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Demian |
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Während des Ersten Weltkriegs erlebt Hesse „die brennendste Epoche seines Lebens“, eine Wandlung von Grund auf. Nach einem seelischen Zusammenbruch kehrt er reumütig zu seinem Freund und Meister zurück. Jede freie Zeit verbringt er in seiner alten „Zuflucht“ im Tessin, seiner „thebaischen Wüste“, seinem „heiligen Land“, in Gemeinschaft mit Gusto Gräser und dessen Frau Elisabeth. Der einstige Kriegsfreiwillige wird zum entschiedenen Kriegsgegner. In einem Roman gestaltet er seine neuen Erkenntnisse. Gusto Gräser, sein „Freund und Führer“, wird ihm zu „Demian“, Frau Elisabeth zum Symbol der Urmutter Eva. |
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Heimkehr zum Freund Am 5. September 1916 kehrt Gräser aus Siebenbürgen auf den Monte Verità zurück. Zwei Tage später trifft er sich im Hause Neugeboren in Locarno-Monti mit Hermann Hesse. Nach neunjähriger Flucht und Entfremdung findet Hesse zurück zu seinem „Freund und Führer“. Der zweite Teil des ‚Demian’ erzählt die Geschichte seines Lebens zwischen 1915 und 1917. Hesse-Sinclair lernt erst Beatrice kennen – Hilde Neugeboren, die Tochter einer Gräserfreundin - , dann Pistorius – seinen Analytiker Josef Bernhard Lang - , schließlich findet er seinen alten Freund Max Demian wieder – Gusto Gräser – und verliebt sich in dessen „Mutter“, Frau Eva, die in Wirklichkeit Gräsers Gefährtin ist – Frau Elisabeth. Seit September 1916 verbringt er jeden Urlaub in Locarno, von wo aus er den Freund jederzeit erreichen kann. Unter dessen Einfluss wandelt sich der ehemalige Kriegsfreiwillige zu einem Apostel des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Er macht sich die Anschauungen Gräsers zu eigen, die er in den Reden Demians sinngemäß wiedergibt. Er erlebt in Gräser die Verkörperung des Selbst, in Frau Elisabeth die der Großen Mutter. Er fühlt sich aufgenommen in einen Bund von Zukünftigen, die das werdende Neue ahnen und für es bereit sein wollen. Das Gräserhaus auf Monte Verità wird ihm eine Trauminsel der Erfüllung, Beispiel und Vorbild „einer anderen Möglichkeit zu leben“. |
Wer war Demian? Niemand
hätte ich von meinen Träumen, meinen Erwartungen, meiner
inneren Umwandlung ein Wort sagen können, auch nicht, wenn ich
gewollt hätte. Aber wie hätte ich dies wollen können? Hermann Hesse:
"Demian"
An den Geheimnissen, zu welchen die Kritik nicht vordringt, bleibt dem Dichter nach wie vor sein stilles Recht, sein kleines, behütetes Geheimnis. Hermann Hesse: "Demian“ Er
konnte nicht davon sprechen, damals nicht und in seinem ganzen Leben
nicht.
Hermann Hesse: "Glasperlenspiel"
Urbild von Hesses Demian ist jener „Freund und Führer“, zu dem er in der Not der Kriegsjahre zurückgefunden hatte. In der ersten Hälfte seines Romans verarbeitet er Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend, in der zweiten Hälfte seine Begegnung mit Gusto Gräser von 1916/17. Beide Erfahrungen ließen sich in der Traumgestalt des Demian deshalb leicht verbinden, weil Hesse in Gusto Gräser sein eigenes alter ego, sein tieferes Ich wiedererkannte. Er selbst war ja in jungen Jahren ein Aufrührer gewesen, ein potenzieller Aussteiger, der ohne Hut und Mantel einfach loswanderte, ins Blaue hinein, ein "Anarchist", ein "Nihilist", ein Gefangener und "Verrückter", der den Gott der Christen zum Teufel jagen, der lieber sterben als gehorchen wollte. Nach diesen Ausbrüchen des Fünfzehn- und Sechzehnjährigen hatte er sich wieder unter das Joch der Konventionen und "Realitäten" gebeugt, war ein besonders braver, strebsamer und äußerlich angepasster Jungbürger geworden. Als ihm nun in Gusto Gräser einer entgegentrat, der all das, wovon er einst geträumt hatte, wonach er einst gedrängt hatte, in voller Konsequenz verwirklichte, da musste er gebannt und überwältigt sein von dieser Manifestation seines geheimen, seit Jahren unterdrückten alter ego. Nur so ist zu erklären, dass der junge Ehemann und frischgebackene Vater, während der Bau seines ersten Hauses in vollem Gange ist, unverzüglich aufbricht, um dem durchwandernden Gusto Gräser in dessen Felshöhle in den Südalpen zu folgen. Er hat diesen Nachfolgeversuch nicht durchhalten können, kehrt zu seiner Familie zurück, macht einen zweiten fast zehn Jahre dauernden Versuch der Anpassung an die gesellschaftlichen Normen. Vergebens. Auf Fluchtversuche bis nach Hinterindien, auf mehrere Therapien und Klinikaufenthalte folgt im März 1916 der seelische Zusammenbruch. Er kehrt zu seinem ehemaligen Freund und Meister, zu Gusto Gräser zurück. Es macht also Sinn, dass er seine Jugendgeschichte mit der Gegenwart von 1916/17 verknüpft. In Demian verschmilzt seine eigene geheime Grundfigur mit der seines Freundes. Es kommt hinzu, dass er, als er im September 1916 den Kriegsdienstverweigerer Gräser in Ascona besucht, auf dessen Lebensgefährtin Elisabeth Doerr trifft, eine Mutter von sieben Kindern, die das jüngste, eben drei Tage alt, im Arm und an der Brust hält. Sie erfüllt sowohl seine verdrängte Muttersehnsucht wie auch seine unbefriedigte Erotik, passt dazuhin hervorragend in das von Bachofen, C.G. Jung und auch Gräser selbst vorgezeichnete Urbild der "Großen Mutter". Kein Wunder, dass er den Eintritt in dieses Haus, so weltfern und unberührt von allen Scheußlichkeiten des Weltkriegs, wie einen Feiertag und eine Konfirmation erlebt, als jubelnde Bestätigung und Befestigung seines Innersten: seines Widerstands gegen den Krieg, gegen die Bürger- und Geschäftswelt, gegen die überkommene christlich-pietistische Tradition; als Befriedigung seiner Sehnsüchte nach Freiheit, nach Eigensein, nach warmer Mütterlichkeit, vor allem aber als Erfüllung seiner Hoffnung auf ein zukunftsfähiges Gegenbild zur zusammenbrechenden patriarchal-autoritären Herrschaftstradition. All dies konnte er in Gusto Gräser finden, zugleich aber in ihm auch die lebendige Verkörperung der ihm durch C. G. Jung nahegebrachten archetypischen Visionen, namentlich der zentralen des heldischen, christusförmigen Selbst. Hesse ist so begeistert, dass er nach seinem dreiwöchigen Aufenthalt bei Ascona sich auf Dauer in der Nähe der Gräsers niederlassen will. Er beauftragt seinen Freund Gustav Gamper, ihm in der Gegend von Locarno ein Häuschen zu besorgen. Dies geschieht, ein ideal passendes Objekt wird gefunden (vgl. 'Die Zuflucht'). Doch nun will Hesse nicht mehr. Denn inzwischen war Gräser in Zürich und Bern verhaftet worden, vor seiner Haustür sozusagen, und Hesse wird bewusst, in welche Gefahr er sich begibt. Immerhin schreibt er dann im Januar 1917 an den Maler Hans Sturzenegger, er sei bereit, den Bruch mit Heimat, Familie und Stellung zu vollziehen, bekennt sich auch erstmals zu den Kriegsdienstverweigerern. Er versucht sich aus dem Dienst bei der Botschaft zu lösen, wird auf unbegrenzte Zeit beurlaubt. Hesse steht vor dem Absprung, vor einer einschneidenden Entscheidung. Um Zeit für eine unbeeinflusste Selbstprüfung zu gewinnen, zieht er nicht nach Ascona sondern verbringt die Wintermonate in einer Hütte seines Freundes Emil Molt im Engadin. Das Ergebnis seines Nachdenkens: Er wird nicht Gräser nachfolgen, er wird einen Roman schreiben. Einen Roman über seine Gespräche mit diesem "Freund und Führer", ein enthusiastisches Bekenntnis zu ihm, aber doch so gefasst, dass weder er als Autor noch Gräser als die gemeinte Person zu erkennen sein wird. Er wird Demian zu einem Soldaten machen und damit dem Zeitgeist und dem Geschmack des Publikums entgegenkommen. Ein solcher Schritt war schon ein halber Verrat am Freund, dem er sein Dichtwerk ebensowenig als sein eigenes vorlegen konnte wie der übrigen Umwelt. Der Weg zu Trennung und Entfremdung war damit eingeschlagen. Aus dieser Seelenlage resultiert das Widersprüchliche des Romans und insbesondere der Gestalt des Demian. Das ist einer, der in seinen Reden den absoluten Widerstand gegen die herrschenden Ideen und Mächten verkörpert, der die volle Deckungsgleichheit von Tun und Denken fordert – und der dann doch den herrschenden Mächten sich zur Verfügung stellt. Es ist der Widerspruch in Hesse selbst, nicht der von Gusto Gräser. |
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Grundlegendes Thema des Romans ist die Suche nach dem Selbst. Dem suchenden Sinclair tritt sein tieferes Ich im Freund entgegen, in einem charismatisch-messianischen Menschen, in Demian. Der Freund ist Statthalter und Repräsentant seiner noch ungekannten Tiefe. Es ist ein Irrtum der Hesseforschung, dass Hesse die Idee des Selbst-Archetyps und seiner symbolischen Verkörperung im Freund von C.G. Jung übernommen habe. In Wirklichkeit hatte Jung diese Idee zu jener Zeit noch gar nicht entdeckt. "Es ist zu bedenken", schreibt einer seiner Biographen, "daß das Symbol des Selbst um 1916/17 von ihm (C.G. Jung) noch gar nicht in seiner vollen Bedeutung entdeckt worden war. Erst vom Jahr 1928 an wurde von ihm das Selbst als Bildausdruck einer totalen Persönlichkeit und als eine dem bewußten Ich übergeordnete Ganzheit geschildert." (Gerhard Wehr: C. G. Jung und Rudolf Steiner. Stuttgart 1972, S. 186) Dagegen hat Gräser das Konzept des Selbst, verkörpert im archetypischen FREUND, schon seit mindestens 1911 verkündet und, was mehr ist, in seiner Person darzustellen versucht. Gräser ist durch die Lande gezogen und hat sich allenthalben vorgestellt als der große FREUND, als Repräsentant und Statthalter unseres allgemeinsamen Selbst, nach dem wir alle auf der Suche sind. So in seinem Flugblatt von 1911/12: "Ein Freund ist da – mach auf! ... Mein ich den Himmel? Mein ich die Erde? – Dich Selber mein ich ... zu Dir Selber will ich Dich locken ... " (GG: Ein Freund ist da – mach auf! Berlin, um 1912. S. 3) Und, in erweiterter Fassung, in 'Winke zur Dornenrose': " "Ein Freund ist da – mach auf! Ein Freund?! ... - Du Selbst, der Du Dich aufmachst – Du Selbst, der Du wagst Dich offen freundlich zu geben statt feige höflich zu benehmen ... Ein Freund ist da, mitfühlend tapfer da, der Feind aber schweift feige spekulierend in trüben Fernen ...Also wohlauf! Was Ziel, was Zweck? Woher und Wohin? ... Ein Freund ist dem Dasein heiter ergeben, dem Dasein immerda. ... Wohlauf, sei da, sei Du, sei ein Freund!" (GG: Winke eines Wirklichkeitfrommen zur Dornenrose als zur Aufheitrung unsres Lebens.Typoskript, um 1930. S. 108) Gräsers Botschaft ist die Ethik der Selbstverwirklichung, der Selbstwerdung, der Freundwerdung – und Hesse hat sie vernommen und in seinem Werk weitergegeben. Die Jungsche Psychologie mag für Hesse hilfreich gewesen sein, diesen dichterisch und menschlich vorgegebenen Entwurf theoretisch zu untermauern. Gräser und Hesse gehen jedoch Jung in der Konzeption voraus. Ja sie haben möglicherweise diesem einen Anstoß gegeben. Der 'Demian' habe auf ihn gewirkt "wie ein Leuchtturm in der Nacht" schrieb Jung an Hesse. Es kann also kaum die Frage sein, wer hier wen "erleuchtet" hat. Es geht jedoch nicht um Prioritätseitelkeiten sondern um die tiefere Fassung einer neuen Ethik und eines neuen Menschenbildes, wie sie, im Unterschied zu allerlei Kompromissbildungen, in reiner Form von Gräser ausgesprochen und verkörpert worden ist. Der Siebenbürger, der sich auch "A. T. Räumer" nannte, ruft uns zu Selbstsein, Selbstwerden und Selbstbestimmung (1). Das Selbst ist gekennzeichnet durch Spontaneität, es wirkt und verwirklicht sich ohne Druck und Zwang, von selbst (2). In dem Es wirkt, der wird zum Freund (3). Er lebt im Bund mit allen Menschen und Wesen (4). In diesem Bund verwirklicht sich das "Ringruhreich" oder "Erdsternreich" (5). (1)
Willkommen bei Dir Selbst! Wir im engern Kreis ... empfanden einzig das als Pflicht und Schicksal: daß jeder von uns ... ganz er selbst werde. (HH: Demian. GW V, 144) * Hast Du Heimweh, hör, nicht nach Dir Selber? ... * "Es stünd besser um die Menschheit, gäbe es mehr Jünger ihres eigensten Selbst." (GG in Gustav Nauman: Vom Lärm auf dunklen Gassen. Berlin 1907) * "SELBST" heilt die Welt! * "Vonselbst" lebst Du – "allein". * Ein Freund ist da – mach auf! ... Mein ich den Himmel? Mein ich die Erde? – Dich Selber mein ich, Du Mensch ... Zu Dir selber will ich Dich locken ... Lieber will ich Dir keine meiner Früchte, und noch viel weniger will ich Dir Lehren geben, die magst Du Dir Selber ziehen ... auf daß Du mir ja kein Anhänger werdest, vielleicht aber ein Freund! (GG: Ein Freund ist da – mach auf! Berlin, um 1912) * Wohlauf, o Freund, im Eigentlichen freih, fromm ringeruhn wie 's Küken in dem Ei, in unsrem Selbst, dem innig einfaltgroßen, fern Ichnarr, fern dem Ichmichlein, dem Selbstlos-, Heimatlosen! * "Eine uns moderne Menschen zunächst fremd anmutendes Bild ... eine Täufer-Johannes-Gestalt, welche die Menschen zur 'Heimkehr zu sich selbst' aufmuntert. Man könnte sich auch an Zarathustra erinnert fühlen, wie ihn der Weise von Sils-Maria uns gezeichnet hat. Aber hier ist mehr als Zarathustra, sofern die Tat mehr ist als das Wort. (Alfred Daniel in: Stuttgarter Tagblatt, 1913) * Freund, komm heim ... heim zu dir Selber wagen! (GG: An Dich, mein Freund ... , Flugblatt, Ascona 1917) * Allselbst ist Heil. * Urselbst, das wartet dein. * (2) Das heilige Vonselber Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer? HH: Demian. GW V, 7 * Selbständig, selbstherrlich, selbstbewusst – o weh! Juchhe – das heilge Vonselber! * Vonselber lebt die Welt! Vonselber pulst, durchheilt, durchhellt uns all ihr Sein, das unsre Wunden schließt, hinschmelzt demn Schmez - - - o seelgeselliges Allweltenherz ... Nur Achtung, Andacht eingebornem Heil, nur Ehr ihm, Ehr so keimt, so blüht's; doch ohne Gruß ergrünt Es nimmermehr! * Vonselberwirklichkeit * Nur innig beginnen! – Eins aus dem Andern, von selber kommt es, es macht sich – willst Du es machen, dann Du, zermach es nur nicht! Von Selber fasset es Grund und keimet und kommet von selber, freut sich des Lebens, labend uns insgemein ... * Vonselbersein * ... Eins aus dem Andern still bindentbindt, ohn Suchen findt Reinselbertun, wie Erde tut, Baum, Blume, Tier und Kind ... * Drum bescheidet in Einfalt der Weise sich – will nichts erzwingen, so zwingt ihn kein Zweck, innig lebendig, über allen Zwiespalt hinweg, lebt er in heiliger Dreifalt drein, im Wieder-Vonselbersein. Selig von Selber leuchtet das Licht ihm auf, fröhlich von Selber lachts in die Welt: ... * Der BAUM des Lebens keimt und kommt ja doch nur von Selber! (Gusto Gräser an Hermann Hesse, 30. 12. 1918) * (3) Zum Freund So entsteht eines der seltsamsten und tiefsten Bücher unserer Literatur: ein hohes Lied vom Freunde, der in die Mysterien einweiht und Züge der Vorsehung in seinem rätselhaften Gesichte trägt. (Hugo Ball: Hermann Hesse)
*
Sag mal: Warum sind deine Siebensachen so eigentümlich, so, so selbstgebacken? Merkst du es nicht? – Weil mich ein Müssen brennt zu einem Leben, das den Freund bekennt. * Der Spott verklingt in ungeliebter Ferne, was wirklich nah, das kann der Freund nur sein, der wohnt im Lande, das ich immer mein, das helle liegt im Licht urheitrer Sterne. * Denke nimmer ans Entrinnen, aber an den Freund Alldrinnen! * Tritt ein, tritt aus, und bleib, geh, bleibe hier, hier wo die Welt wallweilt, hier, Freund, bei DIR. * Zum Heiland da Drinn! Zum Freund * (4) Zum Bund der Lebendigen Das war nun meine Glückszeit gewesen, die erste Erfüllung meines Lebens und meine Aufnahme in den Bund. (HH: Demian. GW V, 155) * Heran alle, die ihr – satt des höflich verlogenen Treibens – nach freundlich tapferem Leben sehnet und ringet – heran, die ihr hungrig nach menschenwürdig edler Geselligkeit, keiner noblen Herde, keinem behäbigen Haufen mehr dienen könnt – heran zu Unsrem freien Bund! (GG: Heimat, Berlin 1912) * Den Menschen zu erringen, ihr Redlichen, heran, auf dass wir höher bringen, was lachend leben kann. Auf dass in unsrer Erden urkräftiglichem Grund wir wieder heimisch werden, mit Uns in echtem Bund. Was sollt uns mehr gelingen? Wohlauf, uns Selbst erringen! (GG: Denkblätter zur Mahnung an den Freund. Ascona 1918) * Urbändig notwillig leben – so wächst lebendiger Bund. (GG: Wortfeuerzeug, Berlin 1931) * Durch Bund nur wird lebendig unsre Welt. Urbändig bin ich, doch mein Sein zerfällt, wo ich nit bindend, wirkend, webend bleib, ein Mit-, ein Zu-, ein Füreinander treib. Wo sich nit fügt ein Mein zu einem Dein, wo nit gedient wird, das kann nichts gedeihn. (GG: Dreibuch Leben, München, um 1946) * Zu Erbauung des allnotwendigsten Bundes der Lebendigsten. (GG: Plakat, München, um 1950) * (5) Zum Menschenreich! (Demian) predigt ein kommendes Reich und belehrt die Schar seiner Jünger durch Gleichnisse. ... Im Mittelpunkt seiner Lehre steht das Kommen eines neuen geistigen Reichs, für das sich die Menschen bereiten sollen. Theodor
Ziolkowsky
*
Wenden zum Reich, dem rauhtraut Redlichen, vom Kratenteich des Allweltkrampus Staat. * Trachtest Du noch nach Anderem als nach dem Reinreich, Du, des Reichtum dem, der ihm eingeht, wie Lenzluft um die Stirne weht, wie Herbstfrucht fallet zu? * Das Menschenreich! "Dass der Mensch zum Menschen werde, stift' er einen heilgen Bund gläubig mit der frommen Erde, seinem mütterlichen Grund." – Das klingt nach Mann, klang längst aus schwäbschem Mund voll Urgemüt, durch seinen Dichter ward es längst uns kund - - - Kam nit von Rechts, von Links, aus Halbheit, Schiefe, denn aus Weltmitteltum, aus – RINGS – gelang's, aus Inbrunsttiefe, grundeignem Drang ... * Wo ganz der Mann, blüht bald auch ganzes Weib, Leben erzeugend, darin urheilger EHE Herzwerk hintilget all das Zwiespaltwehe aus unserem heimeligen Erdsternleib, tilgt mit Heilloh – bis Volk und Völkern all auf dem dunklichten Sternenball wieder das Eine, Reine bleibt, das Ringruhreich . . . Hah, schon hebt sich Ringreichkron – fahr dahin, du Staatsfrostfron! Hinter uns ganz, du Nazibazi-Nobelfritzi-Hochfeinfratzi-Machi-Nation! Vor uns, mit uns, allbereit – Ringreich voll Mannheiterkeit, tief bescheiden, frisch entschieden, freundfroh ringend, nie zufrieden, ins dornrosge Ganz geweiht: Fahr, fahr hin, Hohlherrlichkeit! * So freuet Euch – hah, feuert Euch – aufs Neue wird gegründet, entzündet neu Menschsein im Erdsternreich, - herzgottentfacht – aus dem nahfern, urtraulich schimmerlacht die Gartenzeit – Weltheimkehrzeit ... * |
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Warum
stellt Hesse seinen Demian in das Milieu des Monte Verità? –
Weil „Demian“ dort gelebt hat. Der Bund vom Monte Verità Äußerer und innerer Kreis in ‚Demian’ Hesse
unterscheidet deutlich die Mitglieder und Gäste des Sanatoriums
von Oedenkoven (äußerer Kreis) von dem Freundeskreis um
Gusto Gräser (innerer Kreis):
„Außer Frau Eva, Max und mir gehörten zu unserem Kreise, näher oder ferner, noch manche Suchende von sehr verschiedener Art. Manche von ihnen gingen besondere Pfade, hatten sich abgesonderte Ziele gesteckt und hingen an besonderen Meinungen und Pflichten, unter ihnen waren Astrologen und Kabbalisten, auch ein Anhänger des Grafen Tolstoi, und allerlei zarte, scheue, verwundbare Menschen, Anhänger neuer Sekten, Pfleger indischer Übungen, Pflanzenesser und andre. … Es gab Buddhisten, die Europa bekehren wollten, und Tolstoijünger und andere Bekenntnisse.“ Jeder Kenner des Monte Verità weiß, dass sich eben solche Menschen in der Siedlung über Ascona zusammenfanden oder als Besucher sich einfanden: „Pflanzenesser“ zunächst und vor allem, d. h., Vegetarier, dann Tolstoijünger, Buddhisten, Hinduisten, auch Astrologen und Kabbalisten. Hesse bildet genau die Gesellschaft ab, in der sich Gusto Gräser und auch er selbst 1907 und nun wieder 1916/17 bewegten. Frau Eva, Max und Sinclair - gemeint sind Frau Elisabeth Gräser, Gusto Gräser und Hesse selbst - bildeten einen Kreis für sich, der sich mit den ihnen „näher oder ferner“ stehenden Betreibern und Gästen des Sanatoriums nicht identifizieren wollte. Deren „besondere Meinungen und Pflichten“, deren „abgesonderte Ziele“ teilten sie nicht, wollten ihnen aber eine gutwillige Achtung nicht versagen. Mitglieder des Sanatoriums von Oedenkoven Tolstoijünger Albert Skarvan Tolstoijünger Straskraba Theosoph Dr. Schneider „Mit diesen allen hatten wir eigentlich nichts Geistiges gemein als die Achtung, die ein jeder dem geheimen Lebenstraum des andern gönnte. Andre standen uns näher, welche das Suchen der Menschheit nach Göttern und neuen Wunschbildern in der Vergangenheit verfolgten und deren Studien mich oft an die meines Pistorius erinnerten. Sie brachten Bücher mit, übersetzten uns Texte alter Sprachen, zeigten uns Abbilder alter Symbole und Riten und lehrten uns sehen, wie der ganze Besitz der bisherigen Menschheit an Idealen aus Träumen der unbewußten Seele bestand, aus Träumen, in welchen die Menschheit tastend den Ahnungen ihrer Zukunftsmöglichkeiten nachging.“ Mit diesen „Andern“ sind zwei theologisch und philosophisch gebildete junge Männer angesprochen: der Schriftsteller Johannes Nohl, der wenig später Hesses Analytiker werden sollte, und der stellungslose Philosoph Ernst Bloch, der im Frühjahr 1917 in jenem Hause Wohnung bezog, in dem auch Hesse sich vorzugsweise aufhielt: in der Villa Neugeboren in Locarno-Monti. Beide waren selbstverständlich Kenner alter Sprachen und beschäftigten sich mit Fragen der Religionsgeschichte und der Mythologie, wie aus ihren damaligen Schriften hervorgeht. Dass die Religionen und Weltanschauungen der Menschheit unbewusste Vorahnungen künftiger Entwicklungsmöglichkeiten seien, ist genau die These, die Bloch zeit seines Lebens vertrat und in seinem Buch‚ ‚Geist der Utopie‘, das er 1917 im Hause Neugeboren abschloss, erstmals vorstellte. Mystik- und Mythenkenner: der Philosoph Ernst Bloch der Theologe Johannes Nohl, „Wir
im engern Kreise hörten zu und nahmen keine dieser Lehren anders
denn als Sinnbilder.
Uns schien jedes Bekenntnis, jede Heilslehre schon im voraus tot und nutzlos. Und wir empfanden einzig das als Pflicht und Schicksal: daß jeder von uns … ganz er selbst werde.“
Hermann Hesse: Demian (GW V, 143f.)
In diesen
letzten drei Sätzen setzt sich Hesse sich und mit ihm Gräser
in aller Deutlichkeit ab sowohl von den Sanatoriumsleuten wie von den
beiden mythologisch interessierten Intellektuellen. Für sie gibt
es keine Lehre, kein feststehendes Wissen, erst recht keine
Konfession. Sie sind offen für das Unvorhersehbare, das das
eigene Selbst ihnen eingibt.
Was könnt uns mehr gelingen? Wohlauf, uns Selbst erringen. Gusto Gräser
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Das
Gusto
Gräser: Heimat. Berlin 1912
Wir,
die mit dem Zeichen,
mochten mit Recht der Welt für seltsam, ja für verrückt und gefährlich gelten. Wir waren Erwachte, oder Erwachende … Während, nach unserer Auffassung, wir Gezeichneten den Willen der Natur zum Neuen, zum Vereinzelten und Zukünftigen darstellten, lebten die andern in einem Willen des Beharrens. Dazu sind wir gezeichnet – wie Kain dazu gezeichnet war, Furcht und Haß zu erregen und die damalige Menschheit aus einem engen Idyll in gefährliche Weiten zu treiben. „Das Zeichen? Was für ein Zeichen?“ „Wir nannten es früher das Kainszeichen … Es ist unser Zeichen.“
Hesse:
Demian
"Wir, die mit dem Zeichen ... " (GW V, 142). Demian, Frau Eva und nach und nach auch Sinclair, sie tragen es. Gemeint ist das Mal, mit dem Kain gezeichnet ist, ein Mördermal, für Demian aber eine Auszeichnung. Wie dieses Zeichen aussah, darüber sagt uns Hesse nichts. Auch die Bibel schweigt dazu. Und doch kennen wir Demians Zeichen. Es ist Hesse auf den Schriftstücken von Gräser immer wieder begegnet. Es findet sich gleich zweimal auf der Postkarte, die Gräser am 26. September 16 an Hesse gesandt hat, es findet sich auf Gräsers Briefen an Hesse von 1916 und 1918, es findet sich auf seinen Flugblättern, Flugschriften und Spruchkarten. Gräser ging sogar so weit, dieses Zeichen in seinen Gedichten an Stelle eines Punkts zu verwenden. Es war ihm heilig, es war ihm wichtig, es floß ihm unwillkürlich aus der Feder. Ein innerer Drang muß ihn dazu bewegt haben, bei jeder möglichen Gelegenheit diesen nicht einfachen Schriftzug auszuführen. Er sprach darin sein Wesen aus, seine Botschaft. Es leuchtete ihm gewissermaßen von der Stirn. Dieses Zeichen ist das Pentagramm, der Drudenfuß, ein fünfzackiger Stern. Uraltes religiöses Symbol, mal positiv mal negativ gedeutet, immer aber als höchst wirksam betrachtet. Zeichen der Zauberer, der Magier, der Freimaurer, der Ketzer. Immer mit der Bedeutung des Geheimnisvollen, eines Blicks und Zugangs in verschüttete Tiefen, ein Schlüssel zum Unbewußten und zu göttlichen Kräften. Es erscheint auf antiken Mosaiken, in den Fenstern christlicher Dome, in den Ritualen der Esoteriker, und ist ein beliebtes Zeichen für alle Satanskulte. Es kann ein Zeichen dunkler Mächte sein und ein Symbol des göttlichen Lichts. Insofern ist es wie kein anderes geeignet, ein Zeichen des Abraxas zu sein, die Urkraft repräsentierend, die Gutes und Böses, Licht und Dunkel in sich vereinigt. Das Pentagramm wird als ein Bild des Menschen verstanden, dessen erhobenes Haupt, dessen ausgestreckte Arme und Beine ein Fünfeck bilden. Verbindet man die Eckpunkte in einem einzigen diagonalen Zug, so entsteht ein fünfzackiger Stern, der die Körpermitte, die Herzmitte des Menschen umschreibt, umspannt, schützend umflammt. Das Pentagramm ist auch ein Schutzzeichen, noch in Goethes 'Faust' so eingesetzt: Das Pentagramma macht dem Teufel Pein. Es ist dem Hexagramm, dem "Judenstern", nahe verwandt, mit dem es oft verwechselt wird. Im Tarot gilt es als Erdzeichen, es steht mit beiden Beinen auf der Erde. Für die Pythagoräer ist es das Zeichen der Gesundheit, hygieia, und zugleich ein Symbol der Vermählung, "ein Bild der Verbindung zweier verschiedener Elemente", nämlich der ersten geraden und der ersten ungeraden Zahl (2 und 3), und damit des Männlichen und Weiblichen (Stöber 52). Von daher, von Pythagoras her, der den Vegetariern als ihr Hausgott gilt, dürfte es Gräser zugekommen sein. Die Pythagoräer, indischer und ägyptischer Weisheit kundig, wurden von den Christen ausgerottet, verdrängt, unterdrückt. Seither lebte das Zeichen im Untergrund weiter, bei den Katharern etwa, bei den gnostischen Bogumilen, bei den Illuminaten, im Volksglauben. Es wurde "zum geheimen Erkennungszeichen unorthodoxer Randgruppen des Glaubens-lebens" (Stöber 110). "Die Symbolbedeutung der Fünf, des Fünfecks, des fünfzackigen Sterns und des Pentagramms sind die des natürlichen Menschen" (Doucet 107). Das Pentagramm steht für das große Weltgesetz und für die Einfügung des Menschen in dieses. Nimmt man all die Bedeutungen zusammen, die hier nur kurz angesprochen wurden, so ergibt sich, daß das Zeichen aufs beste geeignet war, den "neuen Glauben" der Monteveritaner um Gräser zu bezeichnen. Die Überpolarität des Abraxas ist darin, die Heilige Hochzeit des Männlichen und Weiblichen, die Verbindung mit dem Vegetarismus und mit asiatischen Weisheitslehren, die Betonung des natürlichen, erdverbundenen Menschen und der kosmischen Ordnung zugleich mit der Offenheit "für die übernatürliche Daseinsebene" (Stöber 146). Zu alledem aber war es ein Erkennungsmal der Unterdrückten, der Revoltierenden, der offiziell Verdammten, die sich in diesem Zeichen sammelten und gegen die amtlich verordnete Heilsmacht erhoben. Hesse hatte dieses Zeichen in seinen Begegnungen mit Gräser immer wieder vor Augen. Ob er selbst es gelegentlich verwendet hat, etwa in Aufzeichnungen seiner Sinclairzeit, wäre zu prüfen. Es verhält sich allerdings so, daß die Ausführung dieses Zeichens - eine schnelle und sichere Ausführung - keineswegs leicht fällt. Die Bewegung muß von innen kommen, muß spontan kommen, sie ist offenbar, wie die Hand- und Fingerhaltungen (mudras) der Meditierenden, unmittelbarer Ausfluß einer spirituellen Entwicklungsstufe. "Wer das Pentagramm richtig bilden konnte, erwies sich dadurch als Eingeweihter, Wissender und Kenner der Weltgesetze" (Stöber 99). Eine Nachwirkung dieses Sternzeichens bei Hesse könnte darin zu sehen sein, daß er Demian immer wieder mit dem Bild des Sterns in Verbindung bringt. "Gestirnhaft" wandelt Demian unter seinen Mitschülern (GW V, 51), Sterne sind ihm im Aussehen ähnlich (V, 52), und wenn er meditiert, so ist um ihn "dieser Äther und Sternenraum" (V,67). Mit Sicherheit jedoch erlebte Hesse dieses Erkennungsmal Gräsers als Zeichen einer Ausgrenzung, die er sich als Auszeichnung deutet. Sie, "die mit dem Zeichen", diese Gräsers, denen er sich zurechnen mußte, galten für seltsam, "ja für verrückt und gefährlich" (V, 142), sie erregten "Furcht und Haß" (V, 145) in der Weise, daß Gräser, wenn er in Zürich, Bern oder Locarno auftrat, sofort verhaftet und abgeschoben wurde. Nur in Ascona genoß er eine gewisse Duldung, weil die Siedler auf dem Berg, "quei matti - diese Verrückten", als ansonsten harmlose Spinner bekannt und überdies für die Gemeinde wirtschaftlich nützlich waren. Tauchte Gräser in Bern bei Hesse auf, so brachte er ihn in eine gefährliche Lage: Sollte er sich öffentlich bekennend zu ihm stellen - oder stumm bleiben und den Freund den polizeilichen Häschern überlassen? Abgesehen von jenem Spendenaufruf vom Januar 1917, den er aber weder persönlich verfaßte noch namentlich unterzeichnete, scheint er eine Stellungnahme nach außen vermieden zu haben. Statt einem Bekenntnis hat er einen Roman verfaßt und anonym veröffentlicht. Aber selbst im Roman treibt er ein Versteckspiel, das den verehrten "Freund und Führer" nur noch dem Eingeweihten erkennbar macht. Auch in späteren Zeiten hat er sich nie offen zu seiner Gräser-Beziehung bekannt. Was wir im Demian-Roman vor uns haben, ist so etwas wie eine Geheimschrift. Eine Geheimschrift, wie sie für unorthodoxe Gruppen typisch sind, die sich nicht offen bekennen dürfen, wenn sie sich nicht der Verfolgung aussetzen wollen. Hesse wollte nicht das Schicksal eines Gräser erleiden. "Er fühlt recht wohl: das führt zu noch größeren Leiden, zur Ächtung, zum letzten Verzicht, vielleicht zum Schafott ... dem Erdulden jener äußersten Vereinsamung, die um den Leidenden, den Menschwerdenden alle Bürgeratmosphäre zu eisigem Weltäther verdünnt, jener Vereinsamung im Garten Gethsemane" (GW VII, 246). Um Gräser-Demian und Gräser-Zarathustra wehte "etwas von diesem Sternengeruch" (GW X, 483), der für Hesse zugleich faszinierend und aufs äußerste angstauslösend war. Hesse hat uns von Gräsers Zeichen im Roman berichtet, allerdings ohne es uns zu zeigen. Innerlich fühlte er sich von ihm gezeichnet, ausgezeichnet: „Wir, die mit dem Zeichen … Wir waren Erwachte, oder Erwachende …“ Quellen: Doucet: Geschichte der Geheimwissenschaften. Magie, Alchemie, Okkultismus. München 1980. Hesse, Hermann: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Frankfurt am Main 1970. Stöber, Otto und Biedermann, Hans: Der Drudenfuß. Auf den Spuren eines geheimnisvollen Zeichens. Wien, München 1990. |
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Von
Hilde zu Gusto
Chronologie der biographischen Ereignisse in 'Demian' Der Demian-Roman setzt sich, biographisch gesehen, aus zwei getrennten Teilen zusammen: 1. aus Hesses Kindheits- und Jugendzeit bis etwa 1893 (Kapitel 1 bis Mitte von Kapitel 4), 2.
aus seinen Erlebnissen der
letzten zweieinhalb Jahre vor Niederschrift des Romans
Ein Vergleich ergibt: Die Zeitangaben im Roman entsprechen genau den Zeitmaßen in Hesses Biographie. Der Dichter hat sich die Mühe erspart, eine andere Zeitstruktur zu erfinden. Wenn auch in die Gestaltung der Charaktere sicher ein Mehr von Phantasie und Stilisierung eingeflossen ist, so gilt doch im Kern auch für sie: Hesse schreibt seinen Roman als Autobiographie. Die Personen Aus Hildegard Neugeboren (1891-1979), Tochter der Gräserfreundin Albine Neugeboren in Locarno-Monti, einer jungen, noch unverheirateten Frau von vierundzwanzig Jahren, Mitglied der abstinenten Wandervögel, Hesse-Verehrerin, die den Verehrten 1915 brieflich zu sich einlädt und ihm in den folgenden Jahren ihr Gartenhaus zur Verfügung stellt, wird die von Sinclair in scheuer Anbetung verehrte Beatrice. Aus dem Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang wird der Orgelspieler Pistorius. Der ebenso symbolkundige Griechischlehrer Doktor Follen ist offenkundig angeregt durch das Vorbild Carl Gustav Jungs. Aus dem Maler, Musiker und Dichter Gustav Gamper (1873 - 1948), der 1916 als Soldat in Locarno stationiert ist, sich für die Theosophen des Monte Verità begeistert und Hesse im Malen unterrichtet, wird im Roman der spiritistisch-theosophisch interessierte Mitschüler Knauer. Der Philosoph Ernst Bloch, der 1917 im Haus von Hilde Neugeboren wohnte, erscheint im Roman als ein Kenner alter Sprachen, Symbole und Riten, der die Religionen als Zukunftsträume der Menschheit deutet. Aus dem chinesischen Akrobaten in Ascona, mit dem zusammen Franziska von Reventlow auf Tournee gehen wollte, wird im Roman der kleine Chinese. Aus Gustav Arthur Gräser wird Max Demian, aus Frau Elisabeth Frau Eva, aus Hermann Hesse Emil Sinclair. Die Bewohner des Monte Verità werden unverhüllt vorgestellt als das, was sie sind: Pflanzenesser, Tolstoianer, Pfleger indischer Übungen, Anhänger neuer Sekten, Neobuddhisten, Kabbalisten. Hesse gibt jedoch keine naturalistischen Abbildungen, 'Demian' ist kein Schlüsselroman. Die lebensgeschichtlichen Anreger sind dichterisch umgeformt und im Falle von Gräser und dessen Frau im Sinne von Jungs Symbollehre archetypisch überhöht. Der zeitliche Ablauf Berücksichtigt
man, dass Hesse im 'Demian' den vorpatriarchalen
Mutter-Mythos
neu beleben will, ersetzt man "Mutter Eva" durch Frau
Elisabeth, die Ortsangabe H. (= Heidelberg) durch Ascona-Locarno,
wischt man einige andere Verkleidungsfetzen (studentisches Milieu,
Altersverschiebung, Zeitverschiebung usw.) beiseite, so zeichnet sich
im Demian-Roman – in Kapitel 7 und Anfang von 8 –
Hesses
Lebensgang von 1916/17 genau so ab, wie er uns aus den biografischen
Dokumenten bekannt ist. Zeittafel
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