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Gräser
und
Laban auf dem Monte Verità Die Geburt des Ausdruckstanzes « Laban veut séparer la danse de la
musique. » (Kaj Noschis)
Zeichnung
von Laban
So
dicht zieht Martin Green die Parallelen zwischen den beiden Tänzern vom
Berg,
einem Tänzer, der auch dichtete - Laban - und einem Dichter, der auch
tanzte -
Gräser. Ihre bloße Herkunft mußte sie zusammenführen, aber mehr noch
ihre
künstlerische Ader, ihr Freiheitsdrang und vielleicht am meisten ihr
innig-nahes Naturerleben, Naturgefühl. Wenn Laban über seinen Tanz
schreiben
will, dann kann er nicht anders: er muß zuerst von seiner Kindheit und
Jugend
erzählen, von seinen Abenteuern in den Bergen, in den Urwäldern, in den
Höhlen
der Hohen Tatra und der bosnischen Karstgebirge. Green spricht, zu
Recht, von
einer nicht alltäglichen, einer "mystical love of landscape", einer
mystischen Einfühlung in die Schöpfungen der Natur (88). Das
selbe gilt für Gräser. Beide sind schlechte Schüler, weil ihnen
der Wald
mehr sagt als das Buch, die lebendige Gegenwart
mehr als die
Geschichte, die Erde mehr als der „Himmel“. Laban entwarf schon
früh ein
großes Reigenwerk mit Gesängen, das er 'Die Erde' nannte. Es
gibt freilich auch Trennendes. Laban war der Sohn eines Feldmarschalls
und
Militärgouverneurs von Bosnien, der für seine Verdienste in den
Adelsstand
erhoben wurde. Seit seinem achtzehnten Lebensjahr konnte er sich Rudolf
Laban
von Varalya nennen. Als Kind schon war ihm ein persönlicher Diener
zugeordnet.
Aristokratische Verhältnisse, während Gräsers Eltern ihren Töchtern
keine
höhere Schulbildung bieten konnten; dazu reichte das Geld nicht. Das unterscheidet ihn (Laban) von Groß und Gräser. Laban machte sich nicht zu einem Mann des Volkes, wie Gräser, oder zu einem revolutionären Verschwörer, wie Groß. Er lehnte es ab, sich politisch zu engagieren, sei es auch nur in dem dichterischen Sinn, wie Gräser politisch war. Er hielt sich (so gut er konnte) an die Boulevards der Zeitgeschichte, verwandte seine vielfältigen Talente und Energien (in der Kunst, in den Wissenschaften, im Geschäftsleben und im Umgang mit Menschen) dazu, sich eine privilegierte Ausnahme-stellung zu verschaffen. Er war ein ernsthafter Mensch, aber verglichen mit den beiden andern [Gräser und Groß] hatte er etwas von einem Dilettanten und Theatermenschen an sich - er gehörte mehr zum alten Wien. (Green 85) Je
tiefer einer fällt (oder sich fallen läßt), desto höher kann er
steigen. Je
höher einer steigt, desto tiefer kann er fallen. Gräser war einer, der
sich
fallen ließ - in immer tiefere Tiefen, in die Namenlosigkeit des
Mythischen und
Legendären. Laban erkletterte, nach mühevollen und kargen Anfängen,
einen
steilen beruflichen Aufstieg, errang sich einen glänzenden Namen, und
wurde auf
der Höhe seiner Laufbahn von harten Schicksalsschlägen getroffen. Als
Don Juan
- seine Paraderolle auf den Brettern wie im Leben - stürzte er
rückwärts von
der Bühne und verletzte sich schwer; seine Tanzkarriere war damit
beendet. Als
Großspielleiter der Olympischen Spiele, Herrscher über 10.000
Laientänzer,
wurde er von Goebbels gestürzt und mußte sich ins Ausland flüchten; als
alter
Mann, zwei Jahre vor seinem Tod, mußte er erleben, daß sein kaum
gekannter Sohn
aus der Verbindung mit Suzanne Perrottet sich das Leben nahm. Rudolf
von Laban und Varalya studierte Architektur und Malerei in Wien, kam
1904 nach
München und könnte Gräser schon damals kennen gelernt haben. Mit
Sicherheit
sind sie sich, nachdem Laban aus Frankreich zurückgekehrt war, zwischen
1907
und 1911 in München begegnet. Als Maler, als Tänzer, als Landsleute,
als
Angehörige der Bohème konnten sie sich in dem kleinen Schwabing gar
nicht
verfehlen. Zumal Gräser immer auf Menschen zuging,
gern Unbekannte auf der Straße ansprach. Laban, einerseits angezogen
von den
Verlockungen der Großstadt, war im tiefsten Innern seit längerem
zugleich
abgestoßen von der eisigen Kälte der "Königin der Nacht", vom
falschen Schein ihrer glänzenden Maskerade. Das wilde Abenteuerleben in
den bosnischen
Bergen hatte seine Jugend geprägt; jetzt mußte er als Nachtclubtänzer
und
Karnevals-Entertainer unter oft kümmerlichen und demütigenden Umständen
sich
durchschlagen. Das Lockbild Ascona, in Schwabing allenthalben
verbreitet und
von Gräser in überzeugender Weise vorgestellt, erinnerte ihn an seine
wilde
Jugend, an die Freiheit der Berge und Wälder Transsylvaniens, Bosniens,
Montenegros. Würden sie sich vereinen lassen, seine beiden großen
Leidenschaften, - die Liebe zur Kunst, die Liebe zur Natur (und, nicht
zu
vergessen, die Liebe zur Liebe!) - in dem einen
Wort und Zeichen: Monte Verità? Sein
Umzug nach Ascona hatte jedes Argument für sich. Es gab dazu in Europa
keine
bessere Alternative. Nur der Hügel im urwüchsigen Tessin, der die
Wildheit und
Kühnheit der Landschaft einbrachte in eine ebenso kühne
gesellschaftliche
Revolte, konnte jene Synthese von Natur und Kultur ihm bieten, von der
er
träumte. Als
er 1913 auf den Berg zieht, ist Gusto Gräser nicht da, wohl aber dessen
Bruder
Karl. In unmittelbarem Anschluß an Labans Tanzplatz, seine Unterkunft,
die ihm
zur Verfügung stehenden Lufthütten, liegt das Gräsersche Anwesen in
einer Mulde
zu Füßen der Hügelkuppe. Wer
oben tanzt, sieht erst die
Gräser-Häuser in ihrem weitläufigen Garten und dann erst den See. Wer
Bedürfnislosigkeit,
Selbstarbeit und Selbstversorgung anstrebt, der hat ein
hartes Beispiel vor Augen. Man hilft sich
aus, der Gräserfreund Hans Brandenburg, Mitarbeiter von Laban, ist ein
Bindeglied. Er besorgt sich seine Bettwäsche aus der Werkstatt von Karl
Gräser:
Leinenbezüge, deren Knöpfe aus Pfirsichkernen bestehen. Im
September 1916 kommt auch Gusto aus Siebenbürgen, Labans zweiter
Heimat, nach
Ascona zurück. Gefängnisse und Irrenanstalten hatten den
Kriegsdienst-verweigerer
nicht beugen und nicht zerbrechen können. Auch Laban hatte es
vorgezogen, nicht
nach Österreich zurückzukehren, es gelüstete ihn nicht nach dem
Soldatenrock,
dem "Ehrenrock" seines Vaters. Beide wenden dem Krieg und seinen
Betreibern den Rücken zu; man ist sich in mehr als einer Hinsicht
einig. (Auch
Laban lebt in dieser Zeit als Vegetarier; er läßt sich einen
"Perserbart" wachsen.) Daß es zu einem näheren Anschluß, gar zu einer
Freundschaft zwischen den beiden gekommen wäre, darüber ist nichts
bekannt.
Ihre Lebenssphären waren zu verschieden. Oben auf dem Hügel, in einer
renommierten Naturheilanstalt, residierte der Aristokrat, der Künstler,
umgeben
von einem Schwarm von Frauen, ungesichert gewiß, aber doch eingewoben
in ein
psychosoziales Netz, das jeden Artisten auch am Rande der Gesellschaft
noch
über dem Abgrund hält. Gräser unten, der "wilde Mann" - das war die
Anderwelt, so nah und fern wie die Natur selber: Abenteuerland, Urwald,
Wildland - kein Raum zu leben für den Bürger. Ein nächtiger Brunnen,
aus dem
die Phantasie ihre Bilder schöpft. Die dunkle Gegenwelt zum hellen Raum
der
etablierten Kultur. Eine Traumgestalt wie Rübezahl und Robinson. Es
ist dieses Traumbild, das hinter den Tänzen der Wigman steht. Sie
gleicht ihm
eher, diesem Waldgeist, Berggeist, in ihrem herben Ernst, ihrer
Strenge, ihrer
faustischen Unbedingtheit. Die Wigman stellt die Verbindung her
zwischen Oben
und Unten auf dem Berg, sie geht im Hause Gräser aus und ein; sie ist
zugleich
die Meisterschülerin von Laban, den sie langsam überwächst. Durch sie
mag
manches von unten nach oben gedrungen sein und umgekehrt, nicht nur Gesprächsthemen
wie
Nietzsche, Goethe, Whitman, Laotse. Aber doch vor allem Laotse und
seine
tiefsinnig-warme Weisheit: mütterliches
Gegenbild zum kalten Glanz der "Königin der Nacht". Gräser
war damals mit seiner Nachdichtung des Tao Te King beschäftigt. Bereits
in
Stuttgart 1913/15 hatte er Gedichte daraus vorgetragen. Er wird auch in
Ascona
nicht stumm geblieben sein. Jedenfalls hören wir, daß Hans Arp, der
Bildhauer
und Dichter, der auf dem Berg sich angesiedelt hat, Laotse und Böhme
liest.
Auch mit Theosophie und Zen-Buddhismus ist er vertraut. Mit seiner
Gefährtin
Sophie Täuber, einer Schülerin von Laban, hat er einen Garten angelegt,
baut
Gemüse an. "Sophie und er waren vorübergehend Vegetarier und
sympathisieren mit der utopischen Gemeinde des Monte Verità", weiß der
Sohn des Malers Segal zu berichten. (Arp-Katalog 286) Wie
sollten da nicht geistige Ströme geflossen sein, Gesprächsströme,
zwischen dem
Nietzsche-Laotse-Thoreau-Verehrer Gräser und den Dada-Künstlern auf dem
Berg?
Für die Dadaisten war Ascona ein Ort der Besinnung, der konstruktiven
Arbeit
nach den eher zerstörerischen Exzessen im Cabaret Voltaire. "Im selben Jahr 1917 wandte ich mich vom Problem der Symmetrie bei Holzschnitten und Stickereien ab", schreibt Arp. "In Ascona malte ich mit chinesischer Tusche zerbrochene Zweige, Wurzeln, Gräser und Steine, die der See ans Ufer geworfen hatte. Schließlich vereinfachte ich diese Formen und vereinte ihr Wesentliches zu fließenden Ovalen ... Es war der Anfang einer langen Reihe ... " (Jane Hancock: Arp-Katalog 73) In
Ascona fand Arp zu einem neuen, seinem eigenen Stil. Wurzeln und
Steine, Gräser
und Laotse. "dada ist für die natur und gegen die kunst", schrieb Arp
und sprach damit zugleich für Laban und
Gräser, für den Monte Verità überhaupt
(ebd.). Arp und andere gaben dada eine Deutung, die denkbar weit
entfernt liegt
von dem, was gemeinhin unter dada verstanden wird. Es ist die
Naturseite, die
asconesische Seite von Dada - und auch aus ihr wuchs Kunst, große
Kunst. Mit
seinen fließenden organischen Formen "ehrte Arp die Welt der Natur, die
er
als zuinnerst gesund und ethisch ansah, im Gegensatz zum
zerstörerischen, bösen
Verhalten des Menschen". (Jane
Hancock in Kat. 74) Mit
seinen kultischen Tanzspielen auf Monte Verità ehrte auch Laban die
Welt der
Natur: Erde und Sonne, Feuer und Wind. In seiner nachfolgenden
Karriere, die
ihn an die Spitze der Deutschen Tanzbühne trug und zum führenden
Tanzgestalter
in Deutschland machte, hat Laban versucht, einen Hauch der von Kunst
und Natur
gleichermaßen genährten Bergluft in die Städte zu tragen. Als
er in den Zwanziger- und Dreißigerjahren in Berlin auf der Höhe seines
Ruhms
und seines Wirkens stand, könnte ihm gelegentlich der Mann begegnet
sein, der
wie ein basso continuo im Hintergrund seine hellere Melodie begleitet
und
kontrastiert hat, der (einstige) Tänzer im nächtlichen Wald dem Tänzer
auf
strahlender Bühne. Sollen
wir sagen, Gräser saß im dunklen
Orchestergraben?
Sollen wir sagen, er saß als raunender Souffleur im Kasten, unbemerkt
und
ungeachtet? Soviel dürfte richtig sein an diesen Bildern, daß der halbe
Landsmann aus Siebenbürgen ein stiller Mitwirkender war in der Schau
dieses
Lebens. Gemeinsame Herkunft, gemeinsame Neigungen und Abneigungen
hatten beide
zu nah verwandtem Denken geführt. Folgen wir noch einmal Green in
seinen
Vergleichen: In Labans
Ethik für eine moderne,
nach-christliche Kultur finden wir die selben
(asconesischen) Akzente wie in der von Gräser. Ihre Vorstellungen von
Religion
waren die selben. Man braucht nur ein paar
Seiten aus
Labans 'Des Kindes Gymnastik und Tanz' von 1926 zu zitieren. Er sagt
da:
"Der Wille und Wunsch, unsere Instinkte und Kräfte zu entwickeln,
gehört
zu unserem religiösen Bemühen." Für uns, die Nachkriegsgeneration, sind
unsere natürlichen Triebe zugleich unsre Tugenden. (Jedoch nicht alle
Triebe;
wie Gräser ist auch Laban unverdächtig irgendeiner Sympathie für die
Großsche
"polymorphe Perversität".) Heute, sagt er, verstehen wir unter einem
guten Menschen einen solchen, der für die Kräfte seines Körpers den
natürlichen
Ausdruck findet. Und deshalb vollenden sich heute Religion und Kunst im
Tanz.
(Gräser war natürlich auch ein Tänzer.) Aber zu viele Menschen beginnen
immer
noch das Leben nicht als Kinder sondern als Greise, mit stockendem Blut
und
kranken Nerven. All das sind zentrale Positionen der Ethik von Ascona. |
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