Heimat Siebenbürgen

Zwölf Jugendgedichte von
Gusto Gräser




(1)

Ihr, meiner Kindheit waldumrauschte Tage,
die ich tief im Herzen hage, mit Andacht muss ich euch grühsen,
winken, rufen euch!
Auf Höhn, im Tal, ihr anmutvollen Orte, kann euren Hauch
ich fassen mit dem Worte, hat der Gedanke Raum
in eurem Reich?
Es regt sich leis im Grunde meiner Seele, so tief erquickend,
so erquickend helle – hah, wie das wonnetief im Innern schwellt –
urheimlich leises wildes Waldesweben spür sanftentzückt
ich im Erinnern beben, und Kindersinn
des Mannes Blick erhellt.
Ich schaue wieder als ein Aug vom Walde, bin wieder Blum
in blütenreicher Halde, bin wieder eins mit Dir, Natur voll Gott,
lass mich von Dir in deine Wunder führen,
kann deinen Werdepulsschlag wieder spüren, mit Dir
von Morgenrot zu Morgenroth!
Du lässt, ich glaub – Du lässt den Sommer sagen,
was eh als Keim der Frühling still getragen
in der empfänglich kleinen reinen Brust. - - -
So wachse, Keim, und blühe treu und bieder
im langverhaltnen Jubel meiner Lieder!





(2)

O Wald am Berggelände, du rauher trauter Wald,
wo von der Felsen Wände mein Echo widerhallt!
Es schauert mir im Grunde – o Wald, mein Heimatland –
wo all die weite Runde umschlingt der Ruhe Band!

Zu Deinem Urgeschlechte schlag ich mit rauhem Bart –
und nicht zu dem der Knechte, fein, glatt und ohne Art!
Dem Redlichen, dem Rauhen, das in der Wetter Wucht
erwuchs, will ich mich trauen in all der Tage Flucht.
Dem gleissnerischen Glatten, das durch Paläste kriecht
wie Wipperwurm und Ratten – schlägst Du ihm nach?!
Ich nicht!





(3)

"Heimat" - so läutet's immer noch in mir seit Jünglingsjahren.
So klang's, wenn Graun die Quer mir kroch, so sang's, wenn tief ich oder hoch
das Leben durchgefahren.
Lasst, Freunde uns, den Donner drein, nimmer von Liebe schwätzen,
die mirnichts dirnichts da soll sein, ein fertig flügges Vögelein,
ohn alles Nestergetzen! ...
Freilich wird tüchtig sein, wer's kann und wer's vermag wird lieben,
muss lieben Weib und Kind und Mann - da hilft kein Hint- und Vorgespann,
hilft nur: selbstheimisch üben.
Jawohl! - : Wolln wir - uns - tieferbaun, befruchten Tugendkeime,
ertuchten Ehrfurcht, Mut, Vertraun, dann auf, ihr Mannen - auf, ihr Fraun,
dem urgemütgen Heime!
Hier findt der Herzfunk jenen Halt in herdeng trauter Hege,
dass er als heisse Glut sich ballt, als heitre Flamm lohlachend wallt,
vergoldend alle Wege. ...
Bei mütterlichem Heimatherd, bei seiner trauten Atze,
da merkt er, was der Wehre wert, da lernt er, was nur Herdglut lehrt:
Schutzkraft dem heilgen Schatze.
Ein Trauerhaus nur wär die Welt ohn Heimatsingsangsonne!
Drum Heilgruss dir, du schlichter Held, der Heimart übt in unsrer Welt,
Erdsternes Himmelswonne!
Sing uns, mein Lied, beschwing, mein Reim, herzhaftigliches Trauen,
dass wir vertraulich insgeheim die Blütezeit dem Menschenkeim,
Urheimatwelt erbauen!





(4)

I war a rechtes Dummerlein, sie neckten mich den Petzen -
in jede Falle fiel ich rein, als Zucker nahm ich manchen Stein,
den Andern zum Ergetzen.
Fangsalz trug ich mit mir herum, mich lachten aus die Spatzen -
wie wohl tat da dem kleinen Knot das Vaterwort in mancher Not:
Der Knoten wird schon platzen!
Und fuhr dem langen, bangen Knab der Tatter in die Knochen:
"Man beisst Dir nit die Nasen ab", hat Vater dann gesprochen.
Das sprang so frisch, so freih daher, voll ernstem Vaterscherze,
das übersprang die kalte Wehr, sprang wie ein Zicklein kreuz und quer
und sprang mir in das Herze.
Dies Wörtlein wurde mir zum Stab, oft klingt es mir im Ohre:
"Man beisst Dir nit die Nasen ab" -
und durch geht's durch die Tore!





(5)

O Mutter, Mutter, dein getreu Erbarmen,
das wärmte gut,
ließ mich in Heiterlust und Lieb erwarmen.
Oh Mutter, Mutter, deinen Heimatschranken
verdank ich meiner Mannheit heitern Mut,
und was ich bin, Dir, Mutter, muss ich’s danken.
Was wär ich denn, hättst Du mich nicht gehemmt?
Ich wankte hin, mir selbst und allen fremd.






(6)
Meine Schulzeit

Mancher kann ein Liedel singen von durchgrauster Schulezeit 


heute wird auch meins gesungen, spitzt die Ohren, liebe Jungen,
denn Euch ist mein Lied geweiht.
Eh Euch frisst der Anstaltsjammer auf der engen, langen Bank,
in der Formelfolterkammer - horcht, gehorchet meinem Sang!
Heute sing ich guterdinge, was mir eh beklemmt' die Brust,
dass auch Euch Begeistrung schwinge, dass auch Eurer Brust gelinge
eine sangesfrohe Lust, die hinein ins Sonnenblauen blühet
voller Selbstvertrauen!

 

 

 
Schule - lasst mich herzhaft schelten - dieses Wort stört mir Geduld,
denn wie selten, ach wie selten trat der Freund ans Lehrerpult!
Immer wieder der "Herr Lehrer" hat mich trefflich "cujoniert",
doch umsonst, denn immer schwerer hab ich all das Zeug "capiert".
Grade dem bin ich entrücket, worauf er die Nas mir stieß,
und nur das fand ich entzücket, was er selbst mich finden ließ.
Doch von dem war kaum ein Schimmer, und ich musste weiter pfropfen,
ach, beherzgen konnt ich's nimmer - alles musste ich bekopfen.
Und - nach was mein Herz verlange - und wieviel mein Hunger will? - - -
Niemand frug nach meinem Hange - nun, Ihr merkt, ich kam in Drill.
Wollt ich grün vom Herzen sprossen, hieß es immer wieder: Kusch!
O wie ward ich da verdrossen - merkt ihr wohl? - ich kam in Drusch.
"Artig sein, du du, du Racker - artig sein - du du - na wart - - !"
hieß es, war ich herzhaft wacker, folgt ich munter meiner Art.
Artlos wollten sie mich haben, mutlos war ich ihnen recht,
wollten keinen frischen Knaben, wollten einen feigen Knecht.
 

 

 

 
Und kein Mann stand mir zur Wehre, und ich musst nach Schemenzwang,
nach der Leier, nach der Lehre feige krümmen meinen Gang.
Geist? - O nein - nur seine Schemen - Kern? - o nein, nur seine Schal
musst ich bang "ad notam" nehmen - Kinder, war das eine Qual!
Wunder, dass ich nicht ward blöde in der grauen Regelöde.
 

 
Trübe ward ich armer Knabe, oft war mir die Welt ein Grab,
denn zu Gift ward Lehrers Gabe, weil er lebend sie nicht gab.
Meine Blüthezeit vertrauern musst ich hinter Regelmauern.
Wenn in ihrem Frühlingskleide draußen jubelte Natur -
an die Tafel mit der Kreide musst ich arme Kreatur.
Musst mit bangen Seelenqualen sagen, was mein Herz nit wusst,
bleiche Ziffern, graue Zahlen musst ich da ins Schwarze malen,
und zum Roten glühte Lust! 
 

 
Aber Herzfarb war verboten, ward gescholten, war die Schuld.
Und nach alten kalten Noten, nach Geschichten, nach den Toten
musst ich treiben Totenkult.
 

 
Ja, dort schlossen sich die Türen zu des Lebens lichtem Haus.
Alle die "Leitfaden" führen tiefer nur in Irrsalgraus.
Drinnen - huh, du grauser Ekel -
grinst der Geist der Pappendeckel!
Endlich schwänzt ich in die Wiesen, nach dem Bächlein, in den Wald:
Da gab's keine "Analysen", da bekam mein Geist Gestalt. Da entschied ich:
Hol's der Geier! Und - so - ward - ich - frei - und - freier.
Endlich fiel ich aus den Krallen, denn ich hatte noch Gewicht -
endlich bin ich durchgefallen …
Mich an Lebensluft zu laben, scharrt ich ein das Wissensaas -
seht und freut Euch - überm Graben wedelt schon
ein lustig Gras!
 

 
So, habt Ihr mein Lied vernommen, hallt es wider Eure Brust?
Ha, schon hör ich Euch: "Wir kommen, folgen unsrer Liebeslust!"
Auf! Eh Euch der Geist verwehet, eh Ihr seid gescherte Schaf,
eh die Prüfung Ihr bestehet, heissa, seiet besser brav!
Nimmer lasset Euch zerreissen Eurer Urvernunft Gedeihn!
Was ein Knecht Euch auch mag heissen –
traut dem Herzenssonnenschein!

Liebe Jungen, seid gebeten, folget besser, folgt dem Blut!
Lasst Euch nicht zu Knechten kneten,
fallet durch mit frischem Mut!
*

Fotos zu diesem Gedicht: André Lütke 2013
anässlich des Besuchs von Gustos Enkeln und Urenkeln im Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt

 




(7)

In fernen Waldes Grunde ward mir gar traute Kunde,
oh, was ich da geschaut!
Ein Hüttlein sah ich liegen, in seiner wilden Wiegen
gar wonnig eingebaut.
Aus sonnger Kindheit Auen, durch wüster Städte Grauen,
unheimlich kahl und kalt,
auf kaum beschrittnen Wegen, auf wurzelknorrgen Stegen,
kam ich zu ihm gewallt.
Was hab ich doch genossen an prächtiglichen Großen,
an lauter Herrlichkeit!
Wie dieses Hüttleins Stille in anspruchsloser Hülle
hat mich noch nichts erfreut.
Es ruht als wie ein Kinde im Arm der Mutter Linde,
vom Sonnenstrahl umkost;
in wuchtger Felsen Schutze, dem Wetterstrahl zum Trutze,
dem Menschenkind zum Trost.
Zum Hüttlein schritt ich leise, in ehrfurchtsvoller Weise
es näher zu besehn;
oh da, nach langem Harme, ist wunderlichte warme
Herzwonne mir geschehn.
Inmitt dem Hüttlein drinnen sah ich ein Mägdlein spinnen,
dabei sang sie ein Lied.
Sie sah's wohl wie ich hörte, doch nichts, kein Andres störte
ihr einig Weltgemüth.
Mir ward so wohlgemuthe, ihr ganzes Wesen ruhte
in ihrem seelgen Sang;
was hell aus Quellen plauschet, aus dunklen Wipfeln rauschet,
aus ihrem Liede klang.
Aus ihren Augen schaute, auf ihren Wangen thaute
ein Hauch aus Wald und Flur;
ihr ganzes reines Wesen, das athmete Genesen
der heiligen Natur.
Auf ihre Schwelle trat ich, leis um Erlaubnis bat ich,
da fühlt ich mich umhalst:
Bin warm bei Dir, erklang es, wo treubescheidnen Ganges
Du Deiner Wege wallst.
Wie so die Vöglein sangen, so bin ich weitergangen,
mit leichtbeschwingtem Schritt;
denn von der Maid ein Schimmer, ein sonnger, gleitet immer
auf meinen Wegen mit.





(8)

Lass Kirchenstuhl und Lehrerpult, vergiss die Schuld!
Lenk, denk in dunkle Walden, durchflammt von Sonnengold
und bau bei blühen Halden, bei wuchtgen Felsgestalten
dein Leben hell und hold …





(9)

Weil Du gar so heilig bist – Bergwaldwildnis – sei gegrühst!
Wärmer, wie Dein Wehn ich spür, wärmer wird’s ums Herze mir,
denn es lernet wieder lieben.
Wolken wallen silbergrau überland – o Seele, schau,
wo die Birken glänzen –
wie das Licht dort Zauber webt, golden um die Lauben schwebt
an des Tales Grenzen.
Unten dort im duftgen Raum, schau den wunderalten Baum
in dem Wolkenschatten.
Dunkel ragt sein Heldenhaupt, lustvoll, kühn und queckumlaubt
aus den sonngen Matten.
Mitten dort im Sonnengrün – dass ich nicht der Felsen bin –
wie sie den umkosen!
Heidekraut und Brombeerstrauch und die Efeuherzen auch
und die wilden Rosen!
Wildnis – heiliges Gesicht! Deine Schöne fass ich nicht,
doch mit meinen Augen
muss ich mich, o Schauerglück, saugen, Du,
an Deinen Blick!





(10)

In die Wildnis sinnt mein Sehnen, wo frohrohes Leben quillt,
wo die Wälder weit sich dehnen, wo der Falkenschrei erschrillt.
Hinter Stadt- und Dörferwirren weit, wo die Buchen musizieren,
wo die wilden Tauben girren, träumt ein Fels in Einsamkeit.
Dorthin muss ich wieder lenken, dort bei Farn und Moos und Dorn
mich versenken, mich verschenken, meine Seele heiter tränken
an der Wildheit heilgem Born.
Horch, da ist in goldnen Abendgluten aufgewacht ein rauher Männersang,
junge Kehlen jubeln Antwortlieder, durch die Weiten wogt es hin und wieder
Antwort rund den ganzen Ring entlang.
Fern verklingt’s, die nahen Bronnen plauschen
und vom Wald ein schlummeriges Rauschen –
still –
Vogel kehret heim zu seinem Aste
und die Sterne blinken weit im Kreis.
Ein Frucht noch, einen Gruhs dem Gaste,
tief erathmend sinken sie zur Raste
nach des Tages heissem Fleiss.
Stach der Tag auch manche wehe Wunde,
Sternenruh
wiegt sie ein im heilgen Grunde.





(11)
 
Ihr heimatlichen Matten, bin wieder da bei euch!
O Heimat, meine Freude, auf dieser Erdenweite
kommt dennoch dir nichts gleich!
Wo schauen mich die Bäume so freundlich an wie hier?
Wo fühl ich mich gehoben? Wo kann ich danken, loben
o Heimat, wie bei dir?
Wo, wo? Ich frag vergebens – nur hier bin ich vertraut
mit Hainen und mit Halden, mit Wegen und mit Walden,
die ich so oft geschaut. …
Wie lange wird es währen, dass wir beisammen sind?
Wie lange werd ich bleiben? Wirst du mich weitertreiben?
O Heimat, halt dein Kind!





(12)
 
Von den stolzen Höhen steig
ich zum Heimattale.
Werktagrauschen, Festgegeig,
Kinderjubel, Dorf am Teich
winken mir zum Mahle:
Iss und trink, o Volkessohn,
komm, lass dich nit bitten,
hier in unsrer Mitten
ist dein Heilgewohn!
*