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Neue Liebeswelt in Ascona

Zwölf Thesen zu Fourier und Otto Groß


Als die Gebrüder Gräser
auf dem Weinberg über Ascona sich ansiedelten,
hatten sie eine Kolonie im Sinne von Charles Fourier im Auge:
ein nietzscheanisch und lebensreformerisch gewandeltes
Phalansterium.
Angelockt durch das Erscheinen Gusto Gräsers in der Reformkolonie Friedrichshagen
sammelte sich ab 1904 eine kleine Gruppe von Anarchisten um Karl Gräser
auf dem Monte Verità:
zunächst Raphael Friedeberg, dann Johannes Nohl, Erich Mühsam,
 Ernst Frick und Otto Buek.
Zu diesen Sympathisanten der Gräsers gesellte sich im Jahre 1905
der drogensüchtige Arzt und Psychotherapeut
 Otto Groß aus Graz.

*

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Entwurf eines Phalansteriums

Ein Freudschüler im Phalansterium

Otto Groß, der den wir kennen, wurde auf dem Monte Verità geboren (siehe auch Ludersocke). Was der hochbegabte, allerdings auch drogensüchtige Sohn eines berühmten Kriminalisten bis dahin geschrieben hatte, war durchaus im Rahmen der Freudschen Schule geblieben. Der Meister in Wien sah in ihm und Jung zwei seiner hoffnungsvollsten Söhne, zwei Junggenies - die sich beide gegen ihn wenden sollten.

Die Mine, die die beiden absprengen sollte vom granitenen Block der psychoanalytischen Lehre, wurde in Ascona gelegt. Groß kam 1905 auf den Berg, um im Sanatorium seine Drogensucht zu kurieren. Er befreundete sich alsbald mit Erich Mühsam und dessen Kreis, einem Mühsam, der damals noch mitten in seiner Verehrung für Karl Gräser stand. Noch anderthalb Jahre später arbeitet Mühsam an der "Herausgabe der Aufzeichnungen des hier lebenden Naturphilosophen Carl Gräser" (Posaune 63). Zu gleicher Zeit aber schon an einem Manuskript, das der Grazer Privatdozent und Analytiker ihm zugeschickt hatte.

Otto Groß hatte sich zu einer Entziehungskur ins Sanatorium von Oedenkoven begeben, mußte allerdings feststellen, daß der Abschied vom Üblichen hier in gewissen Grenzen blieb. Reformierte Bürgerlichkeit, gewiß, aber immer noch Bürgerlichkeit. Er lernt Menschen kennen, die einen wesentlichen Schritt weiter gegangen sind, die den herrschenden Normen entschiedener den Rücken gekehrt haben: Erich Mühsam und Karl Gräser. Mit ihnen erst hat er seine wahren Freunde gefunden.

Seine Verbindung mit Erich Mühsam ist bekannt, die mit den Gräsers indirekt zu erschließen. Nicht nur daß das Bauen und Schaffen von Karl Gräser ihm offen vor Augen lag - dessen Grundstück grenzt unmittelbar an das Gelände der Naturheilanstalt, der Fußweg dorthin führt an seinem Hause vorbei -, nicht nur, daß Mühsam mit Gräser befreundet war, seine Schriften herausgeben wollte und seine Begeisterung auf Groß übertragen haben wird, deutlicher noch als diese Gegebenheiten spricht die Spur des Gräserschen Denkens im Werk von Groß für Nähe und Einfluß.

Denn das Siedlungsunternehmen der Gräsers stützte sich auf die Ideen des französischen Sozialphilosophen Charles Fourier. Eben diese Ideen waren es gewesen, die zur Spaltung der ursprünglichen Siedlergemeinschaft und zur Trennung der Gräserbrüder vom Sanatoriumsgründer Oedenkoven geführt hatten. Dessen Lebensgefährtin Ida Hofmann schreibt, etwa zur Zeit des Kuraufenthalts von Groß, auf den gleich im Anfang geschehenen Bruch zurückblickend:

„Es bedurfte nicht nur einiger heftiger Auftritte bis wir uns Gustav Gräser's wieder und diesmal endgiltig entledigt hatten; es machte sich auch eine Spaltung in den Zielen der fünf Teilnehmer geltend, insbesondere zwischen uns und Karl ... Von den krankhaften Ansichten seines Bruders angesteckt, kehrten diese im weitern Verlauf der Ereignisse immer stärker hervor und gipfelten ... in dem Bestreben, alle klingenden Güter, auch die unsrigen, von sich zuwerfen, communistischen Allgemeinbesitz einzuführen und den ganzen Aufbau cultureller Wohltaten für ein ... bedürfnisloses Leben einzutauschen. ... Er sah stets nur kolonistisches Leben von uns 5 Personen, denen sich noch Andere in der Art des "Phalanstère" von Fourier zugesellen sollten.“                                                         (Hofmann 21f.; Hervorhebung von mir, H. M.)

Wenn Frau Hofmann-Odenkoven, der "communistische" Neigungen völlig fernliegen, sich nach fünf Jahren noch an das Thema "Fourier" in ihren Auseinandersetzungen erinnert, dann muß der Name mehr als einmal gefallen sein, dann muß er für die Gräsers grundlegende Bedeutung gehabt haben - und ihre Praxis spricht dafür. Es versteht sich also von selbst, daß sie Schriften von und über ihren Gewährsmann im Hause hatten und diese an Mühsam und dessen Freund Groß weitergaben, zumindest darüber sprachen. Am weitesten verbreitet war damals die Monographie über Fourier des Sozialistenführers August Bebel, der übrigens im selben Jahr 1905 auf den Monte Verità kam, um seinen Genossen Friedeberg zu treffen. Auch Mühsam war  mit ihm ins Gespräch gekommen. In diesem Buch also konnten Mühsam und Groß Folgendes lesen: 

„Fourier beurteilt den Kulturgrad einer Gesellschaft nach der Stellung, welche die Frau in derselben einnimmt ... nach ihm geht die Veränderung in der Stellung der Frau einem neuen Kulturzustand voraus ... Er ist von seiner Überzeugung, daß nur die Einehe das Hindernis für den Ausgang aus der Zivilisation bilde, so durchdrungen, daß er dem Konvent vorwirft, dadurch die Revolution in ihrer Wirkung beschränkt zu haben, daß er vor der Ehe stehengeblieben sei. (Bebel 141) ...

Im gesellschaftlichen Urzustand herrscht der Kommunismus an Grund und Boden, und wo dieser herrschte oder noch herrscht, existiert auch überall die freie Liebe ... In diesem Zustand herrscht auch das Mutterrecht ... entsteht die Polygamie. ... Aus der Polygamie wird allmählich die Monogamie. (142) ...

Die hierarchische Ordnung und die Gesetze, das heißt der Zwang, kommen stets von oben, sie sind die in Paragraphen formulierten Interessen der herrschenden Klassen. ... Wie die Welt gut, so soll der Mensch, dem Willen Gottes entsprechend, glücklich sein. Statt dessen sehen wir die große Mehrzahl unglücklich, und zwar unglücklich, weil sie die Triebe, die Gott ihnen gegeben, nicht befriedigen können. Aus Unkenntnis ihrer Natur und ihres Zweckes haben sie sich eine Ordnung gegeben, in der diese Triebe meist unterdrückt werden, zur Einseitigkeit gelangen, kurz ihren Zweck verfehlen. Die Einheitlichkeit, das heißt die volle Harmonie zwischen dem Menschen und der Welt und der Welt und Gott, ist aber der große Zweck Gottes, und um diese Einheitlichkeit zu ermöglichen, ist die Vielseitigkeit der Beziehungen auf ausgedehnter Stufenleiter die einzige Lösung. ... ergo müssen Ehe und Familie in ihrer heutigen Gestalt verschwinden.“ (143)

Er führt weiter aus, Fourier zitierend:

"In der Zivilisation ist das System der Liebe ein System allgemeinen Zwanges und infolge davon allgemeiner Falschheit. ... ist sie gefälscht, so genügt dies, um durch ihren Kontakt den Mechanismus des ganzen sozialen Systems zu fälschen." (144)

Soweit Bebel über Fourier. Es ist unschwer zu sehen, daß hier die Grundpositionen des Großschen Denkens bereits vorgegeben sind. Groß entkleidet das Fouriersches System seines metaphysischen Hintergrunds und nimmt die Freudsche Psychologie als neues Fundament. Aus dem Befund der verhinderten Liebeserfüllung ergibt sich die Kritik an der herrschenden Kulturnorm, dem Patriarchat. Fourier war es, der diesen Begriff erstmals geprägt hat; Groß wird ihn zu einem Kampfbegriff für das zwanzigste Jahrhundert machen.

Ohne die hier aufgezeigten biographischen Zusammenhänge zu kennen, konstatierte Nicoalus Sombart schon in den Siebzigerjahren:

„Hier nun steht Otto Groß in der ehe-, familien- und eigentumsfeindlichen Tradition des utopischen Frühsozialismus, der über die Saint-Simonisten und Fourier auch auf Marx und Engels (besonders auf Engels), auf Stirner natürlich, aber auch auf den "frühen" Bebel gewirkt hatte, der nicht nur eine Fourier-Biographie, sondern auch ein bedeutendes Frauenbuch geschrieben hat; jenes Charles Fourier, von dem der erstaunliche Satz stammt, daß der Zivilisationsstand (oder wenn man will, das "kulturelle Niveau") einer Gesellschaft an dem Grade der Freiheit zu messen sei, die den Frauen zugebilligt wird, und den dasselbe Schicksal der Okkultierung ereilt hat wie Otto Groß, aus denselben Gründen natürlich.“    (Sombart: Nachdenken 35)

Man hat bisher in der Forschung über Groß oft von den Einflüssen von Stirner, Landauer, Bachofen und Klages gesprochen, ohne dafür einen ausdrücklichen Beleg zu haben. Es handelt sich um Vermutungen. Man wird diesen Vermutungen den Namen Fourier hinzufügen müssen, freilich mit erheblich größerer sowohl biographischer wie ideographischer Wahrscheinlichkeit, ja  Gewißheit. Keiner der vorgenannten Autoren steht den Grundthesen von Groß näher als Fourier, keiner erreicht dessen Konsequenz und Radikalität, und jeden von ihnen dürfte Groß später kenengelernt haben und weniger direkt als Fourier, der ihm in einer eigenen Kolonie und in der Person Karl Gräsers sozusagen leibhaftig entgegentrat.

Auf dem Monte Verità fand Groß nicht nur die Freunde, denen er sich öffnen konnte und die ihm dann in Ascona und München zur eigentlichen Heimat wurden: Erich Mühsam, Johannes Nohl, Ernst Frick, er fand dort auch zu jenen Grundanschauungen, die dann den Kampf seines Lebens bewegen sollten.

Seine theoretische Abweichung von Freud tritt seit seinen Aufenthalten in Ascona hervor; dort inszenierte er seine berüchtigten "Orgien", dort wollte er eine Freie Hochschule gründen, dort versammelten sich seine Anhänger und Freunde. Sein Schüler Erich Mühsam war von den Lehren Karl Gräsers fasziniert, wollte dessen Schriften herausgeben. Sein anderer Musterschüler Franz Jung hat sich sein Leben lang für Fourier eingesetzt. Zwar scheint der Name dieses frühen Vordenkers in den Schriften von Groß nicht vorzukommen - so wenig wie der von Bachofen (die Kenner mögen mich berichtigen!), aber sein ganzes Gedankengebäude spricht eine deutliche Sprache. Es gibt wenig in den Ansichten von Groß - von der Psychoanalyse einmal abgesehen - , was nicht vorgebildet wäre in den Schriften von Charles Fourier.

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Charles Fourier (1772-1837)

Fouriers "neue Liebeswelt" in Ascona

Fourier ist der Erfinder des Wortes "Patriarchat" und war der erste bewußte und kämpferische Antipatriarch.Er forderte die Abschaffung von Ehe und Familie und die Aufzucht der Kinder durch das Kollektiv. Fourier kämpfte für die Freiheit der Liebe, für uneingeschränkte Sexualität zwischen den Geschlechtern und innerhalb der Geschlechter (Homosexualität und Polygamie). Er befürwortete den "Venuskult", eine "Religion der Wollust", wollte die sexuelle Orgie als kultischen Höhepunkt des Gemeinschaftslebens. Er war gegen jede Art von Zwang, Herrschaft und "Moral". Er vertrat das uneingeschränkte Lustprinzip. Fourier glaubte an eine Selbstorganisation der Gesellschaft durch die "Attraktion der Leidenschaften", d. h. durch die menschlichen Beziehungen, namentlich den Eros.

Es sind diese Grundansichten, die zugleich die Eigenart der Großschen Lehre im wesentlichen ausmachen. Andere Momente seiner Theorie lassen sich von Nietzsche, Bachofen, Stirner und Landauer ableiten - und nicht zuletzt von Gusto Gräser.

Gräser ist es, der den Willen zur Macht als das Trottelidol der Jahrtausende, als das Grundübel unserer christlich-jüdischen Tradition brandmarkt und bekämpft - wie nach ihm Otto Groß. Durch ihn

... ist der Willen zur Macht, der willkürfreche, zur Wend gedacht.

Gräser ist es, der das Grundleiden des Menschen in der gegebenen Zivilisation als Vergewalt definiert, als Vergewaltigtwerden und Vergewaltigen. Wie Otto Groß.

... Allso Seelbesonnensein - und sobald, wo es strahlt,

fällt von uns die Vergewalt ...

Gräser ist es, für den die Behauptung des "Eigenen" gegen den Einfluß und die Übermächtigung durch das "Fremde" Kernpunkt seines Denkens wie seines Lebens wird.

... räum auf, räum aus, was tief dein Eigen nicht ...

Daß er wie kein anderer sein Eigenes gegen das vergewaltigende Fremde bewahrt und behauptet hat und darin den Weg zur Gesundung sah, ist offensichtlich.

Gräser schließlich ist es, der gegen den "Willen zur Macht" ebenso wie gegen die christliche Überforderung von "Liebe" das Freundsein und den Willen zum Freund setzt - in den Worten von Groß: den "Willen zur Beziehung".

... Uns ruft Urlebewelt zu unsrem Frohberuf: Ein Freund zu sein ...

In einer von Johannes R. Becher überlieferten Szene zitiert Groß emphatisch eine "Freund"-Beschwörung Nietzsches, ein Schlüsselzitat auch für Gräser.

Auch Gräser kennt die "Orgie", wenn auch in anderer Weise als Groß - als Mitschwingen im Wirweltwirbel, als Hochzeitstanz und sel'gen Tausch im Miteinandergang, im grohsen Ineinanderschlang.

... Voll Wildrausch ineinander sich verschlingen im Lebenstausch ...

... zum grohsen Ineinanderschlang voll Mussmusik!

War Gräser in mancherlei Hinsicht und belegtermaßen ein Schüler von Fourier und Nietzsche und vermutlich auch von Landauer und Bachofen, so setzt er sich doch in einem Punkte von Fourier entschieden ab. Er entscheidet sich für die Familie und gegen deren Auflösung im Kollektiv, und er entscheidet sich logischerweise gegen den sexuellen Immoralismus. Gräser heiligt die Familie, Groß will sie zerstören.

Jeder von den beiden liest die Schriften Fouriers auf seine Weise. Gräser findet darin das Streben nach Eintracht, nach Harmonie, die Vereinigung von Arbeit und Genuß, die volle Entfaltung aller Kräfte und Fähigkeiten im Zusammenspiel einer ländlich-handwerklich bestimmten Gemeinschaft. Groß findet darin die Zertrümmerung von Ehe und Familie und die Entfesselung der Sexualität bis hin zur kultischen Orgie.

Aus diesem Ineinander von Gemeinsamkeiten und Differenzen ergibt sich das ambivalente Verhältnis der Groß-Gruppe zu den Gräsers (wie auch umgekehrt). Es gibt praktische Zusammenarbeit: Graf und Schrimpf arbeiten bei Karl Gräser, beherbergen Gusto in München; die 'Tat'-Gruppe vermittelt Militärflüchtige zu den Gräsers nach Ascona. Zugleich hält man auf Distanz. Weder der sexuelle Immoralismus der Großianer noch ihr Drogengebrauch noch ihr aktiver Anarchismus sind für Gräser akzeptabel. Für ihn trug nach seinen Worten das anarchistische Gesindel die Schuld am Scheitern des Experiments von Ascona.

Gräser muß die Großianer etwa so gesehen haben wie einst Luther seine wildgewordenen Schüler in Mühlhausen: irregeleitete Schwärmer, die in Selbstzerstörung enden würden.

Beide kämpften sie, Groß wie Gräser, leidenschaftlich empört gegen das patriarchale Herrschaftssystem. Gräser jedoch wählte den Fourier der "harmonie" und des "unitéisme", Groß mehr den Fourier "cabaliste". Gräser las seinen Lehrmeister praktisch und spirituell, Groß las ihn sexuell und politisch. Die "Orgie" der Gräser-Gruppe war Selbstausdruck und Tanz, war seelisch-körperliche Ekstase. Groß haßte seinen Körper, war unfähig zum Tanz, suchte Befreiung von seiner Starrheit in Drogenrausch, Sex und Revolution.

Die Gründung der Gräsers auf MonteVerità war gedacht als eine "association domestique-agricole" im Sinne Fouriers (Weber 93); einzelne Mitglieder der 'Tat'-Gruppe schlossen sich diesem Unternehmen zeitweise, aber am Rande bleibend, an. Ohne diese Grundlage im Alltagsleben und ohne den damit verbundenen harten Überlebenskampf suchte Groß, freischwebend im gesellschaftlichen Nichts, Fouriers "nouveau monde amoureux"  und seine "religion de la volupté" (z. n. Weber 96 und 97) zu verwirklichen. Gräser ist wie der französische Vordenker "à la fois ultra-conservateur et ultra-radical" (Victor Considérant, z. n. Weber 104), gleichzeitig ultrakonservativ und ultraradikal, Groß nur "ultra-radical".

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Phalansterium in Nordamerika

Zwölf Thesen zur Fourier-Rezeption von Otto Groß

1. OG wurde durch die Gebrüder Gräser und das ihnen nahestehende asconesische Milieu mit Fourier vertraut gemacht. Der Monte Verità im Sinne der Gräsers war eine fourieristische Kolonie. Auch hinzukommende Sympathisanten ihres Experiments wie Raphael Friedeberg, Fritz Brupbacher und Peter Kropotkin waren belegtermaßen oder höchstwahrscheinlich durch die Darstellungen von Engels, Bebel und Greulich mit der Gedankenwelt Fouriers vertraut. Sie besagt in ihren wesentlichen Grundzügen:

2. "Beziehung" ist das Zentralwort für Fourier wie für OG. Durch die freie Entfaltung der menschlichen Beziehungen soll sowohl der Einzelne wie die Gesellschaft geheilt werden.

3. Die menschlichen Leidenschaften sind gut, solange sie nicht durch gesellschaftlichen Druck - Zwang und Vergewaltigung - korrumpiert werden. Sie folgen dem Lustprinzip, und dieses Lustprinzip ist zu bejahen.

4. Die menschlichen Leidenschaften führen natürlicherweise durch gegenseitige Anziehung (attraction) zu individueller und gesellschaftlicher Einheit und Harmonie.

5. In der bestehenden Zivilisation des Patriarchats sind jedoch die Leidenschaften durch Herrschaft, Zwang und Vergewaltigung zu (selbst- und fremd-)zerstörerischen Kräften geworden.

6. Die dreitausendjährige Herrschaft des Patriarchats, eine geistesgeschichtliche Katastrophe, hat (in der Darstellung durch Bebel) eine frühere mutterrechtliche Ordnung abgelöst. Sie muß in der kommenden Zukunftsgesellschaft (der "Harmonie") wieder hergestellt werden.

7. In dieser Zukunftsgesellschaft nach Abschaffung des Patriarchats werden die Menschen ihr Kontakt- und Beziehungsbedürfnis voll befriedigen können. Das stärkste Bindemittel wird der befreite Eros sein, denn Ehe und Familie, die einengenden Zwangsinstitutionen des Patriarchats, werden abgeschafft. Die Frauen werden gleichberechtigt sein und die Kinder werden durch die Allgemeinheit (Kommune) versorgt und erzogen werden. Polygamie und ritueller Venuskult mit der sakralen Orgie als Mittelpunkt werden durch ihr dichtes Beziehungsgeflecht die gesellschaftliche Einheit herstellen.

8. Die gesellschaftliche Umwälzung vollzieht sich nicht durch Gewalt und Revolution sondern durch die Bildung intensiv und vielseitig kommunizierender Gruppen. (In diesem Punkt wird Groß sich von Fourier unterscheiden.)

9. In den erotisch kommunizierenden Gruppen (Liebeshöfen) wird ein Priester die Paarungen nach therapeutischen Gesichtspunkten arrangieren, um einen Ausgleich und Abbau bestehender Defizite herbeizuführen.

10. In der von Gusto Gräser unter dem Einfluß von Nietzsche und Landauer entwickelten Variante treten folgende Merkmale hinzu, bzw. treten verstärkt hervor: Selbstwerdung, Entfaltung des Eigenen und der Kampf des Eigenen um seine Selbstbehauptung gegen das Fremde der Ideologien, Konventionen und Institutionen.

11. Zu dem Zeitpunkt, als OG auf den Monte Verità kam, stand Erich Mühsam unter dem beherrschenden Einfluß von Karl Gräser. Er wollte dessen Schriften herausgeben und dürfte OG in dessen Ideen und bei Gräser selber eingeführt haben.

12.  Zu dem Zeitpunkt, als OG auf den Monte Verità kam, gab es dort unter Führung der Gräsers bereits die Praxis der (edlen) "Orgie" in Form von nächtlichen Nackttänzen im Wald. Es gab auch bereits eine Gruppe von etwa 60 Personen, die an diesen Aktivitäten teilnahmen, darunter möglicherweise eine größere Anzahl von (anarchistischen/russischen?) Studenten aus Genf und Bern. Diese Ausdruckstänze mit therapeutischem Einschlag gingen vermutlich auf Gusto Gräsers Bekanntschaft und Freundschaft mit dem amerikanischen Geschwisterpaar Raymond und Isadora Duncan zurück.

Im Folgenden werden diese zwölf Thesen näher belegt.

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Die zwölf Thesen und ihre Begründung

1. OG wurde durch die Gebrüder Gräser und das ihnen nahestehende asconesische Milieu mit Fourier vertraut gemacht. Der Monte Verità im Sinne der Gräsers war eine fourieristische Kolonie. Auch hinzukommende Sympathisanten ihres Experiments wie Raphael Friedeberg, Fritz Brupbacher und Peter Kropotkin waren belegtermaßen oder höchstwahrscheinlich durch die Darstellungen von Engels, Bebel und Greulich mit der Gedankenwelt Fouriers vertraut.

G = Gräser

Er (Karl Gräser) sah stets nur kolonistisches Leben von uns 5 Personen, denen sich noch Andere in der Art des "Phalanstère" von Fourier zugesellen sollten (Hofmann 21f.) [Fussnote 1]. - Allen, im Lebenstrubel zu Schaden Gekommenen, unter der kapitalistischen Ausbeutung leidenden Existenzen soll zufolge Karl's communistisch-colonistischen Prinzipien und Fritzen's genossenschaftlichen Bestrebungen zur Lösung der sozialen Frage, bei uns geholfen werden. (Ebd. 27)

Zusätzliche Bemerkungen (in Zukunft abgekürzt ZB):

Die Monographie von August Bebel über Fourier war 1888 erschienen, die Darstellung durch Hermann Greulich, den Vorsitzenden der Schweizer Sozialdemokraten, bereits 1881. Da Gräsers Meister Karl Wilhelm Diefenbach die ländliche kommunitäre Siedlung propagierte und in Wien und bei München in die Tat umsetzte, mußte ihn und seine Schüler der Entwurf Fouriers interessieren. Im Winter 1899/1900 besuchte Gusto Gräser mehrfach den Zürcher Sozialreformer Gustav Maier, der in seiner Geschichte der sozialen Bewegungen Fourier mit spürbarer Sympathie behandelt hatte. Das weitverbreitete, preiswerte Büchlein in der Teubnerschen Reihe 'Aus Natur und Geisteswelt' bot noch Franz Jung um 1913 den ersten Einstieg in die Gedankenwelt des französischen Kulturkritikers. Früher schon waren dessen Ideen durch Friedrich Engels zwar kritisch betrachtet aber doch auch mit Respekt behandelt worden. Peter Kropotkin, der  sich  auf Monte Verità von seinem Freund Raphael Friedeberg behandeln ließ, stand bewußt und bejahend in dieser Tradition, wollte "zeigen, daß Fouriers Traum von der materiellen Organisation [der zukünftigen Gesellschaft] keineswegs eine Utopie ist" (Brot 188). Bebels weitverbreitetes Buch 'Die Frau und der Sozialismus' stand ebenfalls unter dem Einfluß Fouriers. Auch Bebel kam 1905 auf den Monte Verità und hat späteren Auflagen seiner Schrift einen Abschnitt über diese Reformersiedlung eingefügt.

Der Versuch der Gräserbrüder, die Theorie Fouriers (in freier, nietzscheanischer Abwandlung) auf dem Monte Verità in die Tat umzusetzen, wurde durch den Widerstand von Henri Oedenkoven vereitelt. Umsomehr mußte Karl Gräser daran gelegen sein, wenigstens auf seinem eigenen Grund und Boden die ursprüngliche Vision zu verwirklichen und durch Werbung zu verbreiten. Gusto Gräsers Wanderungen hatten keinen anderen Zweck (sofern von "Zweck" bei ihm überhaupt die Rede sein kann) als diesen: ein Geflecht von rein menschlichen Beziehungen außerhalb aller materiellen Interessen herzustellen und damit die Grundlagen für einen "Bund der Lebendigsten" zu legen. Er wollte nur "Freund", nur "Mensch" sein. Gusto lockte die Menschen, die er auf seinen Wegen ansprach, nach Ascona;  dort sammelte sich um seinen Bruder Karl (und ihn selber, wenn er dort war) eine Schar von Freunden und Sympathisanten, zu denen mit Sicherheit Erich Mühsam, Johannes Nohl, Fritz Brupbacher und Raphael Friedeberg gehörten. Um diesen Kern sammelte sich nach und nach ein weiterer Umkreis mit Groß, Frank, Frick, Buek und anderen, dessen Nähe oder Abstand zu den Gräsers nicht genauer bestimmt werden kann.

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2. "Beziehung" ist das Zentralwort für Fourier wie für OG. Durch die freie Entfaltung der menschlichen Beziehungen soll sowohl der Einzelne wie die Gesellschaft geheilt werden.


CF =
Charles
Fourier


Der Mensch - nach Fourier - kann nur kraft vielfacher Beziehungen seine Bestimmung finden. Als Einzelner ist er nicht imstande, sich zu entfalten.    (Guérin in NL 47)

Der Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft stellt Fourier die natürlichen, sich durch "wahrhafte Freundschaften" auszeichnenden Beziehungen der Menschen der archaischen Gesellschaften gegenüber. (Weber 78)

Das Stiften von neuen Beziehungen bekommt bei Fourier Selbstwert. (Weber 95)

Da für Fourier das Stiften von Beziehungen zur einzigen Form der Tugend wird, ist für ihn das Knüpfen vieler Liebesbande ein Akt von hoher soziale Bedeutung:  (Weber 97)

GG =
Gusto
Gräser

Wie er (Gusto) schreibt, ist es ihm nicht darum zu thun [mit seinen Gedichten sich] selber zu verbreiten, sondern ... "Sie sollen ein Band von Herz zu Herz ziehen helfen". (Tagebuch der Mutter 45)

Nichts liegt uns daran, herrlich hübsch und mit Knechten zu leben, denn das eben ist unsre Fremde. - Viel aber liegt uns daran, freundlich derb und mit Freunden zu leben, denn das ist unsre Heimat. (GG: Heimat 6)

Urgenuß: ein Freund zu sein. - Des Menschen Frohberuf: ein Freund zu sein. - Freundsein ist Leben.  - Dort Gesetzesangst, die Pest - hier Freundschaft, die uns leben läßt. (GG)

OG =
Otto
Groß

'Beziehung', so hieß der Grundbegriff von Gebharts Welterneuerungslehre.  (Werfel: Barbara 329)

Neben der Freiheit des Individuums war Gross' zweite zentrale Wertvorstellung die "Beziehung" des einzelnen zu den anderen. Diese Utopie strebt nichts Geringeres an, als den Gegensatz von Individuum und Gesellschaft überhaupt zu überwinden. (Raub 239)

Die Beziehung als Drittes, als Religion genommen, enthält den Zwang ... zur Aufrechterhaltung aller ins Allgemeine, Zusammenfassende strebenden psychischen Wärme.  (OG in Kr. 21)

 

ZB: Was bei Groß "Beziehung" heißt, heißt bei (Gusto) Gräser "Freundschaft", "Bund" und "Freundsein". Wie Groß hat er die Fouriersche Konzeption von ihrer materiellen Verkleidung (im Phalansterium, bzw. der ländlichen Siedlung) gelöst und auf ihren wesentlichen und tragfähigen Kern konzentriert: den der allseitigen (körperlichen wie seelischen und geistigen) menschlichen Attraktion und Kommunikation. Allseitig: denn was Fourier als Kern seiner Entdeckungen ansieht: die Anziehungskraft der Leidenschaften, bezieht sich keineswegs nur auf die sinnlichen Triebregungen sondern ebensosehr auf die seelischen und geistigen Regungen wie Streitlust, Übereinstimmungslust, Begeisterung, Freundschaft, Liebe: "Ich verleihe der spirituellen Liebe großen Glanz ... In der Harmonie wird jedermann sein höchstes Glück im Gefühl finden." (NL 136f.). Volle und allseitige Entfaltung der Leidenschaften und Gefühle - Otto Groß wird es "Erleben" nennen, für Gräser heißt es "Leben".

Das "höchste der Gefühle" im wörtlichsten Sinne ist für Fourier der als Gegenleidenschaft zum Egoismus betrachtete "Unitismus", nämlich "die Neigung des Individuums, sein Glück mit dem Glück aller anderen in Einklang zu bringen" (Guérin in NL 51). "Brüderlichkeit wird zum natürlichen Bedürfnis werden und keine moralische Pflicht mehr sein." (Weber 99)

Während alle anderen Leidenschaften mit den Ästen eines Baumes zu vergleichen sind, bildet der Unitismus, die Vereinigungslust, den Stamm dieses Baumes. "Although this was a passion in itself, it was of another order than the twelve radical  passions: it was the result of their sympathy or harmony" (Beecher 226). Die Vereinigungslust stellt die Einheit der seelischen Regungen her und ist zugleich ihr Ergebnis.  Nicht anders geht es in der Therapie für Otto Groß darum,  "eine umfassende und zusammenhängende Einheitlichkeit der inneren Vorgänge zu begründen, eine lückenlose Kontinuität des seelischen Erlebens herzustellen" (Kr.18). "Es ist uns selbstverständlich, daß alle Anlagen notwendig einheitlich sind; es erscheint uns absurd, die selbstverständliche Zweckmäßigkeit des Angeborenen und Angelegten nicht schon an sich als Harmonie und präformiert-harmonisches Zusammenfunktionieren zu erkennen." (Kr. 56)

Die prästabilierte Harmonie der sinnlich-seelischen Regungen ist geradezu die theoretische Grundlage von Fouriers Utopie, was schon in seiner Namengebung für die künftige Zukunftsgesellschaft zum Ausdruck kommt: "Harmonie". Harmonie im Sinne Fouriers bedeutet Heimkehr in die Einheit des Menschen mit sich selber, mit der Gesellschaft und dem ganzen Universum. Sie stellt sich her durch die freie Entfaltung der menschlichen Beziehungen.

"Im gegenseitigen Verhältnis der Individuen zu einander ist Raum gegeben zur Entfaltung von Beziehungen, die Selbstzweck bleiben können und frei von Zügen der Autorität und Motiven der Macht" (Kr. 48). Der Satz stammt von Otto Groß und bezieht sich auf die Mutterrechtsordnung; er könnte genausogut von Fourier gesagt worden sein in bezug auf die Ordnung der "Harmonie". Otto Groß gibt in einem Satz eine konzentrierte Definition der Fourierschen Gesellschaftsutopie.

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3. Die menschlichen Leidenschaften sind gut, solange sie nicht durch gesellschaftlichen Druck - Herrschaft, Zwang und Vergewaltigung - korrumpiert werden. Sie folgen dem Lustprinzip, und dieses Lustprinzip ist zu bejahen.


CF

Alle seine (Gottes) Einrichtungen und Bräuche ... zielen darauf hin, jeder einzelnen Leidenschaft einen besonderen und allen gemeinsam einen kollektiven Aufflug zu gewährleisten. Es ist sein Wille, daß sie vereint befriedigt werden, sobald jede einzelne befriedigt ist. (NL 109)
Notre tort n'est pas, comme on l'a cru, de trop désirer, mais de trop peu désirer. (CF z. n. Weber 87)

  Seine (Charles Fouriers) Auffassung der menschlichen Triebe, die im schärfsten Widerspruch mit jener der Moralphilosophen stand und steht, daß alle Triebe natürlich und darum nützlich und vernünftig, zum menschlichen Glücke notwendig seien, und es nur der soziale Zustand der Gesellschaft sei, der sie unterdrücke oder fälsche, und daher ... schädlich erscheinen ließe, mußte den herrschenden Klassen ... als der Anfang zur Auflösung aller bisher für unantastbar geltenden gesellschaftlichen Bande erscheinen. In dieser seiner Auffassung der menschlichen Triebe ist Fourier der eigentliche Revolutionär.  (Bebel 235f.)

  He (Fourier) seems to have taken a crudely physiological view of love, arguing that the sexual desire was an expression of the passion of touch (Beecher 306).

OG Die Sexualität in ihrer ursprünglichen Form ist das Bedürfnis nach Kontakt mit den anderen, im physischen und psychischen Sinne. (Kr. 78)

CF In Harmony ... erotic ties would become both more complex and more broadly diffused (ebd.). - In den Liebesversammlungen der Harmonie ... wird man großes Vergnügen daran finden, jede Eifersucht abzulegen. (NL 135)
Die Wollust kultivieren - dies ist das letzte Wort der fourieristischen Harmonie. (Daniel Guérin in NL 34) - Fouriers neue Liebeswelt ist der Sieg des Lustprinzips. (Weber 98)

GG
 
Lust ins Land!
Schuldauflöserin, Retterin Lust ...
Inbrünstig hier strafft unser Menschenaar
sein argzerruppt, zerzaustes Flügelpaar:
Urlust und Liebe ...
Eh wir im Stinklügenschwefel ganz ersticken, verrecken:
Auf mit Herzfreveltat - Luft, Lust in die mördrischen Ecken!
Dort Musstmachen - Lustmachen hier!
Lasst uns mit Lust, Allwildweltlust
voll Urweltfreuderöten ... -
lasst uns mit Leben alldas
Elend töten!
 

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4. Die Zwangsmechanismen der Zivilisation führen zum Konflikt der Triebe und zu ihrer Entartung. Perversionen sind nicht angeboren sondern Folgen des gesellschaftlichen Drucks. Wenn dieser Druck wegfällt, führen die menschlichen Leidenschaften natürlicherweise durch gegenseitige Anziehung (attraction) zu individueller und gesellschaftlicher Einheit und Harmonie.


CF

"Gegenwärtig ist der Mensch  im Kriege mit sich selbst. Seine Triebe geraten aneinander. ... Aus diesem Kampf der Triebe entstand die Wissenschaft der Moral, die verlangt, man solle die Triebe unterdrücken; aber unterdrücken heißt nicht organisieren, harmonisieren. Unser Zweck ist es, den freiwillig ineinandergreifenden Mechanismus der Triebe zu schaffen, ohne einen zu unterdrücken." (CF z. n. Bebel 82)

  Fourier maintained that even though man was naturally good, he had been corrupted by institutions and ideas of his own making ... The result of these repressive doctrins, however, was only to create a state of "internal war within every individual. "(Beecher 237f.)

OG Der eigentlich krankmachende Konflikt ist der Konflikt des Eigenen und Fremden in uns. (Kr. 74)

Die Entstehung dieser Versperrung und Verkrampftheit ... vollzieht sich in der Kindheit ... In dieser Periode der Wehrlosigkeit ... erfolgt die Annahme jener seelischen Fremdkörper, welche ... den ersten großen inneren Konflikt und damit alle innere Zerrissenheit und Selbstsabotage der Seele bedingen. (Kr. 66f.)

CF Jede angestaute Leidenschaft bringt ihr Gegenstück hervor, das ebenso schädlich ist, wie die natürliche Leidenschaft heilsam gewesen wäre. (NL 115)
Passion stifled at one point reappears at another like water held back by a dike; it is driven inward like the fluid of an ulcer closed to soon.  ... Taste for atrocities is simply a consequence of the suffocation of certain passions. (CF z. n. Beecher 238f.)

Many individuals, although fortunate by the world's standards, were nevertheless tortured by the "perpetual anxiety" that resulted from "the pressure of a suffocated dominant, that is, from an imperious passion they cannot satisfy".   (Beecher 239)

Zur Einführung guter Sitten bedarf es einer Gesellschaftsordnung, die es versteht, dem Feuer der Leidenschaften gerecht zu werden und ihrem indirekten und schädlichen Aufflug vorzubeugen, nämlich der nach rückwärts gerichteten, verdrängenden Bewegung, einem Grundübel der Zivilisation in allen ihren Phasen. (NL 111)

Eine enttabuisierte Sinnlichkeit ist nicht zerstörerisch, sondern gemeinschaftsstiftend. (Weber 97)

Die Leidenschaften, die man für Feinde der Eintracht gehalten und in Tausenden von Büchern bekämpft hat, ... diese Leidenschaften fördern im Gegeneil die Eintracht, die gesellschaftliche Einheit. (NL 110)

Die Einheit des Menschen mit sich selbst (Unité de l'homme avec lui-mème), mit seinen Mitmenschen (Unité de l'homme avec l'homme), mit der Natur und damit auch mit dem  Universum ... sollte wiederhergestellt werden. (Weber 103)

OG Es ist uns selbstverständlich, daß alle Anlagen notwendig einheitlich sind; es erscheint uns absurd, die selbstverständliche Zweckmäßigkeit des Angeborenen und Angelegten nicht schon an sich als Harmonie und präformiert-harmonisches Zusammenfunktionieren zu erkennen. Wir nehmen die angeborenen Impulse als zweckmäßig an, nicht nur im Sinne individueller, sondern vor allem auch sozialer Zweckmäßigkeit. (Kr. 56)

CF The highest ranks in the erotic hierarchy devised by Fourier were open only to individuals with a passionate attraction to members of both sexes. ... He saw nothing wrong even with incest ... "It will be a rule in Harmony to authorize everything that multiplies links and gives pleasure to people without doing anyone harm".  (Beecher 303f.)

OG Die Homosexualität hatte seiner Anschauung gemäß eine große Aufgabe im seelischen Leben der Menschheit zu verrichten. Sie war es recht eigentlich, die den Trieb über seine tierischen Bedingnisse emporhob. Sie allein lehrte jedes der beiden Geschlechter verstehn, warum es als Geschlecht liebenswert sei.  (Werfel: Barbara 398)

Ich glaube, der angeborenen, also "normalen" Sexualität ist eine homosexuelle Komponente angeschlossen, und es ist deren Funktion, die Einfühlung in die sexuelle Einstellung des anderen Geschlechtes zu ermöglichen. (Kr. 78)

ZB: In der Psychologie von Fourier sind einige Grundzüge der Lehren Freuds schon vorgebildet, so die Lehre von der Verdrängung und ihrer krankmachenden Wirkung. Die psychische Grundsituation im Zeitalter der Zivilisation ist ein innerer Konflikt der Triebe, verursacht durch die patriarchale Repression. Heilung wird in einer repressionsfreien Gesellschaftsordnung gesucht und als harmonische Entfaltung der Leidenschaften gesehen. Daran konnte OG anknüpfen. Wie für Fourier gibt es auch für Groß keine angeborenen Perversionen und selbst der Inzest wird gebilligt. Die Grundstruktur seiner Lehre, durch die Freudschen Erkenntnisse psychologisch vertieft, entspricht der Lehre Fouriers.

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5. In der bestehenden Zivilisation des Patriarchats sind jedoch die Leidenschaften durch Herrschaft, Zwang und Vergewaltigung zu (selbst- und fremd-)zerstörerischen Kräften geworden.



CF

In der Zivilisation ist das System der Liebe ein System allgemeinen Zwanges und infolge davon allgemeiner Falschheit. (CF in Bebel 144)
Die Zivilisation (ist) der Antipode der Moral und der Wahrheit. (CF in Bebel 150)

Die materielle Liebe. ... Man begegnet in ihr allen Formen des Zwangs, wie zum Beispiel bei der Vergewaltigung, sowie in den meisten zivilisierten Haushalten. (NL 60)

Für Fourier (ist) die zivilisierte Welt ... eine Welt entfremdeter Beziehungen, inneren und äußeren Zwanges (Weber 77).  - Die repressive Moral der bürgerlichen Gesellschaft läßt die Menschen ein Doppelleben führen, sie werden zu "mascarades morales" ... die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschende Doppelmoral (zerstört) die Wahrhaftigkeit aller menschlichen Beziehungen. (Weber 86)
GG  
OZ - das ritzte,
  schnitzt' ich einst in meine Hüttentür,
hieß: "Ohne Zwang" -
das war mir Gruß, hah, Lebenselixier
schon Halbjahrhundert lang ...

Nichts anderes lebt als aus innerstem Drang -
Feind alles Blühenden ist der Zwang!
Jah - der ist Mord, ist Starrrecht, Störrecht,
 Vergewalt ...

  Lass gehen, Freund, Dich, Mich, lass alles gehen -
es geht allein zu dem, was wahrhaft hält -
von selber wirkt das göttliche Geschehen,
gedeiht die Ordnung, die durch Zwang zerfällt ...

Ach, dies Leben blüht nicht groß,
eh wir uns erheben,
eh wir Zwang- und Zweifel-los
liebfreimütig leben.

  Denn sobald, wo Es strahlt, fällt von uns die Vergewalt ...
 
B e h e r r s c h u n g s w a h n  -
längst, längst hat der den heildurchblühten Wald,
den waltungfrohn,
mit frevlerisch herzloser Vergewalt ...
zerspellt, zerknallt ...

Herrschaften, geht! - Herzhaften, weht,
weht Geistesluft, mutwillige, ins Feld,
weht, dass das Frostgebild der Vergewalt,
auftauend bald, als Bildung uns ersteht,
als bildefröhlich, blühlebendge Welt ...
 
OG Er nannte den Namen des furchtbaren Übels, das die naturgewollte Beziehung der Geschlechter, die Liebe, verpestet hatte: Vergewaltigung!  Immer wieder entwickelte er den gleichen Gedanken. ... Es gebe kein anderes Geschlechtsleben als mehr oder minder verhüllte Notzucht. ... Alle Lebens- und Staatsformen, alle politischen Verhältnisse der Welt seien auf Notzucht gegründet. (Franz Werfel z. n. Raub 24). - Die Triebkraft unserer Kultur ... heisst Vergewaltigung! (Werfel z. n. Raub 155)

ZB: Zwang und Vergewaltigung sind die immer wiederkehrenden Kennzeichnungen der patriarchalen Gesellschaftsform bei Otto Groß. Zwang und Vergewalt spielen dieselbe Rolle bei Gusto Gräser und auch schon bei Fourier. Die auffällige Entsprechung besonders zwischen Gräser und Groß dürfte ein deutlicher Hinweis sein, daß hier eine Einwirkung stattgefunden hat.

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6. Die dreitausendjährige Herrschaft des Patriarchats, eine geistesgeschichtliche Katastrophe, hat (in der Darstellung Fouriers durch Bebel) eine frühere mutterrechtliche Ordnung abgelöst. Sie muß in der kommenden Zukunftsgesellschaft (der "Harmonie") wieder hergestellt werden. Fourier bezeichnet die zeitgenössische Gesellschaftsform zwar als "Zivilisation", doch stellt diese nur die Endstufe dar von 4 unglücklichen Zeitaltern, die alle durch Männerherrschaft gekennzeichnet sind, von denen jedoch nur eines ausdrücklich den Namen "Patriarchat" trägt. Den patriarchalen Zeitaltern ging nach Fourier ein Urzustand des "Edenismus" voraus, in dem Liebesfreiheit herrschte. Dieser paradiesische Urzustand soll in der Zukunftsgesellschaft der "Harmonie" auf höherer Stufe wiederhergestellt werden.


CF

Untersuchen wir, welche Möglichkeiten es gibt, die Leidenschaften zu entfalten, statt sie zu ersticken. Dreitausend Jahre wurden töricht damit vergeudet, unterdrückende Theorien zu entwickeln. Es ist an der Zeit, der Gesellschaftspolitik eine andere Wendung zu geben. (NL 109)

  Darf man sich dann wundern, wenn man sieht, daß die Politik seit 2500 Jahren reine Männersache und ausschließlich mit Männerangelegenheiten befaßt ist, daß es noch niemals eine weibliche Politik gegeben hat, noch nie irgendeine Körperschaft, die sich damit befaßt hätte, die Rechte des weiblichen Geschlechts zu erweitern? (NL 87)

Wie Morgan deutet auch Fourier die Zivilisation als eine kurze Periode des Abfalls von der die archaische Entwicklungsgeschichte des Menschen kennzeichnenden kollektiven zwanglosen Lebensweise der Menschen, die auf einer höheren Stufe wiederhergestellt wird. (Weber 79)

Im gesellschaftlichen Urzustand herrscht der Kommunismus an Grund und Boden, und wo dieser herrschte oder noch herrscht, existiert auch überall die freie Liebe ... In diesem Zustand herrscht auch das Mutterrecht. (Bebel 142)

  Fourier hat ... , Gedanken Bachofens vorwegnehmend, auf die hohe Achtung, die die Frau in den archaischen Gesellschaften genoß, verwiesen.  (Weber 82)

 The first of Fourier's historical stages was the period of Edenism. ... this was a time of amorous liberty ... in which strong and handsome men and women freely obeyed the dictates of their passions. It was a period of "freedom from care, of delights, of amorous festivals".  (Beecher 322)

In Fourier's second period of Savagery marriage replaced free love, and women fell under the authority of men. ... Fourier had nothing but scorn for the whole system of patriarchy, and in describing its "odious" features he relied heavily on biblical accounts of the "crimes and brutalities" of the Hebrew patriarchs ... Fourier was never particularly clear about the distinction between Patriarchate and the period of Barbarism which followed it. ... For Fourier Barbarism was "an order in which every father becomes a satrap who turns his whims into virtues and exercises the most revolting tyranny over his family" ... Civilization .. the last of the four truly disastrous periods in human history ... was worse than its predecessors ...  It was just as repressive an order as Barbarism ... but "Civilization adds cunning to the violence".   (Beecher 323f.)

CF It was possible for mankind to work its way slowly up from Civilization to Harmony through the establishment of model communities. (Beecher 328)

Die natürlichen Leidenschaften der Menschen, die das eigentliche Konstituens menschlichen Seins sind, müssen wie in den archaischen Gesellschaften zu Bindungsenergien der Menschen werden. (Weber 87)

Ultimately each individual would merge with the whole. And the universe itself, as Fourier envisaged it, was pulsating with the same passions and the same sexual energies that animated the life of the individual. (Beecher 331)

GG  
Jetzt aber Schluss mit der Jahrtausendpein ...
heilloh, brennt durch, durch ins Gemeingedeihn!

Brauchten wir tausend, abertausend Jahr zu unsrer Weltverwickelung-Verstrickelung -
das Wir (wird) gleichviel oder gar mehr zu der Entwickelung, Genesung, Heimkehr brauchen ...

Was durch Jahrtausende gekränkt, verrückt,
wird nimmer übernacht zurechtgerückt!
 
OG Du goldenes Kind - wie ist es Dir gelungen, den Fluch und Schmutz zweier düsterer Jahrtausende von Deiner Seele fernzuhalten mit Deinem Lachen und Deiner Liebe? (OG an Frieda Weekley, z. n. Green: Richthofenschwestern 65)
 

ZB: Die dreistufige Zeitalterlehre von Fourier entspricht derjenigen von Groß. Die zeitgenössische Gesellschaftsverfassung bezeichnet Fourier zwar als "Zivilisation", doch sieht er sie eindeutig als eine psychologisch verfeinerte Höchststufe des Patriarchats. Für den Urzustand gebraucht er nicht das (damals noch nicht erfundene?) Wort Matriarchat, spricht auch nicht von Mutterrecht, das zu seiner Zeit noch nicht entdeckt war, kennzeichnet diese Periode jedoch als eine Zeit der Liebesfreiheit und der gesellschaftlichen Hochachtung der Frau. Den Beginn der Männerherrschaft (die logischerweise eine vorangehende Frauenherrschaft unterstellt) setzt er, wie Groß, vor 3000 oder 2500 Jahren an.

In der Literatur wird Groß durchgängig eine Abhängigkeit von Bachofen und öfters auch von Klages zugeschrieben. Belege dafür gibt es, soviel ich sehe, nicht. OG erwähnt meines Wissens weder Bachofen noch Klages; der Einfluß der beiden ist nicht mehr als eine Vermutung, eine Annahme. Das Geschichtsbild von Groß entspricht aber weit mehr dem von Fourier als dem von Bachofen.

Nun geht zwar der für OG zentrale Begriff des Mutterrechts zweifellos auf Bachofen und dessen gleichnamiges Buch von 1861 zurück, das Wort war aber um 1900 bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Engels und Bebel verbreiten sich schon in den Achtzigerjahren über das Mutterrecht. Wer zur Zeit von Groß von Mutterrecht sprach, mußte nicht unbedingt Bachofen oder Klages gelesen haben.

Es finden sich bei Groß, soviel ich sehe, keinerlei Spuren einer näheren Kenntnis der Schriften von Bachofen oder der Kosmiker. Weder ist von "Gynaikokratie" die Rede noch von "chthonischem Tellurismus", weder von "Hetärismus"  noch vom "kosmogonischen Eros" und noch nicht einmal von Amazonen, Apoll oder auch nur von Dionysos. Bei der enormen Bedeutung, die die Vorstellung vom Matriarchat für OG hatte, wäre aber zu erwarten gewesen, daß er sich mit Wonne und Ausdauer auf solche Begriffe gestürzt und sie in seinen Schriften auch gebraucht hätte. Davon ist weit und breit nichts zu sehen.

Erstaunlicherweise! Vielmehr, wenn Groß einmal, wie in 'Die kommunistische Grundidee in der Paradiesssymbolik', auf die "mutterrechtlich-kommunistische Gesellschaftsordnung der Urzeit" (Kr. 41) sich ausführlicher einläßt, dann greift er nicht auf Bachofen oder Klages zurück sondern auf - die Bibel. Eine hervorragende Bibelkenntnis wird ihm allenthalben nachgesagt, und was er in dieser seiner zentralen Aussage über die patriarchale Kulturrevolution vorlegt, sind nicht Erkenntnisse Bachofens sondern der wissenschaftlichen Bibelkritik (vgl. Kr. 53). Bereits um 1806 hatte der Theologe de Wette nachgewiesen, daß im 7. Jahrhundert v. Chr. "der gesamte ältere historische und mythologische Stoff des Alten Testaments vollständig umgearbeitet wurde" (Campbell 114), eine Umarbeitung, die einherging mit der Auslöschung der Naturkulte, namentlich denen des Baal und der Astarte.

Es könnte sein, daß Groß sich mit Bachofen oder Klages nicht ausführlich befaßt, ihre Ansichten möglicherweise nur vom Hörensagen gekannt hat. Für ein genaueres Studium gibt es jedenfalls  keine Beweise. Vielmehr scheint sein Geschichtsbild von Fourier geprägt und von ihm selbst ergänzt worden zu sein durch Folgerungen aus der Textkritik des Alten Testaments. Was bei Fourier die gehaßten Philosophen  und hebräischen Patriarchen sind, - die Hauptschuldigen an der Verteufelung der Lust, der Liebe und der Frau - , das sind  sie auch bei Otto Groß. "Gebhart hates Moses, Socrates and Plato because he views them as hellish demons, 'die dem Vergewaltigungstrieb und dem Machtgedanken die Moral geliefert hatten: Vaterverehrung, Monotheismus, Monogamie'" (Michaels 146). Groß spricht nur deutlicher aus, was auch Fourier gedacht hat aber so offen nicht sagen durfte. Er erweist sich auch hierin als Fortführer und Ausgestalter der Ideen des französischen Kulturrevolutionärs.

Schon 1879 (wenn die Angaben von Heinrichs zuverlässig sind) hatte Bebel in 'Die Frau und der Sozialismus' - unter dem Einfluß von Fourier sowohl wie von Bachofen - geschrieben:

Die Geltung des Mutterrechts bedeutete Kommunismus, Gleichheit aller; das Aufkommen des Vaterrechts bedeutete Herrschaft des Privateigentums, und zugleich bedeutete es Unterdrückung und Knechtung der Frau. ...

Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig; sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke. ...In der Liebeswahl ist sie gleich dem Manne frei und ungehindert. ... Der Sozialismus schafft hier nichts Neues, er stellt auf höherer Kulturstufe und unter neuen gesellschaftlichen Formen nur wieder her, was, ehe das Privateigentum die Gesellschaft beherrschte, allgemein in Geltung war. ...

Die volle Emanzipation der Frau und ihre Gleichstellung mit dem Mann ist eins der Ziele unserer Kulturentwicklung. ... Das "goldene Zeitalter", von dem die Menschen seit Jahrtausenden träumten und nach dem sie sich sehnten, wird endlich kommen. Die Klassenherrschaft hat für immer ihr Ende erreicht, aber mit ihr auch die Herrschaft des Mannes über die Frau.   (August Bebel, z. n. Heinrichs 346-351)

Rannte also Groß - mehr als ein Menschenalter später! - nicht offene Türen ein? Was berechtigt ihn zu seiner emphatischen Tonlage, die ihn von Bebel unterscheidet (aber mit Fourier verbindet)? War nicht die Befreiung der Frau und damit die Beendigung der Männerherrschaft - im Prinzip wenigstens - bereits ein Gemeinplatz unter Progressiven?

Es trennen ihn von Bebel und Engels und ein Stück weit auch von den Kosmikern eben die typisch fourierischen Momente: Polygamie, Abschaffung von Ehe und Familie, Venuskult und Orgie. Es unterscheidet ihn wie seinen Vorläufer von den marxistischen Sozialisten die Erkenntnis, daß es nicht nur um die rechtliche und wirtschaftliche Besserstellung des Arbeiters und der Frau geht, sondern um eine Umkehrung der kulturellen Grundwerte: nicht um Machtwechsel sondern um Kulturrevolution.

Ascona war der Ort, wo sich diejenigen sammelten, die aus der bestehenden Kultur austreten und auf eigene Faust eine neue gründen wollten im Sinne ihrer Vordenker Karl Wilhelm Diefenbach, Friedrich Nietzsche und Charles Fourier. Eine Kultur der Brüderlichkeit, der Freiheit in der Liebe, der Freiheit von Herrschaft und der Verbundenheit mit der Natur. Hier trafen sich die Enttäuschten und Ausgestoßenen der Sozialdemokratie, die dem "historischen Materialismus" einen "historischen Psychismus" (Brupbacher) entgegenstellten. Nur hier, in der von den Gebrüdern Gräser gestifteten fourieristischen Kolonie, konnte Groß den Boden finden, auf dem sein psychoanalytisch erweiterter Neu-Fourierismus keimen und sich entfalten konnte. Nicht zufällig sondern sinngemäß sollte hier, im Umkreis des Monte Hilarità, seine "Hochschule zur Befreiung des Menschen" gegründet werden.

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7. In der Zukunftsgesellschaft nach Abschaffung des Patriarchats werden die Menschen ihr Kontakt- und Beziehungs-bedürfnis voll befriedigen können. Das stärkste Bindemittel wird der befreite Eros sein, denn Ehe und Familie, die einengenden Zwangsinstitutionen des Patriarchats, werden abgeschafft. Die Frauen werden gleichberechtigt sein und die Kinder werden durch die Allgemeinheit (Kommune) versorgt und erzogen werden. Polygamie und ritueller Venuskult mit der sakralen Orgie als Mittelpunkt werden durch ihr dichtes Beziehungsgeflecht die gesellschaftliche Einheit herstellen.


CF

Die Natur hat die Liebe erfunden, um die sozialen Beziehungen unendlich zu vermehren. (NL 106) - Darum ist die Liebe diejenige Leidenschaft, die am geeignetsten ist, Beziehungen zwischen den Menschen zu knüpfen. (NL 59)

Die Einheitlichkeit, das heißt die volle Harmonie zwischen dem Menschen und der Welt ... ist aber der große Zweck Gottes, und um diese Einheit zu ermöglichen, ist die Vielseitigkeit der Beziehungen auf ausgedehnter Stufenleiter die einzige Lösung. ... ergo müssen Ehe und Familie in ihrer heutigen Gestalt verschwinden.  (Bebel 143)

Der soziale Fortschritt vollzieht sich entsprechend den Fortschritten in der Befreiung der Frau ... Die Erweiterung der Vorrechte der Frau ist das allgemeine Prinzip allen sozialen Fortschritts. (NL 90)

  In der Assoziation (wird) die Pflege und Unterhaltung der extremen Alter, der Kinder bis zu drei Jahren und der Patriarchen, als Liebeswerk der Gesamtheit angesehen. (CF z. n. Bebel 99)

Wenn die Familie abgeschafft wird, wenn die Kinder bei freier Unterkunft und unentgeltlicher Erziehung ... den Eltern keine Last mehr sind ... - dann gibt es keinen Grund mehr, die erzwungenen, lebenslangen Bande der Ehe aufrechtzuerhalten. (NL 96)

Die Polygamie ... wird in der Harmonie eine hochherzige Beziehung sein. (NL 128) - In der Harmonie geben die angelischen Paare die Zustimmung, daß andere das geliebte Wesen materiell besitzen dürfen. (NL 141) - In den Liebesversammlungen der Harmonie ... wird man großes Vergnügen daran finden, jede Eifersucht abzulegen. (NL 135)

In der Harmonie ... muß der religiöse Kult die Liebe zu Gott mit der Liebe zur Lust verbinden. (NL 127) - Die Natur treibt uns zur Liebesorgie. ... Folglich bedeutet die Orgie den edlen Aufflug der freien Liebe. (NL 157) - Es gilt, einen "Kultus der wollüstigen Leidenschaften" zu gründen (Guérin in NL 13). - Der Venuskult hat dieses Ziel auf wunderbare Weise erreicht. (NL 12)

  Die Zusammenkunft einer größeren Zahl von Partnern ist die Orgie, jedoch die "edle Orgie". Sie hat nichts mit den "schmutzigen Orgien der Zivilisation" gemein, "rein sinnlichen Zusammenkünften". Sie wird die gegenseitigen Sympathien verstärken. (Guérin in NL 33)

Unlike the brutal orgies of civilization, which took place in secret or in dimly lit rooms, Harmony's orgies would be carefully planned public events that would be held in broad daylight und would often involve an entire community. (Beecher 311)

  Sie (die Orgie) verstärkt die Sympathien jedes Einzelnen durch eine gemeinsame, kollektive Leidenschaft, die für alle Beteiligten eine neue Beziehung bedeutet. (NL 157)

GG  
... voll Wildrausch ineinander sich verschlingen
im Lebenstausch -
wie unser Erdstern, der in Polung ringt,
im Tauscherausch Urheilerholung trinkt! ...

... frohfruchtbar lebend in Weltpoligkeit,
in Eintrachtlust der Ineinanderwelt,
aus der nichts fällt ....

  .. hah, nur getreu -
so schlingt auch Uns der Wunnedrang voll Tieferquick
zum grohsen Ineinanderschlang voll Mussmusik!
 
OG Utopie als Orgie ist Erleben, erstmaliges konfliktfreies Erleben. Ohne Besitzvorstellung und ohne Wertung, ohne Konvention und nur Lebendigkeit, nur menschliches bewusstes Sein. (Franz Jung, z. n. Michaels 216)
 

 

ZB: Fourier betont, daß Polygamie und "ehrbare Orgie" in der "Harmonie" nichts gemein hätten mit den schmutzigen Orgien und der libertinistischen Polygamie in der Zivilisation. Was dort Laster ist, soll hier Tugend werden, nicht nur durch Öffentlichkeit und Rechtlichkeit und kultische Zeremonie sondern vor allem kraft ihrer gemeinschaftstiftenden und seelenerhebenden Funktion. Wenn Fourier die Kultivierung der Geschlechtlichkeit in Einzelfällen bis zum Verzicht auf sinnliche Erfüllung treibt, dann gilt dies erst recht für den "grohsen Ineinanderschlang" Gusto Gräsers, der als ekstatische Allerfahrung zu verstehen ist. Bei Groß steht zwar die Sexualität im Vordergrund, aber auch er sucht ihre Steigerung und Übersteigung in "das reine große Dritte", das "die Quelle einer Intensität ... und ein neues Leben ist" (Kr. 23). Er spricht in diesem Zusammenhang nicht nur von einer "neuen Lebensform", sondern sogar von "Glauben" und "Religion" [Fussnote 2]. (Kr. 22)

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8. Die gesellschaftliche Umwälzung soll sich nicht durch Gewalt vollziehen sondern durch Überzeugung und Erziehung und durch die Bildung intensiv und vielseitig kommunizierender Gruppen.


CF

Jede Ordnung aber, die auf Gewalt beruhe, widerspreche der menschlichen Natur. (Bebel 182)

  Fourier hat seine Assoziation als ein Netzwerk sozialer Gruppenbeziehungen entworfen, durch die die Leidenschaften des Menschen sozialisiert werden, der Mensch ohne Zwang zum sozialen Wesen wird. Fourier geht von einem spontanen Bedürfnis der Menschen aus, sich entsprechend einer gemeinsamen Leidenschaft ... zusammenzuschließen. ... Durch diese spontane Gruppenbildung soll die egoistische Selbstbezogenheit der Menschen zwanglos überwunden werden. (Weber 92f.)

GG  
Durch Bund nur wird lebendig unsre Welt.
Urbändig bin ich, doch mein Sein zerfällt,
wo ich nit bindend, wirkend, webend bleib,
ein Mit- , ein Zu-, ein Füreinander treib.
Wo sich nit fügt ein Mein zu einem Dein,
wo nit gedient wird, da kann nichts gedeihn.

Umbau - statt Umsturz und Spiessertum.

  Revolverrevolutionen - ohnmächtig bis zum Grund.
Hier von Grund treuwaltend stillgewaltige REinigung.
 
OG Ferdinand [ein Freund und Schüler von OG] wants a bloodless revolution. (Werfel z. n. Michaels 152)

ZB: Nicht nur der durch die Große Revolution bitter enttäuschte Fourier ist gegen den gewaltsamen Umsturz. Auch Gräser verachtet die "Revolverrevolution" als bloße "Lohn-Revolution" und "Rüppelution der ewigen Knechte". Gräser, Groß und Fourier haben zwar einen Kulturwandel im Auge, der in seiner umfassenden Radikalität alle nur politischen Umsturzintentionen weit übertrifft - "exécrer et non pas corriger la Civilisation"! (CF z. n. Weber 91) - , aber sie suchen den Neubeginn auf dem Wege der Überzeugung und Erziehung herbeizuführen. Auch der späte, dem Parteikommunismus und damit der Gewaltoption sich annähernde Groß betont immer noch den Vorrang der inneren, der geistigen Veränderung. "Die Vorarbeit zu solcher Revolution muß die Befreiung jedes einzelnen vom Autoritätsprinzip bewirken, das er im Innern trägt." (Kr. 52)

Fouriers Neue Liebeswelt bedeutet nicht nur den "Sieg des Lustprinzips" (Weber 98), sie bezeichnet auch den Entwurf einer von innen her solidarisch gewordenen Lebensgemeinschaft, in der die Entfremdung des Menschen von sich selbst wie von Mitwelt und Umwelt aufgehoben ist. Nach dem Gebrauch des Wortes "solidaire" durch Fourier "wird der Begriff der Solidarität zur zentralen Idee der Arbeiterkultur im 19. Jahrundert" (Weber 104). Gräser feiert den heiligen "Miteinandergang", "das große Allmiteinander"; Groß erwartet ein "unbeschränktes Sichverstehen" in der "zur Einheit geschlossenen Gesellschaft". (Kr. 53)

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9. In den erotisch kommunizierenden Gruppen (Liebeshöfen) werden psychologisch erfahrene Berater die Paarungen nach therapeutischen Gesichtspunkten arrangieren, um einen Ausgleich und Abbau bestehender Defizite herbeizuführen. In den höchsten Ausformungen der Liebesbeziehungen wird das körperliche Begehren überstiegen werden. Liebe ist eine soziale und öffentliche Angelegenheit.


CF

Variety was to be the essence of Phalansterian life ... Thus there would be constant movement ... in the new order. ... To make these encounters as rewarding as possible, the amorous hierarchy of each Phalanx had to make elaborate preparations ... The tasks of these officials included ... the admnistration of an elaborate system of erotic personality matching.  ... Everyone would undergo periodic interviews to ascertain his or her libidinal needs at the moment. These interviews would be conducted by a group of wise and elderly psychologists  - women for the most part - known as confessors. ... The confessors ... would (often) find it necessary to intervene personally and minster directly to the sexual needs of their younger clients. (Beecher 308f.)

OG Er regelte den Ablauf der Liebe, damit sich in keine Beziehung Lüge und Gewalt einschleiche. Durch Anordnung und Verbot, die sich aus der Analyse ergaben, regierte er seinen Harem. (Werfel: Barbara 398)

CF One result [in Harmony] ... would be an awakening of sentimental or platonic love (ebd. 306). The partners ... were bound by such transcendent sentimental ties that (temporariliy at least) they had no desire for physical relations. ... they ... would taste "the pleasure of transcendent platonism, the highest degree of pure love, a sort of mental eroticism that raises the partners beyond their physical desires".  (Beecher 309)

OG Das Erleben des Partners ... ist für den positiven Menschen in diesem Sinne der Inhalt einer Beziehung, das Freiwerden einer Mitfreude, die Kameradschaft, die Religion (Kr. 21f.) - Sexualität als Überwindung der Einsamkeit (ist) nicht mit der Person identisch, sondern das reine große Dritte ... , die Quelle einer Intensität, die expansiv und neues Leben ist. ... Sie ist dasjenige Lebenselement, das in dem Miterleben, in der Mitfreude ausgedrückt ist. (Kr. 23f.)

Die Sicherheit einer dauernden Beziehung ist gewährleistet, ... wenn die Sexualität nicht mehr das Erlebnis des einzelnen ist. (Kr. 24)

ZB: Die bekannte Handlungsweise von Groß, unter seinen Bekannten und Analysanden  therapeutisch gemeinte Partnerwechsel vorzunehmen oder vorzuschlagen, wird verständlicher und gewinnt an Überzeugungskraft, wenn man annimmt, daß er darin von Fourier beeinflußt worden ist, der den Leitern seiner Liebeshöfe ein solches Eingriffsrecht zugesteht. Auch die Möglichkeit, daß die psychologischen Berater in Liebesdingen gegenüber ihren Klienten und Klientinnen sexuell aktiv werden, ist bei Fourier schon vorgegeben. Auf jede nur mögliche Art und Weise einen harmonisierenden (und das heißt heilenden und entwicklungsfördernden) Ausgleich der Passionen herbeizuführen gehört zu den Grundabsichten von Fouriers Gesellschaftsentwurf.

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10. In der von Gusto Gräser unter dem Einfluß von Nietzsche und (vermutlich) Stirner entwickelten Variante treten folgende Merkmale hinzu, bzw. treten verstärkt hervor: Selbstwerdung, Entfaltung des Eigenen und der Kampf des Eigenen um seine Selbstbehauptung gegen das Fremde der Ideologien, Konventionen und Institutionen. Gräser und Groß stellen sich jedoch entschieden - und dies wiederum ganz im Sinne Fouriers - gegen die Herrschsucht und den Willen zur Macht.


GG
 
Bekenntnis muß sein des ursprünglich Eigenen, und heiße es auch sonderbar bei den Leuten.
Zu lange schon leben, nein siechen und kriechen wir als farb- und geistlose Mietmenschen, bekennen nicht das Eigene, heilig Eigene, und berauben uns alle damit der Reize frischfröhlichen Streits ...

Hilf mir, hilf uns heimgeigen zum tiefgeeignet Eigen, das Herr Verstand uns verwarf ...

Räum auf - räum aus, was tief dein Eigen nicht ...

Uns ist deutlich geworden, daß lebendige Gesellschaft nur echte, also unverzagt eigene Gesellen bilden, und nur echte, also ungezwungen eigene Schritte zu ihr führen können. 

Nach Dem und Jenem verderben oder - aus unserm Innern - gedeihn.
  Dort - nach Überlieferung - krank. Hier urgesund aus Innegang.

Wir gehn dran, im Eigensten aufzuräumen, so wird aufgeräumt lebendige Welt ...
ausgefegt wird das kalte, zwistige Wissen tötend öder, mördrisch dumpfer Moral -
aus all die Qual ...

Drum wohlauf, das heiter ringende REchte heiss erkennen, entbrennen -
und Rechthabherrschwahn entweicht, Zwang erstirbt, und aus dem Drang,
dem fühlend führenden, wirbt der Mensch seiner Welt
das menschenwürdige Leben.

OG Die Vorarbeit zu solcher Revolution muß die Befreiung jedes einzelnen vom Autoritätsprinzip bewirken, ... Befreiung vor allem von jenem sklavenhaften Charakterzug ... : von der Erbsünde selbst, dem Willen zur Macht. (Kr. 52)

Der Wille zur Beziehung im Gegensatz zum Willen zur Macht ist ... als das höchste, eigentlichste Ziel der Revolutionen aufzuzeigen. (Kr. 68)
 
GG  
Erdenherz in des Menschen Brust, schlag lebendig, schlag munter,
mit deiner queckdurchordnenden Lust schlag aus den Hirnen
den Herrschwahnwust - sprüh, wundheilendes Wunder ...

  Erwärmt uns dies, leuchtet uns dieses ein, o Freunde,
dann ist der Willen zur Macht, der willkürfreche,
zur Wend gedacht,
dann lacht uns auf Weltwilligsein, das still durch Berge geht,
durch das Allwelt, die wirbelnde, sich dreht ...

So wacht, erwacht vom Alp: Beherrschungstraum - lasst werden, sein ...

Durch der Jahrtausend Herrschwahnwust voll Muritäterei,
der monomanen Dumpfkratien, der monotonen Monarchien,
wiehert ein Freudenschrei:
"Harrei - Einherrlichkeit vorbei!" ...
 

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11. Zu dem Zeitpunkt, als OG auf den Monte Verità kam, stand Erich Mühsam unter dem beherrschenden Einfluß von Karl Gräser. Er wollte dessen Schriften herausgeben und dürfte OG in dessen Ideen und bei Gräser selber eingeführt haben.

12.  Zu dem Zeitpunkt, als OG auf den Monte Verità kam, gab es dort unter Führung der Gräsers bereits die Praxis der (ehrbaren) "Orgie" in Form von nächtlichen Nackttänzen im Wald. Es gab auch bereits eine Gruppe von etwa 60 Personen, die an diesen Aktivitäten teilnahmen, darunter anscheinend zeitweise eine größere Anzahl von (anarchistischen/russischen?) Studenten aus Genf und Bern. Diese Ausdruckstänze mit therapeutischem Einschlag gingen vermutlich auf Gusto Gräsers Bekanntschaft und Freundschaft mit dem amerikanischen Geschwisterpaar Raymond und Isadora Duncan zurück.

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_____________________

In seiner Kulturkritik war Fourier ein gnadenlos klarblickender Realist. Seine Utopie, unglaublich kühn und weit vorausschauend in ihrer Radikalität, war allerdings allzu naiv und teilweise rückwärtsgewandt in ihrer Ausgestaltung. Otto Groß hat den Entwurf seines großen Vorgängers psychoanalytisch vertieft und untermauert und zugleich den Bedingungen des Industriezeitalters angepaßt. Er hat ihn aber auch vereinseitigt, hat ihn in der Nachfolge Freuds weitgehend auf seine sexuelle Komponente reduziert. Gräser dagegen hat vorzugsweise den andern Flügel des fourierschen Denkgebäudes bewohnt und ausgebaut: die Humanisierung der Arbeit, ihre Umwertung zu "Arbeitspiel", "Genußmittel"  und "Urvergnügen" (GG). Beiden gemeinsam bleibt jedoch die für das fouriersche Denken grundlegende Forderung: die Lust-, Freude-, Liebes- , kurz:  die Glückspotentiale des menschlichen Daseins zu erkennen und im Einzelnen wie in der Gesellschaft zu entfalten [Fussnote 3]. Dieser hehre Wunsch und der Versuch. ihn zu verwirklichen, machte sie - ganz ebenso wie Fourier - zu verlachten und gefürchteten "Narren" ihrer Zeit.


Wer hat den Weg zur neuen Welt gefunden?
Ein "Narr", verfallen afterweisem Spotte.
Am Kreuz erliegend seinen Nägelwunden,
Wird uns ein "Narr", der elend stirbt, zum Gotte.
Versänk' die Sonne in des Dunkels Schlünden,
Daß uns das Morgen keinen Morgen brächte,
So würde morgen eine Fackel zünden
Irgend ein Narr dem menschlichen Geschlechte.

(Übersetzung eines Gedichts von Béranger
über Fourier, z. n. Bebel 239)

 

                                                                                                 Gusto Gräser

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Literatur zu Otto Gross (Auswahl)

Abels, Norbert

Franz Werfel. Reinbek 1990.

Anz, Thomas

Zwischen Freud und Schwabing. Otto Groß: ein vergessener Kulturrevolutionär im Wilhelminischen Deutschland. In: Süddeutsche Zeitung vom 11./12. Februar 1978.

Anz, Thomas

Zur rechten Zeit wiederentdeckt. Der Freud-Schüler Otto Gross. In: Süddeutsche Zeitung vom 27./28. 9. 1980.

Anz, Thomas

Franz Kafka. München 1992.

Backes-Haase, A.

"Der neue Mensch" - ein Erziehungsentwurf der Moderne: Der Fall Gross. In: Hofmannsthal-Jahrbuch zur europäischen Moderne, 21, 1994, S. 333-358.

Bardill, Linard

Der Sprung im Traum - Annäherung an Otto Gross. (Theaterstück) 1989?

Becher, Johannes R.

Abschied. Roman. München 1987.

Behrens, Alexander

Johannes R. Becher. Eine politischer Biographie. Köln 2003.

Berg, Hubert van den

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Fussnoten:

[1] Hervorhebungen durch Fettdruck stammen von mir, H. M.

 Abkürzungen: OG = Otto Groß; GG = Gusto Gräser; KG = Karl Gräser; CF = Charles Fourier.

[2] Selbstverständlich ist zwischen dem "grohsen Ineinanderschlang" Gräsers und  der Orgie im  Sinne von Groß klar zu unterscheiden. Gräsers Ekstase kommt aus geleisteter Bewährung in Kampf und Not (er tanzt und singt in der Gefängniszelle!), ist die Frucht einer extremen Hingabe und Selbstgefährdung bis an die Grenze von Leben und Tod, ist Glücksrausch des Überlebenden. Denkbar weit entfernt davon ist jene von Drogen befeuerte sexuelle Enthemmung, wie sie Otto Groß und Theodor Reuß auf Monte Verità praktiziert haben. Und doch kann es kaum Zufall sein, daß sowohl der Sexualanarchist Groß wie der Sexualmagier Reuß sich Ascona als Ort ihrer Inszenierungen ausgesucht haben. Durch ihre normwidrige Erscheinung und Lebensweise hatten die Gebrüder Gräser einen Freiraum geschaffen, der nach jeder Richtung hin ausgeweitet und auch mißbraucht werden konnte.


[3] Man wird einwenden, Fouriers Schrift 'Le Nouveau monde amoureux', in der er seine Ansichten zum Thema Erotik ausführlicher darlegt, sei zu Groß' Zeiten nicht bekannt gewesen. Ein Gutteil dieser Ansichten läßt jedoch auch Bebel in seiner Monographie erkennen. Wie weit die diesbezüglichen Kenntnisse eines Lesers um 1900 gehen konnten, ließe sich nur durch ein gründliches Studium der damals zugänglichen Quellen bestimmen. Wie auch immer das Ergebnis ausfallen mag, so ist doch soviel sicher, daß die gedanklichen Positionen von Groß auf verblüffende Weise mit denen Fouriers sich decken.





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