Friedrich
Muck-Lamberty Auszüge
aus
der Darstellung von Detlef Belau
"Erschüttert
vom Kriege, verzweifelt durch Not und Hunger, tief
enttäuscht durch die anscheinende Nutzlosigkeit all der
geleisteten Opfer an Blut und Gut, war unser Volk damals
manchen Hirngespinsten, aber auch manchen echten
Erhebungen der Seele zugänglich, es gab bachhantische
Tanzgemeinden und wiedertäuferische Kampfgruppen, es gab
dies und jenes, was nach dem Jenseits und nach dem Wunder
hinzuweisen schien ...." Hermann
Hesse: Morgenlandfahrt. Erstausgabe 1932, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt 1982, Seite 13 Der
Zug der Neuen
Schar durch Thüringen - Ascona
(2008) Sein
Weg kreuzt der Dichter, Kriegsdienstverweigerer und
Naturprophet Gusto Gräser (1879-1958), der aus Brasov
(Kronstadt) in Siebenbürgen stammt und 1900 die
Liebes-Kommune auf dem Monte Verità (Berg der Wahrheit)
bei Ascona mitgründet. Zu den bekanntesten Bewohnern
gehörte der Schriftsteller Hermann Hesse (1887-1962). Einfachheit, Naturnähe und ein Leben in Symbiose mit dem Wald sehnen die Weltverbesserer herbei. Das trifft sich mit der Lebensmaxime von Muck-Lamberty. Giovanni Pico della Mirandola formulierte sie 1486 in Über die Würde des Menschen mit den Worten:
"Ich
bin geboren worden unter der Bedingung, Ein
schwieriges Unterfangen, wenn man mit vierzehn Jahren aus
dem Elternhaus geht, den Beruf autodidaktisch erlernt und
in einer Zeit tiefer gesellschaftlicher Krisen seinen Weg
finden muss. ML schafft es! Dabei lebt er manche
Unvollkommenheit, wie seine Verteidigerin Gertrud
Prellwitz es 1920 ausspricht. Gusto Gräser findet 1907 nach Esslingen und lernt Willo Rall kennen. Um ihn bildet sich der Freundeskreis der Esslinger Sieben (vgl. Hermann Müller 2009), zu dem der 16-jährige Friedrich Muck-Lamberty gehört, der in einem in Stuttgarter Reformhaus angestellt war. Mit Achtzehn soll er die Leitung einer Filiale in Brno (Brünn) übernommen haben. Vom
11. bis 13. Oktober 1913 treffen sich
4 000 Reformbegeisterte zum Ersten
Freideutschen
Jugendtag auf dem Hohen Meißner bei Kassel mit
dem Soziologen Max Weber, dem Verleger Eugen Diederichs
aus Jena und Gustav Wyneken. Die Vertreter aus den
unterschiedlichsten Bünden reden und diskutieren über
Pazifismus, Frauenstimmrecht, Tierschutz, vegetarische
Bewegung und alternative Projekte. - Friedrich
Muck-Lamberty ist dabei. - Die Bedeutung des Treffens lag
in der Botschaft: Wir
wollen
unser Leben Zusammen
mit Hans Paasche (1881-1920) gründet Muck bei diesem
Jugendtreffen den Freundeskreis Gusto Gräser. - Der
Wortführer der Lebensreformbewegung erfährt übrigens ein
fürchterliches Ende. Mitglieder eines Freikorps
erschießen ihn am 21. Mai 1920 vor den Augen seiner
Kinder auf dem eigenen Grundstück beim Fischen. Kurt
Tucholsky hält an seinem Grab eine bewegende Rede.
[Gerhart Hauptmann setzt ihm in seinem Epos ‚Till Eulenspiegel’
ein dichterisches Denkmal. – H.M.] … Krieg
und Revolutionszeit Wie Max Schulze-Sölde (1887-1967) oder Ludwig Christian Haeusser (1881-1927) greift Muck-Lamberty die Verunsicherungen und Ängste des Kleinbürgertums sowie des Mittelstandes auf. Er therapiert sie mit Fröhlichkeit, Naturverbundenheit, kryptischer Religiosität und der Revolution der Seele. Letztere kommt im Gewand von Tanz, Spiel und Gesang daher. Eine fulminante Utopie. Muck begreift sich als Missionar. In der Erfurter Barfüßerkirche ruft er im August 1920 seinen Jüngern zu: "Wir sind
Vorläufer. Sollen wir sagen, in wessen Auftrag wir kommen,
so können wir nichts anders sagen, als: In Gottes Auftrag.
Wir fühlen uns berufen von Gottes Gnaden." (Ritzhaupt 12) Daraus schlussfolgert Pfarrer Ritzhaupt, dass auf Grund dieser "Abneigung gegen den Rationalismus", die Arbeiter-, Jugendbewegung und Neue Schar nicht zusammen finden können. Diese Frage wird uns noch weiter beschäftigen. Zunächst ist darauf zu achten, woran Hermann Müller in Monte Gioia (2001, 191 f.) erinnert: "Erhaltung der Naturdenkmäler, Belebung des Dorf- und Stadtbildes durch Erhaltung und Anpflanzung von Bäumen, Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenwelt von völliger Ausrottung und Schutz heimischer Gewässer vor der Verschmutzung" - eine Forderung der Grünen aus den Achtzigerjahren? Nein, es handelt sich um einen Aufruf des Gräserfreundes Muck-Lamberty vom Jahre 1919." Rondinella
rula
und vom Schwingen
der Seele Die Idee
zur Wanderung durch Thüringen entsteht sui generis mit den
Thesen zur Deutschen Volksgemeinschaft von 1918. Bildeten
diese den theoretischen Teil des Vorschnellens (Muck), so
folgt mit dem Zug der Schar durch Thüringen nun der
praktische Teil. Anregung gab dazu bereits 1913
Georg Stammler mit Worte
an
eine Schar. Sie verfasste er "vor allem zur Selbstbefreiung, weil die innere Einsamkeit, der Druck einer von Lärm und Erwerbsgier angefüllten, in ihrer Geistigkeit unkeusch und übergeschäftig gewordenen Zeit schwer" auf ihn lastete. Von Kronach aus zieht der lustige Haufen über Coburg, Sonneberg, Rudolstadt, Saalfeld, Kahla, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha nach Eisenach. Sein Credo lautet: "Wir sind
25 junge Handwerker, Arbeiter, Kaufleute, Lehrerinnen usw.
aus dem ganzen Lande, die nichts von dem gehässigen
Parteileben wissen wollen und zur Volksgemeinschaft
streben. - Kennzeichen: Blaues Fähnlein und Tuthorn
(Tuuuut)." (Ritzhaupt 7)
Sie verzichten auf Alkohol, wollen nicht Rauchen und ernähren sich vegetarisch. "Erhalte dich, faste, reinige dich, um deinen Geist zu stärken. Askese in allen Dingen des Lebens, um Kraft zu haben." (Linse 1983) Einfachheit,
Menschlichkeit, Natur- und Frohsinn sowie eine neue
Volksverbundenheit zeichnete die Neue Schar aus, schreibt
Erich Pätz (Rudolstadt) auf Grundlage eigener
Nachforschungen im Jahr 1990. Sie ließen ihren Beruf in
Stich, breiteten eine Zeltbahn aus und warfen alles
darauf, was sie an Geld und Habseligkeiten besaßen.
Gemeinschaftlich und in selbstgewählter Armut wollten sie
leben. (Vgl. Pätz 1990, 93) Sie begreifen sich im Kampf
der Jungen gegen
die Alten. "So
kommt es sicher," heißt es auf einem Handzettel der Neuen Schar, "daß die Jungen sich verbinden, gegen alles Morsche und Faule und gegen die Verderbtheit der heutigen Gesellschaft zu kämpfen, die Jugend, die über allen Parteien steht, um des Lebens willen." (Ritzhaupt 7) Selbst auf das Kirchengeschehen nehmen sie Einfluss. "Das möge hier festgehalten werden", konzediert ihnen Pfarrer Adam Ritzhaupt 1921: "Die Neue Schar hat ein Verdienst an der Entwicklung des gottesdienstlichen Kultur." (Ebenda 15) Ulrich
Linse bezeichnet ihren Anführer in seinem Buch Barfüßige
Propheten (1983) als Messias
von Thüringen. "Wo sie ankamen, erregten sie zunächst Lachen, Erstaunen, Entrüstung: die Männer mit langen Haaren, kurzen Hosen, Sandalen, bloßen Füßen; die Mädchen in leinenen Kitteln, ebenfalls barfüßig und barhäuptig." (Ebenda 7) Aber bald breitet sich eine jauchzende Stimmung und unbeschreibliche Begeisterung aus. Auf
ihren Wanderung schläft der Tross oft in Wäldern. Vor der
Nachtruhe lesen sie am Lagerfeuer Gedichte. Oder Gusto
Gräser spricht zu ihnen( vgl. Müller 2011,
187 f.). bedeutet nicht Wandern,
Schlendern, Zeitvertreib oder Vagabundieren.
Muck lehrt:
In
jenen Augusttagen gab es viele Blumen in der Stadt.
Bekannte Gärtnereien hatten sie in Überfülle geschickt,
erinnert sich Zeitzeuge Pfarrer Adam Ritzhaupt in
Die
Neue Schar in Thüringen (1921). "Am zweiten, am dritten Tag ist die ganze Stadt von einem Taumel erfasst." (Ritzhaupt 18, 8) "In den Schulhöfen, im katholischen Waisenhaus, in den protestantischen Jungfrauenverein, überall wird getanzt, wie die Neue Schar es gelehrt hat." (Ebenda 8) Dienstag, den 24. August: "Es ist nach 8 Uhr abends, - Andreasstrasse. -- Menschen strömen in Gruppen, zu zweien und einzeln in eine Richtung: Friedrich-Wilhelms-Platz! [Domplatz] - - Im Nachtdunkel sieht man dort zunächst nur schwarze Menschenmauern, zuweilen dringt ein Melodiestück eines Volkstanzes durch, hier leichtbeschwingt, dort getragen --- schwermütig. Überall auf dem weiten Platz reges Leben: Ein Fest der jungen Menschen in urwüchsiger Einfachheit. Die Alten stehen dabei und erwägen im Herzen, ob sie schon heute oder vielleicht erst morgen ..." Tausende bewegen sich nach der Regie von ML. Drei
Tage später, Freitagabend, stellt Muck in der
Barfüsserkirche sein Talent als Volksredner unter Beweis.
Die Kirche öffnet ihm die Tore, weil er die Bürger
erreicht, die sie bereits für sich verloren glaubte. "Ich
war es", schreibt Harry Schulze-Wilde (eigentlich Harry
Paul Schulze) am 1. Oktober 1971 an Werner Kindt, "der
Muck-Lamberty in die Kirchen brachte, das heisst, dass er
ab Weimar in den Kirchen "predigen" konnte: Weimar,
Erfurt, Gotha, Eisenach etc. Ich war es auch, der
durchsetzte, dass neben dem Luther-Lied Eine feste
Burg ... auch Marienlieder gesungen
wurden." "Bereits
eine Stunde vor dem Beginn des Vortrages von
Muck-Lamberty gleicht die Barfüsserstrasse einem
Schwamm, der im Aufsaugen seine Grenze hat.
Menschenklumpen ballen sich durch die enge Tür.
Sitzplätze sind nicht mehr zu haben. In den Gängen
enges Drängen. Ein freundliches Wort öffnet mir
junger Menschen feste Kette, die den Choraufgang
gegen die Menge abschliesst. Nun bin ich oben, darf
an der Brüstung stehen und schauen. Der weite Raum
ist schon übervoll und immer noch scheint der
Zustrom kein Ende. Einer von der Schar bittet,
zusammenzurücken. Hunderte finden noch ein
Plätzchen. Die
alten girlandengeschmückten Steinsäulen blicken
verwundert auf das Gewimmel zu ihren Füssen: einmütig
sitzt hier der Geheimrat neben dem Arbeiter, hockt dort
der Handwerker neben dem Akademiker. An der Chortreppe
erregter Stimmenwechsel. Man will den Organisten nicht
zu seiner Orgel lassen. Ein aufklärendes Wort gibt ihm
Raum. Drunten flammen inzwischen die Kerzen der
kranzumwundenen Leuchter auf; Schirme und Stockrücken
bringen die Gaslampen bis auf wenige zum Verlöschen.
Feierliches Halbdunkel. Matt winkt der Goldgrund des
Hochaltars zum Chor herüber, von dem jetzt ein
Orgelvorspiel das trutzige "Eine feste Burg …".
Nun ein Gesang jugendfroher Stimmen von Geigen und Orgel
zart begleitet. Dann Stille … Utz, der Quartiermacher
der Schar, begrüsst die Festgemeinde. "Am liebsten
möchten wir zu jedem einzelnen erst hingehen und ihm die
Hand drücken…." Gleich darauf betritt ein anderer der
Schar das lichter- und blumenumstandene Rednerpult. Ein
Raunen und Flüstern durchsummt die Masse: Muck-Lamberty.
Kaum hat er begonnen, tragen vom Kircheneingange her
wilde Rufe Wellen der Aufregung in die Versammlung. Die
Menge derer, die keinen Einlass mehr gefunden haben, hat
scheinbar das Tor gesprengt. Allmählich tritt wieder
Ruhe ein. Muck spricht weiter. Ja, das ist aber kein
Vortrag, das ist Herzenszwiesprache, die er hält, das
ist Erlebnis. Das spüren wohl auch zwei Jünglinge vom
Deutschnationalen Jugendbund, die unten vorher einer dem
anderen erklärt hatten, sich durch keine
Stimmungsmacherei einfangen zu lassen. Als Muck nämlich,
von den Schicksalen der neuen
Schar Lotterleben
der meisten Studentenverbindungen in Jena zu sprechen
kommt, sehen sie sich ganz verstört an - ich kann`s von
oben beobachten - und verlassen gleich darauf die
Kirche. Hoffentlich fruchtet es bei denen! Von dem, was
Lamberty an diesem Abend sagt, kann ich nur einiges
Herausgreifen, es ist sicher schier zu viel. Trefflich
kennzeichnet dies der vertrauensselige Ausspruch eines
alten Mütterchens nach Schluss: Wer
den Kram gleich gefasst hat, für den wäre die Hälfte
genug gewesen! O sei mir nicht böse, du
liebes altes Mütterchen, dass ich dein Geheimnis
preisgebe, Zeitungsmenschen sind in dieser Hinsicht
undankbar. - Muck-Lamberty spricht vom neuen jungen
Menschen, der aus der aufsteigenden Sehnsucht von Mann
und Weib herausgeboren werden muss, von der Jugend, der
man erst Zeit lassen soll, Mensch zu werden, bevor sie
sich für Parteien entscheidet, und von der Meisterschaft
der Arbeit: Im Erzgebirge gebe es hundert Meister, die
nichts weiter könnten, als immer die gleichen Sofabeine
drehen. Er meint die Meisterschaft der Arbeit, wo jeder
mit ganzer Seele an einem Stücke schafft und diesem
seinen ganz persönlichen Stempel aufdrückt. Zum Schluss
weist er noch einmal darauf hin, dass seine Schar keinen
Selbstzweck verfolgt, sondern nur Wegbereiter sein will
für Menschen, die nach ihnen kämen und die uns noch
Schöneres und Besseres zu sagen wüssten. "Ich
sagte ja schon, daß wir bald nur als kleine Gruppe
marschierten, bald eine Schar oder gar ein
Heer bildeten, zuweilen
blieb ich aber auch nur mit einem einzigen Kameraden, oder
auch ganz allein, in irgendeiner Gegend .... Wir zogen nach Morgenland, ...." (Seite 27)
Hermann
Hesse: Morgenlandfahrt. Suhrkamp Frankfurt 1982 "Im
Sommer 1921 gab es offenbar eine harte
Auseinandersetzung innerhalb der Jungen Gemeinde um
Muck-Lamberty. Der Druck von außen hat zu Angst und
zu Spannungen unter den jungen Menschen geführt. Ein
Treffen der Schar in Fischbachwiese wird zum
Tribunal. Hanne, die Geliebte von Muck, die wegen
ihres (unehelichen) Kindes für die Öffentlichkeit
ein Stein des Anstoßes und Ursache scharfer Angriffe
auch innerhalb der Jugendbewegung geworden war, soll
aus der Gruppe ausgestoßen oder zumindest von Muck
getrennt werden. Auch Gertrud Prellwitz, die
weihevolle Predigerin und Verteidigerin Mucks, hat
sich bei manchen unbeliebt gemacht. Muck selbst hat
sich unter diesen Umständen von der Schar getrennt
und wartet nun in Naumburg auf die Entscheidung der
Gruppe, die über das weitere Schicksal von Hanne und
Gertrud ohne ihn beschließt.
Gusto Gräser ist bei der Schar geblieben, gewissermaßen
als sein Stellvertreter, und Muck hofft gespannt auf
sein Kommen und seinen Bericht. Inzwischen stellt er in
einem Brief an Hanne und Gertrud (der eigentlich an die
ganze Gruppe gerichtet ist) seine Gefühle und seine
Meinung dar." (Über Friedrich
Muck-Lamberty 1920) Hanna
mit Kind*
Muck
kommt um den 22. Juni 1921 (nach Mollenhauer 1927)
nach Naumburg
(Saale) und wohnt am Rand der Hochebene über dem Saaletal
bei Zeise-Gött in der Neidschützer Straße. Das Grundstück
befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
Hossfeld`s. Hierüber berichtet Holger Fidus, der Sohn von
Hugo Höppener (1871-1948), ein Schüler von Karl Wilhelm
Diefenbach (1851-1913), im Brief vom 8. April 1978 an
das Siebenbürgische
Künstlerarchiv in Heilbronn folgendes:
".... Auf
der Durchreise von meinem Vaterhaus bei Berlin in die
Odenwaldschule am Ferienende wollte ich in
Naumburg / Saale gute Freunde besuchen, den
Stadtbaumeister von Naumburg, Fritz [richtig: Friedrich]
Hossfeld mit Frau Ina, einer begabten Glasfenstermalerin
und ihren damals wohl etwa 6 Kindern. Doch Frau und Kinder
sollten erst am nächsten Tage vom Ferienaufenthalt an und
auf einem bayrischen See zurückkehren. Wie es dazu kam,
dass ich nicht im Hossfeldhause auf sie wartete, sondern
im Nachbarhause, weiß ich nicht mehr. Dieses gehörte,
soviel ich mich erinnere, einem Zeise-Gött, Schauspieler
oder sonstigem Künstler, mit dem ich aber kein
persönliches Zusammentreffen hatte. Dieser hatte dem
damals von der Leuchtenburg vertriebenen Drechsler und
Jugendführer Muck-Lamberty seinen Keller und Dachgeschoss
zur Verfügung gestellt zum Wohnen und Drechseln. Ich
suchte diesen auf und half ihm, seine eben gedrehten
Leuchter lackieren, und er schenkte mir einen, wobei er
mir anbot, in seinem Bett zu übernachten, denn er schliefe
draußen auf der Wiese des Hossfeldsgrundstücks mit seiner
Hannele und ihrem dort geborenen Säugling, der sowieso (es
war Sommer) nicht im Häuschen leben mochte, dem
Gärtnerhaus, das Hossfeld der jungen Frau zur Verfügung
gestellt hatte.
Als Muck
mir sein Zimmer im Dachgeschoss zeigte, machte er mich
darauf aufmerksam, dass im Nebenzimmer Gräser hauste.
Natürlich besuchte ich ihn sofort und erinnere mich noch,
dass eine ganze Ecke seines Zimmers mit einem riesigen
Haufen von Holzschuhen angefüllt war, wie die Holländer
sie tragen. Er sagte, er habe sie aufgekauft, weil sie als
Brennholz angeboten waren, was ihm zu schade dünkte. Er
hatte schon einige davon gewissermaßen als Köcher an die
Wand gehängt, teils für Pinsel und ähnliches, teils für
trockene Blumen, was sich sehr nett machte. Dieses war mein letztes Zusammentreffen mit Gusto Gräser." Im Brief vom 24. Juli 1921 an teilt sich Muck Hanna und Gertrud mit: "Gräser ist noch nicht da, so dass ich nicht weiss, wie alles weiterverlaufen ist. Heute Abend kommt Gusto. Mit ist es, als musste ich jetzt schreiben, was ich denke: Heute Abend kommt Gusto Gräser und wird dann bleiben. Ich freue mich, dass ein so heiler und mutiger und froher Mensch, der so ganz verwurzelt ist mit Heimatlauge und Wald, bei uns bleiben will. Dann soll sich hier ein Strahlenbündel sich sammeln und dann und wann hinauströmen ins Volk. Alle, die wirklich jetzt mithelfen können sollen alles, was sie haben und verwenden können, dafür einzusetzen, dass dieser Gusto Gräser jetzt hier bleiben kann." Dieser Plan geht nicht in Erfüllung. "In Naumburg wurde im Hause der Werkschar (Handwerkergemeinschaft der Neuen Schar) Gusto Gräser von einigen Schupomannschaften und einem Kriminalbeamten verhaftet und abgeführt", meldet
Der Zwiespruch für den 9. September 1921. Die Zeitung für Wanderbünde
teilt ihre Sorgen um den Wanderproheten mit: "Wir
wissen nicht, wohin sie ihn geschleppt haben und erfuhren
später, dass er mit einem Transport abgeschoben worden
sein soll. Mit Muck planen sie ja auch einen Schub. Sie
haben ihn ausgefragt, woher er stammt, und da er im Elsass
geboren ist, soll weiter geforscht werden. Sie finden
ja sicherlich etwas, denn sie suchen danach. Lassen wir
doch den Gusto Gräser selber sprechen und alle ihr, die
ihr ihn kennt und etwas dagegen tun wollt, schreibt auch
dem Getreuen. Wir wollen hier alles vermitteln, da seine
Gedichte, Sprüche, Bilder und Verse alle hier sind und wir
alles zusammentragen wollen. - Werkschar, Naumburg." Gräser
wird in das
Konzentrationslager Cottbus-Sielow eingeliefert.
.
Du Jugend
des deutschen Volkes! Die
heilige Stunde Deiner Tat ist nun nahe
herbeigekommen. Auf Dich
wartet unser Volk! Auf Dich
wartet Frankreich! Auf Dich
warten alle, die zum Lichte wollen! Seit
Jahren ringst Du um den Geist, auf Tagungen,
an Lagerfeuern, in Herbergen, auf der
Landstrasse. Siehe, die
Gnade Gottes ruhet auf Dir! Dir ist es
anvertraut, das gewaltige Werk, das immer
nur Sehnsucht blieb und niemals Erfüllung
ward. Nun aber
kommt die Zeit der Erfüllung.
Dies ist
es, was Gott von Dir will: Du sollst
aufstehen und in das Schicksal der Völker
eingreifen. Du sollst
vor Frankreich hintreten und also zu ihm
sprechen: Wir
wollen,
dass die Schuld aus der Welt geschafft
werde! Wir wollen
aufhören, um die Schuld zu feilschen, und
freiwillig alles auf uns nehmen. Alle sind
schuldig! Aber, wenn es sein muss, wollen
wir Deinen Anteil an der Schuld mittragen,
für Dich mitbüssen, Dich miterlösen.
Wir
wollen,
dass der Hass aus der Welt geschafft
werde! Magst Du
uns noch so hassen, Frankreich, wir wollen
Dich lieben, so lange lieben, bis Du vor
unserer Liebe die Waffen streckst und in uns
den Bruder erkennst. Wir
wollen,
dass der Krieg aus der Welt geschafft
werde! Darum
werden wir uns nicht wehren, wir werden
Gewalt nicht mehr mit Gewalt erwidern.
Wissen wir doch, dass Gott uns das geistige
Schwert anvertraut hat und uns so mit Liebe
erfüllte, dass Du gegen diese Waffe
ohnmächtig sein wirst, trotz Deines vielen
Kriegsgerätes, das uns anmutet wie ein Spuk
aus vergangenen Zeiten. Wir
wollen,
dass der Mammon aus der Welt geschafft
werde! Nicht er
wird unsern Völkern Frieden und Versöhnung
bringen, sondern tiefste innere, seelische
Wandlung, sittliche Wiedergeburt, Erneuerung
der Gesinnung. Darum wollen wir die Schuld
nicht als eine Angelegenheit betrachten, die
mit Geld wiedergutzumachen ist, sondern nur
mit unserem entschlossenen Willen zum Opfer.
Sieh, wir
stehen hier vor Dir, den leuchtenden Glauben
an die Zukunft in den Augen und den Traum
vom kommenden Friedensreiche in den Herzen,
das alle Völker zum Blühen bringen wird!
Aufbauen
wollen wir, Wunden schliessen, die der Krieg
geschlagen. Und wenn die Anderen nicht opfern wollen, wir wollen es, damit sich Gott mit der
frevelnden Menschheit versöhnt.
Niemals
wirst Du uns glauben, wenn Du nicht tätige
Beweise siehst des neuen Geistes, der über
das verwesende Volk der Deutschen gekommen
ist. Nun denn - können wir Dir einen
grösseren Beweis unserer wahrhaften Liebe
und Sühne-bereitschaft bringen: Als eine
Friedens-Aufbau-Armee wollen wir
in die zerstörten Gebiete kommen und uns
dort zu Deiner Verfügung stellen, wollen uns
in freiwillige Kriegsgefangenschaft begeben,
nicht aus Schwäche, nicht aus sklavischer
Gesinnung heraus, sondern aus höchster
innerer Freiheit heraus, damit durch unser
Beispiel und durch unser Opfer erlöst, das
gsanze Deutschland sich zur Busse wende.
Fragt
nicht, wieviele es sind, die von dem
Gedanken dieses Opfers ergriffen sind. Es
wird mit Wenigen beginnen, bald werden es
Tausende sein, und schliesslich wird durch
das ganze Volk der heilige Geist wehen,
dessen Herannahen wir ahnend spüren. ... Du
aber,
Du Jugend unseres Volkes, Du
sollst
vorangehen! ... Auf
dass die Welt erkenne, dass aus Not und
Schmach heraus ein neues Deutschland geboren
wurde. Siehe, so
stehen wir da - fertig, von innen heraus
gewachsen in jahrelanger geistiger
Vorbereitung - die Heerscharen des
Christusgeistes, als Werkzeug Gottes, das
der Welt den Frieden bringen soll.
Waffenlos,
wehrlos, gewaltlos wollen wir gegen den
Erbfeind marschieren, Hacken, Spaten, Hämmer
und Äxte wollen wir statt der Kanonen und
Gewwehre mit uns führen. Nicht erobern, sondern heilen
wollen wir. Selbstzucht
und
freiwillige Unterordnung wird unsere
Schaaren leiten. Dienst
wird ein gegenseitiges, wetteiferndes Dienen
sein. Die Ersten
werden die Letzten sein, die Letzten die
Ersten sein. Wie im
Kriege wollen wir leben, unter Entbehrungen,
ohne Sold, nicht besser essen, nicht besser
trinken, nicht besser gekleidet sein, nicht
besser wohnen als unsere Brüder in den
Schützengräben. In diesem
Geiste der Liebe, der wahrhaftigen Nachfolge
Christi wollen wir neues, schöpferisches
Leben erstehen lassen, dort, wo Jahre
hindurch der Mord und grauenhafte Zerstörung
gewütet haben. ... So wird
Deutschland entsühnt werden.
So wird
endlich Friede werden auf Erden. ...
Deutschland!
Deutschland!
erwache! * Original
im
Archiv der deutschen Jugendbewegung,
Burg
Ludwigstein
Der
vollständige Text der ausführlichen Darstellung von Detlef
Belau ist zu finden unter: |