Karl Wilhelm Diefenbach

Mein Testament

an meine Schwester Elisabeth und an meinen

Bruder Friedrich

(Capri, 7. Juli bis 13. August 1909)


Inhalt

Vorwort
Testament:
Das Bild seiner Eltern Erfahrungen mit der Kirche
Entfremdung vom Glauben der Geschwister Mina und Marie Vogler, 20.Juli
8. Juli 21. Juli
9.Juli 22. Juli
10. Juli 23. Juli
Lebensunglück: Madeleine Atzinger, 11. Juli 24. Juli
Verlorener Freund und ein geachteter Priester 25. Juli
Enttäuschende Jugendliebe: Antonie König 26. Juli
Wiedergefundene Jugendbekanntschaft: Louise Meister 27. Juli
13. Juli 28. Juli
17. Juli [13. Juli]
Verhältnis zu Stella Menschheitliches Bekenntnis
18. Juli
19. Juli


Hiernach wirst Du einsehen, daß mein Austritt aus der katholischen Kirche

nicht aus Religionslosigkeit erfolgt ist, sondern nach Schillers Wort:

"Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die Du mir nennst - aus Religion!",

aus tiefster, heiligster Religionsempfindung, welche

die Verwirklichung der "frohen Botschaft" Jesu von der Menschheitserlösung und die Errichtung

des "Reiches Gottes" auf Erden durch die allgemeine Menschenliebe anstrebt,

welcher Verwirklichung die "christliche" Kirche als politisches Satansinstitut

seit sechzehn hundert Jahren wie ein Hohn der Hölle

hindernd im Wege steht.

*

Karl Wilhelm Diefenbach

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Vorwort

Im Sommer 1909 findet sich Diefenbach an einem ausweglos scheinenden Tiefpunkt seines Lebens. Seit acht Monaten ist er krank, bettlägerig, kann nicht mehr arbeiten. Die beiden Frauen, mit denen er zusammenlebt, Mina und Marie Vogler, sind unter sich und mit ihm zerstritten; im Hause herrschen Haß, Eifersucht und verbittertes Schweigen. Seine Kinder, mit Ausnahme des jüngsten, haben ihn verlassen und sich gegen ihn gestellt. Den ältesten Sohn Helios, einst seine große Hoffnung, hat er aus dem Hause weisen müssen. Nachdem der Verächter seines Vaters, der ihn auf offener Straße beschimpft und bespeit, gegen dessen Willen nach Capri zurückgekehrt ist, lehnt er seine Wiederaufnahme und jede Unterstützung ab. Gleichwohl versucht er unermüdlich mit Zureden und Briefen an hilfswillige Menschen, den verlorenen, nach seiner Meinung dem Wahnsinn und dem Selbstmord zutreibenden Sohn zu "retten". Mit gleicher unermüdlicher Zähigkeit wirbt er um die Rückkehr seiner ihm ebenfalls seit langem entfremdeten Tochter Stella. Schüler oder Mitarbeiter, die sich einst zahlreich um ihn drängten, hat er keine mehr. Sein eigenes Kunstschaffen ist zum Erliegen gekommen; er fühlt sich vorzeitig gealtert, seelisch und körperlich gebrochen und dem Wahnsinn nahe.

Sein baldiges Ende ahnend hat er nur noch den einen Wunsch, sich vor der Welt und Nachwelt zu rechtfertigen. Er fühlt sich verkannt und verleumdet von Anwürfen, die von allen Seiten, seinen Kindern, seinen Schülern, seinen Frauen, von Bekannten und Verwandten, von der Kunstkritik und der Presse auf ihn niederprasseln. Er zieht die Bilanz seines Lebens und sieht sich als Gescheiterten, gescheitert vor allem darin, sein hohes Lebensideal der Menschheitserlösung auf dem Wege der Kunst zu verwirklichen. Er sucht nach den Gründen, nach Schuldigen, und findet sie vor allem in dem Widerstand seiner ersten und seiner zweiten Frau, die beide zu seinen Feinden und Anklägern wurden. Hinter ihnen aber, als letzten und eigentlichen Grund, erblickt er die Teufelsfratze eines "Christentums", das diese Frauen zum Werkzeug der Rache an einem Abtrünnigen gemacht habe. Letztlich, so gibt er immer wieder zu verstehen, ist es der Kampf zwischen zwei Weltanschauungen, zwischen der Macht der herrschenden unseligen Traditionen und seinem befreienden Rebellentum, ist es sein Eintreten für eine natur- und erdfromme, zugleich vernunftgemäße Religion und Lebenspraxis, was seine Familie zerrüttet, seine künstlerische Entfaltung und Wirkung behindert und seine Gesundheit zerstört hat.

In dieser verzweifelten Lage sehnt er sich in seine Heimat, zu seinen Wurzeln zurück. Seine ihm unerträglich gewordene Ehefrau Mina wird nach Deutschland geschickt, um mit Ausstellungen den durch seine Krankheit gefährdeten Lebensunterhalt zu sichern. Sie nimmt Verbindung mit seiner ihm seit Jahrzehnten entfremdeten Schwester Elisabeth auf, und Diefenbach bemüht sich, zunächst aus geschäftlichen Gründen, ihr Vertrauen wiederzugewinnen. Immer mehr jedoch erscheint sie ihm als der geeignete Ansprech-partner für seine Lebensbeichte und Lebensbeschreibung, mit der er sich vor aller Welt rechtfertigen und ihre vermißte Achtung wiedergewinnen will. In seiner Schwester sieht er die erste Verursacherin seines Elends, weil sie die erste war, die sich seiner geistigen Befreiung aus überkommenen Vorurteilen in Wort und Tat entgegensetzte. An sie und seinen Bruder Friedrich, die in den alten Konventionen verbliebenen Katholiken, richtet er sein "Testament": leidenschaftliche Abrechnung mit seiner Herkunft, bittere Anklage gegen das von ihm verworfene "Christentum".

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Mein Testament

an meine Schwester Elisabeth und

an meinen Bruder Friedrich

(Zwischentitel vom Herausgeber)

* * * * *

Liebe Schwester! Capri 7.Juli 1909

Sei versichert, daß ich niemals auch nur einen Augenblick daran gezweifelt habe, daß Du aus tiefstem liebenden Herzen es gut mit mir meintest und nach dem Tode unserer Eltern mit allen Deinen weiblichen Kräften bestrebt warst, mir eine Häuslichkeit zu bieten, die mir ein ungestörtes Kunststudium und Kunstschaffen ermöglichen sollte.

Kein Hauch des Zweifels oder des Vorwurfes trübt mein abgeklärtes Erinnern und Denken an Dich und Dein mütterliches Empfinden und Handeln für meinen Sohn Lucidus. Die schwesterliche Empfindung und Behandlung, die Du meiner jetzigen Frau entgegenbrachtest sowie Dein warmes Interesse und Dein opferbereites tätiges Eintreten für meine durch letztere nach unserer Heimat gebrachten Kunstwerke geben mir neue Beweise Deiner tiefinnerlichen und schwesterlichen Empfindung für mich.

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Das Bild seiner Eltern

Ich wollte schon seit vielen Jahren meinem Empfinden für Dich und Friedrich durch Übersendung der lebensgroßen Bildnisse unserer Eltern, Kopien der nach ihrem Tode geschaffenen, mich in meinem schweren inneren und äußeren Lebenskampf stets begleitenden Bilder Ausdruck geben. Die Bilder sind seit Jahren in je drei Paaren, ein Paar für Dich, eins für Friedrich, eins für die Ausstellung untermalt und teilweise der Vollendung schon sehr nahe, aber der brutale Zwang zum Schaffen um Gelderwerb zu des Lebens Notdurft sowie endlich meine Erkrankung machten mir deren Vollendung, eine herzerhebende liebe Arbeit für mich, bis jetzt unmöglich. Ebenso die Ausführung einer vergrößerten und nach meinem Kunstempfinden vervollkommneten Kopie unseres von Kögler geschaffenen Familienbildes aus dem Jahre 1866, welches neben den alten, unberührt bleibenden Originalbildnissen unserer Eltern und deren lebensgroßen Büsten, die ich darnach vor sechs Jahren durch die Hand eines meiner Schüler schuf, mein Klavier umgibt, das mir durch mühe- und liebevolles Einüben von Beethovens Sonaten die einzige Abspannung, Erquickung und Erhebung meines gemarterten Geistes und meiner wundzerrissenen Seele in meiner Lage eines lebendig Begrabenen bietet.

"Von hohem Interesse ist ein Familiengruppenbild, das in genialer Weise mit Benutzung eines im Jahre 1866 von einem ehemaligen Schüler seines Vaters, Leonhard Diefenbach, nach dem Leben gemalten Bildes entworfen ist: Von den Schwestern Diefenbachs steht eine singend im Mittelpunkte des Bildes am Klavier, vor welchem die andere, sie begleitend, sitzt. Hinter dem Klavier sitzt der damals fünfzehnjährige "Karl", den Robinson lesend. Was hat er, der Jüngling, durchlebt und getan, bis er sich als "verdächtiger staatsgefährlicher Narr" da draußen in dem Steinbruch einnistete? Auf der linken Seite des Bildes sitzen die Eltern Diefenbachs in schwer erkämpftem stillem Familienglücke. - Wenn sie hätten ahnen können das Schicksal ihres Sohnes!" - - - "Nicht geringere Wehmut ergriff mich, als ich die ersten Anfänge der 'Kindermusik' sah, welche Diefenbach als dreiundzwanzigjähriger junger Mann machte, während der Todeskrankheit seiner Mutter, der hoffnungslos Leidenden Erquickung zu bereiten. Das Bild seiner Mutter, die er wie eine Heilige verehrt, hat er öfter gemalt, den Blick mit milder, tiefbewegter Seeelenstimmung in die Augen des Beschauers gerichtet."

Ich führe diese Sätze aus einem Berichte über mein "Treiben" und mein Kunstschaffen aus 'Gesellschaft. Monatsschrift für Literatur und Kunst' von Dr. M.G.Conrad, Heft 11, 1889, an, um durch ein öffentliches Dokument an meine Jugendzeit und an unsere Eltern anzuknüpfen und die Entstehung der ungeheuren Kluft zu erklären, die uns nach dem Tode unserer Eltern auf grausamste und verhängnisvollste Weise für das ganze Leben trennte. Ich habe Euch jahrelang in tiefstem namenlosem Schmerz beweint, und noch jetzt treten mir bei der Erinnerung an die Vernichtung meines schönen Familientraumes, zu dessen Verwirklichung ich mein schwer erkämpftes Akademie-Studium geopfert hatte, die Tränen in die Augen.

Ich hatte, um unsere Eltern und Euch Geschwister zu mir nach München zu nehmen, außer der Opferung meiner Akademiestudien, angesichts des unrettbar dem baldigen Tode verfallenden Leidenszustandes unserer Eltern jede Äußerung des seit Jahren in mir gärenden Geistes- und Seelenkampfes gegen die Naturwidrigkeit und Menschheitswidrigkeit des uns als "Religion" zur Verehrung und Befolgung von Kindheit an vorgestellten Priesterinstitutes der katholischen Kirche unterdrückt. Aber nicht nur unser Vater sondern auch unsere so tiefreligiöse Mutter haben mir vor ihrem Tode ihre aufdämmernden Zweifel an der Christlichkeit, d.h. an dem Menschheitswerte der katholischen Kirche und ihrer Priester ausgesprochen, zu welchen Zweifeln das damals entstandene neue Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit, der bei jeder Gelegenheit dokumentierte empörende Fanatismus der nach den Satzungen der "von Gott geoffenbarten Religion" handelnden Priester der katholischen Kirche (ich erinnere Dich nur an das Begräbnis des armen Willi Bill und an die schimpfliche Hinausweisung unserer damals etwa zwölfjährigen unglücklichen jüngsten Schwester aus der Schule durch den Kaplan Diefenbach, der ihre kurzen Ärmel vor der ganzen Klasse als "unanständig" und "schamlos" bezeichnete, sowie an die unchristliche Stellung unserer nächsten fanatisch-katholischen Verwandten - Ehrenbreitstein - und vor allem die geradezu scheusälige Stellung unseres "Hochwürden"-Onkels Albert gegen sie) den Grund gelegt hatten. Unsere Mutter wie unser Vater haben mich beide draußen in der freien Natur, wohin ich sie im Krankenwagen gefahren, bei solchen Äußerungen ihres innersten Empfindens förmlich um Verzeihung gebeten für das Unrecht, das sie mir unbewußt infolge meines von früher Kindheit an geäußerten Widerstrebens gegen die "Religion" in kirchlich verblendeter Verkennung meines Wesens zugefügt, haben mich gesegnet und mir gedankt für meine Religions-Betätigung an ihnen und unter Tränen ihrem Schmerz Ausdruck gegeben, daß sie sterben müssen, jetzt, da ihnen meine unerwartete Entwicklung und Betätigung als Mernsch und Künstler ein Lebensglück in Aussicht stelle, das sie entschädigt hätte für ihr kummervolles schweres Leben und sie mit Freude und Stolz über einen solchen Sohn erfüllt hätte.

Nicht eitle Prahlsucht mit meiner Sohnestat läßt mich diese in Einsamkeit von unseren sterbenden Eltern zu mir gesprochenen Worte, die mich als heiliges Vermächtnis, als balsamisch lindernder stärkender Trost während meines fürchterlichen Lebenskampfes begleiteten, Dir aussprechen, sondern mein tiefer Herzenswunsch, vor unserem Tode Euch im Andenken an unsere Eltern und unter Anrufung ihres Geistes die Versicherung zu geben, daß nicht ein Augenblick meines späteren Lebens unwürdig des Segens und der hohen Erwartung unserer sterbenden Eltern gewesen ist; daß nicht eine einzige Handlung meine Seele trübt und mein Gewissen drückt, deren ich mich vor unseren Eltern, wären sie am Leben geblieben, hätte schämen müssen, daß ich dagegen die schmerzlich-tröstende Gewißheit in mir fühle und hege, daß mir mein fürchterlicher Lebenskampf, von welchem Ihr keine Ahnung habt, erspart geblieben wäre, wenn ich das erstgeborene Kind unserer Eltern gewesen wäre, wenn ich als solches víer Jahre früher zu meiner abgeklärten Weltanschauung gelangt wäre, der ich als Vorwort zu meinem Lebenswerk 'Per aspera ad astra' aus meinem Tagebuch kurzen Ausdruck gegeben habe. Unsere Eltern würden - das beweisen ihre obenerwähnten Worte zu mir - in meiner Erkenntnis die Lösung der ihnen unlösbares Rätsel - "unerforschlicher Ratschluß Gottes" (Sphinx, Fatum) - gebliebenen gewaltigen Lebensfrage: Woher und warum so viel Elend und Leid unter den Menschen trotz der "Erlösung durch Christus"? gefunden und erkannt haben; würden von ihrem naturwidrigen Todesleiden verschont geblieben sein; würden durch Annahme der naturgemäßen Lebensweise, wie ich sie erkannt, ihr Leben verlängert und als Lohn für ihr bienenfleißiges schweres Arbeiten das höchste Glück des Alters: die Früchte meiner Entwicklung und Betätigung genossen haben; würden in einem sanften, schmerzlosen, seligen Tode hinübergeschlummert sein oder uns vielleicht heute noch lebend umgeben. Wie ganz anders wäre mein Schicksal geworden!

Ich schreibe dieses im Anblick von drei Bildern, welche, zu einer Gruppe vor meinem Krankenlager vereint, der Ausdruck meines Seelenempfindens als Sohn, als Mensch und als Mann sind, und welche mich einst vor der Nachwelt verteidigen werden gegen allen häßlichen Schmutz, der mir nachgesagt wurde, seitdem Du mich verlassen und wegen dessen Du und Friedrich Euch "eines solchen Bruders" schämen zu müssen glaubtet, wie mir Friedrich damals schrieb und auf meine Entgegnung hinzufügte: "Einem Ketzer darf man nicht Glauben und Achtung schenken" - dem Bilde unserer Mutter, "deren Blick mit milder tiefbewegter Seelenstimmung" mich tröstend und segnend trifft; meinem Bilde des sterbenden Christus, von welchem Conrad in seinem Münchener Roman: 'Was die Isar rauscht' schreibt: "Aber seinen Christuskopf malt ihm in der ganzen Akademie doch keiner nach. Welch eine Apotheose des Leids und der Verzeihung! Das bleibt sein Denkmal!" Und ein anderer Kunsthistoriker schrieb: "Ein solches Kunstwerk konnte nur aus den Händen eines Künstlers, der selbst den bittersten Kelch des Leidens bis zur Neige leeren mußte, hervorgehen." Und dem Fantasie-Bilde eines Mädchens, das von vielen "der weibliche Diefenbach" genannt wurde, "welches den Beschauer ansieht mit einem Blicke, der bis in die Seele dringt und jedes Herz bewegt" ('Gesellschaft', Nr.11, 1889), und über dessen Variante 'Gretchen' eine unglückliche Dichterin (Mutter von sieben Kindern) ihrer Gedichtsammlug die Widmung an mich voraussetzte mit den Worten: "Das Unrecht, das je ein Mann an der Weiblichkeit verübt, die Schmach, das unsagbar innerste Wehe, die je ein edles Weib erduldet, das stumme Leid, das um Hilfe und Erlösung flehend, zum Himmel aufstieg aus unzähligen Frauenseelen - es liegt in den Augen dieses 'Gretchens'. - Nicht ein Weib - der Genius der Menschheit segnet Dich für diese Tat!"

Möchten diese drei Bilder auch Dir und Friedrich sagen, was meine Gesamtwerke noch jedem feinfühlenden Beschauer gesagt haben: Der Schöpfer solcher Seelengemälde kann niemals eine niedrige Handlung begangen haben!

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Seine Entfremdung vom Glauben der Geschwister

Ich betone nochmals: Kein Vorwurf gegen Dich und Friedrich soll diese Erinnerung an die Entstehung der uns trennenden Kluft sein, sondern Erklärung derselben, das einzige Mittel zu deren Beseitigung, welche nicht zu erreichen ist durch das von Dir wiederholt empfohlene Mittel des "Schweigens über das Vergangene" und nicht durch Deine, von Friedrich bestätigend mit unterschriebene Erklärung, daß es nicht die "Religion" gewesen sei, was uns trennte. - - -

Meine erste, nach mehrjähriger Unterbrechung, nach dem Tode unseres Vaters gemachte Tagebuch-Dokumentierung meines Lebens enthält nach dem Ausdruck meiner Klage über das "Umsonst" und das "Zu spät" meiner Sohnestat und nach der Bezeichnung meines nunmehr nächsten und höchsten Lebenszieles: meine geistige und seelische Befreiung von dem Pseudo-Christentum der Kirche, über deren Unwert und Gemeinheit durch die empörend gewerbsmäßigen, statt Trost schale Worte und roheste Verletzung dem Trauernden bietenden kirchlichen Zeremonien bei dem Tode und der Beerdigung unserer Eltern der letzte Schleier zerrissen und die letzte Spur der mir von meiner Kindheit her damals noch anhaftenden Ehrfurcht vor dem "weltbeherrschenden" Priesterinsitut vernichtet worden war, den Ausdruck meines Seelenschmerzes darüber, daß Du mir zur Erreichung dieses damals schon als menschheitlich empfundenen höchsten Zieles meines Lebens nicht nur nicht folgtest, sondern in starrem kirchlichem Fanatismus bei jeder Gelegenheit in und außer unserem Hause die fürchterlichsten Hindernisse und Vorwürfe entgegensetztest. Ich wußte damals noch nicht, daß es dem weiblichen Geiste meist unmöglich ist, sich über die im Kindesalter erhaltenen Eindrücke hinaus zu erheben und zu entwickeln.

Dieser ersten Dokumentierung meines Schmerzes über Dein Widerstreben gegen meine Befreiung und Erhebung über den nicht bloß allein mir persönlich unertragbaren Geistes- und Seelenzwang, sondern als Verbrechen an der Menschheit, als Ursache allen Elends derselben erkannten Pseudo-Christentum der katholischen Kirche konnte ich in dem nun beginnenden bergehohen Auftürmen meines "Schicksals" über mir keine weiteren Tagebuchaufzeichnungen über die einzelnen Erscheinungen des zwischen uns immer heftiger tobenden Kampfes - von Deiner Seite: gläubig-glühende Begeisterung und fanatisches Eintreten für die "unfehlbare, von Gott geoffenbarte" katholische Lehre - von meiner Seite: die noch wildgärende und aufbrausende Empörung über das immer mehr sich mir als gemeines Betrugsinstitut zur Ausbeutung, Verrohung und Verelendung der Menschheit enthüllende scheußliche Zerrbild der menschheitlichen Lehre Jesu.

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8.Juli

Der haarspaltende Advokat Streitberg bestaunte und bewunderte die Schärfe meines kritischen und philosophischen Verstandes, bedauerte aber, daß darunter die Entwicklung meines Christentums leiden müsse. Ich erinnere mich so klar, als ob es gestern geschehen wäre, wie ich ihm im Beisein des mathematisch und musikalisch hochgebildeten, in Religionsfragen skeptischen und gleichgültigen Handelsschullehrers Ritz, diesen Irrtum widerlegte und ihm erklärte, daß ich die Kunst in höherem Sinne auffasse als nur zum Bilderfabrizieren als Marktware zur Befriedigung eines luxuriösen Protzentums oder zur Verherrlichung des schmarotzend-herrschsüchtigen Götzenpriestertums der Kirche und des darauf gegründeten schmarotzend-despotischen Fürstentums des Staates; daß ich die Kunst als die höchste Offenbarung der Gottheit im Menschen und als das höchste Erziehungs- und Veredelungsmittel der tierischen (raubtierischen!) Herdenmenschen zu "Gottmenschen" durch den "gottbegnadeten" Künstler erkenne und zu betätigen strebe und daß hierzu in erster Linie gehöre: Freiheit und Höhe des Geistes und der Seele, welche die Kirche unterdrücke und deshalb zuerst: Kampf gegen diese Unterdrückung des göttlichen Menschen durch die Kirche! Die Technik zur künstlerischen Gestaltung solcher höchster Menschheits-Gemälde sei eine Sache bloßer Übung und nur das Äußerliche des Kunstwerkes, welches, um den Geist desselben in vollkommenster Weise auszudrücken, natürlich auch auf der Stufe höchster Vollendung stehen müsse, aber ohne menschheitlichen Geist nur formale Dekoration sei oder aber Mittel zur Verblendung und Ausbeutung der Menschheit durch das Priester- und Fürstentum. Deshalb zuerst mein Drang nach jener Menschheitshöhe, dem der uns als "Religion" anerzogene Katholizismus, in Dir personifiziert und petrifiziert, auf Schritt und Tritt entgegenstand.

Daß es sich dabei nicht nur um die Absurdität des "apostolischen" (!) Glaubensbekenntnisses (jedes "Glaubensbekenntnis" und der in unserer Kindheit verlangte Treueschwur auf ein solches ist Lähmung und Ertötung allen Denkens, jeder Höherentwicklung!) handelte, beweisen Szenen, die Du mir, empört über meine "Scheußlichkeit", machtest, als ich z.B. in einem den geistlosen Philister-Kaffee- oder Bierschwatz übersteigenden Diskurs mit dem Polizeioberleutnant Lufft alle "christlichen" Fürsten (auch unseren "angestammten", von einem mächtigen Räuber und Mörder "von Gottes Gnaden" seines Thrones und seines Landes beraubten Herzog von Nassau) Schmarotzer, Räuber und Mörder nannte und den Militarismus (welcher Hohn auf die Lehre Jesu!!!) als das brutale Mord- und Raubwerkzeug eines fürstlichen Schmarotzertums bezeichnete.

Wie Du mir Undankbarkeit gegen den "guten" Herzog, dem wir so vieles verdankten, vorwarfst, während ich unseres armen Vaters gedachte, der mit seinem verkrüppelten schwachen Körper Kunstwerk auf Kunstwerk schuf für diesen und die übrigen fürstlichen und adeligen "Gönner", und von diesen, ihre Millionen aus dem ausgebeuteten Volk ziehenden, Nichtstuern und Nichtskönnern so elend dafür bezahlt wurde, daß er trotz der Sparsamkeit und wirtschaftlichen Tüchtigkeit unserer Mutter bei Bäcker, Metzger und Krämer in entwürdigenden Schreiben, deren Durchlesung mir heute noch das Blut kochen macht, um Zahlungsstundung betteln und sich und uns jeden höheren Lebensgenuß versagen mußte und einem entsetzlich darbenden Alter verfallen wäre, wenn ich dasselbe nicht mit dem Opfer meiner akademischen Studien zu erleichtern vermocht hätte. "Göttliche", "christliche" Weltordnung, unter welche wir uns nach den Predigten der Kirchenpriester in Demut beugen und unser, von dem "unerforschlichen Ratschluß Gottes", dem "liebenden Vater aller Menschen und gerechten Weltenlenker" über uns verhängtes Schicksal in frommer Ergebenheit ertragen sollen wie Hiob, indessen die priesterlichen und fürstlichen Nutznießer dieser (von ihnen geschaffenen) "göttlichen" Weltordnung sich mästen und amüsieren in Nichtstun und dabei Kapital anhäufen zu immer weiterer Scherung der gläubigen und untertänigen Schafe.

Solche, damals in meinem Geist und meiner Seele erwachenden Reflexionen und Reaktionen empörten Dein katholisches Gemüt und machten Dich statt einer sanften, der Entwicklung eines Bruders achtungsvoll und vertrauensvoll folgenden Schwester zu einer fanatischen, sittlich entrüsteten Moralpredigerin und Richterin über mich, auch in den haarsträubenden Szenen, die Du mir machtest, als ich nicht mehr zu der von den Priestern in frecher Anmaßung zur Erhaltung ihrer Herrschaft den "Gläubigen" befohlenen Beichte und Kommunion ging, oder als ich mich weigerte, zu dem Odeonsball, zu welchem ich eingeladen war und zu welchem Mitglieder der königlichen Familie erschienen, meinen Körper mit dem scheußlichen, unanständigen Frack zu behängen, oder als ich Dir vorstellte, daß die weibliche Modekleidung, die Du mitmachtest, eine jedes künstlerisch-ästhetische Feingefühl verletzende, der Hygiene und dem weiblichen Anstands- und Zartgefühl ins Gesicht schlagende, der Prostitution entstammende Entwürdigung und Verhunzung des weiblichen Körpers sei.

Ich erinnere mich hierbei der Szene, welche Friedrich mir machte, als wir im Alter von 14-15 Jahren, zusammen in einer schwülen niedrigen Dachkammer schlafend, und er vor dem Bettgehen auf der Erde knieend mit dem Rosenkranz in der Hand inbrünstig betete, währenddessen ich in dem Augenblick, als ich das Taghemd mit dem Nachthemd wechseln wollte, in dem schwülen Raume, auf dessen niedrige Decke den ganzen Tag die heiße Sommersonne gebrannt hatte, den kühlen Luftstrahl durch das kleine Dachfenster (durch welches kein Mensch sehen konnte) wie eine erquickende Wohltat, einen Hochgenuß nach der (damals mir noch unbewußten) Marter und Gesundheitsschädigung der uns von der "christlichen Moral" aufgezwungenen naturwidrigen Bekleidung unseres Körpers empfand, die mich in unwillkürlicher Sehnsuchtsempfindung meine Arme ausbreiten ließ gegen die kleine Dachfensteröffnung, durch welche der Hauch der Gottheit mich anwehte: mein, damals noch unbewußtes, instinktives Abendgebet! - "Du Schwein, schämst Du Dich nicht vor Dir selbst und vor Gott!" waren die entrüsteten Worte Friedrichs gegen mich, nachdem er sein eingetrichtertes Kirchengebet beendet hatte.

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9.Juli

Solche, nicht in unserer geschwisterlichen und menschlichen Natur gelegenen, sondern durch die Naturwidrigkeit der katholischen "christlichen" Morallehre, welche meinem innersten Empfinden widerstrebte, in Euch gepflanzte diametrale Gegensätzlichkeit unseres Empfindens äußerte sich zwischen Dir und mir, verstärkt durch Deine Gewohnheit von Kindheit an, mich als um vier Jahre ältere Schwester in meinen "Unarten" zurechtzuweisen, auf Schritt und Tritt, mit jedem Wort, mit jedem Atemzug!

Diese, von der katholischen, von Dir für "Religion" und "Sittlichkeit" gehaltenen Unnatur, gegen welche mein Innerstes sich empörte und in schwerem Gärungskampfe sich losrang, geschaffene Kluft zwischen Dir und mir, welche sich täglich, stündlich erweiterte, machte uns beiden trotz unserer geschwisterlichen Liebe zu einander und trotz Deiner aufopfernden Bemühung, mir eine gemütliche Häuslichkeit für mein ungestörtes Kunstschaffen zu bereiten, das Zusammenleben zur Hölle - Dir wie mir! "Gott" allein weiß, welche Qualen ich erduldet: in gärender Losreißung von allem, was mir von Kindheit an als "heilig", als "gottoffenbarte, einzig wahre Religion" vorgestellt worden war, in gärendem Suchen nach einem höheren Lebens- und Menschheitsideale, in qualvoller Unterdrückung meines nach Befriedigung schreienden, von Gott in jeden Menschen gelegten, körperlichen und seelischen Geschlechtsempfindens, bei rastloser Überanstrengung meines verkrüppelten rechten Armes, die mir unter ständigem Schmerz alles Blut ins Gehirn drängte, unter dem Zwange gemeiner Erwerbsarbeit, und bei allem diesem die unausgesetzte, mich bis ins Innerste verletzende und schmerzende Reibung bei jedem Worte und jedem Gedanken zwischen Dir und mir!

Wie viele Nächte trieb es mich hinaus, weil mich der Schlaf floh über Deine unbeugsame Starrheit im Verharren und Verfechten Deines katholischen Standpunktes, den Du kurzweg "die Religion" nanntest, und über Deine absolute Unempfänglichkeit, Abweisung und Bekämpfung der in mir aus dem Wust des kirchlichen Götzenwahnsinns, Betruges und Unnatur sich zum Licht emporringenden verkrüppelten Keimes reiner natürlicher Menschlichkeit! Und wie beurteiltest Du von Deinem katholischen Standpunkte (der mich hinaustrieb) mein "unmoralisches" Nachtleben auf der Straße und seine Folgen! Und welche Rücksichtslosigkeit warfst Du mir vor, als ich in schreiendem zerreißendem Schmerz über die Unmöglichkeit, bei Dir Verständnis und Würdigung für meinen geistigen Entwicklungsdrang zu finden, nach meiner ersten Gasteiner Badekur (die mich mehr schwächte als stärkte) mich zwei Monate bei den Schwestern Baumgartner in Innsbruck und am Attersee in dumpfem Betäubungs- und Erholungsbedürfnis aufhielt!

Wir würgten uns gegenseitig - es war nicht mehr zum Aushalten, bei aller geschwisterlichen Liebe zu einander! Du verließest mich - blutenden Herzens, wie mir das Herz über Dein Weggehen blutete. Der Familientraum, zu dessen Verwirklichung ich mein Studium geopfert und weiter mit Freude neben meinem ersehnten Ideal-Schaffen die Geldmittel erarbeitet hätte, war vernichtet! Vernichtet durch das "Christentum", das seit seiner Entheiligung, Entwürdigung und Entartung zur "Staatsreligion" unzählige Menschen voneinander gerissen und in blutigen, barbarischen Kämpfen auf Leben und Tod gegeneinander getrieben hat.

Ich war zu Boden geschmettert, unfähig zu denken und zu arbeiten. Ich empfinde noch heute, trotz so vieler erlittenen Katastrophen, Dein Weggehen von mir als die schmerzlichste und schwerste, verhängnisvollste Katastrophe meines Lebenskampfes, welche alle weiteren über mich heraufbeschwor und durch Deine Beeinflussung der Mutter meiner Kinder gegen meine "Verirrung" direkt einleitete.

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10.Juli

Im schreienden Bedürfnis einer Pflege für meinen verkrüppelten rechten Arm, dessen in meiner überspannten Begeisterung nicht beachtete Überanstrengung jetzt bei dem Zusammenbruch aller meiner Sinne und Kräfte in schmerzhafte, jede Hantierung, selbst zum Aus- und Ankleiden, unmöglich machende Schwäche verfiel; im Bedürfnis meines wehen Empfindens, das mir den Besuch von Wirtshäusern - mir von jeher ein Ekel - und den Besuch der Akademie (durch das dort herrschende Lausbubenwesen mir ebenfalls zum Ekel gemacht) unmöglich machte, nach einer stillen, fügsamen, wie weiches Wachs mich umgebenden Weiblichkeit, nahm ich die "Maja" zu mir, die ich in meinem Betäubungsbedürfnis während der letzten Tage vor Deiner Abreise beim Schlittschuhlauf auf dem See des Englischen Gartens als höchst anständig (!) und meinen Bedürfnissen entsprechend kennen gelernt hatte. Dieses "Verhältnis", dessen Notwendigkeit zu meiner Lebenserhaltung jeder denkende, urteilsfähige Mensch einsehen muß, dessen bescheidene Armseligkeit in der Befriedigung eines durch kirchliche Unnatur als "Sünde" unterdrückten und dadurch mißleiteten und entarteten Naturtriebes unsere Mutter, vor deren Bild ich dieses schreibe, unter Tränen des Mitleids bedauert aber gewiß nicht getadelt oder gar verurteilt hätte, dessen nähere Schilderung in meiner Lebensgeschichte mich in den Augen aller deutschen Menschen rechtfertigen wird gegen jeden niedrigen Verdacht und schmutzige Verleumdung, wurde Dir und Friedrich von den beiden "christlichen" Philisterseelen Joseph Adam und Buchhändler Meyer als ein "unmoralisches Verhältnis" (Maja als eine Straßendirne) geschildert und bildet zusammen mit dem später durch die Zeitungen in alle Welt über mich verbreiteten Verleumdungstratsch schmutzigster und gemeinster Art den bei Eurer Bestreitung eines "religiösen" Grundes verschwiegenen Grund, daß Ihr Euch ferner "eines solchen Bruders" schämtet, wie dies Friedrich damals brieflich in flammender Entrüstung aussprach, und auch sein mich tief verletzendes Verhalten bei seinem Aufenthalt in Neapel und seine Nichtbeteiligung an der Fahrt seiner Reisegenossen nach Capri, durch seine Behandlung des ihm in brüderlich-herzlichster Gesinnung übersandten Gemäldes sowie durch seine an meinen Sohn Lucidus und meine jetzige Frau gestelltes Ersuchen, im Beisein seiner Frau über mich nicht zu sprechen, tätlich bewies - "christ"-katholische Moralentrüstung, die nach vierzig Jahren noch ganz von dem selben Standpunkt ausgeht, von dem aus er in unserer Jugend sich darüber entrüstet, daß ich, während er den Rosenkranz abbetete, die erquickende Abendluft über meinen, der naturwirdrigen Futterale entkleideten Körper streichen ließ und nach meiner instinktiven Empfindung mein Abendgebet an die Gottheit richtete.

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Sein Lebensunglück: Madeleine Atzinger

11.Juli

Dies "unmoralische", meiner Lebensbedingung notdürftig entsprechende Verhältnis mit Maja wurde auf eine Weise zerstört, die ich bei der Unmöglichkeit, jetzt Einzelheiten zu schildern, nur mit dem Ausdruck satanisch kurz bezeichnen kann.

Auf meiner zweiten Reise zur Gasteiner Badekur im folgenden Sommer hatte ich das Unglück, die Bekanntschaft des Weibes zu machen, das zunächst aus eigener "christlicher" Gemeinheit und dann in dieser Eigenschaft als Werkzeug meiner privaten und öffentlichen Lebensfeinde zu meiner Unterdrückung in zwölfjähriger, mir jede Stunde zur Hölle machender entsetzlicher Ehe mein Leben verwüstete und über ihren Tod hinaus durch suggerierte Entfremdung Helios' gegen mich und durch Verbreitung lügnerischer Verleumdung und "christlicher" Entrüstung in der ganzen Welt gegen mich es noch heute verwüstet.

Ich beschränke mich bezüglich dieses, in einem jesuitischen Sacre-Coeur-Institut als "Erzieherin" ausgebildeten "christlichen" Weibes auf das, was ich in meinem, auch zur Mitteilung an Dich bestimmten Brief vom 25.Februar dieses Jahres an Louise Meister, sowie in einem im März an Dich geschriebenen, damals aber aus später sich Dir erklärendem Grunde nicht abgeschickten, heute anbei folgendem Briefe, sowie in kurzen Andeutungen in meiner Veröffentlichung in 'Reise und Sport' über diese mörderische Ehe, der zunächst das Weib als der schwächere Teil erlag, gesagt habe. Aber ich kann nicht unterlassen, diesen Erklärungen und Andeutungen hinzuzufügen, daß dieses in Bezug auf Religion höchst frivole und oberflächliche Weib bei jeder Gelegenheit seines fauchenden Widersetzens und ehrlosen Kampfes gegen mich, auch nachdem die arme Maja als Opfer ihrer "christlichen" Bosheit und ihrer "Moral" genannten Selbstsucht längst aus jeder, auch nur brieflichen Verbindung mit mir gebracht worden war und gar nicht mehr in Betracht kam und es sich niemals um "religiöse Überzeugung" oder Sittenprinzipien (was beides ihrem flatterhaft oberflächlichen Wesen gänzlich fremd war) handelte, entgegenschleuderte und bei aller Welt als Hauptbeweis meiner "Tyrannei", "Verrücktheit" und "Unmoral", unter welcher es kein Mensch bei mir aushalten könne, vorbrachte, daß Du ihr wiederholt eindringlichst gesagt habest: "Es ist ein Unglück für meinen Bruder, wenn er jemand findet, der ihm recht gibt oder nachgibt; er ist durch seinen Abfall von der Religion (!) auf Irrwege geraten, von welchen ihn jeder, der es gut mit ihm meint, mit allen Mitteln abzubringen suchen muß. Du wirst tief unglücklich werden und ihn seinem eigenen Verderben zutreiben, wenn Du seiner Verirrung folgst und ihn darin unterstützest!"

Wenn auch gewöhnlich unter zehn Worten dieses Sacre-Coeur-Zöglings neun Lügen waren und zur Bemäntelung und Behauptung dieser neun Lügen neun mal neun neue Lügen mit phänomenaler Skrupellosigkeit und Sicherheit gebraucht wurden, so hatte ich doch keine Ursache, an der Wahrheit dieser Worte des "christlichen" Weibes, die, so verfehlt an und für sich, noch dazu an eine so entsetzlich verhängnisvolle Adresse gerichtet waren, zu zweifeln, da dieselben völlig Deinem "katholischen Standpunkt" und Deiner persönlichen Einstellung zu mir entsprachen.

Die Mißhandlung, welche ich bei meinem zweiten Aufenthalt im Münchener Krankenhaus von der "barmherzigen Schwester" zu erdulden hatte, weil ich am Abend meiner Einbringung ins Krankenhaus in hohem Fieber bewußtlos daliegend dem fanatischen Unfug der laut heruntergeleierten Litanei (in einem Studentensaal!) keine Beachtung schenkte und nicht "mitbetete", trieb mich bei meinem gemarterten Geistes- und Seelenzustand dem Wahnsinn zu, welcher durch Deinen - ohne Zweifel herzlich gut gemeinten - Besuch an meinem damaligen Krankenlager aufs Äußerste gesteigert wurde, sodaß Du meine, von der "barmherzigen Schwester" mir nachher vor allen übrigen Kranken des Saales laut schimpfend zum Vorwurf gemachte Abweisung Deines Besuches nicht einer "unbrüderlichen und unchristlichen" Roheit zuschreiben darfst, sondern meinem durch den von allen Seiten mich würgenden kirchlichen Fanatismus bis zur unertragbaren Qual gefolterten, an die Grenze des Wahnsinns getriebenen Zustand zugute halten mußt.

Auf meine Beschwerde über die meinen Fieberzustand bis zur Lebensgefahr steigernde systematische Mißhandlung durch die "barmherzige Schwester" erklärte mir der Arzt nach Rücksprache mit dem Direktor des Krankenhauses, daß sie den kirchlichen Bekehrungs- und Seelenrettungsfanatismus der Pflegeschwestern im Interesse der intelligenten Kranken sehr bedauern, aber wegen des Vertrages der Stadtgemeinde mit der Oberin des religiösen Pflegeordens (nach meiner bald klar gewordenen Erkenntnis wegen der "liberalen" Feigheit dieser "aufgeklärten" Medizinpfaffen!) machtlos dagegen seien. Er gab mir den Rat, das Krankenhaus zu verlassen - in solchem Zustande! - und in einem einsam gelegenen Haus im Gebirge Erholung zu suchen, da mein Leiden mehr seelischer als körperlicher Art sei und nicht durch Medizinbehandlung geheilt werden könne.

Auf meine Entgegnung, wie ich, ohne Vermögen, mit meinem verkrüppelten Arm und meinem allgemeinen, einer ständigen liebevollen Pflege bedürftigen Zustand geeignete Zuflucht bei fremden Menschen, zumal rohen Bauern finden könne, eröffnete mir der Arzt, daß seit meiner Einbringung ins Krankenhaus ein intelligentes, gebildetes Fräulein in herzlichster Teilnahme täglich nach meinem Befinden sich bei ihm erkundige und sich auf seine Mitteilung meines im Krankenhaus unheilbaren Seelenzustandes bereit und als ihre höchste Lebensaufgabe erklärt habe, mich in Gebirgseinsamkeit in reiner idealer Begeisterung für meine Lebenserhaltung und Genesung zu pflegen. Auf den Knien beschwor und bat mich dieses "christliche" Weib im Garten des Krankenhauses, in welchen man mich zum Zweck einer ungestörten Rücksprache mit meiner sich mir aufopfernden Lebensretterin auf einer Tragbahre hatte bringen lassen, ihr "der reinsten, selbstlosesten Liebe zu mir und der glühenden Begeisterung für meine Lebensideale" entspringendes Anerbieten ihrer Pflege anzunehmen. Auf meine rückhaltlose Erklärung, daß und warum sie sich keine Hoffnung auf eine Heirat machen dürfe und daß sie bei dem "christlichen" Urteil über ein außereheliches Verhältnis der Verachtung ihrer Familie und der ganzen heutigen Gesellschaft verfalle, erklärte sie mir, daß auch sie die heutige Ehe verachte, daß sie schon ehe sie mich kennen gelernt fürs Leben auf die Ehe verzichtet habe, weil sie wegen ihrer unscheinbaren Gestalt und ihrer Vermögenslosigkeit keinen Mann nach ihrem Wunsche finden und ihrer Vermögenslosigkeit keinen Mann nach ihrem Wunsche finden und einem anderen sich nicht hingeben könne, daß ihr an der Verachtung ihrer Familie und der heutigen Gesellschaft nichts gelegen sei, wenn sie die kurze Zeit, welche ihr hochgradig tuberkuloser Zustand sie noch leben lasse, meiner Pflege widmen dürfe.

Nie ist ein idealdenkender "einfältiger" Mann von einem raffinierten Weibe satanischer mit den zuerst unsichtbaren Fäden des würgenden Netzes der "christlichen" Zwangsehe umstrickt worden, zu welcher ich mich drei Jahre später als dem einzigen Mittel, den damals einjährigen (12) Helios vor rohester, mir geltender (!) Mißhandlung zu schützen, gezwungen sah, als es in himmelschreiendem Mißbrauch meiner Pflegebedürftigkeit und Verlassenheit mir geschah! Und nie hat eine Rabenmutter satanischer ihre mißhandelten Kinder als Geiseln und Werkzeuge in ihrem teuflischen Kampfe gegen den Vater mißbraucht.

In meiner letzten Unterredung mit ihr, etwa ein halbes Jahr vor ihrem Tode, zu welcher ich sie in ihrer Wohnung aufsuchte, um ihr vorzustellen, daß sie durch ihr Treiben gegen mich (zuletzt monatliche Gerichtsexekutionen aller meiner noch unfertigen Arbeiten) den Vater und Ernährer "ihrer" Kinder vernichte, war sie, schon gebrochen in ihrer in solchem zwölfjährigen Kampfe gegen mich aufgeriebenen Gesundheit, ganz überwältigt durch mein unerwartetes Erscheinen und mein ruhiges, ihr ins Gewissen dringendes Wort, daß sie mir zur Entschuldigung ihres ungeheuren, mörderischen Vorgehens gegen mich (welches nicht aus ihrem wurmhaft unbedeutenden Wesen allein hätte hervorgehen und solche Wirkung haben können) bekannte, daß sie nicht daran gedacht hätte, mir Helios zu entreißen, nachdem ich ihr die beiden jüngsten Kinder überlassen und ich der leiblichen und seelischen Stütze des achtjährigen Helios, der mich so sehr liebte, bedürftig gewesen sei; aber der Polizeipräsident von München habe ihr, nachdem alle Gerichtsinstanzen den (durch ihn eingeleiteten) Staatsanwaltsantrag auf gerichtliche Entziehung meiner gesetzlichen Vaterrechte als unbegründet zurückgewiesen hatten, gesagt, sie müsse mit List und Gewalt sich in den Besitz des Knaben setzen, und dabei jede Polizeihilfe zugesagt, da ich ganz sicher des Landes verwiesen oder in ein Irrenhaus untergebracht würde. Außerdem habe eine aristokratische Gesellschaft ihr lebenslängliche Versorgung für sich und die Kinder anbieten lassen, sowie eine bayerische Prinzessin sich bereit erklärt, die Taufpatin der noch ungetauften Kinder zu werden, wenn sie sich dazu gebrauchen ließe, mich durch Aussagen aus unserem Eheleben in ein Irrenhaus zu bringen. Da sie dies als aussichtslos erkannt, habe sie sich in ihrer Bedrängnis und in ihrer von allen Seiten aufgestachelten und bestärkten Wut gegen mich nicht anders zu retten gewußt, als mir den vergifteten (!) Kuchen zu übersenden.

Die Klosterschwester, welche sie im Münchener Krankenhaus bis zu ihrem Tode pflegte, berichtete mir auf meine persönlich dort eingeholte Erkundigung, daß sie "in den Schoß der heiligen katholischen Kirche zurückgekehrt" (um "meine Frau" zu werden hatte sie ihren Austritt aus der Kirche, um welche sie sich, seit ich sie kannte, nie gekümmert, amtlich erklärt) und nach reuevoller Beichte und Empfang des allerheiligsten Altarsakraments ruhig in Gott entschlafen sei. Daß sie mich für das an mir begangene Verbrechen der schwersten Schädigung meines Lebens durch zwölf Jahre hindurch hätte um Verzeihung bitten lassen, daß sie die öffentlich gegen mich verbreiteten Verleumdungen widerrufen hätte - davon: kein Wort! Das von ihr und ihren "christlichen" Verwandten meinen armen Kindern beigebrachte Gift gegen mich wirkte nach ihrem Tode in der entsetzlichsten Weise, mein und der Kinder, besonders Helios', Leben verwüstend. - Doch sie starb "ausgesöhnt und wiedervereint mit der heiligen katholischen Kirche"! Sie ruhe in Frieden!

Mich aber zwingen die von ihr in alle Welt gegen mich verbreiteten, mich zu einem gewissenlosen und sittenlosen Scheusal stempelnden und dadurch meine Existenz untergrabenden Verleumdungen zur Verteidigung meiner Ehre und meines Lebens! Der von Dir wiederholt gegebene Rat, die "alten Geschichten" nicht immer wieder vor die Öffentlichkeit zu bringen, gleicht der Vogel-Strauß-Politik, und seine Befolgung würde, auch wenn ich noch so schöne Bilder malte, den Makel der allgemeinen Verachtung, den die "christliche Moral" eines elenden Weibes gegen mich verbreitete, nicht von mir nehmen, sondern bestätigen. Ich würde dagegen aus Ekel, den jeder Gedanke an jenes Weib in mir neu erzeugt, sowie um den armen Kindern den Schmerz der Verachtung ihrer Mutter zu ersparen, niemals ein Wort über die Tote gesprochen haben (da Gutes, ohne zu lügen, ich nicht von ihr zu sagen vermag), wenn ich nicht zu meiner Verteidigung, am meisten durch die heute von dem Gift seiner Mutter verblendete Stellung Helios' gegen mich und gegen sein eigenes Lebensglück, gezwungen wäre, die Entstehung der öffentlichen Meinung über meine "Schrullen und Fehler", die sich selbst in kunstkritischen Besprechungen meiner Werke bekundet, zu beleuchten und zu erklären.

Diese öffentliche Meinung über mich (bis vor kurzem auch die Deinige und heute noch die von meinem Bruder Friedrich) bedrückt und schädigt moralisch und materiell derart mein Leben, daß dadurch mein Kunstschaffen weit mehr als durch die Verkrüppelung meines rechten Armes und meine jetzige Erkrankung beeinträchtigt wird. Gegen diese Schädigung und Verkürzung meines Lebens gibt es nur einVerteidigungs- und Vorbeugemittel: Die Veröffentlichung meiner Lebensgeschichte vor meinem Tode!, hiermit zusammenhängend, meine Rückkehr nach Deutschland! -

Meine Entfernung und Fernhaltung von Deutschland wird von neunundneunzig von hundert aller heutigen Deutschen als Beweis meiner "Schuld", einer schmachvollen, mich bei jedem "anständigen" Menschen - dem eigenen Bruder - unmöglich machenden Schuld angenommen. Es tut mir leid und wehe, wenn Du und Friedrich Euch unangenehm durch dieses Schreiben und noch mehr durch die spätere Veröffentlichung meiner Lebensgeschichte, sowie durch meine Rückkehr nach Deutschland und meinen sehnlichen Wunsch, vor meinem Tode noch einmal die landschaftliche Stätte meiner Kinder- und Jugendzeit wiederzusehen, berührt fühlen solltet. Dies würde mich zwar veranlassen, Euch nicht mit meinem Besuche oder weiteren Schreiben zu belästigen, könnte mich jedoch nicht abhalten, jenen sehnlichen Lebenswunsch zur Ausführung zu bringen.

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Ein verlorener Freund und ein geachteter Priester

Von persönlichen Bekannten meiner Jugend möchte ich niemand außer Euch und Louise Meister und deren Bruder Karl wiedersehen und sprechen. Fritz Bertram, der jahrelang mein unzertrennlicher Freund war, dessen Mutter Unterhaltungen mit mir führte, welche sie abbrach, als er ins Zimmer trat, und ihm auf seine beleidigte Frage darüber antwortete, daß er noch nicht so reif und vernünftig sei wie ich, traf mich zehn Jahre später wieder in München, als ich mit ihm, in schonender Rücksicht auf seine Angehörigkeit zum Priesterstand der katholischen Kirche und auf seine Privatstellung als Erzieher adeliger Söhne zu "christlichen" Offizieren, meinen inneren Gärungskampf besprechen wollte, als anmaßender, fanatischer Pfaffe, ohne die leiseste Spur von Vernunft, von Achtung für mein ernstes, tiefreligiöses Ringen nach höherer Erkenntnis "Gottes", über welches er Spott und Hohn äußerte, ohne die leiseste Spur eines Christuszuges, dagegen in rohestem Gegensatz zu Christus, der die Dogmen und Zeremonien der "Schriftgelehrten" verwarf und als Erlösung von dieser Pfaffenpest die werktätige Nächstenliebe predigte, und auch in großem Gegensatz zu unserem (wohl schon gestorbenen) Religionslehrer Westenberger, welchem ich oft auf seinen einsamen Spaziergängen in den Wald von Niederhadamar nachgegangen bin, um mein religiöses Empfinden in höherem Grade zu befriedigen, als dies der Religionsunterricht in der Schule, der "Gottesdienst" in der Kirche und - der Beichtsuhl vermochten. Wenn Westenberger noch lebte und er noch geistfähig wäre, sich jener religiösen Gespräche und meiner Bekenntnisse im Beichtstuhl zu erinnern, würde es mir von höchstem Werte sein, anknüpfend an jene Jugendbekenntnisse und seine Antworten auf dieselben meine religiöse Entwicklung diesem Priester, den ich heute noch hochschätze, zu offenbaren. Während ich diesen Priester und den Benediktinerpater, dem Du Dein Leid klagtest, und einige wenige Ausnahmen achte, rechne ich Bertram zu den von Christus verworfenen "Schriftgelehrten" und zu jenen, von denen Schiller in seiner Übersetzung der 'Iphigenie' von Euripides sagt: "Eine ehrbegierige und schlimme Menschenart sind diese Priester!"

Auf meine im vorigen Herbst ihm durch Dich übermittelte Widmung meines 'Per aspera ad astra' mit meinem abgeklärten Religionsbekenntnis und dichterischer Andeutung meines "Ketzer"-Schicksals hat er bis heute kein Wort an mich gefunden, was ich mir nicht anders deuten kann, als daß er heute noch auf demselben Standpunkt steht wie damals in München und seine "Hochwürde" nicht durch den Verkehr mit einem "Heiden und öffentlichen Sünder" beflecken will. Echt "christlicher Nachfolger Jesu"! Es würde mich freuen, wenn Bertram nach Lesung dieses Testamentes mir im Geiste Jesu die Hand reichen würde, doch ist wohl daran noch weniger zu denken als daran, daß es mir gelänge, noch einmal nach Hadamar zu kommen.

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Eine enttäuschende Jugendliebe: Antonie König

Antonie König, welche während meiner ganzen Knaben- und Jünglingszeit das Ziel meiner Sehnsucht nach einer weiblichen Seele gewesen ist und mich in meiner reinen Vorstellung von Weiblichkeit bewahrt hat vor dem Schmutz niedrigen Denkens und Redens, welches ich fast von allen meinen Altersgenossen, besonders aber von allen älteren Männern als einzigen Stoff ihrer Unterhaltungen hörte, hat meine Vorstellung von ihr zuerst schmerzlich enttäuscht, als ich als "einfältiger" einziger Jüngling in der Tanzstunde mit nur Mädchen Gelegenheit hatte, ihr hochnäsig-amaßendes, tiefverletzendes Wesen gegen die ärmeren, still-bescheidenen, etwas linkischen und unbeholfenen Mädchen des Tanzkurses sowie gegen mich selbst, der ich ihr in denselben eben erwähnten Eigenschaften gegenüberstand, unfähig, ihr auch nur das leiseste Zeichen dessen zu geben, was ich für sie empfand. Meine seelische Enttäuschung und mein Schmerz darüber war so tief, daß sie mir die Tanzstunden, um welche mich alle meine Altersgenossen vom Gymnasium beneideten, statt zur Lust zur Qual machten und Ursache waren, daß ich ein linkischer, gar nicht unterhaltender, "blöder" Tänzer blieb, über welchen alle "vornehmen" Mädchen von Hadamar die Nase rümpften und abfällige kritische Bemerkungen machten, wie ich aus Äußerungen einiger der mir gleichaltrigen feurigen "Ball-Löwen" erfuhr.

Nicht boshafte Rachsucht, sondern Ekel vor solchem Charakter war es, was mich veranlaßte, sie öffentlich dadurch bloßzustellen, daß, als auf dem Schlußball in der Aula des Gymnasiums die Gymnasiasten sich wie eine wilde Horde auf die Mädchen gestürzt hatten, sodaß ich leer ausging und von der Eingangstüre dem Tanzen zuschaute, Antonie König mit ihrer Mutter verspätet ankam und sich, tanzbereit, an die andere Seite derselben Türe stellte, ich sie unbeachtet stehen ließ und auch später niemals mit ihr tanzte.

Die höchste Steigerung erfuhr meine Abscheu gegen ihr Wesen durch ihr Verhalten bei dem Tode des armen Willi Bill. Weil dieser bescheidene und sittsame, durch vererbte Schwindsucht dem vorzeitigen Tode verfallene junge Mann in seiner hohen Intelligenz sich geweigert hatte, die Götzenkirche der Pfaffen zu betreten und unter das Schand- und Verbrechensinstitut der Ohrenbeichte sich zu erniedrigen, verweigerte - echt "christlich" - der katholische Pfarrer der katholischen Familie des Verstorbenen dessen kirchliche Beerdigung als einem "Heiden und öffentlichen Sünder" und einem durch die "christliche" Gesellschaft in Verzweiflung und den Tod getriebenen Selbstmörder. Ich erinnere mich noch wie heute der Entrüstung, welche mit der ganzen Bevölkerung von Hadamar auch unsere Eltern über diese satanspriesterliche Roheit empfanden und aussprachen, desgleichen über den "religiösen" Fanatismus der Familie König, welche die Beteiligung ihrer Tochter an dem schönen menschlichen Brauche des Kranztragens von Jungfrauen um den Sarg eines verstorbenen jungen Mannes unter Äußerungen des rohen Fanatismus verweigerten. - "Christentum"!

Und denselben Charakter von Verblödung einerseits (an ihrer Tochter) und von Anmaßung und unweiblicher Herrschsucht und Stellung gegen ihren Mann andererseits scheint nach der Schilderung meines Sohnes Lucidus Frau Professor Hillebrand durch ihr ganzes Leben betätigt zu haben und heute noch als sechzigjähriges Weib zu betätigen. Armer Hillebrand! Bezeichnender Weise hat Frau Professor Hillebrand weder an mich noch an meinen Sohn ein Wort gefunden auf dessen Widmung meines 'Per aspera ad astra' "zur Erinnerung an die Jugendzeit meines Vaters". Daß dieses "christlich-sittsame" Weib nicht nur den Text zu meinem paradiesischen Kinderfries, und besonders dessen Vorwort, als scheiterhaufenwürdige Ketzerei empfindet und verdammt und jede Gemeinschaft und jeden Verkehr mit einem solchen "Antichristen" unter Entsetzen und Abscheu zurückweist, sondern höchstwahrscheinlich sich über die "unanständige" Nacktheit der Kinder meines Frieses "sittlich" entrüstet, ist ein typisches Zeichen des menschheitlichen Wertes des kirchlichen "Christentums", vor allem der "alleinseligmachenden" Form desselben: des Katholizismus!

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Eine wiedergefundene Jugendbekanntschaft: Louise Meister

Meine Empfindung für Louise Meister und deren Bruder Karl habe ich in meinen beiden Briefen an dieselbe, welche Du gelesen hast, ausgesprochen und habe darauf eine ihrem Leidenszustand zufolge leider nur sehr kurze aber so herzliche und seelische Antwort erhalten, die mir beweist, daß Louise, obwohl auch sie Katholikin ist, mein Wesen, meine Stellung zur Weiblichkeit und zur Religion achtet, auch da, wo sie es von ihrem Standpunkt aus nicht zu begreifen vermag. Ich betone hier nur zur Klarstellung des Grundes, der Dir wie mir unser Zusammenleben nach dem Tode unserer Eltern zur unertragbaren Hölle gemacht hat, daß ich die Überzeugung habe, daß Louise, mit welcher ich im ganzen Leben keine zehn Worte gesprochen habe und für welche ich, obwohl wir als Gevattersleute zusammengeführt wurden, allein schon wegen unseres (damals) unpassenden Altersunterschiedes und infolge der unqualifizierbaren "christlichen" Fernhaltung der beiden Geschlechter von einander, wie wir sie in unserer Jugend erdulden mußten, niemals die geringste persönliche oder gar geschlechtliche Zuneigung empfunden hatte, und von der ich mir nicht vorstellen kann, daß sie für mich eine spezielle persönliche Zuneigung über die allgemeine achtungsvolle Freundschaft hinaus empfunden hätte, an Deiner Stelle nicht zu einer solchen Entgegenstellung, einem solchen Auseinandergehen mit mir gekommen wäre, wie Du gekommen bist. Ich kann mir von dem sanften, bescheidenen Wesen, als welches mir Louise aus meiner Jugendzeit vorschwebt, nicht vorstellen, daß es sich meiner geistigen und seelischen Entwickelung aus der rohen und blödsinnigen Unnatur der katholischen Welt- und Lebensanschauung heraus derart entgegengestellt hätte, als Du es infolge Deines durch Deinen dreijährigen Aufenthalt bei den fanatisch-bigotten Verwandten in Ehrenbreitstein fanatisierten Charakter getan hast - oder gar eine Antonie König getan haben würde. -

"Christentum" - "Katholizismus": Hindernis und Vernichtung jeder Höherentwicklung!

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13. Juli

Neun Zehntel meiner Lebens- und Schaffenskraft wurden aufgerieben von den modernen Ersatzmitteln jener heute nicht mehr möglichen "christlichen" Exekutionen früherer Zeit gegen "Ketzer" und "Volksaufwiegler". Mit dem mir noch gebliebenen kleinen Rest und meinem verkrüppelten rechten Arm muß ich unter blutendem Herzen um meine mir entrissenen und entfremdeten und deshalb unglücklichen Kinder, unter Erduldung schmachvollster, auch selbst von meinem Bruder betätigter öffentlicher Ächtung und unter täglicher und stündlicher Erduldung des mein ganzes Leben als Irrtum und Unmoral erklärenden, mir ins Gesicht schlagenden katholischen Standpunktes meiner jetzigen Frau (trotz all deren häuslicher "Pflichterfüllung") inmitten eines durch Priester-Erziehung systematisch zu Gaunern oder brüllenden Bestien verrohten Volkes meine Kunstwerke schaffen zur Gewinnung des Geldes für ein darbendes Leben.

Du wirst Dich erinnern, welche Summen ich ständig verdiente, wie ich als dreiundzwanzigjähriger junger Mann nach meiner schweren, meinen rechten Arm für immer verkrüppelnden Krankheit, mein kaum begonnenes Akademie-Studium opfernd, um Verdienst arbeitete, um unsere Eltern und Euch Geschwister zu mir nach München nehmen zu können, und wirst danach unter Zugrundlegung meines, von unserem Vater mir verbliebenen und stets betätigten Bienenfleißes Dir vorstellen können, welches Vermögen ich in den seitdem verflossenen vierunddreißig Jahren erworben haben würde, wenn ich nicht durch die "christliche" Unterdrückung, Untergrabung und Bestrafung meines Ringens nach meiner und der Menschheit Befreiung von dem als würgenden Pesthauch empfundenen und erkannten Pseudo-Christentum an der Entwicklung und Betätigung meines Künstlertums wäre gehindert worden. Meine dem Advokaten Streitberg damals gegebene Erklärung, daß mein Ringen nach Befreiung von jenem meinen Geist und meine Seele bedrückenden Alb kirchlichen Aberglaubens und Sündigens gegen die göttlichen Naturgesetze die Entwicklung meines Künstlertums nicht hindere sondern auf eine unvergleichlich höhere Stufe erhebe, halte ich auch heute noch aufrecht, und meine Lebensgeschichte wird dies beweisen.

Mein Ringen nach Wissen, nach Erkenntnis Gottes in den Naturgesetzen und deren Betätigung als die "Erfüllung des Reiches Gottes auf Erden", also die Pflege des Wahren und Guten, hätte mich mit meinem Künstlerempfinden doch wahrlich nicht hindern sondern nur fördern können in der Pflege des Schönen, und wenn ich die durch den verblödenden und verblendenden "christlichen" Unterricht in der Volksschule und auf dem Gymnasium erlittene geistige Rückständigkeit durch Kenntnisnahme der Literatur der höchsten Geisteswerke der Menschheit (früher von der Kirche vernichtet, heute auf den "Index" der allen "Gläubigen" verbotenen Bücher gesetzt) überwunden gehabt hätte, so hätten meine allsonntägigen Predigten über die "Quellen des menschlichen Elends" und die "Rückgewinnung des verlorenen Paradieses" keinen Augenblick mich gehindert, von Montag früh bis Samstag abend meine ganze Schaffenskraft dem Ausdruck meiner Menschheits-Ideen in Kunstwerken zu widmen. Welche Werke wären auf solche Weise entstanden!

Wahrlich, wenn ich daran denke und die Werke betrachte, die ich unter der Folter meiner "christlichen" Henker und Henkerinnen zu schaffen vermochte, die nur durch Aufwendung von so viel Reden und Geld, als Du (und Lucidus) dafür geopfert hast, überhaupt eine Aufnahme in Kunstvereins-Ausstellungen gefunden haben und dann unter Erwähnung meiner "Schrullen und Fehler" von modernen Kunstkritikern als rückständige Dilettantenarbeiten öffentlich bezeichnet wurden, dann könnte ich - nicht aus verletzter oder unbefriedigter Eitelkeit - sondern aus Schmerz über die mir durch die "christliche" Exekution gegen mein Geistes- und Seelenempfinden und mein "unmoralisches" Leben vernichtete oder verhinderte und verkrüppelte Schaffenskraft aufschreien!

Und welches Lebensglück, welche Menschheitshöhe würden meine Kinder erreicht haben, wenn sie, die Früchte meiner Lebenserrungenschaft genießend, sich in meinem Geiste hätten entwickeln können! "Sie werden Ihre Kinder nie mehr wiedersehen; einem solchen Menschen gehören keine Kinder!" schrie mich der Polizeipräsident von München an, als ich die polizeiliche Zurückbringung des mir, mit Verletzung der bestehenden Staatsgesetze über Vaterrecht, auf sein Betreiben mit List und Gewalt geraubten Helios verlangte. Und die "christliche", wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrte Mutter meiner Kinder war das Mittel, durch welches diese barbarische Polizeiautorität, die mir das Herz zerriß und mich zu Boden schmetterte, gegen den "Ketzer" und "Volksaufwiegler", dem man gesetzlich trotz aller Voreingenommenheit der Richter gegen mich nicht hatte beikommen können, verübt werden konnte.

Wenn dies alles, mit amtlichen und öffentlichen Dokumenten belegt, im Zusammenhang meiner ganzen Lebensgeschichte jetzt schon veröffentlicht werden könnte, würde ein Schrei der Entrüstung des edelsten Teiles der heutigen Menschheit in allen Kulturländern sich erheben über solches typisches Verbrechen an einem nach höherem Menschheitsideal und Menschheitsglück ringenden Künstlermenschen! Dann würde meinen armen, zum Teil heute noch über mich geblendeten Kindern die Augen geöffnet werden über "einen solchen Vater", "den Mörder und Verleumder ihrer toten Mutter", "der sie nichts hat lernen und sie hat aufwachsen lassen wie die Wilden", "unter dem entsittlichenden Beispiel seines schamlosen Lebens mit schamlosen Weibern" etc.pp. Meine Kinder würden zu mir zurückkehren, würden Trost und Stütze meines vorzeitig zusammenbrechenden Alters sein. Die geistige und sittliche Elite der deutschen Gesellschaft würde mir öffentliche Genugtuung bieten für die seither von mir erduldete Ächtung auf Grund der jetzt enthüllten schamlosen "christlichen" Verleumdungen; man würde mich öffentlich nach Deutschland zurückrufen und an Stelle der seitherigen Schande Ehre über mich verbreiten. Und Du und Friedrich, würdet Ihr dann noch länger Euch "eines solchen Bruders" schämen, ihm aus dem Wege gehen und seinen Besuch zurückweisen, nur weil er nicht nach der Herdenmode sondern seinem ästhetischen und hygienischen Empfinden gemäß gekleidet ist?

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17. Juli

Um Dir einen klaren, sachlichen Einblick in meine, allerdings sehr "zerfahrenen" (durch allseitiges Widerstreben und Widerhandeln gegen mein Wesen zerfahrenen) Verhältnisse zu ermöglichen, wird, so schwer es mir zu schreiben und Dir zu lesen ist, der zweite Teil dieses Schreibens länger als der erste werden. Soviel Geduld ich zum Schreiben aufwenden muß, soviel mußt Du dem ruhigen Lesen meiner kurz gedrängten Darstellung widmen, und wenn Du dies im Verhältnis des Gegenstandes tust, wie Du mir auf unserer Gebirgswanderung 1876 auf dem Gipfel des Hirschbergs bei heftigem Sonnenaufgangswind auf kaum fußbreitem Standpunkt den Sonnenschirm über mein Skizzenbuch hieltest mit einer Ausdauer, daß ich unter die Zeichnung schrieb: "Meiner geduldigen Schwester gewidmet"; wenn Du Dir noch soviel Erinnerung an jene Zeit und Empfindung für mich bewahrt hast als ich für Dich, wenn Du mir in die ungeheueren, bergehoch über mir aufgetürmten Verhältnisse im Geiste folgst, wie Du mir damals zu den schwindelerregenden Punkten zum Edelweißpflücken gefolgt bist, dann habe ich Hoffnung, daß wir uns über der ungeheuren Kluft, welche uns seit jener Zeit trennt, auf der Höhe reiner Menschlichkeit, zu der ich mich emporgerungen, vor dem Ende unseres Lebens noch einmal die geschwisterliche Hand reichen werden

Aber ehe ich auch nur die erste Etappe auf diesem so weiten Weg durch die Absendung dieses meines Lebensberichtes über die Vergangenheit einleiten kann, muß ich noch zwei Punkte besprechen, die brennende Lebensfragen der Gegenwart für mich sind und über die Du von Deinem Standpunkte aus diametral entgegengesetzt empfindest und urteilst als ich, weshalb die Gefahr besteht, daß Dein, durch Dein mütterliches Verhalten zu Lucidus erwiesenes, herzliches Bemühen zu helfen, statt "Ordnung in meine zerfahrenen Verhältnisse" zu bringen, dieselben nur noch mehr verschlimmert, was Du natürlich nicht willst und sicherlich vermeidest, wenn Du von mir Aufklärung darüber erhalten oder mindestens meinen, in sich konsequent fortschreitenden, aber nicht durch äußere Beeinflussungen zu beugenden Standpunkt erfahren haben wirst.

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Sein Verhältnis zu Stella

Der erste Punkt betrifft Deinen Besuch bei meiner Tochter. Stella war mir von Geburt an mehr entgegen als ihre beiden Brüder, und als nach dem Tode ihrer Mutter die Kinder mir wieder zugestellt werden mußten (Beweis, daß jene nur äußeres Mittel zu ihrer Entreißung von meiner Seite waren!), war ich so unsagbar überlastet zur Erhaltung meiner Existenz gegen die unausgesetzt mit den infamsten Mitteln von Amtsmißbrauch und "christlicher" Bosheit wider mich betriebene Unterdrückung, daß ich mich zunächst deren entsetzlich verwahrlosten und verdorbenen Erziehung nicht in jenem Grade annehmen konnte, der erforderlich gewesen wäre, sie aus solchem Morast pöbelhaftester Gemeinheit auf die Höhe meiner Weltanschauung und Lebensführung zu heben.

Die Möglichkeit hierzu winkte mir erst, nachdem ich mich nach namenlosen Martern und Kämpfen in mehrmonatlichem Aufenthalt in Gebirgseinsamkeit, welchen ich 1895 mit meinen Kindern, deren Lehrerin und zwei Schülern unternahm, erholt gehabt hatte. Während dieser Erholungszeit für mich, in welcher mir die damals sechsundzwanzigjährige Lehrerin Pflege und Stütze bot und ich den schulmeisterlichen Drill-Standpunkt dieser mit Auszeichnung diplomierten Lehrerin zur Höhe meiner pädagogischen Erkennntnis zu heben suchte, waren die Kinder meist der Gesellschaft der beiden Schüler überlassen, welche, soweit ich zu beobachten vermochte, in geistig bildender, freundschaftlicher Weise mit ihnen zu verkehren schienen. Dann beichtete mir der eine von diesen Schülern, daß sie im Mißverstand meiner Lehren und Vorschriften über Essen, Trinken, Rauchen usw., welche sie gegen ihre zur Gewohnheit gewordene Unnatur als despotischen Zwang empfanden, unter welchem auch meine Kinder zu leiden hätten, den Plan gefaßt hätten, Material zu sammeln zu meiner Verbringung in ein Irrenhaus und zur Befreiung meiner armen Kinder von meinem despotischen Mißbrauch meines Vaterrechtes.

Die Art aber, wie Stella diesem Plane entgegengetreten oder seine hinterhältigen Fragen über mich beantwortet habe, habe ihn von der Torheit und dem Unrecht ihres Planes überzeugt. Diese offene Beichte sowie der hohe Bildungsgrad dieses damals zweiundzwanzigjährigen, akademisch gebildeten jungen Mannes ließen mich demselben weiteres Vertrauen schenken, während ich den anderen sofort auswies. Dies Vertrauen wurde der damals eben dreizehn Jahre alt gewordenen Stella sowie Helios und mir zum Verhängnis. Mein Vertrauen wurde mißbraucht: Helios, schon von seiner Mutter her und deren Verwandten sowie allen Leuten, die ihn anredeten, gegen "einen solchen Vater" aufgebracht, wurde mir geradezu eine Lebensgefahr, Stella zu heimlichem Trotz und Mißtrauen gegen mich gebracht, als ich nach Kenntniserlangung dieses zweiten Vertrauensmißbrauchs auch die anderen Schüler auswies, worüber Du Näheres aus meinem beiliegenden, Helios betreffenden Schreiben ersiehst.

Ich sah mich dann, mitten im Winter, durch meinen Gesundheitszustand gezwungen, das Anerbieten der Herzogin von Ferrari, Besitzerin der Gardasee-Insel, zur Übersiedelung nach Afrika anzunehmen. Dorthin kam der eben von vierjährigem hartem Marinemilitärdienst frei gewordene, durch vernunftlose "christliche" Erziehung verbitterte und bis zur Selbstmord-Verzweiflung getriebene ältere Bruder, damals siebenundzwanzig Jahre alt, des ausgewiesenen Spaun, nach den Berichten seines Bruders über mich und Stella in der Absicht, mir ein nützlicher Mitarbeiter an meinem Lebenswerk zu werden und dadurch die Hand Stellas, deren sich sein Bruder unwürdig gemacht, zu erhalten. Sein hoher Fleiß und seine warme Empfänglichkeit für meine Belehrungen würden ihn gegenüber der zuletzt zu Tage getretenen aufgeblasenen Dünkelhaftigkeit und dem Widerstreben des jüngeren Spaun auch gegen mein Kunstschaffen sicherlich als den würdigeren Schwiegersohn erwiesen haben, wenn nicht die ihm gleichaltrige Lehrerin, auf deren treue Ergebenheit für mich ich felsenfest vertraut hatte, ihn in einer Weise in ihr, durch mich nicht befriedigtes, Liebesverlangen schon gleich in den ersten Tagen, ehe er sich ein eigenes Urteil bilden konnte, verstrickt hätte, seine Achtung für mich untergrub und ihn, ohne daß sie dieses wollte, in die brutale Rolle eines "Rächers und Beschützers seiner Braut" gegen meinen "Dämonismus" trieb.

Diese mich zu Boden schmetternde Katastrophe, eine der schwersten und schmerzlichsten meines Lebens, zwang mich, die in fast zweijährigem rastlosen Schaffen mir dort gegründete, das Beste für die Zukunft versprechende Existenz unter schwerem materiellem Verlust und innerem Schmerz aufzugeben und nach Wien zurückzukehren.

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18.Juli

Hier verließ mich das junge Ehepaar, um sich eine eigene Existenz zu gründen, während andererseits ich den jüngeren der Brüder Spaun zusammen mit dem ihm auf seinen an den Gardasee mir nachgesandten Reuebrief anvertrauten, mir zur direkten Lebensgefahr gewordenen Helios in einem entsetzlichen Schlaraffenleben von Schuldenmachen auf meinen Namen, von eigenem Dienstmädchen sich bedienen lassen, täglichem Tabakrauchen, Kaffeetrinken etc. vorfand. Stella, deren unbeugsame Liebe zu dem jüngeren Spaun ich durchschaute, erklärte ich, daß ich in Erinnerung an unseren Vater, dessen schwacher verkrüppelter Körper nur durch die Liebe und Pflege einer edelstarken Frau, wie unsere Mutter war, zu solch bienenfleißiger Betätigung und langer Erhaltung befähigt werden konnte, ihrer späteren ehelichen Verbindung kein Hinderis in den Weg stelle, nachdem sie zuerst zu "meiner Tochter" erzogen und zur Ehe gereifter sei, Spaun sich als Schwiegersohn würdig erwiesen und aus seiner Zerfahrenheit (Produkt der "christlichen" Erziehung seiner Mutter) durch Annahme meines Lebensideals zu einem, seinen hohen künstlerischen, von seinem Vater ererbten Anlagen entsprechenden, festen Charakter entwickelt habe.

Mit Hilfe von neuen Schülern schuf ich mir - Gott weiß, unter welcher Qual - abermals eine neue Existenz auf dem einsam gelegenen "Himmelhof" bei Ober-St.-Veit. Es dauerte kein halbes Jahr, bis der ältere Spaun zu mir zurückkam: Es waren ihm aus dem Tagebuch seiner Frau (seit deren erster Berührung mit mir) sowie aus dem Zusammenleben mit ihr die Augen aufgegangen, zu welcher Falschheit und satanischen Handlungsweise ein "christlich" (diesmal: lutherisch-christlich) gedrilltes Weib fähig ist, ohne sich dessen bewußt zu sein und ohne sich auch nur im geringsten schuldig zu fühlen. Er erklärte in höchster Empörung, mit diesem Weibe nicht weiter zusammenleben zu können und bat, unter dem Ausdruck tiefster Reue über das mir in dem geblendeten Banne des Weibes zugefügte Unrecht, um Wiederaufnahme, mir treue Mitarbeiterschaft an meinem Lebenswerk versprechend.

Ehe ich ihm noch antworten konnte, erscheint seine Frau: Auf die Kniee vor meinem Bett niederfallend und mich unter Tränen um Verzeihung bittend für das an mir verübte Unrecht, für welches sie gräßlich habe büßen müssen, flehte sie: "Meister, nimm mich wieder zu Dir, ich will Dir dienen mein ganzes Leben lang!" Sie war im achten Monat ihrer ersten Schwangerschaft.

Ich erklärte beiden, daß ich sie nur unter der Bedingung wieder aufnehmen könne, wenn sie sich in das in Mißachtung meiner Worte selbst auferlegte Joch, gegenseitig sich ertragend, fügten, allein schon in Hinsicht auf das zu erwartende Kind. Sie fügten sich. Während Magda sich auf ihre Niederkunft vorbereitete, suchte Spaun, in dem sichtlichen Streben, so wenig als möglich mit seiner Frau in Berührung zu kommen, sich mir auf jede Weise mit Eifer nützlich zu machen. Ohne in meinem Optimismus, der mir durch mein ganzes Leben stets zum gräßlichen Verhängnis wird, die Folgen zu ahnen, betraute ich bei meiner ungeheuren Überlastung den älteren Spaun auf dessen Mitteilung über das heimliche Zuwiderhandeln seines Bruders und Stellas gegen meine Worte, mit der wachsamen Aufsicht über beide und freundschaftlichem Zureden an Stella zur Erfüllung derselben. Die arme Stella, getäuscht durch die mein Vertrauen schändlich mißbrauchenden Worte des in rasender, mir undenkbarer Satyr-Leidenschaft für sie glühenden älteren Spaun, glaubte sich mir zur Erhaltung eines mir so wertvollen Mitarbeiters auf meinen Wunsch aufopfern zu müssen.

Was die Arme in dieser entsetzlichen Wahn-Aufopferung für mich zu leiden hatte, würde Bände füllen und bliebe dennoch unausdenkbar für jeden Menschen, der nicht ähnliches erdulden mußte. Diese ihr beigebrachte Wahnvorstellung, daß sie sich meinem Lebensinteresse auf meine Anordnung aufopfern müsse, erzeugte natürlich bei dem gräßlichen Zerrbilde, das ihre Mutter und der jüngere Spaun ihr über mich beigebracht hatten, eine entsetzliche Verbitterung gegen mich in ihrem Innersten, welche im Zusammentreffen mit der ungeheuren Schwere meines bis zum heutigen Tage sich ständig immer noch mehr über mir auftürmenden, mich würgenden Schicksals, trotz ihrer erwachenden Wertschätzung meines Wesens als Mensch und ihrer Sehnsucht nach mir als ihrem Vater, die Erfüllung ihres und meines sehnlichsten Wunsches nach einem kindlichen Zurückfinden zu mir hinderte.

Auf ihre briefliche Mitteilung des auch von mir als satanisch empfundenen jetzigen Treibens des älteren Spaun und seiner Frau konnte ich Stella wohl von dem fürchterlichen Drucke, unter dem sie seither litt, befreien: der Meinung, die frühere Stellung des älteren Spaun zu ihr sei auf meinen Wunsch oder mit meiner Billigung erfolgt, aber ich konnte ihr den Schmerz nicht ersparen, ihr zu erklären und zu beweisen, daß diese satanische frühere Stellung des Älteren zu ihr auch trotz der denselben mit höchster unwiderstehlicher Gewalt zu einem anderen weiblichen Wesen drängenden Gemeinheit seiner Frau (Gemeinheit nicht im "moralischen" sondern im menschheitlichen Sinne) sie nicht belästigt haben würde, wenn der Jüngere nicht von Anfang an, früher als der Ältere meine Schwelle betrat, infolge der Nietzsche-Zarathustra-Lehre von dem Recht der schrankenlosen Betätigung der Individualität, welche die ganze "moderne" Jugend erfüllt und gegen jeden "Autoritätszwang" rebelliert, sich in unwürdiger, mein Vertrauen mißbrauchender und mich mißachtender bübischer Weise gegen mich zu ihr und zu Helios gestellt hätte und heute noch stellte.

Der Ältere wußte, daß die anfängliche heimliche Verbindung Stellas mit seinem Bruder gegen meinen Willen und gegen meine ausdrücklichen Erklärungen geschah. Getrieben von dem Ekel, den ihm seine lutherisch-"christliche" Frau einflößte, die ihn durch ihre Umgarnung davon abgehalten, in Ägypten sich ehrlich und würdig um ihre, Stellas, Hand bei mir zu bewerben, mißbrauchte auch er mein menschliches Vertrauen, um Stella seinem Bruder streitig zu machen und an sich zu reißen. Nachdem auch der Ältere, der, wie mich die Gerechtigkeit verpflichtet immer wieder zu betonen, im Anfang würdiger sich zu mir und zu ihr stellte als sein Bruder getan hat, durch die "christliche" Gemeinheit seiner Frau rabiat und zum Verbrecher an mir geworden, jede weitere Gemeinschaft mit mir unmöglich gemacht, mein mit Blut und Schweiß erworbenes Haus mit großem Acker- und Waldgrund in Dorfen bei Wolfratshausen, welches ich ihm zur Tilgung meiner Geld-"Schuld" an seine Frau (eine "Schuld", deren Eintreibung die tiefste Charaktergemeinheit offenbart) unter der ausdrücklichen Bestimmung, daß es auch seinem Bruder und meinen Kindern (da letztere, mir völlig entfremdet, sich von mir lossagten) zu lebenslangem Aufenthalt diene, als "Schenkung" (der Kostenersparnis halber) übergeben hatte, verkauft und den Erlös (weit höher als meine Schuld an seine Frau betrug) verwirtschaftet hatte, entzog sich Stella seiner bis dahin unter unausdenkbarer Qual ertragenen satanischen Tyrannei und vereinigte sich mit dem, von ihrem zwölften Jahre an tief und unauslöschlich geliebten, jüngeren Bruder und zwar, in unreifem Mißverstand meines Urteils und Kampfes gegen den heutigen kirchlichen und staatlichen Ehezwang, auch wenn alle Grundbedingungen zu einer glücklichen Lebensgemeinschaft nachträglich als fehlend sich zeigten und deren Gegenteil zu Tage tritt, in freier Ehe.

So himmelhoch ich an sich eine "freie Ehe", nicht bloß hinsichtlich der Würde des Mannes, sondern weit mehr noch hinsichtlich der Würde des Weibes, über neunundneunzig von hundert der heutigen "legitimen" Ehen stelle (wenn ich Weib wäre, würde ich dies ebenso tun!), so sehr habe ich in Erkenntnis ihrer Unfähigkeit, sich gegen das heute noch übermächtig brutal herrschende "christliche" Moralgesetz zu behaupten und ihre Kinder gegen die unausdenkbare teuflische Bosheit der "Christen" zu schützen, darauf gedrungen, ihre von Stella mir als durch keine Macht der Erde zu trennend erklärte innere Lebensgemeinschaft durch die staatliche Zivilehe zu legitimieren.

Die im Mißverstand der Nietzsche-Zarathustra-Lehre aufgeblasene Dünkelhaftigkeit ihres Mannes und ihr Glaube an diesen Mann widersetzten sich auch dieser meiner letzten an sie gestellten Forderung. Und nun müssen sie die Nichtbefolgung meiner väterlichen Worte von Anfang an bis zu diesem letzten Punkte durch die neueste satanische Bedrängnis des älteren Spaun in gräßlicher Weise büßen., der nach völliger Abwirtschaftung sie von der Weihermühle, an der sie und ihre Kinder mit ganzer Seele hängen und die Stella mit bewundernswerter und rührender Heldenhaftigkeit und rastlosem Fleiße zu einem beglückendem Heim für ihren Mann und ihre Kinder zu gestalten und zu erhalten strebt, zu verdrängen trachtet und sich hierzu, unter mißbräuchlicher Berufung auf die Vereinigung Stellas mit seinem Bruder gegen meinen Willen, der gemeinsten, auch von mir als satanisch empfundenen Mittel bedient und darin von seiner "christlichen", wie eine Klette an ihm hängenden Frau unterstützt wird.

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19. Juli

Wenn Du diesen Zusammenhang der Verhältnisse meiner armen, mir von frühester Kindheit an entfremdeten Tochter gekannt hättest und mit der Dir sonst eigenen Energie dem ruchlosen Treiben des älteren Spaun und seiner Frau entgegengetreten und in diesem Sinne mit dem dortigen Pfarrer, der bis zur Ankunft des älteren dem jüngeren Spaun und Stella mit Achtung und Hilfsbereitschaft freundschaftlich beistand, gesprochen hättest, so würde dies die Lage Stellas wesentlich erleichtert, wenn nicht ganz von solcher gemeinen Bedrängnis befreit haben. Da Du keine Kenntnis von diesen Zusammenhängen der Verhältnisse hattest (infolge der von den heutigen "anständigen" Menschen untereinander betätigten und auch mir von allen Seiten angeratenen Vogel-Strauß-Politik des Schweigens über "alte Geschichten" und "intime Familienverhältnisse"), kann Dich natürlich kein Vorwurf treffen, daß Dein Besuch bei dem älteren Spaun und dem Pfarrer, statt Stellas Lage zu erleichtern, dieselbe nur noch erschwert hat, wie sie mir in verständiger Weise und ohne einen Vorwurf oder eine Klage gegen Dich zu erheben, unter Tränen berichtete.

Und um die Marter der armen Stella voll zu machen, hast Du, natürlich in reinster und bester, auch von Stella erkannter und anerkannter Gesinnung, ihr den Rat gegeben, sich und die Kinder taufen zu lassen, katholisch zu werden, die Kinder nach dem katholischen Katechismus zu erziehen und ihre Lebensgemeinschaft mit ihrem Manne durch das kirchliche Sakrament der Ehe zu heiligen, "wie ich es getan".

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Seine Erfahrungen mit der Kirche

Den Hinweis auf meine Unterwerfung unter das von mir bekämpfte kirchliche Sakrament der Ehe dem letzten Punkt dieses Schreibens einreihend, will ich Dir, zu dem schon mitgeteilten Anerbieten einer bayrischen Prinzessin an die Mutter meiner Kinder als Taufpatin der letzteren, noch ein ähnliches mir gemachtes Anerbieten melden.

Die Gräfin Fünfkirchen, Schwester des regierenden Fürsten Johannes von Lichtenstein, ließ mir, als ich von dem "christlichen" Gauner-Direktor des österreichischen Kunstvereins um alle meine Werke betrogen worden war (worüber mein zweibändiges Buch: 'Ein Beitrag zur Geschichte der österreichischen Kunstpflege' entstand), mich bei der Wiener Polizeidirektion als obdachlos gemeldet hatte und dies von allen Wiener Zeitungen sensationslüstern besprochen worden war, durch eine Generalswitwe (die kurz darauf als Hochstaplerin zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt wurde) sagen, daß sie mir Zutritt und Aufträge bei der gesamten österreichischen Aristokratie verschaffen würde, wenn ich wieder in die katholische Kirche einträte und meine Kinder taufen und katholisch erziehen ließe, wenn auch nur zum Scheine! Ich ließ der fürstlichen Gräfin mit dem Ausdruck tiefster Entrüstung und Verachtung ihr "christliches" Anerbieten der Verschacherung meines höchsten Seelenheiligtums und meiner Menschenwürde vor die Füße werfen und begab mich, als die Generalswitwe, um ihren erwarteten klingenden Tribut meiner Dankbarkeit für diese "christliche" Bemühung um mich und meine Kinder enttäuscht, einen von "christlicher" Bosheit und Verleumdung strotzenden Bericht über meinen "Starrkopf, der sein Schicksal selbst verschulde," in einer der größten Wiener Tageszeitungen veröffentlichte, auf das Sekretariat des Fürsten Lichtenstein, dessen "edelmütiges Anerbieten" ich brutal zurückgewiesen haben sollte, in der naiven Meinug, daß der Fürst es seiner eigenen Ehre schuldig sei, diesen Bericht von seiner Kanzlei dementieren zu lassen, und hatte mit der feigen Ablehnung dieser meiner naiven Erwartung wieder einmal Gelegenheit, einen Blick in den bodenlosen Schmutz hochfürstlicher, "christlicher" und "allerchristlichster" Gesinnung zu tun.

Daß der aus der Ausbeutung des Blutschweißes seiner "Untertanen" durch Jahrhunderte hindurch zum Millionär gewordene "Kunstmäzen" zur Linderung meiner ihm derart öffentlich bekanntgewordenen, zum Himmel schreienden Not eines meiner Gemälde um einen anständigen Preis kaufen würde (während meiner Kunstvereinsausstellung ließ er nach seiner persönlichen Auswahl durch seinen "Hofrat" das Bildnis meines ersten Schülers, des Medizinstudenten Otto Drießen, für seine Galerie um einen höchst unanständigen Preis erschachern), war eine weitere naive Annahme des "unverbesserlichen Optimisten", des "großen Kindes" Diefenbach, in dessen Kopfe anders als in andrer Menschen Köpfe die Welt sich malt.

Ich will mit diesen zwei fürstlichen Beispielen "christlichen" Bekehrungseifers als Bedingung zur Erlangung eines Almosens (!) (das Gebot der "christlichen Barmherzigkeit" der Reichen gegen die Armen ist ein erbärmliches, entwürdigendes Palliativmittel zur Beseitigung der nur durch den von der Kirche und den Fürsten sanktionierten und selbst betriebenen Raub und Ausbeutung entstandenen Armut!) nicht im entferntesten etwa andeuten, als ob auch Du eine meinen Kindern zugedachte Unterstützung von deren "Katholischwerden" abhängig machtest. Ich konnte die Gemeinheit jener fürstlichen "Wohltäter" nicht unerwähnt lassen bei Beleuchtung der Gemeinheit (neben dem Blödsinn) der ganzen sich "christlich" nennenden Pfaffenlehre der katholischen Kirche und jeglicher anderen. Daß ich Dir diese beiden Fälle aus meinen Lebenserfahrungen bei dieser Gelegenheit mitteile, bezweckt lediglich, Dir den für einen gläubigen Katholiken schweren Begriff beizubringen, daß mein Austritt aus der katholischen Kirche und mein Kampf gegen dieselbe, infolge deren ich meine Kinder nicht taufen ließ, nicht einer Religionslosigkeit ("Gottlosigkeit"!) und unsittlichen Lebensauffassung entsprang, sondern den höchsten Inhalt und den höchsten Zweck meines Lebens bildet, nachdem ich mit unzähligen der edelsten und geistreichsten Menschen aller Zeiten und Länder die in der katholischen Kirche seit sechzehnhundert Jahren unter dem schändlich mißbrauchten Namen "Christentum" verkörperte und zur Herrschaft gelangte "göttliche Weltordnung" als die Ursache von allem die Menschheit heute noch drückenden Elend infolge von Krankheiten, Verbrechen, Mord, Selbstmord und schändlicher Selbstentwürdigung (Prostitution) durch meine als Mann erlangte Kenntnis der, uns in der Schule und in der Kirche in verlogenem Trugbild und Zerrbild gelehrten, Geschichte des "Christentums" und meine eigenen tausendfältigen Lebenserfahrungen erkannt habe, wie Du bei nur einigermaßen mich achtender und nachdenkender Lesung meiner Tagebuchworte, die ich dem zur Rettung meiner mir entrissenen Kinder geschaffenen Werke 'Per aspera ad astra' als erklärendes Vorwort vorsetzte, hättest erkennen müssen.

Gegenüber der gräßlichen Entfremdung, welche man meinen Kindern gegen mich von dem "christlichen Standpunkte" aus beigebracht hat, von welchen sich keines vollständig zu mir zurückfinden wird und welche mir das Herz zerreißt, war es mir ein Trost, in Stellas letztem, zwanzig Seiten langen Brief, inmitten herzbrechender Schilderung ihrer zu erduldenden Marter die Worte zu finden: Wir wollen uns "verheiraten", sobald als möglich, aber zum Katholischwerden und die Kinder in die Schule schicken können wir uns nicht entschließen. In wem sonst soll denn Diefenbach-Geist weiterleben als in Diefenbachs Enkeln? Wir halten fest am Ideal, treu Deinem Wahlspruch: "Lieber sterben, als meine Ideale verleugnen."

Du wirst es anmaßend und beleidigend finden (und die meisten heutigen Menschen werden es ebenfalls), daß meine Tochter von "Diefenbach-Geist" redet und danach strebt, den von Würdigern meines Wesens und meiner Werke gebildeten Ausdruck: "weiblicher Diefenbach" zu verkörpern, und wirst als echte Katholikin, treu der in der Kinderschule erhaltenen Belehrung, daß jede Auflehnung gegen die "von Gott gewünschte und geleitete, allein seligmachende" katholische Kirche eine "Anmaßung" und "Gotteslästerung" sei, auch meine Auflehnung und Empörung gegen dieses Satans-Institut für Anmaßung und Gotteslästerung sowie auch, wie Friedrich vor Zeiten in Bezug auf meine Bezeichnung des Tierleichen-Verzehrens als "Bestialität" tat, für Lästerung unserer Eltern im Grabe, welche gläubige Katholiken gewesen seien und Fleisch gegessen haben, halten. (Mit Schaudern denke ich daran, wie unsere Eltern vor Weihnachten ein Schwein kaufen und in unserem Hofe morden ließen, dessen Leichenteile dann teils eingepökelt, teils zerhackt und in die Därme des gemordeten Tieres als "Wurst" gefüllt wurden; oder wie unsere Mutter die eingepferchten Gänse "stopfte" und unser Vater die an den Füßen aufgehängten armen Tiere mit dem Messer tötete und wir vor solchem "Weihnachtsbraten" beten mußten: "Herr Jesu Christ, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast".) Du wirst, wie "alle Welt" und wie es meine jetzige "christliche" Frau ausgesprochen hat, mein Lebensunglück und das meiner Kinder als "Strafe Gottes" für meinen "Abfall von der Religion" erklären oder mindestens dafür halten, wenn Du es aus "Schonung" für mich nicht aussprechen willst.

In diesem Falle könnte ich Dir nur mit den Worten des von den Priestern seiner Zeit als "Gotteslästerer" und "Volksaufwiegler" leiblich gemordeten und von den "christlichen" Priestern zur Behauptung ihres schmarotzenden und herrschsüchtigen Gewerbes zum lukrativen Götzen entwürdigten und geistig gemordeten Edelmenschen von Nazareth antworten: "Wer sind meine Brüder und Schwestern?", "Weib, was habe ich mit Dir zu tun?" und "Wer Vater und Mutter, Brüder und Schwestern nicht verläßt, um mir nachzufolgen, ist meiner nicht wert!"

Natürlich wieder: Welche Anmaßung und Gotteslästerung, mich mit "Christus" zu vergleichen und seine Worte auf mich anzuwenden! Wenn Dir der Kopf schwindelt und Du entsetzt bist und nicht begreifen kannst, wie Dein leiblicher Bruder, der in seiner Kindheit derselben Segnung der "heiligen" katholischen Kirche teilhaftig ward, solche "gotteslästerischen" Worte gebrauchen und dieselben als den Inhalt seines Lebens erklären kann, an welchem er festhalte bis zu seinem letzten Lebenshauche, so wird Dir wenigstens das eine klar werden, daß "Eure Wege nicht meine Wege" sind und daß ich, nicht weil ich mich Eurer schäme, wie Ihr es mir gegenüber tut, nicht mehr in unserem Leben mit Euch zusammenkommen kann, sondern weil ich Euch als geistig und seelisch Tote (durch die Kirche Getötete) betrauern aber Eure versteinerte Geist-Seelen-Mumie nicht als niederziehenden Ballast in meinem Euch widerstrebenden Kampfe um ein höheres Menschheitsideal, um die Verwirklichung des "Reiches Gottes", des "Friedens allen Menschen" auf Erden, mit mir schleppen kann. Betrachte dies Schreiben als mein Testament an Dich und Bruder Friedrich, mit welchem Testament ich mich, wenn von Euch nicht verstanden und gewürdigt, vor der Menschheit, wenn nicht der jetzigen, so der kommenden, gegen den wider mich erhobenen Vorwurf: unwürdig Euer Bruder zu sein, rechtfertige.

Der verklärte Geist unserer Eltern, welche beide vor ihrem Tod mir ihre erwachenden Zweifel an der Göttlichkeit - an der Menschlichkeit, sage ich - der katholischen Kirche ausgesprochen und mich unter Tränen gesegnet haben zu meinem Kampfe gegen diese Ursache aller menschlichen Verelendung, tröstet mich und stärkt mich auch darüber, von Euch verkannt und wie ein Aussätziger gemieden zu werden nach der Lehre Eurer Priester: "Wer die Kirche nicht hört, der sei Dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder".

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Die Schwestern Mina und Marie Vogler

20.Juli

Dies lange Schreiben gibt Dir die Möglichkeit, bei unbefangenem Lesen sowie achtungsvollem und sachlichem Nachdenken mein Empfinden und Verhalten zu unseren Eltern, zu Euch, meinen Geschwistern, zu der Mutter meiner Kinder und zu diesen letzteren (das Verhältnis meines jüngsten Sohnes zu mir kennst Du durch diesen selbst) bis in den tiefsten Grund meiner Seele zu erforschen und zu beurteilen und dadurch ein anderes Bild über mein seit dem Tode unserer Eltern äußerlich von Euch getrenntes, in Geist und Seele aber schon seit unserer frühesten Kindheit von dem Eueren verschiedenes, also nur von unseren Eltern vererbtes Leben zu erhalten, als Du und Friedrich seither über dasselbe hattet und Du, trotz Deiner nun seit einem Jahr wiederholt ausgesprochenen und betätigten schwesterlichen Liebe, an deren Aufrichtigkeit und tiefen Empfindung ich nicht zweifle, zum Teil heute noch hast. Es bleibt mir nur noch als letzten Punkt dieser meiner brüderlichen Beichte mein Verhältnis zu meiner jetzigen Frau und zu deren Schwester zu schildern, über welches Du durch die erstere teils wegen deren "christlichem" schonungsvollen Verschweigen, teils wegen ihrer "christlichen" (vielleicht gänzlich unbewußten) Verzerrung wesentlicher Umstände eine irrige Vorstellung hast, wie nicht anders möglich ist und mir durch einige von meiner Frau mir mitgeteilte Äußerungen aus Eurem vorig-jährigen kurzen Kennenlernen klar wurde, deren Richtigstellung eine noch brennende Lebensfrage für mich ist zur Verhütung, daß Dein gutgemeinter Einfluß auf meine jetzige Frau nicht eine ähnlich verhängnisvolle Wirkung auf den Rest meiner Lebenstage erlange als Dein gutgemeinter und vom katholischen Standpunkte aus verpflichteter, um mein Seelenheil besorgter Einfluß auf meine erste Frau für mein ganzes Leben seit jener Zeit und das Leben meiner armen Kinder erlangt hat.

Mina ist im Jahre 1898 am "Himmelhof" bei Wien zu mir gekommen auf der Suche nach einer ihrem Wesen entsprechenden familiären Stellung als Stütze und Gesellschafterin einer vermögenden und gebildeten Frau. Sie war durch das öffentliche Gerede sowie durch eine von ihrer Schwester aus einer theosophischen Abendgesellschaft heimgebrachten Broschüre über mich zu der Meinung gekommen, daß ich als armer Teufel und Sonderling aus Mitleid und Hochherzigkeit von der adligen Familie der Ritter von Spaun unter deren schützende und kunstfördernde Fittiche genommen worden sei und erhalten werde, da an der Spitze einer großen Reihe von hervorragenden Männern und Frauen, welche unter dem Namen 'Ehrenvereinigung zur Rettung Diefenbachs' auf meine verkannte und mißhandelte Bedeutung als Mensch und Künstler die öffentliche Aufmerksamkeit lenken und durch würdige Verwertung meiner Werke mein Schicksal wenden wollten, die Namen der beiden Brüder von Spaun sowie der Frau des älteren mit dem ihr gesetzlich zukommenden Titel: Magdalene, Edle von Spaun, standen. Bei dieser Frau von Spaun, welche sie für die Herrin des "Himmelhofs" hielt, glaubte sie sicher, eine ihr zusagende Lebensstellung zu finden, welche sie seither in der "christlichen" Gesellschaft vergebens gesucht hatte.

Zu ihrem Staunen wurde sie von Frau von Spaun zu dem "armen Sonderling" geführt, von dem sie Aufklärung über ihren Irrtum und eine rückhaltlose Erklärung meiner gewonnenen Lebensgrundsätze erhielt, bei deren Annahme und Befolgung ich jeden Menschen, auch wenn er noch so arm sei oder aus dem Zuchthaus komme, Anschluß an meine Person zur Mitarbeit an meinem der Menschheit der Zukunft gewidmeten Lebenswerk gewährte. Mit glühender, ständig sich steigernder und mir zustimmender Begeisterung hörte sie meine ernste, fast zweistündige Rede an und erklärte nach deren Schluß ohne die leiseste Einwendung, Zweifel oder Bedenken sich beglückt und freudestrahlend bereit zur Annahme aller meiner Reformen, von welchen sie die wesentlichste: Lossagung von der Priester-Kirche, von dem Bestialismus des Tierleichen-Verzehrens schon durch ihre eigenen theosophischen Studien kennen gelernt und angenommen hatte, und eilte, nachdem ich sie nach jeder Richtung auf den folgenschweren Lebensentschluß aufmerksam gemacht hatte, ihre Kleider und Wäsche zu holen und ihre ahnungslose Schwester von ihrem Entschluß zu verständigen.

Ihre, um vier Jahre ältere, aber kleinere und schwächere Schwester, mit der sie zusammen nach dem Tod ihrer Eltern von ihrem fünften Lebensjahre an im städtischen Waisenhause (Wien) erzogen worden war, hatte sich nach der Entlassung aus dem Waisenhaus in jahrelanger Erduldung brutalster "christlicher" Ausbeutung als armes schwaches Dienstmädchen von der gewissenhaften Pflege neugeborener Kinder zu deren Erziehung nach Pestalozzi und Fröbel sowie weiterer wissenschaftlichen Ausbildung bis zu deren Jugendreife selbst herangebildet und genießt heute noch den Dank, innigste Liebe und Wertschätzung von Seiten aller ihrer Zöglinge (auch Knaben) und deren Eltern.

Mina erhielt bei ihrer Entlassung aus dem Waisenhaus ein Stipendium zu einem öffentlichen Lehrerkursus als Kindergärtnerin (Fröbel), nach welchem sie eine Anstellung in einer städtischen Kleinkinderschule und Kindergarten erlangte. Hier lernte sie einen neben ihr wirkenden Lehrer ihr entsprechenden Alters kennen und lieben; sie fand gleiche Gegenliebe, verlor dieselbe aber, als sie auf Grund der blödsinnigen Katechismusmoral die erste zärtliche Annäherung des Lehrers zu einem Kusse als "Sünde" (entgegen ihrem eigenen sehnsüchtigen Verlangen) derart zurückgewiesen hatte, daß der sich verkannt und tief verletzt fühlende Lehrer sich völlig von ihr zurückzog. Dieses sie erschütternde Unglückserlebnis (Kirchenmoral!) zusammen mit anderen tiefen Kränkungen und Zurücksetzungen, welche sie wegen den von einer in ihrem siebten Jahre überstandenen Blatternkrankheit zurück-gebliebenen Narben im Gesicht und Trübung des einen Auges von der "christlichen" Gesellschaft zu erdulden hatte, trieb sie der Verzweiflung und wiederholten Selbstmordversuchen durch mehrere Jahre hindurch zu, in welchem Zustand sie natürlich ihre Stellung verlor, nichts verdienen konnte und wiederholt auf lange Zeit in der psychiatrischen Klinik untergebracht werden mußte.

In diesen fürchterlichen Jahren opferte ihr die Schwester in heroischem Edelsinn ihre karge Erholungszeit nach ihren ihre Kräfte überanstrengenden Dienststunden und ihre in darbender Sparsamkeit für das Alter zurückgelegten Notpfennige und setzte dies auch noch fort, nachdem Mina von ihrem schweren hysterischen Nervenleiden geheilt, in ihrem Gemüt beruhigt war und ihr krankes Auge nach mehreren höchst schmerzhaften Operationen, soweit dies überhaupt noch möglich war, wenigstens den äußeren Schein eines gesunden Auges wiedererlangt hatte. Sie nahm ihre Schwester zu sich in ihre eingeschränkte Wohnung, bestritt aus ihrem kargen Verdienste ihre Ernährung, Kleidung sowie ihre Reisen nach Deutschland zum Zwecke, bei deutschen Ärzten oder deren Instituten eine Stellung als "Medium" zu finden, was ihr in ihren Halluzinationen eines somnambulen Zustandes und ihrer eifrigen Beschäftigung mit dem Lesen medizinischer, übersinnlicher und okkultistischer Bücher als einzige, ihrem Grundwesen und leidenden Zustand entsprechende Stellung erschien.

Nachdem alle diese, mit großen Kosten für Reise, präsentable Kleidung und Hotelaufenthalt in fremden Großstädten verbundenen Bemühungen nutzlos gescheitert waren, war sie seit längerer Zeit wieder zu ihrer Schwester nach Wien zurückgekehrt ohne irgendwelche Aussicht auf eine für sie passende Stellung, als diese ihr jene Broschüre über mich aus dem theosophischen Verein, den sie an jenem Abend wegen heftiger Kopfschmerzen nicht besucht hatte, als interessante Neuigkeit zum Lesen gab. Die hochgradige Erregung und der plötzliche, ohne jede Rücksprache mit ihr und ehe sie noch selbst jene Broschüre gelesen hatte, gefaßte Entschluß, mit Sack und Pack zu mir, dem überall als dämonischen Verführer der Jugend und besonders der weiblichen Jugend und weiblichen Tugend verleumdeten und verschrienen "Abenteurer" zu ziehen, versetzte die ältere Schwester aufs neue in höchste Angst und Besorgnis und ließ sie alles aufbieten, sie von diesem verhängnisvollen, nicht überlegten und nicht mit ihr oder einem anderen erfahrenen Menschen besprochenen Schritt abzuhalten.

Umsonst. Nach Verlauf kaum einer Stunde war sie wieder zurück und betrat unter nochmaliger begeisterter Versicherung treuer Folge und Mitarbeit, verhängnisvoll für sie wie für mich, den schweren, hohe Charakterstärke fordernden, dornenvollen Pfad meines Lebensweges, der sie beglückt hätte, wenn sie eins mit meinem Wesen geworden wäre, auf dem sie unglücklich werden mußte, wenn sie dessen nicht fähig war.

Sie war damals dreiunddreißig Jahre alt. Sie wählte sich selbst eine häusliche Arbeit, welche bei dem großen Haus und der Masse der durch die Brüder Spaun, in deren gegenseitigem Kampf um die arme Stella, nicht nur nicht beaufsichtigten sondern durch deren schlechtes Beispiel verhängnisvoll beeinflußten fremden jungen Leute, die sich mir ebenfalls angeschlossen hatten (oft zehn bis zwanzig), in unerledigter Lebensfülle vorhanden war und welche, da ich mit der Leitung der künstlerischen und schriftlichen Arbeiten zusammen mit der häuslichen Leitung überlastet, leidend und meist ans Bett gefesselt war, ein erfahrenes, starkes und energisches Weib an meiner Seite erforderte. Meine damalige, ihr gleichaltrige Pflegerin fand sie gegen Abend weinend allein in einem kleinen Raume des unteren Stockwerks und schlug mir vor, die Novizin, die sich sehr unglücklich und schwach zu fühlen scheine, an ihrer Stelle an meine Seite zu nehmen, da sie dem schweren Posten im Hause besser gewachsen sei.

Nach meiner gegebenen Zustimmung nahm auch Mina diesen ihr von meiner seitherigen Pflegerin gemachten Vorschlag erleichtert und erfreut an. Sie erholte sich rasch, fühlte sich glücklich und arbeitete sich mit hohem Eifer und Ernst in ihren Tagebuchaufzeichnungen in die ihr unerwartet zu Teil gewordene neue Lebensaufgabe ein, sodaß sie nach wenigen Wochen ihrer Schwester, die auf ihren unbeugsamen, ihr verhängnisvoll erscheinenden Schritt jeden Verkehr mit ihr abgebrochen hatte und mit Unglück befürchtenden Vorurteilen gegen mich erfüllt worden war, eine beruhigende briefliche Mitteilung über ihr Befinden machen konnte, worauf diese sie am "Himmelhof" besuchte - allerdings unter einer verletzend-kalten Zurückhaltung gegen mich, die ich nur von dem Standpunkte des "Verzeih-ihnen,-sie-wissen-nicht,-was-sie-tun" ruhig zu ertragen vermochte.

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21. Juli

Die etwa vier Monate später über mich hereinbrechende, durch die "christliche" Ächtung der "Aristokratie" von Wien sowie die feindliche Stellung der Wiener Judenpresse gegen mich einerseits sowie andererseits durch die durch die beiden Brüder Spaun verschuldete Disziplinlosigkeit der mich umgebenden "Anhänger" verursachte Katastrophe traf Mina derart schwer, daß ich sie in einem Krankenwagen der Rettungsgesellschaft in ein von ihr gewähltes Wiener Krankenhaus bringen und ihrem Schicksal überlassen mußte, während ich selbst mit meinen Kindern und den beiden sie umstrickenden Brüdern wie ein Schiffbrüchiger - mitten im Winter - um das nackte Leben ringen mußte. Drei Monate später hatte ich mir in der mir gänzlich fremden Handelsstadt Triest, wohin ich mich gewandt, um durch Vorstellung meiner Lage von dem Präsidenten des österreichischen Lloyd freie Überfahrt nach Ägypten zu erhalten (was durch das "Christentum" des mich wie einen Vagabunden behandelnden deutschen Generalkonsuls verhindert worden war), trotz der durch die gesamte Wiener Presse mir nachgeschickten Verleumdung und Herabwürdigung, mit drei neu geschaffenen Gemälden (zu welchen ich mir das Material auf Kredit erbetteln mußte) (darunter das 2 x 4 Meter große Bild: 'Höllriegelsgreut' mit der Christus-Vision) die Hochachtung von ganz Triest erworben und war mir die zur Demolierung bestimmte Festung Kresic oberhalb Triest auf meinen Wunsch zur Wohn- und Werkstätte überlassen, von mehreren Hoteliers Betten und von einem Klavierhändler ein Pianino gegen Gemälde auf dieselbe geschafft worden.

In eisigem Bora-Sturm zog ich im März 1899 mit Helios, Lucidus und dem jüngeren Spaun in die seit Jahren von Menschen verlassene, dagegen von unzähligen Mäusen und Ratten bewohnte Festung über die morsche Zugbrücke ein, während ich die arme, ihrer ersten schweren Stunde entgegengehende Stella den Krallen des zum Satyr an ihr gewordenen älteren Spaun und dem "christlichen" Haß von dessen Frau (ihrer früheren Lehrerin!) in einem weit abgelegenen einsamen Bauernhof überlassen mußte.

Der jüngere Spaun befand sich begreiflicherweise in einem Zustand rasender Verzweiflung, die er in der mit Stella auch von ihm gehegten Meinung, daß die Stellung seines Bruders zu Stella von mir angeordnet sei, in stumpfem Trotz gegen mich äußerte, in welchem er sich den ganzen Tag auf seinem Zimmer im Bett rauchend zu betäuben suchte. Die gleiche Stimmung und das gleiche Verhalten gegen mich übertrug er auf Helios, der sich ebenfalls in seinem Zimmer einschloß, rauchte und mit Trotz jede Arbeit, jedes Lernen verweigerte. Lucidus war kaum zwölf Jahre alt und konnte mir trotz seiner kindlichen Anhänglichkeit nicht die Pflege und Stütze bieten, deren ich bedurfte. In diesem Zustand ließ ich Mina, die inzwischen aus dem Krankenhaus wieder zu ihrer Schwester gezogen war, fragen, ob sie willens und bereit sei, zu meiner Pflege und Wirtschaftsführung zu mir zurückzukehren, was sie freudigst bejahte und sofort ausführte.

In Triest wurde Mina von allen gebildeten Menschen, die mit mir verkehrten, besonders von mehreren Frauen, deren erwachsene Töchter zu mir kamen, um sich in der Malerei zu vervollkommnen, die größte Achtung entgegengebracht, obwohl alle wußten, daß sie nicht meine Frau war, dagegen klagte sie, daß sie bei ihren Einkäufen auf dem Markte, wo sie in ihrer einfachen Kleidung ohne Hut auffiel, als "eines der schlechten Weiber des Diefenbach" insultiert wurde, nach der seit meinem öffentlichen Auftreten in München über mich in alle Welt verbreiteten und besonders von der Wiener Judenpresse kultivierten verleumderischen Legende. Ich konnte sie nicht anders trösten als mit dem Hinweis auf das Los aller derer, die sich vom Wege der großen Herde trennen und ihre eigenen Wege gehen sowie derer, die diesen Einsamen folgen und dafür von den durch Priestererziehung bornierten und verrohten Herdenmenschen mit Kot beworfen werden, und mit der Belehrung, daß ihr reines Gewissen und ihr klar bewußtes Ziel an meiner Seite ihr Kraft geben müsse, die Insulten des "christlichen" Pöbels ruhig zu ertragen. Selbst Christus, dem von den Pharisäern und selbst von seinen Jüngern vorgeworfen wurde, daß er mit öffentlichen Sünderinnen verkehre, Ehebrecherinnen verteidige und mit einem Weibe der Samariter geredet habe, Christus würde kein Unrecht in ihrer natürlichen Stellung zu mir erblickt haben.

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22. Juli

Im Dezember verließ ich mit Mina und Lucidus Triest, um an der italienischen oder französischen Riviera einen geeigneten Ort zu suchen, an dem ich in Einsamkeit leben und schaffen könne und in dessen Nähe die Verwertung meiner Werke bei dem reichen Fremdenstrome möglich sei. Ich wählte auf Grund von Reiseerkundigungen Capri, wohin ich dann sofort Helios und Stella sowie die Brüder Spaun nachkommen ließ, um mit vereinten Kräften eine neue Existenz auf diesem herrlichen Eiland zu gründen, welche mir endlich die so dringend benötigte Ruhe böte, um das seither so gräßliche Schicksal meiner armen Kinder zum Besseren wenden zu können.

Gegen dieses, zunächst nur durch rastloses Arbeiten zu erreichende Ziel bildete, außer dem Kampf der beiden Brüder Spaun um Stella, die gänzliche Entfremdung und Erbitterung Helios' gegen mich und seine in verletzender Weise sich äußernde Antipathie gegen Mina das schwerste Hindernis. Im Gefühle ihrer Unfähigkeit, diese Antipathie gegen sie zu überwinden und mir in der Überwindung seiner Entfremdung gegen mich irgendwie helfen zu können, schlug Mina mir vor, eine für mein Lebenswerk hoch begeisterte Theosophin, die uns öfter besuchte und zu welcher sich Helios sympathisch hingezogen fühlte, statt ihrer an meine Seite zu nehmen, während sie sich nur mit der Wirtschaftsführung und der Ausstellung beschäftige, und eröffnete nach meiner Zustimmung selbst derselben unter Erklärung meiner schweren Verhältnisse ihren Vorschlag. Die Theosophin erklärte sich beglückt und bereit, jedoch nur unter der Bedingung gesetzlicher Eheschließung, einer Forderung der internationalen Theosophischen Gesellschaft, der sie als hervorragendes Mitglied angehörte. Zur Rettung Helios' überwand ich zum zweiten Male meine Empörung und Abneigung, meine Freiheit unter ein Joch zu beugen, unter welchem jeder über den Herdencharakter hinausragende Mann unsagbar zu leiden hat, seiner Wesenheit und Kraft beraubt und gänzlich aufgerieben wird.

Doch schon das erste Schreiben meiner nach unserer "Verlobung" nach England reisenden "Braut" zeigte mir, außer einer brutalen Ungerechtigkeit gegen Mina, wessen ich mich nach vollzogener Verbindung zu versehen hätte, sodaß ich sofort mit meiner ersten Antwort die Verlobung sowie jeden weiteren Briefwechsel abbrach. Hierdurch in ihrer, durch jenen Antrag hervorgerufenen, höchsten Lebenshoffnung und -rechnung auf das schmerzlichste enttäuscht, verübte die Theosophin höchst untheosophische Rache, indem sie der (weiblichen!) Oberleitung der Theosophischen Gesellschaft in Rom, welcher ich und Mina auf ihre Anregung beigetreten waren, unser Verhältnis zueinander als Konkubinat denunzierte, worauf mir die Ausschließung angedroht wurde, falls ich nicht sofort die gesetzliche Eheschließung einleite.

Die Leiterin des Theosophischen Vereins von Neapel, künstlerisch und literarisch hoch gebildet und selbst tätig, hatte in ihrem Sommeraufenthalt auf Capri den ganzen Roman meiner Ver- und Entlobung unter tiefer ernster Teilnahme an meinem Schicksal von Anfang bis zu Ende miterlebt und solche Hochachtung für mich und Mina gewonnen, daß, als sie mir die ihr von der Oberleitung in Rom aufgetragene Ausweisungsandrohung brieflich mitteilte, hinzufügte, daß sie im Falle der Ausführung dieser Androhung ihren Austritt aus der Gesellschaft erklären würde. Meine Antwort auf diese, nicht theosophische sondern pfäffische Weiber-Verfügung über mich war die Erklärung meines Austritts aus der Gesellschaft.

Bei rückhaltloser Billigung und Hochachtung meiner Stellung in der ganzen zur Gesellschaftsangelegenheit gewordenen Sache riet mir Fräulein H., die Leiterin des theosophischen Vereins von Neapel, in herzlichster Teilnahme an meinem Schicksal und in freundschaftlicher Wertschätzung Minas trotz "unserer völligen Schuldlosigkeit vor Gott" in Rücksicht auf die Schwäche und ("christliche"!) Bosheit der heutigen Gesellschaft, welche "Ärgernis nimmt" an einer ungesetzlichen Verbindung zwischen Mann und Weib, mit Mina die gesetzliche Zivilehe einzugehen: ihr und mir zum Schutze gegen christliche Gemeinheit. Sie versicherte mir ihre eifrigste Verwendung und zweifellosen Erfolg zur Verwertung meiner Werke bei der reichen englischen Theosophischen Gesellschaft und damit eine gründliche Wendung meines bis dahin so tragischen Schicksals.

Gemartert bis aufs Blut von allen Seiten, im höchsten Grade einer ungestörten Ruhe und liebevollen aufmerksamen Pflege bedürftig, nahm ich diesen gut gemeinten und gut begründeten Rat an und teilte Mina von Neapel aus brieflich meinen sie überraschenden Entschluß mit - ahnungslos, daß mein mit unsagbarer Selbstüberwindung gefaßter Entschluß zur abermaligen Beugung unter das "Joch" (!) der Ehe statt der erwarteten Erleichterung meines Schicksals das denkbar gräßlichste Gegenteil zur Folge haben sollte, unter welchem ich, wenn ich nicht bald Befreiung von demselben finde, unrettbar der Gehirnlähmung durch unausgesetzte Marter und einem gräßlichen Ende meines Lebens - eines solchen Lebens! - zugetrieben werde.

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23. Juli

Schon sehr bald nach meiner Rückkehr nach Capri sah ich mich in meiner Erwartung bezüglich der Wirkung meines Entschlusses auf Mina auf das allerschwerste und schmerzlichste enttäuscht, sodaß ich ihr nach Neapel, wohin sie auf einige Zeit "zur Erholung" (ihrer wie meiner) auf Einladung des Fräulein H. gegangen war, brieflich derart ernste Vorstellungen machen mußte, welche sie als "Beleidigung" empfand und nach ihrer Rückkehr mir vorhielt mit der sehr scharf betonten Mitteilung, daß Fräulein H. ihre verzeihende Geduld bewundert und hinzugefügt habe, sie würde auf eine solche Beleidigung nicht mehr zu mir zurückgekehrt sein! Das war der Anfang! Noch ehe ich das Joch auf dem Nacken hatte! Doch ließ mich einesteils mein "kindlicher Optimismus" Besserung hoffen und andernteils machte die täglich brutaler und unertragbarer mich würgende Stellung der beiden Brüder Spaun gegen mich und meiner ältesten, von diesen gegen mich immer weiter verblendeten und aufgehetzten Kinder mir jeden Gedanken einer Trennung von Mina in meinem pflegebedürftigen Zustand unmöglich. Durch die rabiate Brutalität des älteren Spaun auf meinen Vorhalt seines Unrechtes meines Lebens bedroht, nicht mehr fähig zum weiteren Ertragen und Arbeiten unter solcher Mißhandlung, flüchtete ich mich mit Mina nach Positano, alle meine Werke und das gemietete Haus den Brüdern Spaun und meinen Kindern zur Verwaltung und Verwertung überlassend.

In Positano leitete ich sofort bei dem dortigen Sindaco die standesamtliche Zivileheschließung ein, bestärkt und getrieben duch die Noch-Schwangerschaft Minas. Aber ehe dieser, durch die bürokratischen Schwierigkeiten zur Beschaffung der erforderlichen Papiere (darunter die amtliche Austrittserklärung Minas aus der katholischen Kirche!) unerwartet verzögerte Akt vollzogen werden konnte, verfiel Mina in Folge der durchlittenen Aufregungen von Capri der vorzeitigen Geburt eines Kindes, welches, lebensunfähig, am vierten Tage starb. Ich mußte, wenn ich mich nicht der Gefahr, als "animale luterano" gesteinigt und aus dem Ort vertrieben zu werden, aussetzen wollte, die "christliche" Taufe und Beerdigung des Kindes über mich ergehen lassen, was ich aus dem Grunde geschehen ließ, als dem toten Kinde dieser Wahnsinnsfanatismus, welchen ich als höchste Lebensschädigung von dem Kinde, wenn es am Lebe geblieben wäre, mit allen meinen Kräften abgehalten hätte, (o idealer Optimismus dem Weibe gegenüber, zumal das Kind nicht mein Kind war!), nicht zu schaden vermochte. Auf dem hochgelegenen Friedhof von Positano, mit großartigem Blick auf die steil abfallende Küste bis zur Pinta Campanella und über das unbegrenzte Meer, steht ein weißes hohes Kreuz mit der Aufschrift: "Leo Diefenbach".

Die schwere Gemütsalteration und körperliche Schwächung, welche Mina durch diese nach vielfacher Hinsicht unglückliche Geburt erlitt, ließ sie den Besuch ihrer Schwester, mit welcher sie in regem Briefwechsel stand, wünschen, wozu ich ihr das erbetene Zugeständnis machte, daß ihre an Selbständigkeit gewöhnte und sehr empfindliche Schwester nach ihrer Gewohnheit sich ihr Essen selbst bereite, Wein dazu genieße etc. Eingedenk des Vorurteils und der Kälte, mit welchen die Schwester am "Himmelhof" mir gegenübergetreten war, verhielt ich mich zurückhaltend gegen sie, es ihr überlassend, die konventionellen Verkehrsformen beizubehalten oder sich persönlich zu mir zu stellen. Die beiden Schwestern, die sich bei den abenteuerlichen und ungeheueren Verhältnissen, in welche Mina an meiner Seite geraten, natürlich viel zu sagen hatten, was brieflich nicht möglich war, meist allein lassend und rastlos mit Malen in meiner kleinen Werkstatt beschäftigt, gab ich Marie Zeit und Gelegenheit, mich ungeniert zu "studieren" und durch Aussprache mit Mina über mich näher kennen zu lernen.

Zu meiner angenehmen Überraschung bot sie mir nach etwa acht Tagen als "Schwägerin" als Zeichen ihrer gewonnenen Hochachtung für mich und Wertschätzung meiner Lebensideale, welche den ihrigen verwandt und sympathisch ihren Gesichtskreis erweiterten und mit höherem Menschheitswerte erfüllten, das "Du" an, ohne damit auch nur den leisesten Gedanken einer erotischen Annäherung an mich, einer Verkleinerung oder gar Verdrängung ihrer Schwester zu verbinden oder in mir zu erzeugen, was ich ausdrücklich betone als Grundlage der mir aufgezwungenen Widerlegung der von Mina später gegen ihre Schwester und mich erhobenen und heute noch aufrecht erhaltenen Beschuldigungen.

Marie war damals vierzig Jahre alt. Ich fand bei ihr weit mehr sachliches Verständnis, Interesse und tieferes Eingehen und Empfänglichkeit für meinen, über den Herdengeist Minas hinausgehenden und deshalb für denselben unfaßbaren Lebensgedanken, als Mina mir zu meinem tiefsten Schmerze und drückender Beklemmung auch selbst seit meinem unerwarteten Anerbieten der Ehe entgegenbrachte. Als sich dazu noch weiter zeigte, daß die Schwester auch für mein Kunstschaffen ein unvergleichbar größeres Verständnis nicht nur in der geistigen Auffassung desselben als Ausdruck meines Menschheitsgedankens, sondern auch eine praktische Geschicklichkeit und Verständnis für alle zu dessen Ausdruck nötigen materiellen Hilfsarbeiten besaß, die geeignet waren, mein von meinem Schicksal mir so unsagbar schwer gemachtes Kunstschaffen wesentlich zu erleichtern, welche Eigenschaften ich noch niemals in einem weiblichen Wesen in solchem Grade gefunden hatte, entstand in meiner "dämonischen" (d.h. magnetisch anziehenden) Seele der Gedanke, daß nach dem Verluste meiner mir von Kindheit an systematisch entfremdeten Kinder an die beiden Brüder Spaun mir zur Gründung einer neuen Existenz, neben der längst schmerzlichst empfundenen Unzulänglichkeit Minas in jeder Hinsicht, als Ergänzung deren Schwester wie vom Himmel vorbereitet und geschickt sei und daß die Betätigung von deren Eigenschaften und Fähigkeiten an meiner Seite der Menschheit unvergleichbar mehr Nutzen schaffe als ihre mit noch so hohem Erfolg seither in Wien ausgeübte Tätigkeit als Erzieherin von Kindern, welche durch die stumpfe Gewohnheit und Beschränktheit ihrer Eltern nicht aus dem naturwidrigen Kreis der "christlichen" Weltanschauung hinausgeführt werden können und deshalb für die Menschheit der Zukunft nutzlos bleiben.

Nachdem dieser Gedanke nach jeder Richtung in ruhiger und ernster Überlegung in meinem Innern zur Reife und vollen Klarheit gelangt war, sprach ich denselben auf einem größeren Spaziergang, an welchem Mina durch Unwohlsein verhindert war teilzunehmen, Marie in gründlicher Entwickelung aus. Natürlich war dies für dieselbe unerwartet und von so gewaltiger Lebensbedeutung - handelte es sich doch darum, ihre gesicherte und geachtete Stellung in der Gesellschaft aufzugeben und sich einem Manne anzuschließen, den sie am Himmelhof und jetzt wieder im völligen Zusammenbruch seiner Existenz befunden hatte. Sie bat sich Bedenkzeit aus, in welcher sie, um völlig frei von jedem Einfluß meiner Person zu sein, früher nach Wien zurückkehren wolle, als sie sonst vorhatte.

Sie schrieb einige Monate später von Wien aus, daß sie nach reiflichster Erwägung aller Umstände entschlossen sei, meinen Antrag anzunehmen, nur verlange sie als Bedingung zu dessen Ausführung den vorherigen Vollzug meiner Eheschließung mit ihrer Schwester, nach welchem sie in kurzer Zeit ihre Verhältnisse in Wien geordnet haben und zu uns kommen werde. Im Gegensatz zu dem nach so fürchterlichen Verlusten mich stützenden und erhebenden Gefühle, in Marie unerwartet eine Kraft gefunden zu haben, die fast dem Werte einer zweiten rechten Hand gleichkam, indem sie meine eigene Schaffenskraft wesentlich unterstützte und steigerte, und im Gegensatz zu der Hoffnung, daß der Anschluß Maries auch für Mina einen Lebensgewinn bedeute, da sie, wesentlich entlastet und ergänzt durch ihre Schwester, mit welcher sie seither trotz regem Briefwechsel sich nur unvollkommen und ungenügend und ohne jeden Nutzen aussprechen konnte, beklemmte mich das Wesen Minas, welches ich durch mein Anerbieten der Ehe, an welche sie auch im kühnsten Traume nicht hätte denken können, mir so ganz anders vorgestellt hatte, als es sich seitdem zeigte. Doch nahm ich "kindlicher Optimist" an, daß die Gemütserschütterungen infolge der unter so abnormen, abenteuerlichen Umständen entstandenen Schwangerschaft, der Frühgeburt und des Todes des Kindes sowie die Schwere aller meiner Verhältnisse die Ursache ihres gedrückten Wesens sei, welches sich heben würde, wenn durch den Anschluß Maries ich zur Gründung einer neuen Existenz mit erhöhter Kraft schaffen könne und sie außer dem Rat und der Hilfe der um vier Jahre älteren und erfahreneren und praktischeren Schwester einen Gedankenaustausch mit einem ihr sympathischen und so nah verwandten weiblichen Wesen genießen würde, welchen ihr in unserer isolierten, abnormen Stellung der ganzen übrigen heutigen Welt gegenüber kein anderes Weib so hätte bieten können wie ihre Schwester, welche sich in ihrer früheren so furchtbaren Schicksalszeit so edelmütig aufopfernd und liebend zu ihr gestellt hatte.

Der Gang zum Standesamt, auf welchem und von welchem sie auch nicht ein Wort, einen Blick, einen Händedruck für mich fand, brachte mir das Gefühl, daß ich, statt eine dankbare Anerkennung zu finden für den bevorstehenden lebenswichtigen Akt, der ein so hohes Opfer meiner Selbstüberwindung forderte und nur im Vertrauen auf ein völliges Einleben oder mindestens Nachstreben in meinem Wesen möglich war, einer verhängnisvollen neuen Schicksalsverkettung entgegengehe. Dieses Gefühl steigerte sich während des durch den, sehr ehrerbietig und herzlich zu mir gestandenen, Sindaco vollzogenen Aktes und schnürte mir auf dem in eisigem Schweigen erfolgten Rückweg die Kehle und die Seele zu. Das war meine zweite "Hochzeit"! Doch ich unverbesserlicher Optimist glaubte, durch liebevolles Umarmen des Weibes, das jetzt meinen Namen trug, den mir unbegreiflichen gedrückten Gemütszustand Minas zu heben, und bemühte mich, neben meinem rastlosen Schaffen und dem Schmerz um meine verlorenen Kinder, dies zu erreichen, wie es kein Mann, ohne sich schmachvoll zu entwürdigen, mehr tun könnte. Außerdem erhoffte ich Besserung von der Ankunft Maries.

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24. Juli

Doch wie so oft in meinem Leben mußte ich auch jetzt die Erfahrung machen, daß in meinem Kopfe anders als in anderer Menschen Köpfe die Welt sich malt.

Marie hatte alle Beziehungen, welche sie sich aus drückendster Armut heraus mit schwachem, blutarmem Körper aber rastlosem Fleiße und hoher Intelligenz in Wien geschaffen hatte, welche ihr einen geachteten und vor Not geschützten Lebensabend sicherten, gelöst, um alle ihre Kräfte der Mitarbeit an meinem Lebenswerke zu widmen. Sie war trotz der kurzen Zeit unseres persönlichen Verkehrs meinem Geiste und meiner Seele näher gekommen als ihre Schwester in vier Jahren gekommen war, weil sie mir in Geist und Seele verwandter war als diese. Aber diese größere Geist- und Seelenverwandtschaft zwischen Marie und mir würde weder von ihrer noch von meiner Seite auch nur die allergeringste Verdrängung oder Zurücksetzung Minas herbeigeführt, sondern im Gegenteil die Kluft, die zwischen meiner Lebensstufe und derjenigen Minas von Natur aus und durch unseren beiderseits so himmelweit verschiedenen Entwicklungsgang besteht, überbrückt und Mina mir näher geführt haben, als sie ohne diese schwesterliche Hilfe aus eigener Kraft jemals zu erreichen vermocht hätte. Dies war damals mein und Maries Empfinden und Wollen und ist es auch heute noch, und kein urteilsfähiger Mensch, der mein und Maries, während unseres ganzen Lebens konsequent betätigtes Wesen kennt, wird hieran zweifeln.

Durch schaudererregende, mich und Marie wie Keulenschläge treffende rasende Selbstsucht und Torheit Minas sollte mir Aufklärung werden über ihre in meinem naiven Künstler-Idealisten-Optimismus für belehrungs- und veredelungsfähig gehaltenes, seit meinem Entschluß zur Zivilehe unbegreifliches Wesen und über die Ursache des beklemmenden Gefühls, mit welchem ich meiner zweiten Ehe wie einer zweiten Hölle, in meinem Alter nicht weniger gräßlich als die Hölle meiner ersten Ehe, entgegenging.

Wie es für jeden feinfühlenden und darwinistisch gebildeten Menschen nicht anders denkbar und nicht anders möglich ist, als daß die geschlechtliche Vereinigung von Mann und Weib in erster Linie als heiligster, den Menschen zur lebenzeugenden Gottheit erhebender Akt empfunden wird, der in sich heilig, göttlich aber nicht "Sünde" ist, wie das naturwidrige, gottlästernde, aus dem schweinischen Judentum und gegen das schweinisch-entartete Römertum entstandene "Christentum" lehrt, und nicht erst durch die "Ehe", dieses das Weib wie den Mann entwürdigende, zur Sicherung der Pfaffen- und Fürstenherrschaft über den Mann (durch das Weib) eingeführte, von jedem großdenkenden Menschen (auch weiblichen!) von jeher als Schmach empfundene und gebrandmarkte Zwangsinstitut erlaubt und "geheiligt" wird, so ist es für jeden feinfühlenden und großdenkenden Menschen ebenso selbstverständlich und delikat, daß darüber kein Wort gesprochen werden braucht und kann, daß dieser heilige intimste Verkehr zwischen einem seelenverwandten Paar, auch wenn der ursprüngliche Zweck infolge von eingetretener Zeugungsunfähigkeit nicht mehr erfüllt werden kann, ein natürliches Bedürfnis ist, dessen Nichtbefriedigung Unruhe, Beeinträchtigung der Schaffenskraft (welche nur bei vollem und allseitigem körperlichem Befriedigtsein und bei Seelenruhe und -Freude sich betätigen kann) und krankhafte Aufreibung der Lebenskraft zur Folge hat.

Das aus herrschsüchtigen Gründen des Papsttums den katholischen Priestern aufgezwungene Zölibat sowie das unzähligen Männern und Frauen, die sich nicht "heiraten" können, durch das naturwidrige "christliche" Sittengesetz aufgezwungene Zölibat sind zum Himmel schreiende Verbrechen gegen "Gott" und gegen die Natur, welche unsagbares Elend, Siechtum und ausschweifende Verbrechen und Selbstschändung zur Folge haben und durch keine pfäffische "Moral"-Predigt beseitigt und bemäntelt werden können. Dieses Verbrechen an der Menschheit, welches die Prostitution erzeugt und erhält, bildet neben dem scheusäligen Militarismus und Kapitalismus die schwerste Anklage des durch den Darwinismus zur Erkenntnis der "Quellen des menschlichen Elends" gekommenen Menschen gegen die fast zweitausendjährige Pestwirkung des teuflischen Instituts der katholischen Kirche und der von dieser abstammenden "religiösen" Sekten.

Und dieser Punkt der Aufklärung über die heute noch herrschende Unnatur war einer der wesentlichsten, welche ich Mina bei ihrem ersten Erscheinen bei mir vorstellte und welchen sie nebst allen anderen nicht nur theoretisch sondern auch praktisch angenommen hatte, als ich sie zu meiner persönlichen Pflege zu mir nahm. Marie, welche nie in einem intimen Verhältnis zu einem Manne gestanden war, welche mit Ausnahme der Väter ihrer Zöglinge, die in achtungsvoller Freundschaft zu ihr standen, die meisten Männer wegen ihrer Brutalität gegen das weibliche Geschlecht verachtete und haßte und welche derart von ihrem Erziehungsberuf und ihrer eigenen geistigen und seelischen Höherbildung erfüllt war, daß sie sich gar nicht als Geschlechtswesen fühlte, war, von Geburt aus klein und schwach, blutarm und bleichsüchtig, als sie zu mir kam. Weit mehr als ihre seitherige naturwidrige Ernährung und Kleidung stellte ich auch ihr, wie früher Mina, die naturwidrige Enthaltung vom Geschlechtsverkehr als Ursache ihrer Blutarmut vor und hatte Mühe, ihre eingewurzelte Abneigung gegen einen solchen Verkehr zu überwinden, welchen sie schließlich von mir annahm. Diesen naturgesetzlichen, aus tiefernster Seelenüberzeugung und -Anziehung entstandenen Verkehr als "Leidenschaft", "Ehebruch" und, wie es später auf Belehrung des "Hochwürden-Seelenführers" von Mina geschah, als "Blutschande" zu bezeichnen, ist nur einem selbstsüchtigen, gottentfremdeten, pfäffisch-bornierten und verdrehten Gehirn möglich: Der eigenen Schwester, die ihr ganzes Leben in Entsagung und schwerster rastloser Arbeit zugebracht, die ihr die größte Liebe und die größten Opfer entgegengebracht zu ihrer Heilung von dem selbstmörderischen Wahnsinn, in welchen sie durch die Naturwidrigkeit der Kirchen-"Moral"-Gesetze und Begriffe gestürzt worden war, und die auf meinen lebensernsten Antrag zu uns gekommen war zur Ergänzung und Hebung ihrer gegen mein Wesen und meine gewaltigen Verhältnisse wurmhaften Unzulänglichkeit, - einer solchen Schwester die endliche Erfüllung des heiligsten Leibes- und Seelenbedürfnisses, welche ihrer Befriedigung nicht den geringsten Abbruch tat, zu mißgönnen, zu bestreiten und derart zu vergällen, wie es Mina getan hat auf Grund ihrer gesetzlichen "Rechte" - derart erlangter "Rechte"! - und ihrer "religiösen Überzeugung", welche sie mir bis dahin nicht nur verheimlicht sondern durch ihre amtliche Austrittserklärung aus der katholischen Kirche, um "meine Frau" werden zu können, verleugnet hatte, - ist nur einer bodenlos selbstsüchtigen, niedrigen Seele möglich!

Es widerstrebt mir, Dir die Höllenmartern zu schildern, welche Marie und ich von der "christlichen", "moralischen" Denkungsweise Minas zu leiden hatten und heute noch zu leiden haben, obwohl wir zur Verhinderung von Ausbrüchen rasender Wut - echt "christlich"! - ihr unseren vor Gott reinen und berechtigten Geschlechtsverkehr zum Opfer gebracht haben, welches "Opfer" sie roh zurückweist, dagegen brutal auf ihrem "Recht" besteht.

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25. Juli

Bezüglich Deiner Vorstellung an meine Tochter, sich kirchlich trauen zu lassen, "wie ich es getan", habe ich nur noch zu erklären, wie ich dazu gebracht worden bin.

In ihrer "sittlichen Entrüstung" als "anständige unglückliche Frau" reiste Mina - angeblich zu ihrer Erholung sowie zur Anknüpfung von Geschäftsverbindungen - nach Rom. Dort suchte sie den Vorstand der deutschen Pfaffenkolonie im 'Campo Santo' auf und klagte diesem ihr Leid. Dieser, wie ich ihn später persönlich kennen lernte, ein alter, rauch- und schnupftabakstinkender, bornierter und fanatischer Pfaffe, ohne jede Spur von jener Vernunft, welche der Benediktinerpater von München zeigte, dem Du über meine beginnende "Gottlosigkeit" klagtest, führte die "verlorene Tochter" wieder in den Schoß der "allein selig machenden" katholischen Kirche zurück und stellte sie, um den "apostolischen Segen" zu ihrem schweren Bekehrungswerk an mir "Ketzer" und "Wüstling" zu erhalten, dem Papst vor. Ich besitze einen Brief dieses "Seelenführers" an Mina, worin er ihr meine Bekehrung und die meiner Kinder als heiligste, ihr "von Gott gestellte Lebensaufgabe" ans Herz legt. Im Gegensatz zu dieser vielleicht ehrlich gemeinten, blödsinnigen, in ihren Folgen entsetzlichen Erfüllung seines "heiligen Priesterberufes" gab er Mina die jesuitische Unterweisung, mich dadurch zur Zulassung der kirchlichen Trauung zu bewegen, daß sie mir vorstelle, ohne den Empfang der heiligen Sakramente, deren seitherige Verleugnung sie an den Rand des Verderbens gebracht, könne sie nicht mehr leben und ohne die kirchliche Heiligung unserer, vom Standpunkt der Kirche nur als sündhaftes Konkubinat geltenden Ehe könne ihr das allerheiligste Altarsakrament nicht gereicht werden. Die Zeremonie werde in der Sakristei der hiesigen Pfarrkirche ohne jedes öffentliche Aufsehen nur im Beisein von zwei Zeugen erfolgen und habe für mich als Nichtkatholiken keinerlei verpflichtende oder belästigende Bedeutung und Folgen.

In meiner optimistischen Lammnatur gehe ich auf diesen jesuitischen Leim, beuge mich unter das satanische Hohngrinsen des über mich triumphierenden hiesigen italienischen Pfaffen und der beiden von diesem gestellten Zeugenpfaffen und das Spottgerede von ganz Capri, um gleich darauf zu hören, daß ihr, nachdem unsere Ehe jetzt dem Kirchengesetz unterstehe, das "allerheiligste Altarsakrament" auch so lange nicht gereicht werden könne und sie nicht ehelich mit mir verkehren dürfe, als ich das "Verbrechen der Blutschande" mit ihrer Schwester fortsetze, welches vom Staatsgesetz mit mehrjähriger Zuchthausstrafe und Landesverweisung belegt werde. Meinen über solche schweinisch gemeine Schlinge mit "apostolischem Segen" auflodernde Empörung unterdrückte ich auf die inständige Bitte Maries, unsere Entsagung ihr als Opfer zur Erlangung häuslichen Friedens anbietend.

Aber außerdem daß sie erklärte, ein "Opfer" nicht anzunehmen, setzte sie der von den "geistlichen Seelenführern" geleiteten Weiberherrschaft über den Mann dadurch die Krone auf, daß ich in ihrem Beisein in die Hand des Pfarrers der deutschen katholischen Kolonie von Neapel, einem kaum vierundzwanzigjährigen anmaßenden tonsurierten Burschen, das Gelöbnis ablegen mußte, fortan in "keuscher" Ehe mit meiner frommen Ehefrau zu leben. Trotz meiner unglaublichen, durch mein Ruhe- und Pflegebedürfnis an der Kehle gewürgten Lammnatur konnte ich kaum die kochende Empörung über diese fortgesetzte schmachvolle Behandlung unterdrücken und erklärte dem jungen "Seelenführer" meiner Frau (in ihrem Beisein), daß diese Ehe ein langsamer Mord an mir sei.

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26.Juli

Sie erklärte mir, ein solches Zusammenleben nicht aushalten zu können. Sie schlug mir endlich vor, uns ohne öffentlichen Skandal friedlich zu trennen. Ich solle ihr 4000 Lire geben, mit welchen sie an der Frauenhochschule in Freiburg (Schweiz) sich als Sprachlehrerin ausbilde und als solche sich später ihren Lebensunterhalt selbst verdiene, ohne mir weiter mehr irgendwie zur Last zu fallen. Obwohl mich dieser Vorschlag zwang, meine Werkstätte in Sorrent zu schließen, stimmte ich aufatmend demselben zu und erhob auch keinen Vorwurf gegen sie, als sie mir von Freiburg aus berichtete, daß sie 500 Lire mehr mitgenommen habe. Nach einem Jahr schrieb sie mir von Wien aus, daß ich ihr als meiner Frau doch nicht zumuten könne, mit Stundengeben ein elendes Leben zu fristen; sie wolle eine Frauenschule gründen oder kaufen, aber dazu gehöre Kapital. Ehe ich ihr auf dieses "christliche" Ansinnen entsprechende Antwort geben konnte, mußte ich ihr telephonieren, daß ihre Schwester im Sterben liege. Hierauf kam sie zwar umgehend, benutzte aber die ihr durch unsere Not gegebene Gelegenheit, sich zu einem neuen, halbwegs ertragbaren Verhältnis zu mir zu stellen derart, daß es nicht auszuhalten war. Der geringe Bilderverkauf des letzten Jahres, der nicht einmal die Hälfte der "christlichen" Wuchersumme (5200 Lire), die ich jährlich als Hausmiete zahlen muß, einbrachte, sowie der Rat fast aller Besucher der Ausstellung und schließlich die herzliche Einladung des Dr.Schmidt und dessen Frau von Höchst ließen Mina mir den Vorschlag machen, in größeren Städten Deutschlands eine Turnusausstellung zu veranstalten und damit in Frankfurt und Wiesbaden zu beginnen.

Diese Himmelsfügung zu meiner Befreiung von einer unbeschreibbaren unausgesetzten Höllenqual benützte ich mit übermenschlicher Anstrengung meiner äußersten Kräfte, um die nötigen Bilder zu meiner würdigen Vertretung in Deutschland zu vollenden, welchen ich jeden Monat weitere nachfolgen lassen wollte, sodaß mit der Zeit eine stattliche Ausstellung zu Stand gekommen wäre, welche außer dem Lebensunterhalt für Mina einen Beitrag zu den hiesigen ungenügenden Einnahmen brächte.

So kamst Du dazu, "meine Frau" und einen kleinen Teil meiner, von dieser nur als Marktware gewürdigten Werke kennen zu lernen. Deine schon bei dem, ohne mein Wissen erfolgten, Besuche meines Sohnes Lucidus betätigte Schwesterliebe ließ mich hoffen, daß Du meiner zweiten Frau mit umso größerer schwesterlicher Liebe und Teilnahme entgegenkommen würdest, wenn Du Kenntnis erhieltest, daß sie aus ganz demselben Grunde, aus welchem Du nicht hast bei mir bleiben können: der Unvereinbarkeit der katholischen (überhaupt "christlichen") Weltanschauung und Lebensaufffassung mit derjenigen, welche ich in meinem Leben gewonnen habe und betätige - unmöglich zu mir zurückkehren könne.

Daß durch das Zerrbild, welches Du hierdurch und durch die Darstellung, welche Dir Mina über den "Irrtum" und die "Unmoral" meines Lebens gegeben haben würde, die zwischen uns liegende Kluft noch erweitert und unüberbrückbar gemacht werden würde, schmerzte mich zwar sehr, aber wie ich seit vierunddreißig Jahren diese nur durch die Unnatur des "Christentums" zwischen uns entstandene Kluft ertragen habe sowie den Verlust meiner Kinder ertragen muß an Stelle des Scheiterhaufens früherer Zeit, so muß ich mich darein finden, daß wir aus dem Leben scheiden, ohne uns noch einmal im Andenken an unsere Eltern die Hand als Geschwister gereicht zu haben.

Aber ehe ich Mina und Dir meinen unabänderbaren Entschluß schreiben konnte, warf mich die seit Jahren unter rastlosem Schaffen pflegelos ertragene Bronchitis auf das Krankenlager, und als bald darauf auch Marie, deren, bei ihrem schwachen Körper früher von jedem angestaunte Lebens- und Arbeitsenergie durch die unausgesetzte, an meiner Seite erduldete Seelenmarter gänzlich gebrochen war, wieder schwer erkrankte, mußte ich Mina abermals hierher zurückrufen. "Fügung Gottes" werdet Ihr sagen, "Fügung des Satans", sage ich.

Der nach solch ungeheuerem Lebenskampfe an Stelle von Ruhe und Erholung in meinem Alter durch diese zweite Ehe mir weiter aufgezwungene Kampf hat, unter ständig kochendem Blut und pochendem Herzen, meine körperliche Widerstandskraft völlig aufgerieben. Anstatt die Früchte meines Lebens - in solchem Sturm gereift! - sammeln und der Nachwelt hinterlassen zu können, statt vor meinem Tode meine Seele und meinen Geist ausruhen lassen zu können in der Überblickung und Niederschrift meines typischen Entwicklungskampfes aus den Banden der Kirche, die seit sechzehn Jahrhunderten die Menschheit verelendet, bis zu jener Erkenntnis, die ich im Vorwort zu 'Per aspera ad astra' ausgesprochen habe, muß ich Tag und Nacht mein müdes, wundes Gehirn weiter abmartern, wie ich mich des nach meiner gesetzlichen Fesselung in "meiner Frau" zu Tag getretenen "Christentums" erwehre, wie ich mich der würgenden Schlinge entledige, ehe mein Gehirn erkrankt und ich wahnsinnig werde über solche seit vierunddreißig Jahren erduldete, gut gemeinte "christliche" Mißhandlung meines innersten Wesens, des Wesens, das unsere Eltern mir aus dem Kern ihres Wesens vererbt und dessen Entwickelung auf Grund ihrer und meiner Lebenserfahrungen sie beide vor ihrem Tode gesegnet haben, des Wesens, für dessen Entwickelung und Behauptung ich mein ganzes Leben gekämpft und gelitten habe.

"Ich pfeife auf Deine Ideale, ich will mein Leben genießen!" "Ich bin ein Weib des Jahrhunderts und nicht Deine Sklavin!" schrie mich die "christliche", "anständige" und entsetzlich "unglückliche Frau" noch vor zwei Jahren auf den Vorhalt meiner Lebensideale an, daß mir Sehen und Hören verging.

Elisabeth! Wenn ich Dich, die Du mir blutsverwandt bist und auf gleicher gesellschaftlicher Bildungsstufe mit mir standest, in Deiner starren Vertretung des von Dir für Religion, von mir für Satanswerk gehaltenen und bekämpften Kirchentums, nicht mehr zu ertragen vermochte, da ich noch jung war, wie soll ich in meinem Alter ein Weib ertragen, das die ihr, im Vertrauen auf die bei der Aufnahme in mein Haus versicherte Annahme und Befolgung meiner Lebensideale, angebotene Ehe durch acht Jahre hindurch mir zur Hölle gemacht hat (im Verhältnis nicht weniger als das erste Weib getan), das, nachdem es die gesetzlichen Rechte, die mich fesseln, stillschweigend angenommen, "auf meine Ideale pfeift", mein heiligstes Empfinden mit Hilfe von Pfaffen in den Kot der "christlichen" Moralanschauuung (!) zerrt und schändet, das mich nur würdigt und benutzt als Verfertiger von verkäuflicher Marktware zur Fristung seiner in der Rolle "meiner Frau" anmaßend gewordenen Pöbelexistenz; das mit all seiner, mir beständig vorgehaltenen "Pflichterfüllung" mir nicht den millionsten Teil dessen ersetzt, was seine Gegensätzlichkeit gegen mein Wesen in mir schädigt und vernichtet?

Auch auf die Gefahr hin, daß die "christliche" Moral und die "christliche" Bosheit die durch das achtjährige Martyrium halbtote Marie alsdann auch nicht mehr an meiner Seite duldet und ich, der ständigen liebevollen und verständigen Pflege bedürftig, pflegelos und ohne jede Aussicht auf einen Ersatz Maries durch ein anderes Weib den "christlichen" Gaunern und dem Skandalklatsch der "gebildeten" und "moralischen" Deutschen preisgegeben daliegen müßte, verlange ich die Trennung meiner Frau von mir für immer! Und zwar unter Abbruch jeglicher Verbindung, indem auch die allerweiteste Lockerung mich schon bei dem bloßen Gedanken an die durch diese "christliche" Ehe verlorene Schaffenskraft würgt , arbeitsunfähig macht und ständig wie ein Damokles-Schwert über mir hängen würde. Mina hat durch vorheriges vierjähriges Zusammenleben mit mir gewußt, daß jeder Atemzug und jeder Schritt meines Lebens von der Unnatur der "Moral" des pfäffischen "Christentums" weg nach der entgegengesetzten Richtung geht und daß ich diese entgegengesetzte Richtung nicht nur zur Auslebung meiner Individualität sondern als öffentlicher Prediger eines höheren Menschheitsideals verfolge. Wenn sie in jenen vier Jahren zu dem Bewußtsein gekommen ist, daß sie die bei ihrer Aufnahme in mein Haus mir versicherte Befolgung meines Lebensweges nicht länger mehr betätigen könne, weil derselbe ihr nachträglich als Irrtum oder Unrecht erscheine oder ihrem Wesen widerstrebe, so hätte sie mir dies auf meinen, im Glauben an ihre Gefolgschaft gefaßten Entschluß zur bindenden Ehe rückhaltlos sagen müssen. Dies hat sie nicht getan, weil sie wußte, daß sie alsdann nicht länger hätte bei mir bleiben können. Sie hat mich in dem Glauben an die Fortsetzung ihrer Gefolgschaft gelassen, mit Bewußtsein und Absicht gelassen und gewartet, bis sie nach vollzogener Zivilehe die "gleichen Rechte wie der Mann" habe, und mir dann erklärt, daß sie meine Ideale für Irrtum, Utopie und Unmoral halte und denselben nicht mehr zu folgen vermöge ( - in allen Punkten! - ), und nun in völliger Nichtwürdigung meines Künstlertums, meines persönlichen Empfindens und meines Menschheitsberufes mich "unterzukriegen" gesucht, wie die Schusterin ihren Schuster unterkriegt, unter ihre, mir bis dahin verhehlten, "weiblichen" Pöbelanschauuungen und Prätensionen, zu deren Durchsetzung sie die Hilfe der katholischen Kirchensatzungen (Signori!) - (die ich bekämpfe!) - anrief, indem sie erklärte, ohne "Religion" nicht leben zu können.

Daß dies alles ohne berechnende Absicht und ohne Kenntnis des tausendfach gegen "einfältige" Männer - und ich bin einer der einfältigsten der "Einfältigen"! - seit Jahrhunderten mit Hilfe der Jesuitenmoral ausgeübten Weibertricks geschehen sein soll und sie erst nach der vollzogenen Ehe durch das Hinzukommen ihrer Schwester zum Bewußtsein der Unmoral meiner Lebensgrundsätze gekommen sein soll, von welchen sie dann mit Hilfe von tabakstinkenden Zölibatspfaffen, Rosenkranzbeten - und dem "Pantoffel" mich zu kurieren gedachte, das glaube, wer "katholisch" genug dazu ist. - Mir ekelt zum Erbrechen vor solchem "Christentum", und ich kämpfe auf Leben und Tod um meine Befreiung aus dieser mich würgenden Schlinge.

Mina wird natürlich von ihrem Standpunkte aus alles anders darstellen, da sie sich nach den Satzungen der katholischen Kirche, welche sie als von "Gott" gegeben hält, von mir und ihrer Schwester in ihrem "Rechte" gekränkt und deshalb tief unglücklich fühlt. Gewiß ist es für sie ein Lebensunglück, meine Schwelle überschritten zu haben und in eine Stellung an meiner Seite gekommen zu sein, welcher sie nach keiner Richtung gewachsen ist. Aber ich habe sie mit rückhaltloser Offenheit auf alles aufmerksam gemacht, als sie zu mir kam und habe seitdem weder meine Gesinnung geändert noch auch das mindeste Unrecht gegen mein Gewissen begangen. Dagegen ist, auch wenn sie ohne jede berechnende hinterhältige Absicht in die Ehe mit mir getreten sein sollte (worüber ich nicht streite), die Zumutung, mich ihrem Standpunkt unterzuordnen, gleichbedeutend mit der Verurteilung und Verwerfung meines ganzen vergangenen Lebens sowie die mörderische Vernichtung des Restes der mir noch übrig gebliebenen Lebens- und Schaffenskraft. Dagegen kämpfe ich auf Tod und Leben!

Ich erwarte, daß Mina nach Lesung dieses Schreibens ruhig ihres mir vor zwei Jahren vorgeschlagenen Weges geht und mir nicht länger das mich würgende Joch einer so unnatürlichen Verbindung aufdrängt und mich nicht dadurch zur Notwehr treibe zu meiner Befreiung und Rettung.

Die Frömmigkeit meiner "christlichen Ehefrau" zeigte sich zunächst darin, daß sie jeden Morgen nicht etwa bloß zur Kirche sondern zur Kommunionbank ging, um das allerheiligste "Altarsakrament" zu empfangen, was selbst in diesem von einer unglaublichen Unzahl von schmarotzenden Pfaffen beherrschten Lande unerhört war und, da sie stets als einzige zur Kommunionbank ging, in ganz Capri besprochen wurde und sie in den Geruch der Heiligkeit, dagegen ihre Schwester und mich, die wir nie die Kirche betraten, in den Verruf "gottloser", d.h. schlechter, unsittlicher Menschen brachte, welcher Verruf durch die direkten und indirekten Klagen Minas über ihre "entsetzlich unglückliche Ehe" bei Besuchern meiner Ausstellung (!), dem Pfarrer von Capri und Anacapri echt "christlich" genährt wurde. Da mir auf solche Klagen hin von verschiedenen Seiten wohlmeinende, oft auch boshafte Vorstellungen über die von mir vermeintlich nicht gewürdigten, dagegen mit rohem Undank vergoltenen "vorzüglichen Eigenschaften" meiner Frau gemacht wurden, sah ich mich natürlich zu meiner "Verantwortung" und Verteidigung gezwungen, diese Klagen von meinem Standpunkte aus zu beleuchten, dieselben als unbegründet und als roheste Brutalisierung ihrer armen, schuldlosen und hoch verdienstvollen Schwester sowie meiner Persönlichkeit als Mensch, meines Küstlertums und meines menschheitlichen Berufes zu erklären.

Wie weit meine, von der Herzogin von Nassau und vielen anderen Menschen angestaunte und bewunderte Geduld solchen Ausbrüchen kompletten Wahnsinns und rohester Selbstsucht, in der Absicht, diese krankhaften Naturanlagen - ihr Vater ist im Irrenhaus gestorben, und sie war das jüngste Kind desselben - zu beruhigen, ging, wird Dir genügen, wenn ich erwähne, daß ich unter schwerster Schädigung meines Kunstschaffens und meiner Existenz Marie mit Sack und Pack (sie hatte ihre ganze Einrichtung mitgebracht) nach Wien zurückkehren ließ, Mina zu mir nach Sorrent nahm (während ich zugleich mit der Verwaltung meiner Werke auf Capri Helios eine Gelegenheit zu einer würdigeren Stellung zu mir gab), auf ihre Bitte mit ihr einen Besuch bei dem dortigen Erzbischof machte, der mich mit dem Vorwurf empfing, warum ich nicht schon längst zu ihm gekommen sei (nachdem ich schon über ein Jahr in Sorrent in dem von mir gemieteten zweiten Stock des Palazzo Municipale an einem gewaltigen Werk zur Erbauung eines Tempels 'Humanitas' auf dem zweigipfeligen letzten Berg der Sorrentiner Halbinsel gearbeitet hatte, was in ganz Sorrent als höchstes Stadtereignis und Weltkuriosum besprochen wurde, mein Plan ihm bekannt war, und er über eine kleine, auf dem zweiten Gipfel des Monte San Costanzo stehende, in meinen Plan einbezogene Kapelle zu verfügen hatte) und nie zur Kirche ginge, wogegen er meine Frau, deren auch in Sorrent öffentlich besprochene "Frömmigkeit" natürlich ihm zu Ohren gekommen war, als ein Muster christlicher Tugend pries und mir zum Vorbild empfahl, wobei er mir zur Auffrischung meines Gedächtnisses aus meiner Jugendzeit einen katholischen (italienischen) Katechismus (den er schon für meinen angemeldeten Besuch bereit gehalten hatte) schenkte (welche Schenkung er mit einer Salve stinkenden Schnupftabaks begoß), meine Frau ermahnte, mich wieder "katholisch zu machen", worauf diese ihm, strahlenden und glühenden Gesichtes, inbrünstig und dankbar die tabakstinkende Hand küßte und eine ehrfurchtsvolle Kniebeugung vor ihm machte und dadurch - echt "katholisch"-taktvoll - mich in meiner manneswürdig einfachen Verabschiedung als unverbesserlichen, gegen die hochwürdigen Statthalter Gottes (mit Schnupftabak!) respektlosen "Ketzer" demonstrierte.

Die gleiche widerliche Komödie am andern Tag, als der Erzbischof, offiziell angemeldet, mit seinem Galawagen am Municipio vorfuhr, um mir unter offizieller Begleitung eines Staatssekretärs (natürlich auch Pfaffe) seinen Gegenbesuch zu machen, wozu der ganze Palazzo eigens gereinigt worden war, und auf dessen Gängen und Treppen von der neunköpfigen Hausmeisterfamilie und jedem ihm begegnenden Mann (!) ihm die - hingehaltene (!) - Hand geküßt wurde. Meine, die Wände von sieben großen Sälen (darunter einer von 14 Metern Länge) bedeckenden, von jedem angestaunten Gemälde (darunter Christus-Darstellungen) wurden wegwerfend als "heidnische Kunst" bezeichnet und mir anempfohlen, Bilder aus dem Leben und Sterben der "Heiligen" zu malen, z. B. wie die Engel die Seele des sterbenden heiligen Josef (seines Namenspatrons!) aus dessen Mund wie eine Fischblase herausziehen und zum Himmel tragen, oder wie die allerheiligste "Jungfrau" Maria in rotem Kleid und blauem Mantel durch die Luft in den Himmel "fährt", und dergleichen Blödsinn mehr.

Beim Abschied dieselbe widerliche, mir ins Gesicht schlagende, Kniebeugung mit inbrünstigem Handkuß vor diesem naturwidrigen tabakstinkenden Zölibaterich, den seiner öffentlichen Stellung entsprechend durch das ganze Gebäude bis zu seinem Galawagen (echter Nachfolger Jesu!) zu begleiten und ihm auch nur einfach die Hand zu reichen, ich meine tiefste Mannes- und Menschheitsempörung unterdrücken mußte.

Doch reiche dem Teufel nur den kleinen Finger, so bemächtigt er sich der ganzen Hand und so fort des ganzen Menschen. Ein verachtendes Hohnlachen oder ein sprachloses bewunderndes Staunen wird in der ganzen von dem Pfaffentum emanzipierten Welt entstehen, wenn durch meine Lebensgeschichte öffentlich bekannt wird, zu welchem "Nachgeben" ich, als Don Juan und Wüstling verschriener Mann, mich diesem - derart zu mir gekommenen und derart "meine Frau" gewordenen Weibe gegenüber herabgelassen habe, nur um endlich Ruhe zu haben zur Betätigung meines seit vierunddreißig Jahren durch die "christliche" Unterdrückung meiner Eigenart untergrabenen und lahmgelegten und jetzt in meinem ruhe- und pflegebedürftigen Alter durch die roheste Selbstsucht dieses Wurmweibes noch weiter untergrabenen und lahmgelegten Kunstschaffensdranges! Und mit solchem, mit den für einen Mann von Geist und Charakter schmachvollsten und empörendsten Demütigungen durch die "christlichen" "Stellvertreter Gottes" verbundenem Nachgeben, um Ruhe zum Schaffen zu erlangen, habe ich statt dankbare Anerkennung und bescheidene Unterordnung einer so viel tieferen geistigen und gesellschaftlichen Bildungsstufe unter die meinige, feinfühlende Rücksicht auf meinen allein schon durch die Entfremdung und den Verlust meiner Kinder gemarterten Seelenzustand, bescheidene und achtungsvolle Zurückhaltung jedes Widerspruchs gegen mich im Beisein meiner Schüler, Rücksicht auf mein, nur in Gemütsruhe und -Heiterkeit mögliches, mir so entsetzlich erschwertes Kunstschaffen - habe ich statt allediesem das haarsträubende, in Bänden kaum zu beschreibende Gegenteil geerntet!

Wie der dümmste katholische Mistbauer den absurdesten Blödsinn des ihm eingetrichterten Katechismus gegen die weltbewegenden Ideen eines Darwin, Schiller, Goethe als "unfehlbare, von Gott geoffenbarte, allein wahre und allein seligmachende Wahrheit und Religion" behauptet und verficht, "wie die Weiber, die beständig zurück nur kommen auf ihr erstes Wort, wenn man Vernunft gesprochen stundenlang!", so setzte mir "meine Frau" all den Pfaffenmist, den ich seit vierzig Jahren bis zum Grunde durchschaut, mit persönlichem Ekel zurückgewiesen und menschheitlicher Entrüstung bekämpft habe, von morgens bis abends bei jeder Berührung, im Beisein meiner Schüler in dem Tone der jedem fanatischen Katholiken eigenen pfäffischen Anmaßung und Zurechtweisung vor. Sie brach ein in ihrem Beisein mit einem Schüler (einem der tüchtigsten, für mich wertvollsten Gehilfen bei meinem Riesenschaffen) während der Erholungsstunde geführtes ernstes Gespräch über Religion und deren Mißbrauch durch das gewerbsmäßige pharisäische Pfaffentum mit dem Trumpf ab: "Du hast doch Deine Kinder nur deshalb verloren, weil Du abgefallen bist von der Religion und Deine Kinder ohne Religion hast aufwachsen lassen!"

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27. Juli

Ich weiß nicht, ob Du trotz meiner Schilderung, wie mir meine Kinder geraubt und entfremdet wurden, den Hohn der Hölle, der aus diesen blödsinnig-brutalen Worten meiner "christlichen Ehefrau" spricht, bis zum Grunde zu durchschauen und mir nachzuempfinden vermagst; ebenso ob Du fähig bist, Dir nach diesem einen Beispiel eine Vorstellung zu bilden, welche Höllenqual ich an der Seite dieses Weibes, auch als ihre Schwester gänzlich beseitigt war und sie völlig allein mit mir lebte, ununterbrochen Tag und Nacht zu erdulden hatte. Statt Verständnis und Würdigung für mein Wesen zu finden, mich zu einem sympathischen und empfänglichen Weibe aussprechen, die Früchte meines dornenvollen Lebens sammeln und der Nachwelt überliefern zu können! Ihr bigottes, um nicht zu sagen scheinheiliges, Kirchenlaufen und Reden hatte zur Folge, daß die Frau des Hausdieners, die bis dahin mit Hochachtung und Dankbarkeit für die ihren Kindern erwiesenen Wohltaten und Bewunderung ihres von allen Menschen angestaunten Fleißes und ihrer Geschicklichkeit in allen Dingen, Marie gegenübergestanden war, anfing, verächtliche Bemerkungen über dieselbe zu machen und mich zu loben, daß ich meine "legitime" Frau jetzt zu mir genommen habe; die mir früher von Männern der höchsten Kreise Sorrents entgegengebrachte Hochachtung und öffentliche Auszeichnung verwandelte sich in verletzendes Zurückweichen und Ausweichen vor mir; der Schüler, einer der tüchtigsten, fleißigsten und bescheidensten, die ich je hatte, fing an nachdenklich und mißmutig zu werden und sich gedrückt zu fühlen durch die peinlichen Auftritte, die meine "christliche Ehefrau" mir jeden Augenblick, mitten unter meinem Kunstschaffen im Beisein des jungen Mannes bereitete, die mich zwangen, entweder dieselben sofort energisch zurückzuweisen, was nicht möglich war ohne vor dem jungen, noch unerfahrenen fremden Menschen meine intimsten Verhältnisse bloßzustellen, was unter allen Umständen sein Vertrauen zu mir untergrub, oder, um die Möglichkeit des Kunstschaffens für mich wie für den Schüler nicht gänzlich aufzuheben durch Entfesselung einer stets das letzte Wort behauptenden Zungendrescherei der "frommen und überzeugten" Katholikin, ruhig über mich ergehen zu lassen, was ich dann dem dadurch an mir irre werdenden jungen Mann auf einem der Erholung gewidmeten Spaziergange erklären mußte.

Die Höllenqual ertrug ich mehrere Wochen, bis jede Sekunde mir nicht nur den bodenlosen Abgrund zwischen dem, den niedrigsten Pöbelinstinkten entstammenden und von diesen genährten Wesen "meiner Frau" und dem meinigen immer mehr bloßlegte, sondern ihren, durch die Einflüsterungen und Ermahnungen der katholischen Satanspriester unbeugsam gewordenen Trotz gegen jeden meiner Gedanken und jedes meiner Worte zeigte, nachdem ihr Umwickeln meiner Hände mit ihrem Rosenkranz beim Zubettgehen und ihre brieflichen Versuche bei der "wundertätigen Madonna von Vale di Pompei" zu meiner "Bekehrung" nutzlos gescheitert waren. Als zu gleicher Zeit mit der Unmöglichkeit des Weiterertragens einer solchen "christlichen Ehefrau" sich die Unmöglichkeit zeigte, Helios die Verwaltung meiner Werke und des ganzen Hauses in Capri zu überlassen, so ordnete ich mit Vermeidung jedes häuslichen oder öffentlichen Skandals die Rückkehr Minas nach Capri an. Das Meer war furchtbar bewegt, als ich sie zum Schiff begleitete, aber meine bis zum Grund aufgewühlte und empörte Seele war es noch mehr!

Auf den Arm des Schülers gestützt kam ich bebend und keines Wortes mächtig in meine Werkstätte zurück. Acht Tage später hatte mich der mir höchst wertvolle und sympathische junge Mann unter Zurücklassung von Zeichen und Äußerungen seines schmerzlichen Bedauerns, sich nicht weiter an meiner Seite zum Künstler entwickeln und an meinen großen Werken mitschaffen zu können, weil meine familiären Verhältnisse sein Gemüt zu sehr bedrückten, frühmorgens, ehe ich erwacht war, verlassen! - "Niemand kann es bei ihm aushalten!"

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28. Juli

Stelle Dir bei jedem Absatz und Gedankenstrich und zwischen jeder Zeile Perioden unausdenkbarer und unbeschreibbarer Qual in meinem pflegebedürftigen Zustand, einem künstlerischen und menschheitlichen Schaffens- und Wirkensdrang und dem gemeinen Zwang zum Gelderwerb für das Leben mir in allem widerstrebender Menschen vor, und Du wirst dann mit dem Oberamtsrichter von Wolfratshausen, dem vom Staatsanwalt meine Entmündigung und Verbringung in eine Staatsirrenanstalt aufgetragen worden war, Dich wundern, daß ich "bei solcher Mißhandlung nicht längst wirklich wahnsinnig geworden" bin.

Zwischen den Felsen des einsamen Meeresstrandes, wohin ich mich tagelang vor jeder Begegnung eines Menschen - eines "cristiano" - flüchtete, habe ich zum Himmel geschrieen gegen das seit dem Tode unserer Eltern in bester Absicht wie aus gemeiner Selbstsucht schleichend oder mit Keulenschlägen Gemordetwerden meiner Seele, gegen das Vernichtetwerden meiner Schaffenskraft. Und das jetzt noch, in meinem Alter nach solchem Lebenskampfe erdulden zu müssen von einem Weibe, das so zu mir gekommen ist und sich dabei auf ihr "gesetzliches Recht", auf das Urteil "aller anständigen Frauen", auf die Satzungen der "von Gott geoffenbarten, alleinseligmachenden katholischen Kirche" und auf ihre religiöse Überzeugung beruft! Wahrlich: Scheiterhaufen- und Kreuzestod waren leichtere Martern, weil bald durch den Tod beendet, als die Martern meiner Seele, die ich seit vierunddreißig Jahren unausgesetzt erdulde!

"Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird die Last - greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel und holt herunter seine ewigen Rechte, die droben hangen unveräußerlich und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst - der alte Urstand der Natur kehrt wieder, wo Mensch dem Menschen gegenübersteht!" - Mit diesem Rechte meiner Selbsterhaltung und meines reinen Gewissens schilderte ich brieflich Marie, die seit ihrer Abreise täglich, stündlich, in jeder Minute zu Tage getretene absolute Unmöglichkeit meines weiteren Zusammenlebens mit ihrer Schwester, welche allein noch durch die Verwaltung meiner Werke in Capri, zu deren Ergänzung ich eine Woche um die andere dort arbeiten würde, mit mir verbunden bleiben könne, und rief Marie an meine Seite in den von ihr mitgeschaffenen Wirkungskreis meines Kunstschaffens in Sorrent sowie zu meiner unentbehrlichen Pflege zurück. Marie, die mit all ihren Sachen für immer nach Wien zurückgekehrt war und sich noch nicht erholt hatte von dem fürchterlichen, durch den "christlichen" Geist ihrer Schwester ihr bereiteten Schicksal an meiner Seite, wurde es in Befürchtung weiterer Verfolgung durch diesen "christlichen" Geist sowie der sonstigen Ungeheuerlichkeiten meiner Verhältnisse, besonders der in Brutalität sich äußernden Aversion Helios' gegen sie, wahrlich nicht leicht und verlockend gemacht, meinem abermaligen Rufe zu folgen. Sie hatte zu wählen zwischen der Wiederaufnahme ihrer früheren, von allen Seiten ihr mit der höchsten Wertschätzung und innigster Familienfreundschaft gedankten, ihr ein sorgloses Alter sichernden Tätigkeit als Erzieherin und der martervollen, für ihr Alter ohne "gesetzliche Rechte" höchst unsicheren, ihr als blutschänderischer Ehebruch von ihrer Schwester und deren in diesem Lande die öffentliche Meinung bis zur Lynchjustiz beherrschenden "christlichen" Seelenführer und Berater vorgeworfenen Stellung an meiner Seite. Kann ein Mensch von Vernunft und Gerechtigkeit unter solchen Umständen und dem erholungsbedürftigen, von Geburt an schwachen Gesundheitszustand Maries deren Rückkehr zu mir anders als heroisch und frei von jeder materiellen und leidenschaftlichen Selbstsucht nennen, erhaben über jeden Schein eines Vorwurfes nach irgend einer Richtung?

Aber anders empfand und urteilte meine "christliche Ehefrau"! Es widerstrebt mir, die Roheitsausbrüche dieser "frommen Seele" gegen mich und noch mehr gegen ihre gemarterte, schuldlose Schwester im Einzelnen zu schildern. Das Geschilderte wird Dir genügen zur Erkenntnis der Unmöglichkeit meines weiteren Zusammenlebens mit einem in jedem Punkte mir widerstrebenden, mein ganzes Leben, gegen welches das ihrige das eines armen Wurmes ist, mit Füßen tretenden und nur zur Befriedigung ihrer niedrigen Pöbelselbstsucht würdigenden und mißbrauchenden Weibe, das mir mit all seiner, beständig mir vorgehaltenen und anderen, selbst fremden Menschen, Besuchern meiner Ausstellung - zur Beleuchtung meiner "Undankbarkeit" – vorgeführten "Pflichterfüllung" nicht den milliardsten Teil dessen zu ersetzen vermag, was sie, seit sie "meine Frau" geworden ist, in mir und um mich vernichtet oder verwüstet hat. Ich will nur zur Charakterisierung der Logik, der "Weiblichkeit" und der "Liebe" dieser von den "Nachfolgern Jesu" und "Stellvertretern Gottes" zu meiner "Bekehrung". d.h. zu meiner Seelenmordung erzogenen und aufgestachelten "frommen Christin" den einen Vorwurf erwähnen, den sie, nachdem ihr mit vieler Mühe beigebracht worden war, daß Marie nicht von sich aus, sondern nur auf meinen, mein Leben in Gefahr erklärenden Ruf zurückgekehrt sei, gegen ihre Schwester erhob: daß sie auch diesem Rufe nicht hätte folgen dürfen, denn ohne ihre Rückkehr wäre ich auf sie angewiesen gewesen und hätte ich Sorrent aufgeben und mit ihr in Capri leben müssen. Sapienti sat!

Mein gewaltiges Lebenswerk von Sorrent, dessen Gedanke sich entwickelte, als ich der "christlichen", mich schaffensunfähig machenden und dem Wahnsinn zutreibenden Hölle meines Hauses auf Capri in die menschenleere Einsamkeit der letzten Bergerhebung der Sorrentiner Halbinsel entfloh, um mich zu sammeln und einen Rettungsweg aus der mich würgenden Schlinge meiner zweiten "christlichen" Ehe zu suchen - dieses Lebenswerk, zu dessen Ausführung ich, nach monatelangem Alleinsein und Alleinarbeiten mit zwei Kindern in jener Wildnis, den wie durch himmlische Fügung frei gewordenen zweiten Stock des Palazzo Municipale in Sorrent mietete und Marie als eine zweite rechte Hand sowie zur Pflege meines seit meiner schweren Typhuserkrankung und durch Verkrüppelung meines rechten Armes übermenschlich überanstrengten und leidenden Körpers zu mir kommen ließ - dieses Lebeswerk war "meiner Frau" ein Dorn im Fleische, und mir die Fortsetzung dieses Lebenswerkes, d.h. eine Zufluchtstätte aus meiner Ehehölle heraus ermöglicht zu haben, war das "Verbrechen" ihrer Schwester gegen sie!

Zweck dieser mit dem Opfer kostbarer Schaffenszeit und unter namenloser körperlicher und seelischer Qual niedergeschriebenen Auslassungen ist, außer der Abwälzung einer seit vierunddreißig Jahren mich drückenden Bergeslast von Schmerz über den in Eurem kirchlichen Moralbegriff und sonstiger Befangenheit liegenden Grund der uns trennenden Kluft, eine innere und äußere Wiedervereinigung mit Euch anzubahnen, oder wenn diese zu meinem schmerzlichen Bedauern infolge der Starrheit Eurer moralischen Begriffe oder Eurer Scheu vor allem, was sich von der großen Masse der Herdenmenschen unterscheidet und trennt, nicht möglich sein sollte, uns gegenseitig von einer peinlichen Nochmal-Begegnung in unserem nur noch kurzen Leben zu bewahren. Ich erwarte daher ein rücksichtsloses offenes Aussprechen über dieses mein Schreiben nicht bloß von Dir, sondern auch von Friedrich, an welchen dasselbe ebenso wie an Dich gerichtet ist.

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[13.Juli]

Außer meiner persönlichen Verteidigung, welche nur feig-brutale Roheit oder jesuitisches Pharisäertum mir verübeln oder hindern können, wird die Veröffent-lichung meiner Lebensgeschichte die Fortsetzung meiner im Winter 1884/85 in München gehaltenen öffentlichen Predigten: "Über die Quellen des menschlichen Elends" sein, welche Predigten von der Presse entweder totgeschwiegen oder nur als entstelltes Zerrbild besprochen und von der Polizei als "staatsgefährlich", "revolutionär" unterdrückt und zur Ursache meiner persönlichen Unterdrückung gemacht wurden, zu welcher Unterdrückung sich die Mutter meiner Kinder als Werkzeug gebrauchen ließ - nicht aus "christlicher Überzeugung" sondern aus "christlicher" Gemeinheit!

Die gerichtliche Verhandlung der letzten vom Staatsanwalt wider mich erhobenen Anklage wegen "Gotteslästerung und Verächtlichmachung der katholischen Kirche" würde früher zu meiner öffentlichen Rechtfertigung geführt und mir mein weiteres furchtbares Schicksal erspart haben, da das Gericht mich zu meiner Verteidigung hätte reden lassen müssen, woran mich die Polizei durch Verbot meiner öffentlichen Predigten hinderte, und die Presse diese Gerichtsverhandlung in alle Kulturländer verbreitet haben würde. In Voraussicht dieses Erfolges, welcher die katholische Götzenlehre, pharisäische Heuchelei und Gemeinschädlichkeit wieder einmal in greller Beleuchtung zur öffentlichen Diskussion gestellt hätte, wurde mir das von dem Gericht am Abend vor der Verhandlung durch einen eigenen Eilboten ein Schreiben in den Steinbruch zugestellt, des Inhaltes: Das Gericht habe nach Durchprüfung der amtsstenographischen Nachschrift meiner inkriminierten Rede die Überzeugung gewonnen, daß ich nicht das Bewußtsein und die Absicht der mir vom Staatsanwalt zur Last gelegten Religionsvergehen gehabt habe und deshalb die gegen mich erhobene Anklage ohne weitere Verhandlung als unbegründet zurückgewiesen. Feige Furcht vor meinem öffentlichen Worte zur Aufklärung des systematisch geblendeten Volkes über die Quellen des menschlichen Elends!

Hiernach wirst Du, noch mehr aber Friedrich als Mann, auch wenn Ihr nicht auf meinen Standpunkt der Erkenntnis überzutreten vermögt und in der katholischen Kirche heute noch die "alleinseligmachende" und Euere Überzeugung "befriedigende Religion" erblickt, einsehen, daß mein Austritt aus der katholischen Kirche nicht aus Religionslosigkeit erfolgt ist, sondern nach Schillers Wort: "Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die Du mir nennst - aus Religion!", aus tiefster, heiligster Religionsempfindung, welche die Verwirklichung der "frohen Botschaft" Jesu von der Menschheitserlösung und die Errichtung des "Reiches Gottes" auf Erden durch die allgemeine Menschenliebe anstrebt, welcher Verwirklichung die "christliche" Kirche als politisches Satansinstitut seit sechzehn hundert Jahren wie ein Hohn der Hölle hindernd im Wege steht.

Ihr werdet erkennen, daß ich zu jener großen Schar von Menschen gehöre, die früher "zur größeren Ehre Gottes" von dessen kirchlich gesalbten Stellvertretern als "Ketzer" lebendig verbrannt oder gerädert und von desssen politischen Statthaltern "von Gottes Gnaden" mihilfe einer teuflischen Gewaltjustiz durch den brutalen Polizeiknüppel als "Revolutionäre" des Landes verwiesen oder eingekerkert, geköpft oder erschossen wurden oder sich nur durch die Flucht in ein anderes Land, meist auf dornenvollem Marterwege, vor solcher Vollstreckung der "göttlichen Weltordnung" zu retten vermochten.

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Diefenbachs menschheitliches Bekenntnis

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Sonntag. Sonnenaufgang. - Ein schweres ...

"Es erben sich Gesetz und Rechte ...

"Ein unsichtbarer Feind ist's, den ich fürchte ...

"Erhebet Euch mit kühnem Flügel ...

"Feiger Gedanken bängliches Schwanken ...



Im Namen des Vaters

aller Menschen, die von den kirchlichen und staatlichen "Stellvertretern Gottes" als "Gotteslästerer", "Volksaufwiegler" und "Ketzer" gekreuzigt und verbrannt worden; aller ausgebeuteten, in Elend, Verzweiflung, Wahnsinn, Verbrechen oder Selbstmord getriebenen Menschen, aller von der "christlichen" Gesellschaft gebrandmarkten unehelichen Kinder und der von den "christlichen" Staaten Europas seit 500 Jahren der Vernichtung zugetriebenen "Wilden".

Im Namen des Sohnes -

des "Menschensohnes", des Verkünders des Friedens auf Erden allen Menschen, die eines guten Willens sind, der die Priester aller Zeiten und aller Völker als die Zerstörer und Verhinderer des Friedens auf Erden "Heuchler und Otterngezüchte", "übertünchte Gräber voll Maden und Würmer" nannte und dafür von den Priestern seiner Zeit leiblich gemordet wurde und von den "christlichen" Priestern seit sechzehn Jahrhunderten täglich und stündlich geistig gemordet und in heuchlerischem Mißbrauch seines Namens geschändet wird.

Im Namen des heiligen Geistes,

welchen die "christliche" Kirche unterdrückt durch die "Taufe" und die Eintrichterung des den Geist und die Seele des Kindes vergiftenden, lähmenden und tötenden "christlichen" Katechismus sowie durch die teuflische Unterdrückung aller seiner Verkündiger.

Im Namen und im Geiste meiner Eltern,

die sterbend mich gesegnet zu meiner menschheitlichen Entwicklung und zu meinem Lebenskampfe mir Trost und Kraft geben zum Dulden und Ausharren.

Euer Bruder Karl

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Beendet, Capri am 13ten August 1909,

dem 34sten Todestage unseres Vaters

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