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Begegnungen mit
Fidus (Hugo Höppener, 1868-1948)
 
Der Maler Hugo Höppener (1868-1948), genannt Fidus, war wie Gräser ein Schüler von Diefenbach gewesen, allerdings zehn Jahre früher. Es lag nahe, dass Gräser um 1900 diesen Geistesverwandten in Friedrichshagen aufsuchte. Im Jahre 1904 trafen sie sich wieder in der Vegetarierkolonie von Amden über dem Walensee in der Schweiz.
 




Ob es Gräser war, der Fidus nach Ascona gelockt hat? Jedenfalls wollte dieser im Frühsommer 1907 auf dem Monte Verità seinen lange geplanten „Tempel der Erde“ errichten, wurde aber wegen seiner theosophischen Ausrichtung von Oedenkoven abgelehnt.
 

 
Als Gräser 1911 mit Pferdefuhrwerk und seiner großen Familie nach Berlin kam, muss Fidus wiederum Anlaufstelle gewesen sein. Fidus dürfte dem 1913 gegründeten „Freundeskreis für Gusto Gräser“ angehört haben. Dies legt eine mit dem Aufdruck „Freundeskreis für Gusto Gräser“ versehene Postkarte von Paasche nahe.
 
Der Pazifist Hans Paasche, ehemaliger Marineoffizier, verbreitete während des Weltkriegs anklagende Aufklärungsschriften, wurde wegen „Hochverrats“ angeklagt und 1920 von Rechtsradikalen ermordet. Der Diefenbachschüler Magnus Schwantje hat sein Leben dargestellt, Gerhart Hauptmann hat ihm in seinem Epos ‚Till Eulenspiegel’ ein ehrendes Denkmal gesetzt. Gräser muss Paasche spätestens 1913 beim Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meissner kennengelernt haben.
 

 

 
Als der Siebenbürger 1920 aus Freiburg und Baden ausgewiesen wurde, setzte sich Fidus für ihn ein. Der zog anschließend für kurze Zeit nach Berlin, wo es wieder freundschaftliche Kontakte gegeben haben muss. Es scheint dann jedoch zu einer Entfremdung gekommen zu sein. Für die Zeit von Gräsers erneutem Berlinaufenthalt von 1927 bis 1940 finden sich keinerlei Spuren einer Begegnung.
 
Fidus protestiert gegen Gräsers Ausweisung aus Baden

 
Wolt.[ersdorf] 28. II. 1920
 
Das gebildete Deutschland darf nicht ruhig zusehen, dass ein Mann wie Gusto Gräser in der Betätigung seines Schönheitsgewissens gehindert werde, und eine deutsche Polizei hat auch kein gesetzliches Recht, einen so redlichen und hochgebildeten Menschen wegen seiner Kleidung auszuweisen.
 
Wenn deutsche Obrigkeiten im Mittelalter mit Strafen gegen die lächerlichen Auswüchse von Eitelkeit und Verschwendung zu Felde zogen, so taten sie damit etwas Sittliches, dem Gemeinwohle Dienliches. Wenn sie aber heute, im Zeitalter persönlicher Freiheit, einen Menschen hindern, seine von führenden Geistern als gesund, schön und edel anerkannte einfache Lebens- und Bekleidungsart zu führen, so tut sie damit etwas Unsittliches, umsomehr als sie die schamlose Dirnen- und Hochstaplermode, gegen die die Art eines Karl Wilhelm Diefenbach, eines Professor Jäger, eines Gusto Gräser und anderer sich kühn mit der Tat wendet, duldet und mit jener Verfolgung in Schutz nimmt.
 
Eine Obrigkeit, die sich damit auf die Seite des rückständigen Filisteriums stellt, giebt sich vor einer gebildeten Gemeinde eine traurige Blösse. Denn alle Gebildeten wissen, dass seit Jahrzehnten die edelsten Geister an einer Reform der Lebens- und Kleidungsart arbeiten, weil die von der Genusssucht und Mode diktierte, ihrer niedrigen Herkunft entsprechend nicht nur hässlich, sondern auch unmoralisch und ungesund ist. Wo kämen wir hin, wenn die Polizei alles verbieten dürfte, woran der Pöbel etwa "Ärgernis" nehmen könnte. Eine deutsche Obrigkeit hat eher die ... [Pflicht, einen Mann wie Gräser ? ] zu schützen.
 
Hugo Höppener-Fidus
(Fidus-Nachlaß im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein)
 
 
Die Prapanzin

 
Gusto Gräser brachte einmal ein junges Wiener Künstlerpaar mit, ob Geschwister-, Ehe- oder Liebespaar blieb offen, vermutlich aber das letztere. Erst bei sehr spätem Aufbruch gestand Gräser, dass diese „lieben jungen Freunde“ kein Dach über dem Kopf hätten. Also blieben sie bei uns hängen. Wir hatten aber nur ein winziges Dachkämmerchen mit einem Feldbett, den „Starenkasten“, frei. Zur Bedingung machten wir, dass der Mann am nächsten Tage nach Berlin heimfahren solle, um sich nach Arbeit und Unterkunft umzusehen. Doch hatten wir die Rechnung ohne die – übrigens sehr schöne – Partnerin gemacht, die bei jedem Versuch von ihm, aufzubrechen, schrie: „Du verlässt mich nicht!“ und sich zur Begleitung ihr Kleid zerriss. Aus letzterem Grunde konnte sie nicht mehr zum Tisch erscheinen, und so ließ sie vornehm unterm Dach servieren. Sie blieben eine Woche. Fidus zeichnete sie mehrmals, weil sie so schön war, und da er oft solchen Gesichtsstudien recht phantasievolle Namen zulegte, nannte er sie „Prapanzin“. Wir aber nannten sie schlicht und einfach „Mimosa hysterica“. Nach einigen Tagen gelang es dem Mann endlich, nach Berlin zu fahren. Vorher nahmen sie Abschied. Dazu erschienen sie zur gemeinsamen Tafel mit königlichen Gesten und mit Sicherheitsnadeln im Gewand.
 
(Holger Fidus: Fidus und seine ‚Heiligen’. In: KK 294/ 17)

 
Der Holzschuhsammler

 
Wenn auch Gusto Gräser zum Freundeskreis unseres Hauses zählte, war er doch nicht allzu oft bei uns, und da ich damals zuerst noch ein Kind war, später wiederum außer Haus, habe ich nur noch ganz schwache Erinnerungen an Gräser.
 
Jenen Tag, den ich in der KK schilderte, als er uns das arbeitslose Wiener Pärchen mit dem hysterischen weiblichen Teil ins Haus brachte, habe ich z. B. auch nicht miterlebt, nur das Pärchen selbst. Ganz deutlich vor Augen stehen mir heute nur noch zwei Treffen mit G. G.
 
Ich bog in Berlin vom Kurfürstendamm her in die Tauentzienstraße ein, als ich Gusto Gräser traf, natürlich mit einem kleinen Schwarm spöttisch Neugieriger dahinter, denn er trug außer seiner un-großstädtischen Kleidung noch ein Netz umgehängt, in dem er viele Mohrrüben hatte. Als er mich erblickte, begrüßte er mich sehr herzlich und schenkte mir eine schöne große Mohrrübe, die ich sofort, in der Unterhaltung mit ihm, verspeiste, was natürlich den Zuschauerkreis um uns anwachsen ließ.
 
Zur nächsten Begegnung mit Gräser muss ich ein bisschen weiter ausholen: Auf der Durchreise von meinem Vaterhaus bei Berlin in die Odenwaldschule am Ferienende wollte ich in Naumburg/Saale gute Freunde besuchen, den Stadtbaumeister von Naumburg, Fritz Hossfeld mit Frau Ina, einer begabten Glasfenstermalerin und ihren damals wohl etwa 6 Kindern. Doch Frau und Kinder sollten erst am nächsten Tage vom Ferienaufenthalt an und auf einem bayrischen See zurückkehren. Wie es dazu kam, dass ich nicht im Hossfeldhause auf sie wartete sondern im Nachbarhause, weiß ich nicht mehr. Dieses gehörte, soviel ich mich erinnere, einem Zeise-Gött, Schauspieler oder sonstigem Künstler, mit dem ich aber kein persönliches Zusammentreffen hatte. Dieser hatte dem damals von der Leuchtenburg vertriebenen Drechsler und Jugendführer Muck-Lamberty seinen Keller und Dachgeschoss zur Verfügung gestellt zum Wohnen und Drechseln. Ich suchte diesen auf und half ihm, seine eben gedrehten Leuchter lackieren, und er schenkte mir einen, wobei er mir anbot, in seinem Bett zu übernachten, denn er schliefe draußen auf der Wiese des Hossfeldsgrundstücks mit seiner Hannele und ihrem dort geborenen Säugling, der sowieso (es war Sommer) nicht im Häuschen leben mochte, dem Gärtnerhaus, das Hossfeld der jungen Frau zur Verfügung gestellt hatte.
 
Als Muck mir sein Zimmer im Dachgeschoss zeigte, machte er mich darauf aufmerksam, dass im Nebenzimmer Gräser hauste. Natürlich besuchte ich ihn sofort und erinnere mich noch, dass eine ganze Ecke seines Zimmers mit einem riesigen Haufen von Holzschuhen angefüllt war, wie die Holländer sie tragen. Er sagte, er habe sie aufgekauft, weil sie als Brennholz angeboten waren, was ihm zu schade dünkte. Er hatte schon einige davon gewissermaßen als Köcher an die Wand gehängt, teils für Pinsel und ähnliches, teils für trockene Blumen, was sich sehr nett machte.
 
Dieses war mein letztes Zusammentreffen mit Gusto Gräser.
 
(Aus einem Brief von Holger Fidus an das Siebenbürgische Künstlerarchiv in Heilbronn vom 8. April 1978)
 
 
 
Zeittafel zu Fidus und Monte Verità
 
1903 Hofmann/Oedenkoven besuchten Klein 1903 in Amden, dort lernten sie auch Fidus kennen (siehe Ida Hofmann: W. o. D.)
Theo Kneubühler in Szeemann: Monte Verità, S.149

1907 Foto: Fidus auf dem Monte Verità. Foto von Hering, Sammlung Staub.
In Szeemann: MV, S.92
 

29. 12. 1908 Oedenkoven an Fidus:
Mein lieber Herr Fidus. Außerordentlich erfreut mich ihre erinnerung.
Ich wollte ihnen kurz nach ihrem scheiden von hier schreiben, aber ich fühlte das nutzlose davon, die unmöglichkeit für mich einzugreifen; und ich musste es lassen. Ich muß es heute auch noch lassen, weil ich ihre lage nicht mehr kenne, nicht weiß wie sie sich verändert hat. Im sommer komme ich wohl nach Bayern und nach Deutschland und hoffe sie zu treffen. Damals peinigte mich ihre geistige gefangenschaft, überhaupt ihre gänzliche gefangen-schaft, fürchterlich.
Eines möchte ich mir erklären: was ist es an ihrer kunst, was mich an einem teil ihrer werke so unwiderstehlich anzieht, und von anderen ebenso unwiderstehlich abstößt? Wie ist es möglich, daß ein geist so widersprechendes hervor bringt? Und ich denke an erwähnte gefangenschaft; ob ihr eigenes nur unter fremdem einfluß einmal gut, einmal schlecht sich äußert? (...)
Sehr gerne hätten wir hier das atelier bauen sehen; da es aber nicht sein konnte, freuen wir uns sehr, daß sie es doch erreichten. Wenn sie sich aber doch trennen können, zeitweilig, wird es meine frau und mich selbst freuen, sie hier zu haben."
In: Szeemann: Monte Verità, S.142

13. 1. 1913 Ida Hofmann an Fidus:
"Erwartet auch von Dr. Steiner keinen Gott, sondern einen bedeutenden Lehrer ... "
... An die Wiedergeburt glaubte Ida Hofmann, die im genannten Brief an Fidus schrieb: Der Gedanke an die Wiedergeburt tröste sie im Hinblick auf einen jungen Künstler, der noch keine Chance hatte, sich zu entwickeln. Möglicherweise bedeutete ihr die Wiedergeburt auch ein Trost beim Anblick unheilbar Kranker ...
Antje Graevenitz in Szeemann: Monte Verità, S. 90

1936? Postkarte von Fidus an Unbekannt mit "Tempel der Weissen Bruderschaft" von 1911.
Dies dürfte "heute" wohl nur mit Vorsicht gezeigt werden? weil "international" und "okkultistisch" anmutend. "Zum Glück" kaufte diesen farbigen Entwurf schon 1932 der jetzige Besitzer des lebensreformerischen Monte Verità über Ascona im Tessin, wo ja "alle Verrückten und Emigranten" sich aufhalten. Ich war dort nur 2 mal Besucher - vor 1933!
Lichtdeutsch und Pg. seit 1. V. 32 Fidus


 

          Fidus, Du sollst nicht töten, 1892
 
Links:
 
Fidus-Projekt
Fidus und Karl Wilhelm Diefenbach
 
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