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Anton Losert Neben dem Maler Karl Wilhelm Diefenbach hatte der Berufsschullehrer und ehemals sozialdemokratische Wanderredner Anton Losert entscheidenden Einfluss auf den Weg von Gusto Gräser. Die beiden lernten sich im Herbst 1898 in Diefenbachs Himmelhof-Gemeinschaft kennen. Die urchristlich-radikalen Anschauungen von Losert, der dem ‚Bruderbund’ von Johannes Guttzeit angehörte, wirkte offenbar stark auf den bereits zu Diefenbach in Opposition stehenden Siebenbürger. Zusammen rebellierten sie gegen den autoritären Führungsstil ihres Meisters und schieden im Streit aus seiner Gemeinschaft. Gräser hat während seiner ersten Wanderschaft im Sommer 1899 seinen Freund Losert in Eppan bei Meran besucht. Über spätere Verbindungen ist nichts bekannt.
Schubkraft der Utopien, Schwerkraft der Verhältnisse Der Salzburger landwirtschaftliche Wanderlehrer Anton Losert zwischen Urchristentum, Sozialdemokratie und Anarchismus Auszüge aus dem Aufsatz von Hanns Haas Die Sozialdemokratie hat Anfang der 1890er Jahre „einen bemerkenswerten und vielversprechenden Fang gemacht“: den Salzburger landwirtschaftlichen Wanderlehrer Anton Losert, der seine Lehrtätigkeit landauf landab zu sozialdemokratischer Aufklärungsarbeit benützte, dafür aber ordentlich „geschurigelt“ wurde – so berichtet der sozialdemokratische Parteiführer Victor Adler an Friedrich Engels. Die Sache machte ziemliches Aufsehen. Losert war vom Landesausschuss bestellter Wanderlehrer und zugleich Sekretär der k.k. Landwirtschafts-Gesellschaft. Er hatte seit 1889 die Bauern über bessere Anbaumethoden, Alpwirtschaft und Bodenqualitäten unterrichtet, als er im Sommer 1890 die gesellschaftlichen Wurzeln des Bauernelends erkannte. … (29) Er ging aufs Ganze und überraschte im Sommer 1890 die lokale Öffentlichkeit mit einer kleinen Broschüre ‚Grundherr oder Bauer?’, die die Verstaatlichung von Grund und Boden und die Verpachtung der Staatsländereien an den Höchstbietenden propagierte. … Losert entnahm die Idee einer Verstaatlichung von Grund und Boden den Werken des amerikanischen Nationalökonomen Henry George. Dessen Bücher ‚Progress and Poverty’ und ‚Social Problems’ erschienen in den 1880er und 1890er Jahren in mehreren amerikanischen und deutschen Ausgaben und erreichten ein breites Publikum. Sie führten das soziale Elend auf eine einzige Ursache – das Privateigentum – zurück, ohne allerdings eine politische Bewegung zur Änderung der Eigentumsordnung vorzuschlagen. Eine weitere geistige Bezugsquelle Loserts war die christliche Überlieferung. Losert war zwar antiklerikal, aber nicht Atheist. Aus der Vielfalt der Religionen stand ihm die ererbte christliche immer noch am nächsten, freilich ein Urchristentum, welches angeblich schon vor vielen Jahrhunderten mustergültig die Idee der Gleichheit verwirklicht hatte. Christus selbst galt ihm daher als „der erste große Sozialreformer“, und die ganze Apostelgeschichte als „der echte, unverfälschte Sozialismus“. Loserts Kapitalismuskritik auf christlicher Grundlage lebte von häufigen Anleihen bei zeitgenössischen christlich-sozialen Schrift-stellern und Theoretikern, vor allem bei Prinz Liechtenstein und Pater Kolb. … Losert ging jedoch einen Schritt weiter als die katholische Sozialreform, die zwar staatlichen Arbeiterschutz bei Krankheit, Invalidität und Alter forderte, jedoch die Eigentumsordnung nicht berührte. Dagegen sah Losert das Gemeineigentum durch die Bibel sanktioniert - ein reizvolles Thema seiner Auseinandersetzungen mit den Salzburger Ablegern der katholischen Sozialreform, die ihrerseits „die Religion als Schutzwehr“ gegen die erstarkende Sozialdemokratie ins Treffen führten. Losert eroberte der Sozialdemokratie einen Stützpunkt nach dem anderen, und überall wo er im flachen Land und im Gebirge auftauchte, mobilisierte der Pfarrer in trauter Eintracht mit Bürgermeister und Lehrer die „katholische Mehrheit“ gegen die angeblich gottlose Sozialdemokratie. Der sozialdemokratische Verein ‚Zukunft’ fand häufig verschlossene Wirtshaussäle – weil der Pfarrer den Wirt unter Druck setzte. … (30) Losert selbst kam durch sein Bekenntnis zu einer radikalen Sozialreform um Amt und Würden. Er musste auf Druck von oben aus dem sozialdemokratischen Verein ‚Zukunft’ unverzüglich austreten. Sein schriftlich eingebrachtes Lehrprogramm für die Bauern wurde nicht genehmigt, weil er wieder einmal den „Kapitalismus“ als die Ursache der bäuerlichen Not und „die Vereinigung der Grundbesitzer zum genossenschaftlichen Betriebe der Gutswirtschaft“ als letzte Hilfe bezeichnete – nach Meinung der Landesregierung eine Aufforderung zum „Hass gegen die Ansammlung von Gütern in einer Hand“. Losert durfte sich nur noch mit Fragen von Technik und Produktion befassen, seine Vorträge wurden von den Bezirkshauptmannschaften überwacht. Die Berichte über bedenkliche Äußerungen Loserts häuften sich. Nichts schien ihm heilig, nicht einmal das heikle Thema Krieg und Frieden. Der Krieg galt ihm „nur als Produkt der Mächtigen,. Die Völker wollen sich nicht bekriegen, nur Ländergier, Herrschsucht und Hochmut einzelner rufen denselben hervor und belasten durch die ungeheuren Rüstungen das Volk“. Schließlich griff sogar der Ackerbauminister in die Auseinandersetzungen ein. Er sperrte die Subventionen für die Landwirtschaftsgesellschaft, solange Losert angestellt sei. Losert wurde mit Jahresende 1892 als landwirtschaftlicher Wanderlehrer entlassen – er wurde nun „sozialdemokratischer Wanderlehrer“. Sein Leidensweg war damit noch nicht zu Ende. Seine Aufenthaltsgemeinde Aigen verdonnerte ihn zu einer Geldstrafe, weil er im Konkubinat lebte. Losert konnte sich jetzt offen zur Sozialdemokratie bekennen. In der Salzburger Bewegung gaben drei ganz unterschiedliche Aktivisten den Ton an: Egger, Prähauser und eben Losert. … (31) Anton Losert schließlich, der dritte im Bunde, hatte noch kurze Zeit zuvor Kontakte weder zur Arbeiterbewegung noch zur Arbeiterschaft gehabt. Der bürgerliche Intellektuelle suchte die Freiheit durch eine politische Radikalkur und stolperte dabei über die Sozialdemokratie. Er war ein glänzender Redner und Organisator, er kannte das Land aus seiner Berufstätigkeit, und er war schließlich arbeitslos. Losert hat der Salzburger Sozialdemokratie in wenigen Monaten neue Räume und soziale Felder erobert, das gebirgige Land und die Bergarbeiter, zuletzt sogar Eisenbahner … Der Verein ‚Zukunft’ wurde unter Mitwirkung Loserts zum „fliegenden Corps“ der Salzburger Arbeiterbewegung. … (32) Er betrieb gewissermaßen Grundschulung für eine bessere Welt. An der Sozialdemokratie faszinierte ihn nur die eine Seite, die Abkehr von der herrschenden Eigentumsordnung. Keine Versammlung des Vereins ‚Zukunft’ ohne die mehr oder weniger einstimmige Resolution zur Abschaffung des „Privateigentums an den Produktionsmitteln“ – nicht durch revolutionäre Gewalt, sondern ganz legal durch „Revision des bürgerlichen Gesetzbuches“. … Die Gewerkschaften sollten endlich ihre „Reformelei“ aufgeben, der Kampf um den „Achtstundentag“ und das allgemeine Wahlrecht verschwende lediglich die revolutionäre Energie. Schließlich sollte die Bewegung überhaupt „aus dem engeren Gesichtskreis der Arbeiterforderungen heraustreten und zur Vereinigung mit den sozialistisch gesinnten Elementen aller Klassen, aller Stände, zur Erreichung des einen großen Zieles: der Reform des bürgerlichen Rechts“ gelangen. Das war Loserts Abschied von der Sozialdemokratie. Er landete am Rande der Arbeiterbewegung. Jetzt formulierte er eigene politische Ziele, unter dem Einfluss zeitgenössischer Sozialutopien, zum Beispiel Theodor Hertzkas erträumtem weißen kommunistischen „Freiland“ in Schwarzafrika. … (33) Loserts Stern in der Salzburger Arbeiterschaft erlosch also schon nach kurzem, blendendem Leuchten. … Von den Führungskadern folgte lediglich Egger dem Auszug Loserts aus der Sozialdemokratie. Die beiden fanden vorübergehend bei den ‚Unabhängigen’ eine politische Heimat. Losert hat offenbar bis gegen Jahresende 1893 weiter an der ‚Allgemeinen Zeitung’ mitgearbeitet. Das Blatt geriet jetzt in den Bannkreis des antiautoritären Sozialismus. An die Stelle der straffen, angeblich entmündigenden sozialdemo-kratischen Partei trat die „freie Initiative der Individuen“ auf der Basis von Selbstbildung, Vernunft und Selbstbestimmung. In ferner sozialistischer Zukunft aber wartete eine Welt ohne Ausbeutung, nicht durch das Kapital, noch durch einen „Staatsozialismus“. … Losert gründete im Jänner 1894 den ‚Verein für Sozialreform’ und die Zeitschrift ‚Blätter für Sozialreform’. Die sehnlich erhoffte Revision des bürgerlichen Gesetzbuches wurde jetzt zum Gegenstand untertäniger Bitten an den Salzburger Gemeinderat und den Reichsrat. Der Verein hat 1897 seine Tätigkeit de facto eingestellt. Dann verliert sich Loserts Salzburger Spur. (34) Aus dem Aufsatz
von Hanns Haas : Der
Salzburger
landwirtschaftliche Wanderlehrer Anton Losert zwischen Urchristentum,
Sozialdemokratie und Anarchismus, in Die Roten am Land.
Arbeitsleben und Arbeiterbewegung im westlichen Österreich.
Steyr 1989, S. 29-34
Soweit, in Auszügen, der Aufsatz von Hanns Haas. Loserts Spur verliert sich in Salzburg und taucht wieder auf in Wien. Schon im Mai 1895 nimmt Losert Kontakt auf zu Diefenbach. Er schickt ihm die Nr. 21 seiner ‚Blätter für Sozialreform’ und erhält dafür dessen soeben erschienenes Buch ‚Beitrag zur Geschichte der zeitgenössischen Kunstpflege’. Zunächst aber nimmt er Verbindung auf zu Johannes Guttzeit und dessen ‚Bruderbund’. Diese Vereinigung stand unter dem vegetarisch-pazifistischen Motto „Apfel bricht das Schwert“. Die Mitglieder sprachen sich als „Bruder“ und „Schwester“ an und vermieden alle patriarchal-autoritären Riten wie etwa die Anrede mit „Herr“ und „Sie“. Eine ganze Familie aus diesem Bund, nämlich Guttzeits Schwester Elisabeth mit ihrem Lebensgefährten Wilhelm Walther samt dessen Frau und Kindern, schließt sich im August 1898 Diefenbachs HUMANITAS-Gemeinschaft auf dem Himmelhof an. Auf Walthers begeisterte Berichte hin kommt am 27. August auch Losert selbst auf den Himmelhof. Nachdem er sich politisch völlig isoliert hatte, sein ‚Verein für Sozialreform’ gescheitert war und seine ‚Blätter für Sozialreform’ ohne dauerndes Echo blieben, lag für den einsam Gewordenen nichts näher als sich denen anzuschließen, die ähnliche Ideen wie er selbst vertraten und dazuhin sich eigene Gemeinschaften geschaffen hatten: Guttzeit und Diefenbach. Zu dem Zeitpunkt, als Losert auf dem Himmelhof als neuer Jünger eintrat, war Gräser schon zum Absprung entschlossen. Er muss es als Glücksfall empfunden haben, dass eben jetzt ein Kampfgenosse zu ihm stieß. Der “urchristliche“ Radikalismus und antiautoritäre Sozialismus Loserts – das waren genau die Lösungswege, die ihm unbewusst vorschwebten. Dieser Neuankömmling gab zu seiner Kritik an Diefenbach eine positive Alternative. Verzicht auf Eigentum, auf Besitz, auf Geld, Gemeinwirtschaft unter Brüdern wie in der christlichen Urgemeinde – das war die Lösung. Es konnte nicht ausbleiben, dass auch Losert sehr schnell von seinem neuen Meister enttäuscht war. Die Frondeure – Losert, Gräser, Walther – schlossen sich zusammen, bildeten zunächst eine innerbetriebliche Opposition, vielleicht noch in der Hoffnung, den Kurs des Humanitas-Schiffes umsteuern zu können. Auf einer photographischen Aufnahme sieht man die drei dicht beieinander vorn an der Deichsel von Diefenbachs Rollwagen stehen – in deutlichem Abstand von der Mehrheit der Andern. Gusto hält seine rechte Hand über die Augen, wie Ausschau haltend nach neuen Ufern. Wohin diese Ausfahrt führen würde, das war in einer Flugschrift Loserts vorgezeichnet, die in diesen Wochen entstand: "Ihr sollt weder Gold, noch Silber, noch Geld in eurem Gürtel haben, auch keine Tasche auf dem Weg, noch zwei Röcke, noch Schuhe, noch Stab; denn der Arbeiter ist seiner Nahrung wert." "Gehet hin und prediget das Himmelreich" … Immer und immer, mit tausend Stimmen, soll es hinausgerufen werden in alle Welt: "Erwerb" ist Kain, Erwerb ist Sünde; wir - Arbeiter im Sinne Jesu - sind berufen, "Meister des Nichtstuns" im Sinne des "Erwerbens" zu sein. Erwerb ist Erbsünde. Das "Geld" aber - die goldenen Eierlein, die der Erwerb, die gierig scharrende höllische Henne, legt - ist das teuflische Mittel der - Gottentfremdung. Es muss eine regelrechte Revolte im Hause Diefenbachs gegeben haben, eine Revolte der „Urchristen“ gegen ihren an den Gelderwerb gefesselten und damit den Gesetzen der Gesellschaft versklavten Meister. In unverblümten Worten erklärt Gräser am 5. September 1898 gegenüber Diefenbach seinen Austritt aus der Gemeinschaft: Ich erkannte die Schwäche des Geistes, welcher mich mit solcher Kraft angezogen hatte, in der Wirkung, welche er verursachte auf einen rein, wenn auch wenig bewusst empfindenden Geist, der mir ward durch Gott, meinen ewigen Meister, den ich immer als letzten befrage. Der mir Offenheit gebietet, gebietet, dass ich nur dort, wo ich offen sein kann, sein darf. Ich gehöre dahin, wo die Wahrheit waltet. Am 12. September wird die ganze Gruppe – Gusto Gräser, Anton Losert, Wilhelm Walther, Elisabeth Guttzeit, Ida Walther mit ihren beiden Kindern, insgesamt sieben Personen – von Diefenbach ausgeschlossen. Losert war nur gut vierzehn Tage Mitglied der Gemeinschaft gewesen. Die Gruppe zerstreute sich in verschiedene Richtungen. Gräser ging nach Siebenbürgen zurück, Losert erwarb in Südtirol in der Nähe von Meran ein Haus mit Garten. Nachdem Gusto im folgenden Jahr seine Wanderschaft angetreten hatte, in Triest von Diefenbach abgewiesen worden war, besuchte er Losert in St. Peter bei Eppan in Tirol. Wiederum hatte er Gelegenheit, bei seinem länger-dauernden Aufenthalt, die Vorstellungen des Sozialreformers kennen zu lernen. Dass auch seine Mutter wenige Jahre später diesen Gesinnungsgenossen aufsuchte, zeigt, dass die freundschaftliche Verbindung über längere Zeit erhalten blieb. Über die weiteren Schicksale Loserts ist nur soviel bekannt, dass er sich mit Guttzeit, der einige Monate bei ihm wohnte, überwarf. Klar zu erkennen ist dagegen seine Wirkung auf Gusto und Karl Gräser. Dass die Brüder Privatbesitz von Grund und Boden und selbst Geldbesitz ablehnten, dass sie eine brüderliche Gemeinwirtschaft anstrebten und die bürgerliche Rechtsordnung verwarfen, dass sie außerdem die normierte gesellschaftliche Sklavensprache vermieden – all dies geht sicher hauptsächlich auf den Einfluss Loserts zurück. Mehr noch als die Kommune des Kunstmenschen Diefenbach waren die reformerischen Vorstellungen des einstigen Sozialdemokraten Losert grundlegend für die Gräsersche Konzeption der Siedlung Monte Verità. In Ascona suchten die Brüder jene
vier
Sternbilder zu einer Einheit zu verschmelzen und auf festen Boden zu
stellen, die ihrem Weg bis dahin vorgeleuchtet hatten: Diefenbachs
naturfromme ‚Werkstätte für Religion, Kunst und
Wissenschaft’, Guttzeits urchristlichen ‚Bruderbund’, Hertzkas
Vision vom ‚Freiland’ und Fouriers Utopie einer neuen
Gesellschaftsordnung unter dem Namen ‚Harmonie.’ Eine dogmenfreie
naturmystische Religiosität gab all diesen Vorstellungen den
tragenden Grund und das einigende Band. |
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