönlichen Freiheit bewusst wurde; ich
empörte mich gerechtermassen darüber und verlangte, dass er oder Herr
v. Bartosch mich nochmals zur Polizeidirection begleite, damit ich mich
rechtfertigen könne gegen solche Verdächtigungen, die nicht nur mein
öffentliches Ansehen, sondern mein Lebensinteresse und das heiligste
Lebensrecht schwer schädigten.
Herr
Regierungsrath Terke sagte darauf, dass ich dies nicht dürfe, da
es ein Bruch meines Vertragsgelöbnisses sei und meine
sofortige Ausweisung aus Wien zur Folge haben werde, indem die hiesige
Polizei nicht dulden könne, dass ich über die Münchener Polizei
„schimpfe“ und überhaupt weder Zeit noch Lust habe, sich mit meinem
„Schicksal“ zu befassen (!).
Mit
Blicken und Worten, welche, trotz innerer Empörung, meines Ekelgefühles
und meines zitternden Leidenszustandes angesichts der mir
bevorsatehenden ungeheuerlichen Aufgabe, mir den freilich sehr
zweifelhaften Genuss unsagbarer Komik bereiteten, bedeutete mir der
gewaltige Mann, dass ich nur unter der Bedingung im „Oesterreichischen
Kunstverein“ Aufnahme finden könne, dass ich mich in jeglicher Hinsicht
unter seine Anordnungen und Zurechtweisungen füge, dass ich aber,
(76)wenn ich dies thäte und ihm vertrauend folgte, durch ihn meiner
„selbstverschuldeten“ Nothlage entrissen und zu einem grossen Künstler
gemacht werden könne. . . . .
Sprachlos
über solche Schulbubenlection, die mir, dem einundvierzigjährigen, im
gewaltigen Lebenskampf um die Verwirklichung höchster Menschheitsideale
gestählten Manne da zu Theil wurde, verliess ich in stummer Resignation
mit meinem „Gastgeber“
den Kunstverein. Ich dachte nicht mehr daran, dessen Säle und die darin
ausgestellten Kunstwerke zu betrachten; ich fühlte, dass noch eine
schwere Leidensstation mir bevorstand, ehe ich meine lang ersehnte und
heiss erkämpfte Rettung erreicht haben würde, aber in dem Glauben, dass
dies die letzte Station
sei, zwang ich meine Empörung nieder und rang mich empor zu der inneren
Seelenheiterkeit, ohne welche ein Kunstschaffen unmöglich ist. …
„Nur
arbeiten“, schaffen – war jetzt mein einziger Gedanke! – Jede Secunde,
die ich ohne Malen zubringen musste, brannte mich mit Höllenqualen! …
Am
anderen Morgen führte mich mein „Gastgeber“ wieder in den Kunstverein …
In lautlosem Schweigen gingen wir durch die Säle, bis wir zu einem Bild
kamen, bei welchem Jener zu reden anhub: „Sie sind ein genialer
Künstler und Philosoph, aber Frauen- und Mädchenschönheit und –Reize
können Sie nicht malen; aber gerade das müssen Sie
lernen und auf Ihren jetzt zu malenden Bildern fertig bringen, wenn Sie
in Wien Anklang finden wollen. Ihre Bilder sind zu ernst und schwer für
die Wiener Gesellschaft.“ Das mir als Vorbild angepriesene Gemälde war
eine bis zum Nabel entkleidete Salonhure, mit geistlos, frech-blödem
Blick, glatt frisiert, mit geschneckelten Vorderhaaren, „Alles
realistisch“ bis auf die Hautporen gemalt und von meinem Custos und
Kunstförderer mit cynischem (77) Lächeln betrachtet und gerühmt! In dem
hintersten Saale hing ein zweites Gemälde, das eine ganz nackte
Frauengestalt ohne jeglichen poetischen Reiz auf einem Bett darstellte,
das Ganze würdig zur Zierde eines Bordells; auch vor diesem Bilde bleib
mein „Mentor“ stehen, die soeben gealtene Predigt wiederholend. … (78)
Jede
Beobachtung und Erfahrung über die Wirthschaft – auf dem mir vom
Schicksal aufgezwungenen Wirkungsfelde ekelte mich an! Ich befand mich
wie in einem Schraubstock gefoltert. (79)
Als Pinselknecht
im Österreichischen Kunstverein
Am 3.
Jänner 1892 konnte ich endlich anfangen zu malen.
Herr v.
Bartosch fuhr täglich mit mir von dem äussersten Ende des X. Bezirks
(seiner Wohnung) im Stellwagen
zum Kunstverein. Die Fahrt von dreiviertel Stunden in dem nicht weich
gefederten Wagen, bei strenger Kälte und in meiner schweren Stimmung,
griff mich so stark an, dass ich im Kunstverein erst mindestens eine
halbe Stunde ruhig liegen musste, ehe meine seit circa zwölf Jahren
schwer leidenden Nerven sich so weit beruhigt hatten, dass ich an’s
Schaffen gehen konnte.
Nun
denke man, dass ich meist Gemälde von 3 bis 4 Meter Länge und 2 bis 3
Meter Höhe zu malen hatte, keinerlei Hilfsvorrichtung mir zur Verfügung
stand und ich den oberen Theil der Gemälde in beständigem Auf- und
Abspringen von einer, nicht einmal festen, Kiste oder auf schwankendem
Brett zwischen zwei wackeligen Leitern, den unteren Teil stets in
hockender Stellung arbeiten musste.
Terke
hatte aus meinen Gemälden die ihm am geeignetsten scheinenden
ausgesucht und mir zur Ausführung derselben einige Naturstudien
verstorbener und unbekannter Künstler, sowie ein Blatt aus einem
botanischen Werk für eine Vordergrund-Pflanzengruppe gegeben; er
erklärte, auf allen meinen Gemälden sei „zu wenig drauf“, „das Publicum
verlange für sein Eintrittsgeld Detailaus-führungen der Bilder, und
zwar viel Detail“.
Auf meinen Einwand, dass es doch dem Künstler gestattet sein müsste,
seinem innersten Empfinden in seinen Werken Ausdruck zu geben,
wiederholte er in unwidersprechbarer Brutalität: „Das Publicum fragt
nichts nach der persönlichen Stimmung des Künstlers, sondern nach einer
seinem Geschmack entsprechenden Ausführung der Bilder; ich kenne mach
meiner 27jährigen Thätigkeit als Director des Kunstvereines das Wiener
Publicum besser als Sie, und wenn Sie Ihre Bilder nicht nach meiner
Anordnung ausführen wollen, so stelle ich dieselben nicht aus!“
Innerste
Empörung kochte in mir und verschlimmerte meinen Leidenszustand derart,
dass mir oft die Sinne schwanden in Aussicht meiner unabwendbaren
Vernichtung für den Fall, dass es mir nicht gelinge, in Wien Boden zu
fassen. Das Schicksal meiner armen Kinder stand in entsetzlichem Bilde
vor meinen Augen. Ich beugte mich.
Gott
weiss es, es war nicht Feigheit, dass ich mich beugte! … (B I, 95)
Als Terke
erkrankt, wird Knesek von Bartosch zum Aufseher über Diefenbachs
Malarbeit bestimmt.
Knesek
v. Bartosch suchte sich zunächst die für seine Lebensgewohnheiten etwas
unangenehme Situation soweit als möglich bequem zu machen.
Zuerst
erklärte er mir, dass auch er (wie der Herr „Regierungsrath“) den
Geruch der Oelfarben und der grossen Leinwanden nicht zu ertragen
vermöge und dass ich ihm deshalb gestatten müsse, dass er rauche.
Dass
ich in meinem Leidenszustande die starke Ausdünstung der grossen
Flächen-bearbeitung, deren gezwungene Eile die Anwendung von Massen
starkriechender Oele erheischte, auch nicht vertragen konnte, zumal im
Winter (da der Kälte und mangelnder Vorrichtungen wegen unter Tags
schwer gelüftet werden konnte), und nun zu diesem Giftdunst und zu der
Ausdünstung von meist sechs Menschen, nun auch noch den widerlichen,
mir Schwindel und Erbrechen erregenden Tabak-qualm, der bald den ganzen
Raum derart erfüllte, dass ich in Beurtheilung meiner grossen Gemälde
beim Zurücktreten gehindert war, erdulden musste, dass ferner diese
dreifache Giftatmosphäre die Gesundheit meiner Kinder schwer schädigen
müsse, kümmerte ihn nicht. Wenn die Luft so dick war, dass ich das
Fenster öffnen und durch einige Minuten in frischer Luft mich erholen
musste, beklagte er sich über die eindringende Kälte und über den
dadurch vermehrten Kohlen-verbrauch.
Wenn
ich mich zitternd am ganzen Leib durch das beständige Malen im Stehen,
Auf- und Abspringen, Hin- und Zurückgehen auf die harte Matratze
niederlegte, um mich einigermassen auszuruhen und während der Zeit das
Gemälde geistig auszuarbeiten, was besonders bei der rasenden Eile
meines Schaffens erforderlich war, so trieb er mich an, nicht so lange
zu liegen und mich fleissiger „an’s
Malen“ zu halten. Kunstschaffen – überhaupt und unsagbar
erschwertes Schaffen im besonderen – von Schusterarbeit zu
unterscheiden, vermochte der Verwaltungsrath des „Kunstvereines“ nicht
und meine Versuche, ihm das vorzustellen, wies der (96)
„Director-Stellvertreter“ als „Ausreden“ ab und erklärte, zu wissen,
dass ich ohne beständige Peitsche und Anspornungen nichts arbeite,
weshalb ich es bis jetzt „zu nichts gebracht“ habe und alle meine
Gemälde unvollendet seien.
Um mir
das „Faulenzen“ unmöglich zu machen, legte er sich auf die Matratze,
entweder stier dem Rauch seiner Cigarre nachschauend oder zeitunglesend
oder aber mir predigend über das Unvernünftige meiner „Schrullen“ und
über die Folgen meiner etwaigen Renitenz gegen die Anordnungen des
Herrn „Regierungsrathes“; diese Folgen würden in nichts Geringerem
bestehen als in meiner sofortigen polizeilichen Ausweisung aus Wien,
falls der Herr „Regierungsrath“ der Polizei Anzeige machte, dass meine
Ausstellung im „Kunstverein“ nicht stattfände.
Unter
widerlicheren Umständen sind wohl kaum jemals Kunstwerke entstanden!
Der
Kerkermeisterton, mit dem ich beehrt wurde, ward auch bei meinen armen
Kindern angewendet, was schwere Folgen hatte, umsomehr, als den Kindern
jede Möglichkeit einer ihrem Wesen entsprechenden Beschäftigung und
mir, bei meiner Ueberlastung, die Möglichkeit der Erziehung und
Belehrung benommen war.
Im
Beisein meiner Kinder und meines Schülers wurde ich theils wie ein
Staatsverbrecher, theils wie ein Schwindler, der von unehrlichem Credit
lebe, theils als unzurechnungsfähiger Trottel behandelt. … (97)
In solcher
Lage, deren Qualen gesteigert wurden durch die
Verschlimmerung meines körperlichen Leidens, für welches ich jeglicher
Pflege und Rücksicht entbehren musste, - entstanden in der Zeit vom
3. Jänner bis zum 17. Februar sämmtliche grosse Gemälde meiner
Kunstvereins-Ausstellung. …
Wer
bedenkt, was es heisst, in 44 Tagen unter solchen Umständen 11 grosse
Wandgemälde zu schaffen, der wird die Bezeichnung meiner Anstrengung
mit dem Worte „übermenschlich“ wahrlich nicht übertrieben finden. (98)
Triumph und
Untergang
Tatsächlich
wurde die umfangreiche Präsentation Diefenbachscher Werke trotz der
Kritik Terkes ein Erfolg: laut eines Berichts im Neuen Wiener Tagblatt
strömten in den neun Monaten vom 18. Februar bis 29. Juli 1892 78.000
Besucher in den Kunstverein, darunter auch begeisterte Mitglieder der
adeligen Gesellschaft.
Die
Rechnung des Leiters Terke und seines Kassenverwalters Knesek von
Bartosch ging damit auf, denn sie hatten sich aufgrund der zahlreichen
Skandale um Diefenbach eine Publikumssensation erhofft und den Künstler
damit als „Schaubuden-Object“ genutzt, um den hochverschuldeten Verein
zu sanieren. Tatsächlich wurde sogar die gesamte Wachmannschaft Wiens
dahingehend verständigt, Diefenbach von jeder Unannehmlichkeit auf der
Straße seiner ungewöhnlichen Kleidung wegen zu bewahren. Er musste sich
verpflichten, nie ohne Begleitung durch die Leitung des Kunstvereins
die Lokalitäten oder Straßen Wiens zu betreten. Dies empfand er als
Abhängigkeit und gleichzeitig Beschneidung seiner persönlichen
Freiheit. Als Diefenbach die Taktik durchschaute und sich zu lösen
versuchte, gewann ihn Terke erneut mit dem Plan einer
„Weihnachtsausstellung“. Zu diesem Zweck sollte Diefenbach einen Zyklus
von Kolossalbildern malen, der die christliche Weihnachtslegende
visionär darstellte. Voraussetzung des Kunstvereins war, dass
Diefenbach die Herstellungs- und Unterhaltskosten durch ein Darlehen
gegen Verpfändung einiger Gemälde selbst tragen und einen Teil des
Darlehens „aus Dankbarkeit“ dem verschuldeten Kunstverein überlasse
sollte. Dieser Passus des Vertrags sollte zu Diefenbachs Ruin führen. (Claudia Wagner: Der
Künstler KWD, S. 42)
Ein erpresstes
Darlehen
Auf Betreiben
von Terke muss Diefenbach ein Darlehen von 5000 Gulden aufnehmen, das
der Ausstellung zugute kommen soll, in Wirklichkeit aber weitgehend in
die Taschen des Kunstvereinsdirektors fließt. Da Diefenbach das
Darlehen nicht zurückzahlen kann, ist
damit sein späterer Bankrott und die daraus folgende Pfändung seiner
Bilder besiegelt.
Endlich
war das Darlehen zu Stande gekommen. Es waren „uns“ mehrere Darlehen
von verschiedener Seite in Aussicht gestellt, von welchen Terke am
liebsten das größte zu Stande gebracht hätte; er stellte mir, um mich
dafür zu gewinnen, vor, dass ich dann mit einem Male alle meine
Schulden bezahlen und dann erleichtert und ungehindert neue Kunstwerke
schaffen könne. …
Mit
schwerem, gepresstem Herzen gab ich meine Zustimmung. Vor dem
notariellen Vertragsabschluss drängte mich Terke in der so oft an mir
verübten – wie ich später erfuhr, auch von anderen Menschen ihm
nachgeklagten – Weise, welche ich stets als eine rohe Vergewaltigung in
meiner abhängigen Notlage empfand, nach seinem Diktat dem „Werten Herrn
Regierungsrat“ schriftlich zu geben, dass ich von dem „durch seine
Bemühungen (!) und unter Haftung des Kunstvereins (!)“ zu Stande
gebrachten Darlehen dem Kunstverein fl. 2000 als unverzinsliches
Darlehen auf ein Jahr übergebe, fl. 1000 zur Sicherung der
Weihnachts-Ausstellung einschließlich meiner Verpflegung (und
selbstver-ständlich doch auch meiner Kinder) ihm überweise und den Rest
von fl. 2000 nach Abzug der Kosten des Darlehens ihm zu meiner freien
Verfügung (Abzahlung meiner Schulden) in Verwahrung übergebe. Diese „Verwahrung“
begründete er damit, dass ich „überhaupt
nicht mit Geld umzugehen wisse und weder eine Tasche noch ein
verschließbares Gefach zur Aufbewahrung von so vielem Geld habe.“ Als
ich mich gegen diese „Verwahrung“ meines Geldes sträubte, drohte er
mir, seine Unterschrift zu dem Darlehen nicht zu geben, welches dann
nicht zu Stande komme. Dabei trieb er zur Eile, da der Notar und der
Advokat schon im Vorzimmer warteten und ungeduldig würden. Mir war
keine Minute Zeit gelassen zur Begründung meines Widerspruches und zur
Überlegung; in empörender Brutalisierung und förmlicher Überwältigung
wurde ich gezwungen, den Brief wörtlich nach
seinem Diktat zu schreiben, wobei Terke hinter mir stand, jeden
Schriftzug beobachtete und bei jedem Sträuben drängte; sobald ich
meinen Namen unterschrieben hatte, nahm er mir in gieriger Hast das
Schreiben weg und steckte dasselbe, nachdem er flüchtig Sand darauf
gestreut, in seine Tasche. Alles das geschah mit einer mich betäubenden
Schnelligkeit und Sicherheit, welche vorherige zielbewusste Absicht und
große Übung in derartigen Manipulationen voraussetzt.
(Diefenbach in Beitrag I, 248-50)
Als nun
Diefenbach das „Terken-Joch“ abschüttelte und den Kunstverein verließ,
verfügte er, ungeachtet der enormen Summen, die er ins Verdienen
gebracht hatte, über keinen Kreuzer Geld, so dass er in die größte Not
geraten wäre, wenn ihm nicht zur rechten Zeit ein hiesiger Hotelier
hilfreich unter die Arme gegriffen hätte. Diefenbach hatte neun Monate
im Kunstverein förmliche Sklavendienste verrichtet, dem Vereine selbst
enorme Summen hereingebracht, ein Darlehen vorgestreckt u.s.w. und
verließ nun dieses Institut, dessen erste Aufgabe es doch hätte sein
sollen, ihn, den Bedürftigen, auf das Tatkräftigste zu unterstützen –
ärmer als er gekommen war, denn nicht nur, dass er nun mehr Schulden
als je besaß - wurden ihm auch ganz widerrechtlich seine fertigen
Gemälde, die einen Wert von über 10.000 fl. repräsentieren,
zurückbehalten. (Hans
Arnold Schwer)
Nach
einem Jahre übermenschlichen Arbeitens zur Vollendung seiner Gemälde
und schmachvoller Entwürdigung seiner Person, nachdem die Ausstellung
seiner Werke neun Monate lang ganz Wien an sich gefesselt hatte,
verließ Diefenbach in tiefster Not den mit so großen Erwartungen
betretenen Kunstverein: um den gesamten Gelderfolg der Ausstellung
betrogen und seiner wertvollsten Gemälde beraubt, sah sich der
erschöpfte Märtyrer gezwungen, sich und seine Kinder der Polizei als
mittel- und obdachlos anzumelden. Sein Hilferuf verhallte im Lärm des
Großstadttrubels.
(Paul
Ritter von Spaun: Zum Fall Diefenbach, S. 5)
Im Rollwagen
mit seinen Kindern im Wiener Kaisergarten
Zuflucht im
Kaisergarten
Inzwischen
hatte ich auf meinen unzähligen Gängen – die reinste Robinsonade – zur
Erlangung einer geeigneten Wohn- und Werkstätte, die beide in meinem
Leidenszustande und meinen sonstigen Verhältnissen nicht getrennt sein
können, durch den Verwalter des Riesenbaues der „Rotunde“, in dessen
Seitenflügeln ich glaubte mich für einige Zeit „zigeunerhaft“ – wie ich
nun schon einmal geworden bin – mit meiner Familie und meinen „vielen
angefangenen und ewig nicht fertig werdenden“ Bildern einnisten zu
können, erfahren, dass leichter als dieses Asyl von dem
Handelsministerium zu erlangen und für mich einzurichten, die
Überlassung des ehemaligen Lustschlösschens der kaiserlichen Familie im
„Kaisergarten“ am Anfange des k. k. Praters zu erreichen wäre.
(B II, 440)
Vor dem
Pavillon im Wiener Kaisergarten mit Katinka Kolarik (stehend),
Magdalene Bachmann und seinen Kindern (von links) Lucidus, Stella und
Helios.
Silvester
1894
Mit
meiner Familie machte ich gegen Abend einen Erholungsspaziergang zu dem
Steinbruche von Purkersdorf, um zugleich von dort geeigneten Kies zur
Anfertigung der einfachen Rahmen für die neuen Ausstellungsgemälde
mitzubringen. Meine Kinder, welche, nachdem sie jetzt keinen
verderblichen Einflüssen mehr ausgesetzt waren, ruhig und heiter mich
umgaben, freuten sich nach ihren täglichen regelmässigen
Unterrichtsstunden durch die ihnen lieb gewordene Lehrerin [Magdalene
Bachmann], mir in irgend einer Arbeit behilflich sein zu können,
umsomehr wenn dies, wie an jenem Sylvesterabend, mit einem
gemeinschaftlichen Gange in’s Freie verbunden werden konnte.
Während
die Kinder auf einem kleinen Handschlitten einen schweren Sack mit dem
uns von dem Steinbruchverwalter sehr freundlich überlassenen Kies vor
uns herzogen und der kleine, stets heitere Lucidus obenauf sitzend sang
und declamirte, erfreute ich mich, gestützt auf den Arm Fräulein
Kolarik’s und Bachmann’s in wehmüthiger Stimmung, das Schicksal meiner
Bilder besprechend, der innigen Harmonie, welche mich jetzt umgab,
welche mich stützte und mich mit Trost und Muth erfüllte.
(Beitrag II, 575)
Mit seinen
Kindern in Wien, um 1892
Bittgang zum
Fürsten Metternich
Nach dem
Verlust seiner Bilder und seines gesamten Besitzes war Diefenbach als
Obdachloser in einem leerstehenden Pavillon des Wiener Kaisergartens
untergebracht worden. Im Sommer 1894 sollte er dieses Notasyl räumen,
weil eine Gesellschaft von Millionären mit Fürst Metternich an der
Spitze den Kaisergarten zu einem Vergnügungsplatz für die Wiener
vornehme Welt umwandeln wollte. Weil sich der Fürst in seiner
Ausstellung sehr achtungsvoll mit ihm unterhalten hatte, machte
Diefenbach sich Hoffnungen, bei ihm Gehör zu finden. Er begibt sich zum
Palast des Fürsten, um dort ein weiteres Verbleibendürfen zu erbitten.
In dem
Palaste der Fürstin Metternich, welcher ich meine Lage persönlich
vorstellen und meine Bitte … wegen meines Verbleibens in meinem seitherigen Asyle …
aussprechen wollte, wurde mir von der Verwalterin gesagt, dass die
fürstliche Familie zum Sommeraufenthalte in Gloggnitz am Fusse des
Semmering weile …
Mit
unsagbarem Schmerz und Bangen um das Schicksal meiner Bilder setzte ich
mit meinem Kleinen die Reise nach Gloggnitz fort. Dort angekommen,
begegnete mir auf dem Parkwege zur fürstlichen Sommerwohnung ein
vornehm gekleideter Mann, der mich sehr unvornehm, als ob er einen
verdächtigen Vagabunden vor sich hätte, fragte, wohin und was ich
wollte. Als ich mich ihm vorstellen wollte, sagte er spöttisch
lächelnd: „Ich kenne Sie“; mir zu sagen, wer er sei, hielt er für
überflüssig. Durch sein Benehmen wurde mir klar, dass er einer der …
Fürstenschützer gegen „Querulanten“, Bettler und Bittsucher sei. Auf
meine ruhig bescheidene Antwort auf seine Frage, dass ich in einer
drängenden Angelegenheit, von welcher mein Leben abhinge, die Fürstin
oder den Fürsten Metternich um Gehör bitten wolle, erhielt ich unter
cynisch-höhnischem Lachen die Entgegnung: „Das geht nicht so, wie Sie
sich das denken“, und damit die deutliche Weisung, den Park zu
verlassen. Auf meine hierauf in etwas festerem Tone wiederholte
Erklärung, welcher ich hinzufügte, dass ich sehr leidend sei und im
Stehen auf der Strasse (!) ihm nicht mein Anliegen an die Fürstin
vortragen könne, sagte er: „Warten Sie auf der Bank vor dem Hause, bis
ich zurückkomme.“
Mit
beklemmter Brust über solchen Empfang sass ich an der Hinterseite des
Hauses auf einer Gartenbank wohl eine Stunde lang, umstanden, umgangen
und besprochen von allen männlichen und weiblichen Domestiken der
fürstlichen Hofhaltung. Als endlich der Fürstenschützer zurückkam, lud
er mich nicht etwa ein, auf seinem Zimmer ihm mein Anliegen
vorzutragen, sondern fragte mich – im Beisein der sich bei seiner
Annäherung etwas zurückziehenden Domestiken – in barschem Tone: „Also,
was wollen Sie?“ Auf meine hierauf kurz und bestimmt gegebene
Erwiderung: „Ihre Durchlaucht die Fürstin oder Seine Durchlaucht den
Fürsten Metternich lasse ich bitten, mir in einer drängenden
Angelegenheit, von welcher mein Leben abhängt, Gehör zu schenken“, ging
der „höfliche“ Mann unwillig brummend weg. Welcher Art seine Meldung
meiner Bitte bei der fürstlichen Familie war, konnte ich mir denken.
Nach kurzer Zeit kam er zurück und sagte zu mir in kaltem. Befehlendem
Tone: „Gehen Sie mit mir!“ Als wir in einem entlegenen Parkweg ausser
der Hör- und Gesichtsweite der bis zum letzten Augenblicke mich mit
Theilnahme und Interesse, jedenfalls mit höherer Würdigung als der
vornehme Höfling, beobachtenden Domestiken waren, sagte er, vor einer
Bank stehen bleibend: „Setzen Sie sich, wenn Sie leidend sind“, und
darauf in schneidend frostigem Tone: „Weder der Fürst noch die Fürstin
Metternich wollen Sie empfangen; Sie sollen mir sagen, was Sie wollen.“
Der Ton
schnürte mir die Kehle zu und lähmte meine Zunge. Als ich, unter
starkem Herzklopfen, ihm meine Lage schildern wollte, unterbrach er
mich barsch: „Sagen Sie kurz,
was Sie wollen, ich habe keine Zeit, lange Expectorationen anzuhören,
die durchlauchtigen Herrschaften erwarten mich zum Déjeuner.“
Als ich
entgegnete, dass mein Anliegen nicht in fliegender Hast vorgetragen
werden könne und ich um Rücksicht auf meinen leidenden Zustand bitte –
die Behandlung krampfte mir die Brust derart zusammen, dass ich kaum
mehr zu reden vermochte und mir die Sinne zu schwinden drohten – sagte
er in schnarrendem Tone: „Dann warten Sie hier, bis ich vom Déjeuner
zurückkomme, ich habe jetzt keine Zeit, Sie anzuhören“, und verliess
mich eilenden Schrittes. - - Mit einer Thräne im Auge blickte mich
mein, von dem Höfling keines Blickes und keines Wortes gewürdigter
Knabe an. Auch mir traten Thränen in die Augen. Ich drückte dem Kleinen
die Hand und verliess mit ihm den fürstlichen Park.
(Beitrag II,
557-559)
Krönung eines
Vierundvierzigjährigen
(21.
Februar 1895)
Diefenbach hat
alle seine Bilder verloren, er hat ein Buch von 600 Seiten geschrieben,
um über diesen Appell an die Öffentlichkeit seine Werke
zurückzugewinnen, er arbeitet rastlos an Gemälden für eine neue
Ausstellung. Sein Haus in Dorfen ist gepfändet, er ist in einem
„Notasyl“ untergebracht. Unter diesen Umständen bietet ihm die Feier
seines 44. Geburtstages Bestärkung und Erholung. Freunde und
Verehrerinnen sammeln sich
um ihn und feiern den vom Schicksal schwer Gebeutelten als „Bahnbrecher
einer neuen Zeit“.
Auch
der Eintritt in mein vierundvierzigstes Lebensjahr brachte mir noch
nicht die so heiss ersehnte Erlösung. Meine Kinder und ein Kreis
feinfühlender Menschen boten mir in Verbindung mit Fräulein Kolarik und
Fräulein Bachmann zu meinem diesjährigen Geburtstage solche Erquickung,
welche mein Auge den ganzen Tag nicht trocken werden liess. August
Duesberg war mit seinem Volksquartett für classische Musik und seiner
jungen, das Clavier in wunderbarem Spiel beherrschenden Frau auf
Anregung der geistreich-ernsten, still wirkenden, halberblindeten
Schriftstellerin Frau Anna Lesser-Kiessling zu mir gekommen und gab dem
Tag durch sein, mit herzlich familiärer Unterhaltung abwechselndes
Spiel hohe künstlerische Weihe; die arme Katinka Kolarik, welche ich so
bald durch einen so tragischen Tod verlieren sollte, hatte meine vor
drei Jahren von einem Schüler Zumbusch's modellirte Büste mit einem
Lorbeerkranze umgeben, dessen weiße Schleife die Widmung trug: "Dem
Bahnbrecher einer neuen Zeit!" (Das Hohngelächter aller Philister wird
dieser "eitlen" Anmerkung folgen.)
Frau
Finanzrath Ronnek, welche mir, als mich der tobende Sturm meines
Schicksals in ihre Nachbarschaft verschlug, als helfender, rettender
Engel erschienen war, nahm mit ihrer jüngsten, mit meiner
gleichaltrigen Stella befreundet gewordenen Tochter an unserer stillen,
wehmüthigen Familienfeier theil. Dr.
Bönisch, der seit einem Jahre auf seiner eifrigen Suche zur Entdeckung
der Ursache aller Krankheiten des Menschengeschlechtes zu derselben
Erkenntnis gekommen war wie ich und diese Erkenntnis an sich und seinem
Kinde und den ihm vertrauenden Kranken mit wunderartigem Erfolge
bethätigte, war mit seiner Frau und seinem Kinde gekommen und sprach in
einem von den höchsten Menschheits-Idealen begeisterten Gedichte seine
Freude aus über das Finden eines einsamen Wanderers auf diesem Wege,
welchem er sich mit Geist und Seele anschliessen könne; die Lehrerin
meiner Kinder erfreute mich durch ein sinniges Gedicht, das davon
zeugte, dass in ihr mir der Himmel einen Engel zugesandt, der mir
helfe, mein Schicksal zu überwinden und meine Kinder vor einem gleichen
zu bewahren - - -
(Beitrag
II, 577f.)