Anton Faistauer: Barken am See. Um 1911 |
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Anton Faistauer: Der Maler Gustav Schütt in Arcegno. Um 1911 |
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Heinrich
Maria Davringhausen: Der Krieg. Ascona 1914 |
Die Maler von Arcegno
Man spricht von Ascona als einer Künstlerkolonie. Man denkt dabei an bekannte Namen wie Hans Arp, Sophie Taeuber, Marianne Werefkin, Alexej Jawlensky und andere. Nur wenige von ihnen, vor allem Hans Arp und die Taeuber, hatten eine unmittelbare Beziehung zum Monte Verità. In welchem Verhältnis sie zu den Gebrüdern Gräser standen, wissen wir nicht. Waren die nicht tolstoianisch-kunstfeindlich? Zumindest aber völlig abgewandt den künstlerischen Strömungen ihrer Zeit? Oder gab es doch Berührung, Wirkung, Ineinanderfließen gar von radikaler Lebensreform im Sinne der Gräsers und ähnlich radikalen Bewegungen auf dem Felde der bildenden Kunst? Die Maler von Arcegno könnten darauf eine Antwort geben. Im Bild erscheinen drei junge Leute. Wiener Malschüler, die einerseits mit Diefenbach in Verbindung stehen, andererseits mit Ascona, und die drittens im Aufbruch der Wiener Moderne eine gewisse Rolle spielten: Gustav Schütt (geb. 1890), Robin Christian Andersen (1890-1969) und Anton Faistauer (1887-1930). Alle drei waren, nach den Angaben von Szittya, Diefenbach-Schüler, und Diefenbach-Schüler war auch ein für diese Zeit und namentlich für Egon Schiele wichtiger Kunstschriftsteller: Arthur Roessler (1877-1955). Mit ihnen erweitert sich die Liste der Maler aus der "Schule" Diefenbachs, die seither schon mit Fidus, Gusto Gräser und Franz Kupka besetzt war. Letzterer, Franz Kupka, hatte 1894 an einen „theuren Bruder“ geschrieben: „Ich habe schon vor zwei Jahren für ihn geschwärmt, bei ihm ist jedes Denken, jede Idee eine That und sein Prinzip ist nur das zu thuen was gut ist, ob es andere thuen oder nicht, seine Ansichten über Glückseeligkeit, Individualität, über’s Weltall und das Wesen Gottes beweisen dass er Raum und Zeit in sich selbst überwunden hat, und außerdem dass er das Räthselhafte im Leben überwunden hat und es klar sieht, sonst ein ausgezeichneter Sittenprediger, Maler und Musiker und Dichter. Ich verkehre mit ihm sehr viel in der letzten Zeit, auch scheint er hellsehen als selbstverständliche Eigenschaft seiner höheren Geistesstufe zu besitzen.“ (Zit. in Kury 111) Der „theure Bruder“ könnte Arthur Rößler gewesen sein. Sie hatten sich als Mitarbeiter bei Diefenbach kennengelernt, wurden Freunde und wohnten zeitweise zusammen in einer Wohnung. „Beide waren Mitglieder einer (selbst gegründeten?) okkulten Bruderschaft, die sich großteils aus ‚Ex-Diefenbachianern’ zusammensetzte.“ (Kury 112) Genaueres über diese Gruppe ist bislang nicht bekannt. Sicher ist nur, dass sie einerseits von den Ideen Diefenbachs und zugleich von „asiatisch-buddhistischem Geiste“ (Rößler), also von Theosophie und Hermetik beeinflusst war. Das Aufweisbare beginnt mit Gustav Schütt. Szittya erzählt, Schütt sei mit sechzehn Jahren Schüler und Jünger von Diefenbach auf Capri gewesen. Das wird bestätigt durch einen erhaltenen Brief von Schütt an Diefenbach, den er aus Ascona schreibt, wo er auf dem Weg nach Süden bei Karl Gräser Quartier genommen hat. Der undatierte Brief ist auf 1906 anzusetzen, damals war der 1890 geborene Schütt sechzehn Jahre alt. Wie kam er zu Diefenbach? Wie konnte er von ihm wissen? Der war ja seit sieben Jahren nicht mehr in Wien gewesen. Aber: Es gab dort Anhänger, Freunde, Sympathisanten, die seine Ideen weitertrugen. Waren die Wiener doch einst zu Zehntausenden in seine Ausstellungen gepilgert, hatten sich doch namhafte Schriftsteller wie Adam Müller-Guttenbrunn und Baron und Baronin von Suttner für ihn eingesetzt. Seine sämtlichen Gemälde waren dortgeblieben, in einer Zwangsversteigerung verschleudert worden. Sein bester Freund, der Arzt Emil Boenisch, war dort geblieben. Er hatte den Großfries 'Per aspera ad astra' erworben, um ihn vor der Zerstörung zu retten. Diefenbachs Buch über seine Zeit in Wien, 'Ein Beitrag zur Geschichte der zeitgenössischen Kunstpflege', 1895 in zwei Bänden erschienen, vermittelte seine Vorstellungen und Bestrebungen. Ein lebhafter Briefwechsel ging hin und her zwischen Capri und Wien. Schließlich gab es in der österreichischen Hauptstadt seit Jahrzehnten eine vegetarische Gruppierung, angeführt von dem Gelehrten Friedrich Eckstein und seiner Frau, die sich als Schriftstellerin Sir Galahad nannte. Es gab Zellen der feministischen und der Friedensbewegung, die mit Diefenbach in Berührung standen. Und natürlich waren da noch die ehemaligen Schüler und Mitglieder seiner 'Humanitas'-Kommune. Als Sensation, Gerücht und Legende lebte der "Himmelhof" weiter im Gedächtnis der Wiener. Diefenbach, von dem man sich Märchenhaftes erzählte, von dem man wusste, dass er mit seiner Schar über die Alpen gewandert, nach Indien ausgezogen war, dann in Ägypten bei den Pyramiden einen Tempel bauen wollte, schließlich auf Capri zu Wohlstand und Ansehen gekommen war – Diefenbach muss wie ein fernes Leuchtzeichen all jenen vorgeschwebt haben, die sich heraussehnten aus der Enge von Katholizismus, Kommerz und Konvention. Außerdem wissen wir, dass auch Gusto Gräser aufkreuzte in der Stadt, wo er Verwandte und Freunde hatte. Schütt hörte jedenfalls von Ascona, suchte und fand bei Karl Gräser Quartier. Szittya erzählt weiter, Schütt habe zu Fuß und ohne Geld – Einfluss der Gräsers? – Österreich, Italien und die Schweiz durchwandert, habe dann lange in Ascona gelebt, dort aber der "Theosophie" den Rücken gekehrt. Dieser (spätere und längere) Aufenthalt in Ascona wird nun bestätigt durch die Erinnerungen von Richard Seewald. Der berichtet, in dem verlassenen, halbverfallenen Dörfchen Arcegno hätten sich "einige Wiener Maler einquartiert, deren Oberhaupt Anton Faistauer war" (Die Zeit befiehlt's, S.143). Dieser Faistauer war aber ein Freund nicht nur von Schütt sondern auch Vorbild und später auch Schwager des Malers Robin Christian Andersen, der von Szittya ebenfalls als Diefenbachschüler bezeichnet wird. Zusammen seien die drei – Schütt, Andersen und Faistauer – nach Italien gewandert. Diese drei und vielleicht noch andere müssen es auch gewesen sein, die sich für längere Zeit in Arcegno einquartierten, wo der Kollege Seewald sich mit ihnen befreundete. Nach dem Biographen Faistauers verbrachten sie die Sommer von 1909 bis 1912 in dem fast menschenleeren Ort. Dass sie mit den Gräsers Kontakt hatten, versteht sich nach dem Vorgesagten von selbst. Was aber liegt zwischen dem Sommer 1906 und dem Sommer 1909? Wie haben wir uns die Wegführung von Wien nach Arcegno zu denken? Wir haben den Brief von Schütt aus Ascona, wir haben aber keinen Beleg dafür, dass der junge Mann in Capri als Schüler oder Hausgenosse aufgenommen worden wäre. Hätte es einen längeren Aufenthalt gegeben, wäre der Name Schütt sicher in den Tagebüchern oder in den Briefen von Diefenbach erschienen. Zufällig wissen wir aber, wie der Meister über herumschweifende mittellose Wanderer dachte. Er hatte eine gründliche Abneigung gegen die "unzählige(n) 'Diefenbachianer', die halbnackt, ungekämmt und ungewaschen, nichts schaffend, durch alle Länder Europas vagabundieren und jedem gebildeten reinlichen Menschen zum Ekel werden". So schreibt er am 8. April 1909 an Ferdinand Avenarius (Tgb. Nr. 27). Und schon im Februar dieses Jahres hatte er an einen Berliner Verehrer geschrieben: Auf Ihr an mich gerichtetes Schreiben teile ich Ihnen mit, daß Sie von sehr irrigen Vorstellungen erfüllt sind über die Natur Capris und über mein "Hausen" auf dieser Insel und über die Möglichkeit, hier ein Leben als "Naturmensch" führen zu können. ...
Bezüglich meines "Hausens" auf Capri teile ich Ihnen mit, daß ich nichts gemein habe mit den vegetarischen Tiermenschen, die als arbeitsscheue "Naturmenschen", nur mit einem Hemd bekleidet, durch Italien reisen, um bei mir Unterkunft oder Unterstützung zu verlangen als "Gesinnungsgenossen". Diese Menschen, die sich als meine Anhänger ausgeben oder als solche angesehen werden, schädigen mein Ansehen und meine Existenz auf das schwerste und schädigen nicht weniger das von mir im Leben wie im Schaffen von Kunstwerken betätigte Menschheitsideal, welches auf dem Vegetarismus [als der niedersten tierischen Lebensstufe] ein höheres Menschentum durch die Pflege von Kunst, Wissenschaft und Religion anstrebt. Die Vegetarier, welchen ich seit 25 Jahren sorgenlose Unterkunft in meinem Hause gegen Verrichtung der Haus- und Gartenarbeiten gegeben habe, haben sich sämtlich als arbeitsscheue, faule, dünkelhaft eingebildete und anmaßende Menschen benommen, welche den Vegetarismus nicht als niederste Stufe zu einem höheren Menschentum, sondern als höchste Lebensstufe betrachteten und betätigten: vegetarische Tiermenschen. (Tgb. Nr. 27) Ähnlich könnte er auch an Schütt geschrieben oder ihn mit solchen Worten empfangen haben. Dass dieser von den Gräsers herkam, war für ihn alles andere als eine Empfehlung. Hatte er doch schon Gusto Gräser, als der auf der Wanderschaft in Triest an seine Tür klopfte, aus dem Hause geworfen. Dass einer seiner besten Schüler diesen Weg in die bedingungslose Armut und Freiheit gegangen war – in letzter Konsequenz seines eigenen Denkens und Wollens -, musste eine schmerzende Wunde in ihm hinterlassen. Das Erscheinen solcher Menschen bedeutete nicht nur einen Angriff auf seinen Geldbeutel und seine bürgerliche Reputation, bedeutete eine Infragestellung auch seiner moralischen Existenz. Er hatte sich für eine maßvolle Anpassung entschlossen; jeder radikale Aussteiger war ihm ein Vorwurf in Menschengestalt. Wenn es also einen Aufenthalt von Schütt bei Diefenbach gegeben hat, dann kann der nur kurz gewesen sein und er kann schwerlich einen positiven Abschluss gehabt haben. So ist es wohl zu erklären, dass Schütt und seine Freunde sich nicht auf Capri sondern bei Ascona niedergelassen haben – wo sie mit Sicherheit freundlicher empfangen wurden. Wir müssen also annehmen: Schütt kommt noch im Laufe des Jahres 1906 nach Wien zurück und erzählt nun seinen etwa gleichaltrigen Freunden und Kollegen, sechzehn- bis achtzehnjährigen jungen Leuten, von seinen Erfahrungen und neugewonnen Einsichten: Anton Faistauer, Robin C. Andersen, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Sebastian Isepp, Paris von Gütersloh und anderen. Er teilt ihnen seine Begeisterung mit, vermutlich weniger eine solche für Diefenbach als für die Gräsers. (Weil aber "Diefenbacher" bereits ein in Wien geläufiger Markenname für eine bestimmte Lebensart ist, wird er von Szittya und anderen als ein solcher wahrgenommen und bezeichnet. Die Gräsers, die kannte man nicht.) Schütt schwärmt von freier Liebe, Abwerfen der Konvention, Rebellion gegen jede Art von Herrschaft und Zwang, von Nackttänzen im Mondschein und einem einfachen Leben im Einklang mit der Natur. Er schwärmt vom Wandern und von der Freundlichkeit des Südens. Überleben mit geringsten Mitteln. In Ascona gibt es eine Republik freier Menschen. Etwas später gesellt sich zu den jungen Leuten der Kunstkritiker der 'Arbeiterzeitung', Arthur Rößler. Auch er kann ihnen von Diefenbach erzählen, dessen Schüler und Sekretär er vor gut zehn Jahren auf dem Wiener "Himmelhof" gewesen war1. Sein damaliger Freund und Mitschüler, Franz Kupka, war inzwischen nach Paris gezogen2. Wir sehen also vor uns ein Trio (oder, mit Roessler zusammen, auch: Quartett), das die Vorstellungen von Diefenbach und Gräser mindestens zeitweise teilte, zugleich aber, wie Szittya sagt, "großen Einfluß auf die junge Wiener Malerei" hatte (KK 286). Diese Angabe scheint nicht aus der Luft gegriffen. So schreiben Schröder und Szeemann über Faistauer: Nach einer kurzen Studienzeit an der Wiener Akademie trat er aus Protest gegen den konservativen Lehrbetrieb mit seinen Jahrgangskollegen Egon Schiele, Franz Wiegele und Robin Christian Andersen aus. Die vier gründeten gemeinsam die 'Neukunstgruppe', der sich bei einer Ausstellung im Jahre 1911 Kokoschka, Hofer, Sebastian Isepp und andere anschlossen. (K. A. Schröder und H. Szeemann (Hg.), Egon Schiele iund seine Zeit. München 1988, S. 286) Jener Austritt und jener Zusammenschluss von Gleichgesinnten vollzog sich im Jahr 1909. Franz Fuhrmann schreibt dazu: So formierte sich die junge Malerschar unter Führung Faistauers und Schieles zur sogenannten "Neukunstgruppe", die, bevor es noch zum offiziellen Ausschluß aus der Akademie kam, diese verließ und Ende Dezember 1909/Anfang Jänner 1910 im Kunstsalon Pisko ... ihre erste (Protest)-Ausstellung veranstaltete. Arthur Roeßler, der sich der jungen Leute, vor allem Faistauers und Schieles seit damals angenommen hat, kennzeichnete in seiner Vorbesprechung vom 7. Dezember 1909 die Exponate ... (Franz Fuhrmann: Anton Faistauer, Salzburg 1972, S. 8) Arthur Rößler also, der ehemalige Diefenbachschüler, wird zum Freund und Förderer der jungen Leute. Obwohl inzwischen kritisch gegenüber Diefenbach, scheint er die nach Süden Strebenden nicht abgehalten zu haben. Er setzt sich für Schiele und Kokoschka ein, aber ebenso und länger noch für Faistauer. Wir erinnern uns also und stellen uns vor: Im Sommer 1906 war der Malschüler Gustav Schütt nach Ascona und Capri gewandert. Er wurde von Karl Gräser aufgenommen. Ob er von Diefenbach aufgenommen wurde, wissen wir nicht. Er kam nach Wien zurück und muss die gräserischen Ideen und Ideale unter seinen Malerkollegen verbreitet haben. Robin Andersen, Anton Faistauer, Egon Schiele sind 1890 geboren wie er, sechzehnjährige Kunstschüler wie er, Suchende wie er, und er bringt ihnen die Botschaft einer ganz anderen Freiheit in Denk- und Lebensweise, als sie bisher gewohnt sind. Er bringt ihnen vermutlich auch die Botschaft der Theosophie, die auf dem Monte Verità und im benachbarten Locarno damals einen Hauptsitz hatte. Szittya betont die theosophischen Neigungen der Maler von Arcegno. So sagt er von Robin Christian Andersen: "Seine künstlerische Laufbahn begann mit Theosophie und mit der Arbeit bei Diefenbach" (Kuriositäten-Kabinett 284). Bekanntlich hatte die Theosophie einen starken Einfluss auf die Maler der Wiener Moderne. Ascona musste auch aus diesem Grund für die jungen Leute attraktiv sein. (Vgl. Astrid Kury: "Heiligenscheine ... " Okkultismus und die Wiener Moderne. Wien 2000.) Schütt, so nehmen wir an, hat Andersen und Faistauer, vielleicht auch Isepp, für die Lebensweise der "Naturmenschen" begeistert, ist mit ihnen 1909 nach Ascona gezogen und hat sich dort niedergelassen, wo man noch billiger leben konnte als in Ascona: in den verlassenen Bauernhäusern des benachbarten, bergwärts gelegenen Arcegno. Auf Schiele und Kokoschka kann der Aufbruch ihrer Freunde nicht ohne Wirkung geblieben sein. Man lese nur, was Hans Bisanz über Egon Schiele schreibt und von ihm zitiert: Das Fortschrittliche an seiner Kunst ist das über dem Experiment stehende humanistische Engagement, das die Arbeiten prägt. Unter dem Einfluß von Nietzsche, Rimbaud und Whitman setzte er sich in seinen Briefen und Gedichten für die Befreiung des Individuums von offiziellen Kollektiven ein und ließ nur die freiwillig gewählten Bindungen – Liebe und Freundschaft – gelten. In einem Brief an den ihn fördernden Kritiker und Schriftsteller Arthur Roessler klagte er alle an, die er als Behinderung der Lebensentfaltung des Menschen empfand. "die ewigen Uniformierten..., Beamten, Lehrer..., Kleriker, Gleichwollenden, Nationalen, Patrioten". Das anzustrebende "Selbstsein" setzte er mit dem Leben gleich, das "Gleichwollende", in Uniformen, bürgerliche Konventionen und Dogmen Zwängende mit Nichtleben. (In Robert Waissenberger,Wien 1890-1920.Wien 1984, S. 160) Das selbe hätte auch von Gusto Gräser gesagt werden können. Damit soll kein Einfluss behauptet werden, wohl aber ein Gleichklang. Als Gräser im Winter 1909/10 mit seiner Familie nach Wien kam (seine erste Tochter Gertrud wurde dort im April geboren), wird er auch die Nähe zu den ihm geistesverwandten Malern gesucht haben. Schieles Hass auf die Stadt ist bekannt. He evinced (consciously or not) an affinity to the "back to nature" movement that, spurred by advancing industrialization, had been gaining impetus in Europe throughout the nineteenth century. (Wolfgang G. Fischer in: Jane Kallir, Egon Schiele: The Complete Works. New York etc. 1990. S. 106) Doch wohl eher "consciously"! Recognizing that his mother was at heart a city person, Schiele associated his beloved father with the countryside, wherein he had long sought refuge from the more unpleasant aspects of life. (Fischer, ebd.) Im Frühjahr 1910 schrieb er aus Wien einen verzweifelten Brief: Ich möchte fort von Wien, ganz bald. Wie häßlich ist's hier. – Alle Leute sind neidisch zu mir und hinterlistig; ehemalige Kollegen schauen mit falschen Augen auf mich. In Wien ist Schatten, die Stadt ist schwarz, alles heißt Rezept. (Zit. nach Reinhold Heller, "The City is dark" in 'Expressionism Reconsidered', hg. von Gertrud Bauer Pickar und Karl Eugene Webb, München 1919, S. 44) Im Mai 1911 bezog er ein Gartenhaus in Krumau, von wo er freilich bald wieder vertrieben wurde. Schiele felt repulsed by the city, not only by Vienna but also by smaller ones such as Krumau, and he fled from them into the countryside or into small towns, into idyllic havens where he soon found himself without financial support, rejected and even jailed by the local inhabitants, and so forced to return to Vienna. (Heller, ebd.) Schiele zog sich in die schützende Privatwelt seines Ateliers zurück, schuf dort Landschaftsbilder aufgrund seiner Skizzen oder malte Selbstbildnisse und Bilder seiner Modelle. These undernourished, pale, prematurely aged models Schiele presented in psychological isolation, against a background lacking any environmental association; the city, the locale of the life being depicted, was rejected. (Heller, a. a. O., S. 45) Wenn er Krumau malt, dann als einen Ort öder, menschenleerer Finsternis, als 'Tote Stadt'3. Warum zog er nicht mit Faistauer und Genossen nach Arcegno? Die Rivalität zwischen den beiden Freunden ist bekannt. Faistauer ist vermutlich jener "ehemalige Kollege", der, nach seinem Gefühl, "mit falschen Augen" auf ihn schaut. Dem wollte er sich nicht auch noch anschließen und damit unterordnen. In seinem Buch über Schiele nennt Karl Albrecht Schröder das Jahr 1908 eine "Schnittstelle" in der Geschichte der modernen Malerei (Schröder/Szeemann, a. a. O., S.17). Diese "Schnittstelle" ist allgemein bekannt und anerkannt. Sie fällt zeitlich zusammen mit dem Aufbruch jener Gruppe von Wiener Malern nach Ascona. Franz Fuhrmann hat in seiner Monographie über Faistauer zwei Bilder einander gegenüber gestellt. Links, in einem Selbstbildnis um 1909, gibt sich Faistauer noch als Dandy: glattrasiert mit Sonnenhut, steifem Kragen, gestreifter Hose. Gezeichnet im flächig-ornamentalen Stil von Klimt. Rechts ein Ausschnitt aus einem Brief Faistauers, wohl aus Arcegno, von 1911. Er, der von jung auf von zarter körperlicher Konstitution gewesen war, weist auf seine "gegenwärtige körperliche Situation" hin, zeichnet sich nackt und athletisch, braungebrannt, mit langem Haar und Bart (S. 9). Ob die drei von Arcegno wirklich Malschüler von Diefenbach gewesen sind, ist zweifelhaft. Was Szittya mit der Bezeichnung "Diefenbach-Schüler" sagen will, ist wohl eher dies: Sie hatten, in Maßen zumindest, seinen Lebensstil angenommen. Oder den der damals noch wenig bekannten Gräsers. Und sie hatten theosophische Neigungen. Man lebt in Arcegno das einfache Leben in der Natur, befreit sich von Konventionen, wandert durch die südlichen Länder, schlägt sich durch mit wenig Geld oder keinem, geht nackt, wo es möglich ist, lässt Bart und Haare sprießen. Und denkt und malt entsprechend. Faistauer über seine Kunstauffassung: Die Übersetzung von Natur, Sonne, Wärme, von Weite und Tiefe in das Bildmaterial erfordert Genie. Ich brauche der Natur gar nicht aus dem Wege zu gehen, um Erfindungsgabe zu beweisen. Wie kläglich müssen alle Versuche, Herrgott zu spielen, scheitern, gemessen an der Baukunst der tiefsinnigen und unerschöpflich schöpferischen Natur. Keine Religion, keine Wissenschaft ist ohne die Weisheit der Natur weise und groß geworden. Überall sind es nachgeahmte, übersetzte oder eingesetzte Naturkräfte, die wirksam gemacht wurden. Es gibt nichts als Entdeckungen aus der Natur. (In Fuhrmann 43) Das ist deutlich gegen die Ästhetik der Wiener Stilisten gesprochen. Franz Fuhrmann fasst die Wirkung von Faistauers neuer Lebensrichtung auf dessen Malerei zusammen: Faistauer wurde zu Beginn dieser kritischen Zeit des Überganges noch von den Kunstvorstellungen der Klimtgruppe beeinflußt. In welcher Art, das zeigen die Zeichnungen, die er von seiner im Sommer 1909 gemeinsam mit anderen Kollegen unternommenen ersten Italienreise mitgebracht hat. Stützpunkt war Ascona am Lago Maggiore, doch stieß man bis Genua (Textabb.5) und Florenz vor. Auch die folgenden drei Sommer (1910-12) verbrachte Faistauer im Tessin bzw. in Oberitalien. Diese Sommeraufenthalte wie überhaupt die Jahre von 1910-12 sind für Faistauers künstlerische Weiterentwicklung von entscheidender Bedeutung. Beschäftigte er sich im Sommer 1910 in Ascona vorwiegend mit Aktstudien und "stand er der Landschaft noch ganz fern", so träumte er das nächste Jahr von den Gärten am Lago Maggiore, wo er "sehr gesund geworden" ist (Textabb. 6). Im Sommer 1912 bekannte er, er habe Ahnung bekommen von der Konstruktion der Landschaft, von der Ungeheuerlichkeit und der Furchtbarkeit, die ihn am Anfang immer verwirre. Und in einem anderen Brief berichtet er, er habe in diesem Jahr alle Zahmheit verloren, ringe um Himmel und Landschaft und freue sich, daß er heuer außerordentlich glücklich bei der Arbeit sei. (Fuhrmann 1972, S. 8f.) "Ich halte es hier nicht länger aus", schreibt auch Kokoschka im Winter 1907/8, "alles ist von einer Starre, als ob man nie das Aufschreien gehört hätte. Alle Beziehungen haben einen so toten, von vornherein berechneten Verlauf, und die Menschen sind alle so unheimliche Consequenzen ihres Typus wie Marionetten ... Mir ist es so schwer nicht, auf den Isepp neidig zu sein, der die glühenden Länder erreicht" (in: Ernst Fischer (Hg.), Hirnwelten funkeln. Salzburg 1988, S. 373). Isepp war ein Mitschüler von Faistauer und Schiele an der Akademie. Offenbar hatte er mit Faistauer und den andern die "glühenden Länder" des Tessins und Italiens angesteuert. Faistauer und Andersen und wohl auch Schütt, wie auch der Kunstschriftsteller Arthur Roessler waren Förderer und Vorkämpfer jener Kunstrevolution um 1910, die man als "Wiener Moderne" bezeichnet hat. Lebensreformerische, spiritualistische und individualistisch-anarchische Motive wirkten zusammen, um den historisierenden Eklektizismus zu überwinden und eine zeitgemäßere Formensprache zu entwickeln. Nirgends aber wurden diese Motive so radikal und konsequent gelebt wie in den Alternativzentren Capri und Ascona, wie vor allem durch Gusto Gräser. Literatur und Quellen zu den Malern von Arcegno
1 "Roessler blieb ... der Lebensreform und dem Vegetarismus verbunden und interessierte sich auch weiterhin für okkulte Weltanschauungen. 1901 veröffentlichte er einen in lebensreformerischem Pathos abgefaßten Artikel über 'Fidus und seine Kunst', in dem er prognostizierte, daß die Kunst einer neuen 'Schönheitskultur' entgegengehe, befruchtet aus 'asiatisch-buddhistischem Geiste' (= Theosophie) und der neuen Körperkultur." (Kury, S. 113) 2 "Kupka erwarb sich in Wien jene Weltanschauung, auf der seine spätere abstrakte Malerei fußte ('ich bekomme jetzt überhaupt eine eigene Weltanschauung', schrieb er 1895 an seinen Freund Roessler)." (Kury, ebd.) 3 "Schiele's 'dead city' images ... begin in 1910 although most were painted in 1912." (Heller, a. a. O., S. 54) |