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Vortrag von Hermann Müller:
Gusto
Gräser - Dichter, Denker, grüner Prophet
im Rahmen des
Jahresschwerpunktes des Deutschen Kulturforums östliches
Europa:
Ȇber ihre
Zeit hinaus – Europäische Biografien«
Berlin
Brandenburg, 1.10.2011
Die
Gusto-Tagung
des Deutschen Kulturforums brachte eine Überfülle von
Reden und Bildern. Der Schauspieler Wolf Euba rezitierte
humorvolle und ernste Gedichte von Gräser. Der
siebenbürgische Schriftsteller Hans Bergel, der selbst
ein Opfer der Ceaucescu-Diktatur gewesen war, würdigte
seinen Landsmann als „eine der eigenartigsten und
bemerkenswertesten Gestalten der deutschen Kulturszene
aus den Epochen um die beiden Weltkriege“. Gräser habe
furchtlos, unbeirrt und ohne ideologische Anmaßung einen
eigenständigen philosophischen Lebensentwurf in die Tat
umgesetzt. „Das Genie dieses Mannes lag in der
Beharrlichkeit seiner Fragestellung und erklärt die
Faszination, die er damit auf die ersten Geister der
Zeit von Lenin bis Heidegger ausübte. Er war bei alledem
von unerschütterlicher philosophischer Heiterkeit und
Souveränität, strahlte Menschenfreundlichkeit aus und
gewann das Publikum durch die Selbstlosigkeit und
Ehrlichkeit des Auftretens für seine Botschaft.“ Seine
Rede sei eloquent und klar gewesen, sein Umgang mit
Menschen sanft, mit den Spöttern unter ihnen
nachsichtig, mit den Kritikern duldsam. Dieser Mensch
habe sich nie in die Knie zwingen lassen. Mit
vollem Recht werde er von Historikern dem Inder Gandhi
an die Seite gestellt.
Die
Waldsiedlung
Grünhorst bei Berlin stellte Hermann Müller in den
Vordergrund seines Lebensbilds von Gräser. Grünhorst sei
in der späten Weimarer Zeit so etwas wie der grüne
Mittelpunkt Deutschlands gewesen. Eine grüne Vorhut habe
dort ihren Vereinigungspunkt gefunden: ökologisch,
liberalsozial, spirituell. Zu ihr gehörten, neben Gusto
Gräser, seinen Töchtern und Freunden, der Biosoph und
Philosoph Ernst Fuhrmann, der Historiker der
Naturheilbewegung Hugo Hertwig, der
anarcho-sozialistische Schriftsteller Franz Jung, der
Wandervogel und politische Schriftsteller Karl Otto
Paetel, der Maler und Christsozialist Max Schulze-Sölde, der
Wandervogel und Unternehmer Friedrich Muck-Lamberty, der
Berufsoffizier Harro Schulze-Boysen und andere.
Grünhorst hätte ein deutscher Monte Verità werden
sollen. Aber dieser frühe Aufbruch alternativen Denkens
sei nach 1933 zerschlagen worden. Die einzige
Zeitschrift, in der Gräser und seine Freunde hatten
publizieren können, wurde nach 1933 ein Untergrundblatt
und nach Golo Mann „die Kampfzeitschrift des größten und
bedeutendsten aller deutschen Widerstandskreise“.
Fuhrmann, Jung und Paetel gingen in die Emigration,
Schulze-Boysen wurde 1942 hingerichtet. Gräser habe ein
Zeichen setzen wollen, indem er mit seinem Schwiegersohn
Otto Großöhmig im Eselwagen durch die Lande fuhr und
seine Schriften verteilte. Die Fahrt endete für
Großöhmig im KZ. Als er 1936 entlassen wurde, fand er
Grünhorst abgebrannt. 1979 wurde Großöhmig ein
Mitbegründer der ‚Grünen’.
Müller
sieht
in Gräser das Gegenmodell zu Hitler. Schon 1929 habe er
die Deutschen vor die Entscheidung gestellt: „Diktator
oder Dichter – wer ist der Völkerrichter?“ Sein Ruf:
„Stell dich nicht hoch, o Volk – halt klein, halt tief,
so wirst du, bist du groß!“ sei nicht erhört worden.
Damals habe Hermann Hesse im Hinblick auf seinen Mentor
den Satz gesagt: „Die Völker haben immer schon den
Barrabas gewählt. Sie werden auch jetzt den Barrabas
wählen“. Und so sei es gekommen. Durch die Macht des
Terrorregimes sei auch das Unternehmen Grünhorst in
Vergessenheit geraten und bis zum heutigen Tage
unbekannt geblieben.
Die
Vorträge
wurden ergänzt durch Bildprojektionen und den
ergreifenden Film von Christoph Kühn: ‚Gusto Gräser. Der
Eremit vom Monte Verità’.
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Gustostein im Park von
Schloss Köpenick
Anlässlich
des Gusto Gräser-Tags in Berlin am 1. Oktober 2011
wurde dieser Gedenkstein
im Schlosspark von Köpenick zum Gustostein
ernannt.
Der Namenlose im Park
Der ehemalige Bischof der Siebenbürger Sachsen, Dr.
Ludwig Binder, schrieb am 23. 1. 1988 an Hermann Müller:
„Wenn ich mich recht
erinnere, bin ich Gusto Graeser während meines
Studiums in Berlin begegnet, als er im Garten von
Schloss Köpenick mit Studenten ins Gespräch kam.“
Eine zweite Äußerung:
"Als ich in Berlin 1934
studierte und im Auslandsdeutschen-Heim Köpenick
wohnte, sah ich im Schloßgarten einen seltsam
gekleideten Mann sitzen, der zu den Studenten sprach,
die sich um ihn gesammelt hatten. Er nannte seinen
Namen nicht. Er sprach ruhig mit lebhaften
Handbewegungen. Nachher ging er schweigend davon.”
(Ludwig Binder, Karte vom 2. 2.
1988)
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Siebenbürgische
Zeitung online
25. Oktober 2011
Hermann von Salza &
Gusto Gräser: Deutscher Orden &
Alternativbewegung
Vom
20. September bis 1. Oktober hat der Verband der
Siebenbürger Sachsen in Berlin die
Siebenbürgisch-Sächsische Kulturwoche veranstaltet
(siehe SbZ
Online vom 18. Oktober 2011). Mit zwei
Veranstaltungen hat sich auch das Deutsche
Kulturforum östliches Europa in die Kulturwoche
eingebracht: mit der Podiumsdiskussion aus Anlass
des 800. Jahrestages der Berufung des Deutschen
Ordens ins Burzenland und mit dem Thementag zu
einem der Begründer der Alternativbewegung, dem
Kronstädter Gusto Gräser.
Für
das Deutsche Kulturforum östliches Europa war es ein
ereignisreicher Herbst – und das, obwohl ihm ein Umzug
bevorsteht. Ab November residiert es in der Berliner
Straße 135 in Potsdam. …
Thementag
Gusto Gräser
Gusto
Gräser um 1939
Foto:
Gräser-Archiv
Am
1. Oktober war das Berliner Publikum in die Katholische
Akademie Berlin geladen, um beim Thementag „Gusto
Gräser. Ein grüner Prophet aus Siebenbürgen“ einen der
maßgeblichen Gründerväter der Alternativbewegung
kennenzulernen. Der 1879 in Kronstadt geborene und
künstlerisch hochbegabte Gustav Arthur Gräser sollte
schon in jungen Jahren aus der festgefügten
evangelisch-sächsischen Welt ausbrechen, um sich
zunächst den ersten Kommunen in Mitteleuropa
anzuschließen, aber schon bald konsequent einen
eigenen, mit der Natur im Einklang stehenden Weg zu
gehen. Über dieses außergewöhnliche Leben berichtete
zunächst Hermann Müller, Gräser Biograph und Betreuer
des Gusto-Gräser-Archivs in Freudenstein, anschließend
Hans Bergel mit seinem Beitrag „Der lachende
Siebenbürger“.
19-jährig wurde Gräser –
im Bild von Mai 1898 sitzend, rechts –
in die Künstlerkommune Himmelhof des Wiener Malers Karl
Wilhelm Diefenbach aufgenommen
Foto: Gräser-Archiv
Durch
den Vortrag des Schauspielers Wolf Euba aus Gräsers
Gedichten und Schriften wurde dieser herausragende Geist
viel leichter vorstellbar. Der Dokumentarfilm des
Schweizer Filmemachers Christoph Kühn verbildlichte das
wechselvolle Leben Gräsers. Nach langen Aufenthalten in
der Schweiz, wo er auf dem Monte Verità eine weit
ausstrahlende Landkommune gründete, kurzer Rückkehr nach
Siebenbürgen, schließlich nach Aufenthalten in Berlin
und andernorts fand Gräser 1958 in München ein
vereinsamtes Ende. Abschließend fasste Müller noch
einmal das Denken Gräsers zusammen und verwies auf die
vielfältige und weitreichende Ausstrahlung, die er
ausübte, etwa auf Schriftsteller wie Hermann Hesse oder
Philosophen wie Martin Heidegger.
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