|
Die Graesers aus Mediasch Eine siebenbürgische Sippe |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
"Einst zeigte er [mein Großvater Daniel Graeser] eine Stahlplatte, welche
etwa 6 Zentimeter im Quadrate groß war, auf welche ein Wappen eingraviert war
und welche die Aufschrift führte: 'Michaelis
Graeser. Spes mea Christus'. Hierbei erzählte er mir, er habe von
einem Advokaten aus Pest einen Brief erhalten, in welchem ihm derselbe
mittheilte, er habe in einem Archive den Adelsbrief der Graeser zufällig
entdeckt, welcher mit wenig Kosten von dort beschafft werden könnte. Auf diesen
Brief habe er nichts geantwortet. Er sei der Meinung, daß unser Zweig der
Familie Graeser in vergangenen Jahrhunderten adlig gewesen, wahrscheinlich als
eines der sächsischen Gräfengeschlechter, daß unsere Vorfahren jedoch, um in
sächsischen Städten leben und Ämter bekleiden zu können, den Adel hätten fahren
lassen." So schreibt der Enkel von Georg Daniel Graeser, der selbst den Namen Daniel trägt,
in seiner 'Graeser-Biederfeldschen
Familienchronik' (S.5). Ob es nun damit seine Richtigkeit hat, muß
dahingestellt bleiben. Sicher ist, daß der Stamm der Graesers fast überall in
den Städten Siebenbürgens verbreitet war: in Bistritz, in Kronstadt, in
Tekendorf, Mediasch, Hermannstadt, Szászrégen usw. (Nagy 5). (Und Gusto, der in
fast allen hier genannten Städten schon in seiner Jugend gelebt hat, konnte
wohl allenthalben auf Verwandte, Vettern oder zumindest Namensvettern treffen.)
Seine direkten Vorfahren bis hin zu seinem Vater kommen jedoch aus Mediasch. "Über die
Familie der Mediascher Graeser berichtet die Sage, ihr Ahne sei ein Schäßburger
gewesen; dieser habe an das Chorgestühle in der Schäßburger Bergkirche über den
dortigen Magistrat Beleidigendes geschrieben, weswegen ihn letzterer vor die
Alternative stellte, entweder die Beleidigung zu widerrufen oder auszuwandern;
er habe das letztere gewählt und sei nach Mediasch gekommen." (Daniel
Graeser: Daniel Graeser, S.5) Die Neigung zu dickköpfiger Aufrichtigkeit und
aufrechter Dickköpfigkeit ist also wie ein Gründungsmythos den Graesers ins Stammbuch geschrieben. Jene Umsiedlung muß, wenn sie der Wahrheit entsprechen
sollte, "lange vor dem Jahre 1664 geschehen sein; denn damals war die
Graesersche Familie in Mediasch schon so sehr angesehen, daß aus ihrer Mitte
ein Stephan Graeser (1664-1686) zum
Bürgermeister gewählt wurde ... Dieser Stefan Graeser, geboren von bürgerlichen
Eltern zu Mediasch im Jahre 1629, welcher daselbst auch das Stuhlrichter- und
Königsrichteramt bekleidet hatte und ein sehr amtseifriger und frommer Mann
war, wurde am 21.Juli 1686 in seinem Hause durch einen Schuß getötet."
(DG: DG 6) Als erster direkter Vorfahr Gustos, von dem die
Lebensdaten bekannt sind, wird (nach der Stammtafel von Michael Graeser,
Mediasch) der Schneider Johann Graeser
(1685-1752) genannt, dessen Vater Merten
Graeser aus Bogeschdorf kam. Wir stellen uns also vor, jener Merten kam
nach Mediasch, wo - und vielleicht weil - die Sippe sich schon bestens
etabliert hatte und vielleicht eine kleine Einbürgerungshilfe vom Vetter
Bürgermeister zu erwarten war. Sein Sohn ohann wurde Schneider und dessen Sohn Samuel (1724-1784) blieb, wie es sich
gehört, ebenfalls bei der Nadel und wurde reich durch sie. Dafür spricht, daß
er seinen Sohn Daniel in Deutschland Theologie studieren lassen konnte.
"Mein Sohn!", schreibt er ihm nach Jena, "bedenke, daß ich das
Geld, welches ich Dir zum Zweck der Vollendung Deiner theologischen Studien
schicke, mit der Nadel verdiene; vergeude es deswegen nicht in unnützer Weise;
sei übrigens überzeugt, daß Du nicht so viel ausgeben kannst, als ich Dir zu geben
bereit bin, vorausgesetzt, daß Du jeden Kreuzer zu Deiner Ausbildung
verwendest." (DG: DG 7) Man sieht, unser Meister Schneider verfügt nicht
nur über Geld und Selbstbewußtsein, sondern auch über eine nicht zu verachtende
sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Über diesen Samuel sagte Daniel Georg Graeser (1783-1869), seines Zeichens Senator,
Bürgermeister und Stuhlrichter von Mediasch, in einer Hochzeitsrede: "Vor
mehr als 60 Jahren lebte in unserer Vaterstadt ein Bürger, der durch
verständige Gewerbtätigkeit - er war Schneidermeister - und einen
rechtschaffenen Lebenswandel Wohlhabenheit und Ansehen unter seinen Mitbürgern
erworben hatte. Er hieß Samuel Graeser und war Urgroßvater des Herrn Johann
Auner. Sein Andenken wird noch lange ein Segen, nicht allein bei uns, seinen
Kindern, sondern auch bei der verehrten Meyndtischen Familie bleiben; denn sein
guter Geist hat sich auch auf diese Familie durch ihren Vater ... verbreitet,
der mir und gewiß auch seinen Kindern oft erzählt hat, wie er von diesem Samuel
Graeser, als seinem ehemaligen Lehrherrn, Meister und Wohltäter, nicht nur die
Profession, sondern auch Ordnung und Fleiß und Klugheit des Lebens erlernt
habe, Eigenschaften, die sichtbar vom Vater auf Sohn und Tochter übergegangen
sind." (DG: DG 6) Sie sind sichtbar auch auf seine Nachkommen übergegangen,
zunächst und besonders auf seinen Sohn Daniel
(1752-1833), der den Sprung vom Schneidertisch auf den Bischofsstuhl geschafft
hat. Auch Daniel hat erst mal das Handwerk seines Vaters erlernt, bei einem
anderen Meister, der die folgenden Worte an seinen Lehrling gerichtet haben
soll: "Sei nicht so bequem, arbeite fleißig; du sollst ja nicht Bischof
werden." Der wenig prophetische Spruch sowie eine Bettdecke, die der
künftige Theologe selbst genäht hatte, wurden von den Nachkommen wie Reliquien
bewahrt. Daniel also ging noch einmal zur Schule, absolvierte das Obergymnasium
in Mediasch und studierte von 1772-1775 in Jena an "der blühenden
Hochschule" Deutschlands Theologie und Philosophie. Er kam nicht nur mit
der Wolffischen Aufklärungs-philosophie nach Siebenbürgen zurück, er trug auch
einen Degen mit goldenem Griff und einen Regenschirm aus roter Seide, was alles
zusammen einiges Aufsehen erregte. Seine Heirat mit Anna Maria Haner öffnete
ihm vollends den Weg in die behagliche Welt des Mediascher Patriziertums und
brachte ihn in dauernde Verbindung mit den Familien Haner, von Heydendorff und
Hann von Hannenheim. Nachdem er zunächst in Mediasch als Lehrer und Prediger
gewirkt hatte, kam er in das Pfarramt der Gemeinde Scharosch, das er nicht
weniger als 36 Jahre innehatte. Um die Gemeinde hat er sich im Zusammenwirken
mit von Heydendorff und Brukenthal derart verdient gemacht, daß man noch
hundert Jahre später, 1890, zu seinem Gedächtnis auf dem Dorfanger eine
"Graesereiche" pflanzte Im Jahre 1822, als bereits Siebzigjähriger, wurde er zum
Bischof der Evangelischen Kirche in Siebenbürgen berufen. "Von einer
ansehnlicheren Kirchengemeinde erwählt, zu einem großen Wirkungskreise berufen
und zu noch größeren Mühen und Anstrengungen, war der Greis zur Übernahme nur
darum entschlossen, weil er im Gange der Dinge den unbegreiflichen Finger
Gottes erkannte, welcher dermalen siebzigjährigen Schultern Lasten aufbürdete,
die einem einzigen aufgebürdet auch jugendliche Kräfte zu erdrücken imstande
sind." So urteilte sein Schwiegersohn
Stefan Ludwig Roth (1796-1849), der
in Daniel "den Vorsteher unserer Familie, den Gott noch lange erhalten
wolle," in ehrfurchtsvollem Tone ansprach. Seine Amtszeit, die unter dem restaurativen Druck des
österreichischen Absolutismus stand, wird als wenig ereignisreich und nicht
besonders erfolgreich beschrieben. Der aufklärerische Optimist Daniel Graeser
hat immerhin 1830 den Ersatz der alten lateinischen Gesänge durch deutsche
Kirchenlieder durchgesetzt. Frohsinn, sokra-tischer Witz und überlegene Ironie
wird ihm nachgesagt. "Noch Jahrzehnte nach seinem Tode erzählte sich das
Volk allerlei Scherze und Anekdoten aus seinem Leben. ... Müßige Eckensteher in
Birthälm pflegte er damit zu necken, daß er ihnen einen schönen Tageslohn anbot,
wenn sie den ganzen Tag dort auf dem Platze stehen bleiben wollten"
(Bischöfe 260). Daß er selbst "Fleiß, Rechtschaffenheit, genaue Erfüllung
der Amtspflicht, Liebe, kluge Herablassung und Freundschaft" als Tugenden
eines Geistlichen lehrte und auch bewährte, versteht sich danach fast schon von
selbst. "Ein tätiger Mann" sei er gewesen, "aber kein
gründlicher Gelehrter, kein Kanzelredner" schrieb kritisch sein einstiger
Freund über ihn, der ehemalige Bürgermeister von Mediasch Michael Conrad von
Heydendorff, den er sich zum Feind gemacht hatte, indem er gegen die Wiederwahl
des 86jährigen eintrat. Immerhin ließ er sich in früheren Tagen, 1792 schon,
von eben diesem Heydendorff Kants Abhandlung 'Zum
ewigen Frieden' schenken und bemühte sich auf seine alten Tage noch
ernstlich darum, in die Gedankengänge eines Kant, Fichte und Schelling
einzudringen. "Daß mit der wachsenden Geisteskultur und Aufklärung
Religion und Sitten gewinnen", war seine optimistische, wenn auch in
seiner Kirche nicht immer gern gehörte Überzeugung. Ein Geistlicher mit Weltsinn also, dem "geradlinige
Korrektheit" als durchgängiger Grundzug nachgesagt wird (Bischöfe 250),
der aber "auch Haus zu halten verstand und insbesondere auch mit den
Offizieren der Birthälmer Garnison und andern Notabilitäten schönen Verkehr
pflegte. ... Sein freundliches, liebevolles Wesen aber gewann ihm ... viele
Freunde und treues Gedenken" (ebd. 260). Ein noch freundlicheres Bild zeichnet Johann Michael
Salzer in seiner Geschichte Birthälms: „Daniel Graeser (Superintendent 1822-1833) war 1752 in Mediasch geboren
und nach Vollendung seiner Universitätsstudien in Jena im Jahre 1775 Lehrer und
dann Stadtprediger in Mediasch, bis er im Jahre 1785 im 34. Lebensjahr zum
Pfarrer nach Scharosch berufen wurde, als welcher er vom Jahre 1815 an bis zur
Wahl zum Superintendenten das General-Dekanat führte. Graeser steht in gutem Andenken in Birthälm: durch sein
freundliches und liebevolles Wesen, sowie durch seine Kunst, auf feine,
ironische Weise und sokratische Manier die Menschen zu überführen und zum
Geständnis ihrer unrichtigen Behauptungen zu bringen, sowie durch seine
populären Predigten, die er zwar schriftlich, aber nur in kurzen Dispositionen
auf einzelnen Quartblättchen bearbeitete. In denselben rügte er oft den
schwachen Kirchen-besuch seiner Kirchenkinder. Wenn er Solches in der
Einleitung gethan, dann brach er aber oft plötzlich ab mit den Worten: „Doch
warum diese Worte der Rüge? Die, denen sie gelten, sind ja doch nicht da. Wir
wollen nun lieber von Etwas reden, was uns Anwesende erheben und erbauen kann.“ Er starb hochbejahrt am 31. August 1833, mit 81 Jahren,
und wurde in der für seine im Jahre 1832 verstorbene Gattin angefertigten Gruft
begraben, auf welche seine Kinder ihm das noch stehende Denkmal setzten.“ Aus Johann Michael Salzer: Der königl. freie Markt Birthälm in Siebenbürgen. Wien 1881, S. 434 f. Versetzen wir uns nun in das Jahr 1869, also zehn Jahre
vor Gustos Geburt, so ist der Tod zweier herausragender Vertreter der Sippe
deshalb zu vermelden, weil ihr Gedächtnis und ihr Werk mit Sicherheit noch in
die Jugendjahre Gräsers hineingewirkt haben. Zugleich vermittelt ihr Lebensbild
etwas von der familiären und bildungsbürgerlichen Atmosphäre
Sächsisch-Siebenbürgens im allgemeinen und der Gräsers im besonderen, über die
sich leider aus dem Elternhaus von Gusto - von Mutter Gräsers Tagebuch
abgesehen - keinerlei Überlieferung erhalten hat. Im Jahre 1869 starb, hochbetagt, der Bruder von Gustos
Urgroßvater, Daniel Georg Graeser (1783-1869),
Bürgermeister von Mediasch, von dem bereits kurz die Rede war. Im selben Jahr
aus einer Nebenlinie der 1814 geborene Pfarrer, Historiker und Dechant von
Schelk Andreas Graeser. Über den
Erstgenannten hat sich die verehrungsvolle Erinnerung seines Enkels, des
Appellhofrats Daniel Graeser, erhalten, die hier in Auszügen wiedergegeben sein
soll. Auszug aus der Graeser-Biederfeld'schen
Familien-Chronik von Daniel Graeser, Bad Baasen 1885 Ein Sohn des Superintendenten Daniel Graeser war mein
Großvater D a n i e l G r a e s e r .
Nach Beendigung der Gymnasialstudien in Mediasch und der Rechtsstudien in Enyed
und wahrscheinlich auch in Klausenburg und Marosvasahely trat er als
Gerichtsschreiber bei dem Stadt- und Stuhlsmagistrate in Mediasch in den
öffentlichen Dienst. Nachher wurde er zum Senator, Stuhlrichter und
Bürgermeister gewählt. Auch war er bei dem Mediascher Gymnasium Schulinspektor
und erwarb sich große Verdienste hinsichtlich der Gründung des
Landeskundevereins in Siebenbürgen, hinsichtlich der Errichtung der Badeanstalt
in Baassen, sowie als Vertreter seiner Vaterstadt durch viele Jahre in
sächsischen Universitäts-Confluxen und auf siebenbürgischen Landtagen. Das Revolutionsjahr 1848 traf ihn als Bürgermeister. Es
ist vielleicht ausschließlich seinem taktvollen Benehmen dem Feinde und Freunde
gegenüber zu verdanken, daß die Stadt Mediasch in der Schreckenszeit nicht
zerstört wurde. Nach Beendigung der Revolution durch den aufregenden und
schwierigen Dienst im höchsten Grade erschöpft, legte er das Bürgermeisteramt
nieder, bei welcher Gelegenheit ihm in Anerkennung seiner vorzüglichen
Tätigkeit im öffentlichen Dienste vom jetzt regierenden Kaiser und König Franz
Joseph das goldene Verdienstkreuz mit der Krone verliehen wurde. Später wurde
ihm von der Stadt- und Stuhlsgemeinde Mediasch eine jährliche Pension von 800
fl. bewilligt, welche er bis zu seinem Tode bezog. Während seines Ruhestandes beschäftigte er sich mit der
Bebauung seines bedeutenden Grundbesitzes; allein auch damals interessierte er
sich für die öffentlichen Angelegenheiten und stand in innigen Beziehungen zu
den bedeutendsten Männern der sächsischen Nation, namentlich zu Karl Schuller,
Schulrat, zu Konrad Schmidt, Baron von Altenheim, Grafen der sächsischen
Nation, zu Baron von Salmen, ebenfalls Grafen der sächsischen Nation, usw.
(...) Mein Großvater war ein vielseitig und gründlich
wissenschaftlich gebildeter Mann. Insbesondere kultivierte er die Philologie.
Von lebenden Sprachen hatte er sich insbesondere die französische, romänische
und ungarische Sprache gründlich angeeignet. Er las noch im hohen Alter
besonders gerne französische und lateinische Klassiker in der Originalsprache. Mich
hatte er sehr lieb und beschäftigte sich viel mit mir, indem er mir den Sinn
für das Schöne, Gute und Sittliche zu erwecken und zu befestigen suchte. Auch
erteilte er selbst mir Unterricht in der lateinischen, französischen und
ungarischen Sprache. In seinem Verkehre mit uns Kindern war er immer
belehrend. Er liebte es, seine Lehren in Sprüchen und Zitaten niederzulegen.
Viele solcher Sprüche und Zitate habe ich bis heute im
Gedächtnisse behalten, so zum Beispiel. "Sex horas dormire satis juvenique senique, da
septem pigris, acte de stemate natis." [1] - "Ex horis cito quae labentia
tempora signant una supervenit, quae tibi dicet abi." [2] "Sic servias deae, ut ne offendas
diabolum" [3] -
"Les hommes sont égaux, ce n'est pas la naissance, c'est la seule
vertu qui fait leur différence." [4] - "Az embernek legfelsöbb czélja
az emberiség a nemzetiség csak annak elérésének eszköze, igyekezzünk
emberségesek lenni, is jo magyarok, jo németek
és jo aláhok, egy szóval jo testvér hazafiak leszünk." [5] - Das letzte Zitat hat ihn zum Autor, ebenso das
folgende: Menschenliebe folgt dem Triebe göttlicher Natur, Völker aller Zonen, Träger aller Kronen, folget dieser Spur. Sorgsam meidend Haß und Krieg führt sie euch zum wahren Sieg. Was den Charakter meines Großvaters anbelangt, so war er
in höchstem Grade achtunggebietend - makellos in jeder Beziehung. Seinen Kindern
gegenüber war er ein guter, opferwilliger Vater und hat für ihre Erziehung und
berufsmäßige Ausbildung das Möglichste getan. Unter seinen Enkelkindern war ich
es, mit welchem er sich ganz besonders gerne unterhielt. Meine nächsten
Angehörigen behaupteten, ich sei sein Liebling, woran ich selbst glaubte. Ich
verehrte ihn aber auch in hohem Grade und erwies mich dankbar für die
Wohltaten, welche er mir angedeihen ließ. (...) Das Leben meines Großvaters war einfach und mäßig. Sein
diesbezüglicher Grundsatz war: Naturae convenienter vivere. Er bewohnte in
seinen letzten Lebensjahren in dem Hause Nr.13 in der Steingasse in Mediasch,
dem jetzigen Mädchenschulgebäude, rechts vom Eingang zu ebener Erde zwei
Gassenzimmer nebst einem Vorzimmer. (...) Seine gastliche Wohnung war
allabendlich der Sammelplatz seiner intimsten Freunde, geistreicher und
hochgebildeter Männer. Diese waren namentlich Friedrich Binder von Biedersfeld,
mein mütterlicher Großvater, Michael Gräser, k.k. General in Pension, Andreas
Schuster, emeritierter Bürgermeister, Michael Brecht von Brechtenberg, k.k.
Bezirksvorsteher in Pension, Franz Baschutti und Sebastian Walter, Ritter von
Stolzenburg, k.k. Hauptleute in Pension, mein Vater Ludwig Graeser, Kaufmann,
mein Onkel Johann Auner, Untersuchungsrichter. Es war interessant und lehrreich
in der Gesellschaft dieser Männer, welche die Jugendzeit hinter sich hatten und
zum Teil auch das Mannesalter und das Greisenalter durchlebt hatten. In ihrem
Kreise herrschte der Geist der Humanität, und ihr Urteil war in der Schule des
Lebens, welche für sie so sehr reich an Erfahrungen war, ein geläutertes
geworden. Meist besprachen sie die Tagesereignisse aus dem politischen und
sozialen Leben oder erzählten sich Ereignisse aus dem eigenen Leben. (...) Einst zeigte er mir eine Stahlplatte, welche etwa 6
Zentimeter im Quadrate groß war, auf welche ein Wappen eingraviert war und
welche die Aufschrift führte: "Michaelis Graeser. Spes mea Christus".
Hierbei erzählte er mir, er habe von einem Advokaten aus Pest einen Brief
erhalten, in welchem ihm derselbe mitteilte, er habe in einem Archiv den
Adelsbrief der Graeser zufällig entdeckt, welcher mit wenig Kosten von dort
beschafft werden könnte. Auf diesen Brief habe er nicht geantwortet. Er sei der
Meinung, daß unser Zweig der Familie Graeser in vergangenen Jahrhunderten adlig
gewesen, wahrscheinlich als eines der sächsischen Grafengeschlechter, daß
unsere Vorfahren jedoch, um in sächsischen Städten leben und Ämter bekleiden zu
können, den Adel hätten fahren lassen. Ein ander Mal erzählte er mir, er sei im Jahre 1848 in
Begleitung des Stadtpfarrers Brandsch und des Guardians des Franziskaner
Klosters dem in die Stadt einziehenden ungarischen Feldherrn Bem bis zur
Kokelbrücke entgegengegangen, um ihn um Schonung der Stadt und ihrer Bewohner
zu bitten. Nachdem er seine Bitte vorgetragen, habe ihm Bem, von welchem er mit
Hochachtung sprach, geantwortet: "Glauben Sie, ich sei deswegen ins Land
gekommen, um zu rauben, morden und Brand zu legen? Ich bin deswegen gekommen, um
das Volk vom Joche der Tyrannei zu befreien." Hierauf habe er bemerkt, die
Katastrophe von Szász-Regen, welches kurz vorher niedergebrannt worden, habe in
ihm Befürchtungen für die Stadt und ihre Bewohner aufsteigen lassen. Hiebei
habe Bem ausgerufen: "Gott sei Dank, in Szász-Regen war ich nie!"
(...) In seinem 86-ten Lebensjahr ermahnte uns Kinder Großvater
Graeser ganz besonders oft zur Aneignung nützlicher Kenntnisse, indem er
wörtlich sagte: "Alles kann man uns nehmen, nur das nicht, was wir gelernt
haben." Auch zitierte er oft das interessante Gedicht Langbeins: 'Die
Poststationen des Lebens'. Er ahnte seinen nahen Tod und sprach oft davon,
indem er bemerkte, er sterbe leicht, denn er habe alles, was das Leben Schönes
biete, genossen und habe das gute Gewissen, daß er sowohl im öffentlichen als
auch im privaten Leben seine Aufgabe pflichtgemäß erfüllt habe. Er erkrankte plötzlich zufolge Altersschwäche. An das
Krankenlager gefesselt, wünschte er noch eine Pfeife Tabak zu rauchen. Ich
stopfte ihm diese letzte Pfeife und zündete sie ihm an. Es war der letzte
Dienst, welchen ich ihm erwiesen habe. Nachdem er zwei Züge aus derselben
geraucht hatte, legte er sie beiseite und verfiel in den Todeskampf, welchem er
nach zwei Tagen erlag. (...) Ich habe ihn außerordentlich geliebt. Seine Tugenden,
welche er mir durch Lehre und Beispiel eingegeben hat, und seine mir erwiesenen
Wohltaten haben sich in meinem Innern zu einem Denkmal aufgetürmt, an dessen
Stufen ich ihn anbete, ihn verehre. (...) In der 'Hermannstädter Zeitung vereinigt mit dem
Siebenbürger Boten' vom 21-ten April 1869, Nr.93, las man folgenden Nachruf auf
ihn: Mediasch, am 17.April 1869. Das Geläute
aller Glocken auf unseren Türmen verbreitet weithin die Trauerkunde, daß ein
würdiger Erbe der hohen Tugenden unserer Väter in diesem Augenblicke aufgehört
habe, dieser Welt anzugehören und zu den Vätern heimgegangen sei. Daniel
Graeser, Bürgermeister in Pension, ein Mann von wahrhaft hoher
Bildung des Geistes und des Herzens, war ein Sohn des durch seine Bildung
ebenfalls hervorragenden ehemaligen Superintendenten der ev.Landeskirche in
Siebenbürgen, Daniel Graeser. Nach einem äußerst tätigen Wirken im
öffentlichen Leben zog sich Graeser im Jahre 1850, nachdem er unser Gemeinwesen
durch die Stürme des Jahres 1848/49 mit verständiger Hand glücklich
hindurchgeführt hatte, ermüdet und erschöpft von dieser furchtbaren Anstrengung
in das Privatleben zurück. Hier lebte er seinem Hauswesen, seinen Freunden, ein
treuer Pfleger der Wissenschaften und ein zuverlässiger Ratgeber in manch
schwierigen Fällen des öffentlichen sowie des Privatlebens. So wie die
Vorsehung ihn dazu bestimmt zu haben scheint, zu Nutz und Frommen seiner Zeit
und der Nachwelt ein ungewöhnlich hohes Alter zu erreichen, ebenso scheint
Daniel Graeser auch bestimmt gewesen zu sein, viel Schmerzliches im Kreise
seiner Familie zu erleben, denn nachdem er schon früher vier, zum Teil schon
gut versorgte Kinder durch den Tod verloren hatte, mußte der Arme während der
Zeit seines Ruhestandes dem Sarge seiner vieljährigen treuen Lebensgefährtin
und zweier schon im Mannesalter stehenden Söhne nachwanken. Doch die Riesenkraft seines Geistes
blieb ungebrochen; noch in seinen letzten Lebenstagen diktierte Graeser, dessen
Sehkraft bedeutend abgenommen hatte, seinen Enkelsöhnen Epigramme und andere
scherzhafte Verse in die Feder; noch sind es nicht 8 Tage, daß er auf dem Felde
in der Oekonomie thätig war. Doch die Lampe seines Lebens war bald ausgebrannt.
Heute mittags schied Daniel Graeser aus diesem Leben, durch das er nahe an 86
Jahre gewandelt ist. (...) Könnte der Tote sprechen, er könnte mit
Recht mit den Worten seines liebsten Dichters ausrufen: "Exegi monumentum
aere perennius Regalique situ pyramidum altius". [6] * * *
* * Soweit
die Erinnerungen von Daniel Graeser. Sein Großvater lebte als hochan-gesehener
ehemaliger Bürgermeister bis 1869 in Mediasch. Der Vater von Gusto Gräser hat
ihn also bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr noch erlebt und dürfte ein
ähnliches Bild seines Großonkels gewonnen haben und vom selben geistigen Klima
geprägt worden sein wie sein hier schreibender Vetter zweiten Grades. Aus dessen
auch kulturhistorisch interessantem Text lassen sich einige Schlüsse ziehen
über das Umfeld von Kultur und Bildung, in dem der junge Gusto Gräser
aufgewachsen ist. Am 8. Oktober 1840 war in Mediasch die Gründung des siebenbürgischen Landeskundevereins erfolgt, "zu der die beiden Mediascher Senatoren D.[aniel Georg] und S.[amuel?] Graeser und der Pfarrer Josef Fabini aus Waldhütten aufgerufen hatten" (Hans Philippi: Vereinstage, S.54 [7] ). Handelt es sich im Falle des "S." um Samuel Graeser, den Großvater von Gusto? Das ist zumindest sehr wahrscheinlich. Dann wäre auch er, von dem wir sonst nichts wissen, als daß er Kaufmann war, zum ersten Senator, also Stadtrat, und zum zweiten historisch und sachsenkundlich interessiert gewesen. Die beiden Brüder, Söhne des Sachsenbischofs, hätten dann gemeinsam, unterstützt durch das Ansehen ihres Amtes wie ihres Namens, für die innere Stärkung des Sachsenvolkes sich eingesetzt. Der Kampf um die Erhaltung oder Wiedergewinnung der alten Rechte hatte Tradition bei den Graesers. Je mehr der äußere Schild der "Nation" zerbrach, desto dringlicher wurde die Besinnung auf die Eigenkräfte der in die Minderheitenrolle gedrängten Diasporadeutschen. Das war der Sinn jener Vereinsgründung. "Man kann sich ... kaum vorstellen, wie zündend dieses Ereignis in die Stille jener Tage fiel", schrieb der Sachsenbischof und Historiker Georg Daniel Teutsch. [8] Eine andere Folge und zugleich ein Zeichen des damals
allgemein erwachenden Nationalismus war die verstärkte Hinwendung des
Sachsenvolkes zum deutschen Mutterland. Ein Lebehoch den Siebenbürger Sachsen,
Die von des deutschen Rheines Strand, Wo deutsche Eichen, deutscher Lorbeer wachsen, Gekommen ins Karpathenland! ... So dichtete ein Mediascher Rektor und späterer Pfarrer
von Wurmloch, wiederum ein Graeser. Bis zu welchem
Pathos und Enthusiasmus die Identifikation mit allem Deutschen damals schon
gediehen war, zeigt die letzte Strophe seines Gedichts: Drum reichet hin in dieser ernsten Stunde,
Wo uns der Väter Geist durchglüht, Die Rechte, Brüder! Hin zum Sachsenbunde, Und schwört bei Gott, der alles sieht: Lebend und sterbend, wenn Deutschtum gebeut, Sind wir zum heiligsten Kampfe bereit. [9] Andreas Graeser (1814-1869), von dem hier die Rede ist, studierte in
Berlin Theologie, Philologie und Geschichte und wurde nach seiner Rückkehr
Lehrer am Mediascher Gymnasium und später dessen Rektor. 1855 wählte ihn die
Gemeinde Wurmloch zum Pfarrer, 1863 trat er als Dechant von Schelk an die
Spitze dieses Kirchenbezirks. Mit seiner wissenschaftlichen Untersuchung 'Umrisse zur Geschichte der Stadt Mediasch'
hat er die erste Monographie einer sächsischen Stadt vorgelegt. Weit
bedeutsamer aber und von breiter Wirkung im sächsischen Volk war seine
Biographie über 'Stephan Roth nach seinem
Leben und Wirken', die bereits 1852 erschien, drei Jahre nach der
Erschießung dieses Rebellen und Reformers. Mit ihr "hat Graeser einem der
bedeutendsten Söhne seiner Vaterstadt und seines Volkes ein dauerndes Denkmal
gesetzt." (Teutsch in DAB, S.586) Ein anderer siebenbürgisch-sächsischer Historiker war Daniel Graeser (1737- 1797), dessen
Verwandtschaftsverhältnis noch ungeklärt ist. Als Senator, Stuhlrichter und
Leiter des Stadt- und Nationalarchivs von Hermannstadt schrieb er über den 'Verfassungszustand der sächsischen Nation in
Siebenbürgen', eine Arbeit, die durch den Widerspruch, die sie im
Lager der Sachsenfeinde fand, für erheblichen Wirbel sorgte. Nach einer
Beschwerde der Nationsuniversität bei der ungarischen Statthalterei an der
ungerechtfertigten und beleidigenden Kritik der 'Ofener lateinischen Zeitung'
mußte diese feierlichen Widerruf leisten. Daß dieser Stuhlrichter und
Historiker zugleich Freimaurer war, deutet auf einen unabhängigen, weltoffenen,
aufgeklärten Kopf. Nimmt man nun zusammen, daß Vertreter der Sippe Graeser
der Stadt Mediasch nicht nur wiederholt und mit Auszeichnung als Bürgermeister
gedient, daß sie auch eine Monographie der Stadt sowohl wie eine Topographie
des Stuhls und ein Geschichtsbild ihres Gymnasiums verfaßt haben, so darf man
wohl sagen, daß sie nicht ohne Verdienst und Bedeutung für ihren Geburtsort
gewesen sind. Nimmt man hinzu, daß andere Mitglieder dieses Stammes eine der
frühesten Abhandlungen über die Verfassung der sächsischen Nation und die erste
Biographie über den siebenbürgischen Volkshelden Stephan Ludwig Roth geschaffen
haben, daß sie weiterhin maßgeblich an der Gründung des Vereins für
Siebenbürgische Landeskunde beteiligt waren, so darf weiterhin behauptet
werden, daß die Graesers auch an der Entwicklung des sächsischen
Selbstverständnisses einen nicht zu übersehenden Anteil hatten. Für das
Ansehen, das die Siebenbürger damit im deutschen Sprachraum gewannen, spricht
auch die Tatsache, daß nicht weniger als drei Graeser in der 'Allgemeinen Deutschen Biographie' von
1879 (dem Geburtsjahr Gustos) Aufnahme fanden. Wenn also der junge Gustav Arthur in diese Familie und
diesen Namen hineinwuchs, so mußte ihm bewußt werden, daß er einer geistigen
Aristokratie seines Stammes angehörte, die hohe Forderung und Verpflichtung
bedeutete. (Und wenn eine gewisse Neigung zu elitärem Selbstwertgefühl, sei es
auch in hochmoralischer Verfeinerung, zu seinen dauerhaften Zügen gehört, dann
dürfte sie in dieser Herkunft ihre Wurzeln haben.) Bemerkenswert in dieser
Ahnen- und Verwandtschaftsreihe ist aber auch die breite Streuung der
Begabungen. Sie reicht vom Berufssoldaten (General Michael Graeser) und
Kommunal-Politiker über den Juristen, Theologen und Historiker bis zum Dichter
(Andreas, Gusto, Gertrud Graeser), Maler (Gusto und Ernst Gräser) und zur
Musikerin (deren Nichte, die Pianistin und Musikprofessorin Charlotte
Graeser-Kováts). Der geistliche Beruf und eine Neigung zum Historisch-Literarischen
haben allerdings die Vorderhand. In Gusto Gräser bündeln sich diese Begabungen
und wenden sich zugleich gegen die Last der familiären Tradition. In ihm, dem
Anti-Soldaten, Anti-Politiker, Anti-Juristen und -Theologen bäumt sich die
künstlerische Ader und emotionale Kraft, die der Sippe immer schon eigen war,
auf gegen die erdrückende Übermacht des Fromm-Beamtlichen und seine
pflichtmoralische Selbstüberforderung. Dem wackern Ahn im Zorn
entflammt ob Dumpfgemächt der Ämter - "Luft, Luft - dat stinkt vor lauter Amt!" Wahrscheinlich erinnert sich Gusto hier an den Bischof
Daniel, von dem man weiß, daß ihm
herzhafte Grobheit nicht fremd war. Die Luft, die der Urahn forderte, hat der
Nachfahr reichlich gebracht, ja zum Sturm entfacht - einen brausenden Kehraus
für verdumpfte Amts- und Oberstübchen. Wenn alle Gräsers durch knorrig-biedere aber immer
milieugerechte Rechtschaffenheit glänzten, dann wollte Gusto lieber der
"schlechte Kerl" sein, der aus der Reihe tanzt - zugleich aber alle
diese Prachtbilder überbietet durch eine tiefere Rechtlichkeit, die alle
sozialen Beschränkungen und Beschränktheiten hinter sich läßt. Gräser ist -
auch und erst recht in seinem Widerspruch - ein Produkt der moralischen
Hochzüchtung des siebenbürgischen Stammes und seiner eigenen Sippe. Was treu in heissen Gefahren Urahne erfuhr, ist in mir
erblüht zu innigem Ahnen von heiterirdischen Bahnen ... *
[1] Sechs Stunden Schlaf ist genug für den Jungen wie den Alten, sieben gib
den Faulen, den aus schwachem Geschlecht Geborenen. [2] Unter den Stunden, die die schnell verfließende Zeit bezeichnen, bleibt
eine, die dich fortgehen heißt. [3] Diene so der Göttin, daß du den Teufel nicht kränkst. [4] Die Menschen sind gleich, nicht die Geburt, allein die Tugend macht sie verschieden. [6] Ich habe mir ein Denkmal gesetzt, dauernder
als Erz; ich habe eine Pyramide errichtet, höher als Königssitze. (Horaz) [7] Hans
Philippi: Vereinstage im Geist der Toleranz. In: S.S. Hauskalender. Jahrbuch
1982, S.53ff. [8] Zitiert
bei Hans Philippi: Vereinstage..., S.54. [9] Zitiert nach Paul Philippi: Nation und Nationalgefühl der Siebenbürger Sachsen 1791-1991. In Hans Rothe (Hg.): Die Siebenbürger Sachsen in Geschichte und Gegenwart. Köln Weimar Wien 1994, S.77f. |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Oben Zurück |
|