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Gerhart Hauptmann
Ein Wanderer im Gebirge

Es gibt ein Gedicht von Hauptmann, in dem eine Erinnerung an Gräser festgehalten sein könnte. Das Gedicht hat den Titel 'Legende' (CA IV, 163). Es wurde am 8. Dezember 1909 niedergeschrieben.

Am 13. April des selben Jahres war Gusto Gräser durch Weimar gewandert und hatte dort unter anderen Johannes Schlaf aufgesucht. Er war auf der Suche nach Gönnern, die ihm eine Behausung für seine neugewonnene Familie finanzieren sollten. Wenn er schon in Thüringen war, ist anzunehmen, dass er auch ins nicht allzu ferne Schlesien kam und dort den seit langem mit Schlaf befreundeten Gerhart Hauptmann aufgesucht hat. Da er vor allem Dichter aufzusuchen pflegte, konnte er den damals bekanntesten nicht auslassen.



Wie eine Bestätigung dieser Vermutung erscheint nun, dass Hauptmann ein halbes Jahr später ein Gedicht niederschreibt, das die Begegnung mit einem Wanderer erzählt, einem Wanderer von ungewöhnlicher Art. Hauptmann legt die Begegnung ins Dämmerlicht der Legende, offenbar um dem Wunderbaren, Märchenhaften, ja "Überirdischen" der Erscheinung gerecht zu werden.

Das Gedicht ist mit 'Legende' überschrieben und erzählt von einem armen Holzfäller, der in stürmischer Nacht Schritte vor seiner Hütte hört.


Da hob er sich auf und dachte bei sich:
Da draußen ist einer, ärmer als ich!
Und sieh: des Kienspans Flackerlicht
leuchtet einem ins Angesicht.
Der war halbnackt und schwieg und stand
und regete weder Fuß noch Hand.
Aber er war von solcher Statur,
daß unser Holzfäller bei sich schwur:
hier winke ein weidlicher Gotteslohn,
er sei ein verirrter Königssohn! -
Die Wasser tosten zu Tale hinab.
Der Fremde kratzte die Sohlen ab,
schritt durch den holprigen Flur so leis
wie einer, der alle Wege weiß,
saß nieder am qualmigen Herde zur Rast
und ward des armen Konzen Gast. ...

Was ist das Besondere an diesem Wanderer und Gast? - Wie erfahren nicht mehr als: er ist arm, ärmer als ein Holzknecht, der immerhin seine eigene Hütte hat; er ist halbnackt, aber er wirkt wie ein verirrter Königssohn. Er lässt sich nicht herab zu bitten, er steht nur und schweigt. Er ist offenbar von großer Statur, alles andere als kümmerlich. Und er hat eine Art sich zu bewegen, die ebenfalls königlich ist: er schreitet auch dort noch, wo es holprig ist, und sein Gehen ist ein wissendes, ein bewusstes, ein tänzerisches Gehen: ein "Wandeln" fast.


Gräser ist ein besitzloser Wanderer, der allenthalben darauf angewiesen ist, an den Türen anzuklopfen und um ein Nachtlager zu bitten. Er ist hoch gewachsen und er geht halbnackt, wie gerade ein Dokument aus dem Sommer 1909 bezeugt. Am 24. Juli meldet die 'Tessiner Zeitung':
Gusto Gräser in Locarno verhaftet.

In der Via Romagna wurde gestern nachmittag der bekannte Propagandist der Nacktkultur Gustav Gräser verhaftet. Er trug eine allerdings im höchsten Grade auffällige "Bekleidung", die einen großen Teil des Körpers unbedeckt ließ. Obwohl wir für eine zweckmäßige Körperkultur und Natürlichkeit sehr eingenommen sind, eine derartige Herausforderung der Sitte empfinden wir als sinnlos und unmoralisch.“

Auch das Feuilleton von Schlaf erwähnt die nackten Arme Gräsers, der offenbar kein Hemd trägt, sondern lediglich einen gelblichbraunen Chiton sich über die Schultern geworfen hat. Und auch Schlaf betont, wie Hauptmanns Gedicht, die "hohe, schlanke, stattliche Gestalt von tadellos freier und ansprechender Haltung", hebt die "anmutigen Bewegungen" seines Gastes hervor und nennt sein Gehen ein "Schreiten".

„Und die hohe Gestalt schreitet mit schönstem und ungezwungenstem Anstand freischrittig und freundlich in mein Arbeitszimmer hinein; schreitet bis mitten ins Zimmer, schwingt schnell, mit einer sicheren und anmutigen Bewegung das netzförmige Bündel von der Schulter, und halb wirft, halb legt er es ohne weiteres auf die Chaiselongue.“                                                                            

Johannes Schlaf: Gusto Gräser. In: Frankfurter Zeitung vom 25. April 1909

 

Gräsers Auftreten hatte ohne Zweifel etwas Königliches, auch in der Sicht von Schlaf. Gräser selbst sieht sich so:

Wandrer – wer ist's?
Freih wie der Wind, wie der Sonnenschein,
so - tritt - er - ein.
Wir fragen woher, wir fragen wohin? Von hier,
heisst es heiter, gradher wo ich bin!
Gibt frisch uns ein Lied, einen Ohrenschmaus -
Wahrhaftig - sind wir oder er hier zu Haus?...

Selbstbewusst tritt er auf, nicht wie ein Bettler sondern wie einer, der zu geben hat:

Wir fragen, wir drängen, wir wollen verstehn - - -
da sehn wir schon ferne den Wonnigen gehen.
Doch in uns fühlen wir uns selber bewährt –
uns Alle hat seine Nähe genährt.

Er, der "Wonnige", ist der Schenkende, der Nährende, tritt auf in der Gewissheit, dass er, weil "ichverloren, Urlebens König ist"!


Alle Schilderungen Gräsers stimmen auch darin überein, dass sie von seinem tänzerischen Schreiten berichten. So auch Hermann Hesse in der 'Morgenlandfahrt' von dem "Diener Leo", dessen Gestalt zweifellos auf Gusto Gräser zurückgeht. Die Szenerie von Hauptmanns Gedicht zeigt den Gast aber nicht nur als eine königliche, Ehrfurcht gebietende Erscheinung, sie deutet ihn geradezu als einen Sohn des Allerhöchsten, als den wandernden Gottessohn Jesus. So nämlich spricht des armen Conzen Gast:
 
"Dein Brot war gut! Dein Trank war rein!
Viel reiner strahlt deines Herzens Schrein.
Du hast mich an Leib und Seele erquickt,
Gott selber hat dir ins Auge geblickt.
Nun muß ich weiter, gedenke mein,
es soll dir, Bruder, vergolten sein!
Denn siehe, ich schreite durch Nacht und Graus
In meines Vaters goldenes Haus."

Die bescheidene Bewirtung, die der arme Hüttler und Holzfäller dem Wanderer bieten konnte, wandelt sich, wenn auch unausgesprochen, durch die Gegenwart des verborgenen Gottessohns zum heiligen Abendmahl von Brot und Wein. Es ist ein Geschehen, das nicht von ungefähr an ein Gedicht von Trakl erinnert, im Geschehnis sowohl wie in seiner Deutung: 'Ein Winterabend'. Denn auch dieses Gedicht dürfte durch einen Besuch Gräsers inspiriert worden sein. Dass Gräser Georg Trakl besucht hat, wissen wir von ihm selbst. Und dieser Besuch in oder bei Innsbruck ist von den Umständen her am ehesten in jenem Jahr 1913 zu denken, in dem 'Ein Winterabend' entstanden ist.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden ...

So auch nach Schlesien. Aber auch abgesehen von einer solchen (möglichen) Parallele: Es bedarf kaum einer Begründung, dass das Anklopfen eines Armen, der um Kost und Nachtlager bittet, bei jedem christlich erzogenen Menschen sofort die Erinnerung an den anklopfenden Jesus wachruft - selbst dann, wenn es sich um einen gewöhnlichen Bettler handelt. Wieviel mehr in dem Falle, wenn einer sichtlich vom Geist getrieben umherwandert, eintritt, spricht und auftritt mit der Würde eines solchen? Dass Gräser als ein Nachbild des wandernden Jesus erlebt werden musste und erlebt wurde, ist gar keine Frage und auch vielfach ausdrücklich bezeugt.

Wir haben allen Grund, auch in Hauptmanns Gedicht den Niederschlag einer solchen Erfahrung zu sehen - auch wenn dies, wie immer bei poetischen Schöpfungen, nicht bis ins Letzte beweisbar ist. Zumindest einen bestätigenden Hinweis in dieser Richtung können wir darin sehen, dass Hauptmann innerhalb vierzehn Tagen nach jener Niederschrift eine Planskizze zu 'Quint' entwirft, dem Roman eines Wanderers, der Jesus nachfolgt und als "Kohlrabiapostel" verspottet wird (siehe CA XI, 298-301; vgl. Sprengel 198). In den ersten Niederschriften zu dieser Erzählung findet sich die Notiz:  „Die Kolonie von Locarno“. Gemeint ist die Gründung Gusto Gräsers, der Monte Verità.




Gerhart Hauptmanns „Apostel“
Über Johannes Guttzeit, einen Vorläufer Gusto Gräsers


Guttzeit, Gräser und Diefenbach
Variationen einer Collage von Ulrich Holbein

„Am ersten Pfingstfeiertag [1888], wo bekanntlich die Jünger Jesu mit Zungen redeten, promenierte bei herrlichem Sonnenschein ganz Zürich auf den Kaipromenaden. Hier tauchte plötzlich in härenem Gewand, Sandalen an den Füßen, mit auf den Schultern wallendem rötlichem Haar eine Art Apostel auf. So hätte Jesus aussehen können. ... Als sich die Leute um ihn stauten, hielt dieser Heilige seine Pfingstpredigt. Etwas vom Pfingstgeist der Apostelgeschichte lag in der Luft.“ (GH: DEW VII; 296f.)

Johannes Guttzeit, der Schüler „des Naturmenschen und Anachoreten Diefenbach“ (GH: SW VII; 1059), predigt die engste Verbindung mit Natur und Gott. Der Jesus-und-Natur-Sucher Gerhart Hauptmann ist im Tiefsten angerührt.

In seiner Erzählung ‚Der Apostel’, erschienen 1890, hat er seine Erinnerung an den Naturprediger Guttzeit zu einer psychologischen Studie verarbeitet. Er beschreibt recht zuverlässig dessen Art, Denken und Auftreten und fragt sich zugleich, was in einem solchen Menschen seelisch vorgehen mag. Was er sich vorstellt, entspringt seiner einfühlenden Phantasie und muss mit der Wirklichkeit des Porträtierten nichts zu tun haben. Dennoch ist sein Versuch hochinteressant, weil er ebensogut Gusto Gräser gegolten haben könnte, der in mancher Hinsicht von Guttzeit  angeregt war. Beiden, Guttzeit wie Gräser, mag die Versuchung nahegekommen sein, sich als „neuer Heiland“ zu gebärden, wie Hauptmann seinem „Apostel“ unterstellt - auch wenn es dafür keine Belege gibt. Wesentlich ist – und eben das unterscheidet sie von üblichen „Aposteln“ und Jesus-Nachahmern - , dass sie dieser Versuchung (so es sie denn gegeben hat) widerstanden haben. Hauptmann zeigt mit Scharfsicht eine Gefährdung auf, die letztlich phantasievoller Verdacht bleibt, von der Wirklichkeit widerlegt.

Inhaltsangabe:

Die Novelle "Der Apostel" von Gerhart Hauptmann handelt von einem Mann, der, sich als Apostel fühlend, durch das Land wandert. Der Apostel erlebt intensiv die Wunder der Natur, in denen er glaubt, Gott selbst wiederzufinden. Er verschont jeden Grashalm, jeden Käfer und jede Ameise, die ihm über den Weg läuft. Als er dann in eine Stadt kommt, erregt er durch seine sonderbare Kleidung, aber auch durch sein Auftreten, die Aufmerksamkeit der umstehenden Leute, besonders aber der Kinder, die ihm folgen. Als er dies bemerkt, steigt in ihm das Verlangen auf, eine große Predigt zu halten. Doch er wartet noch auf den richtigen Zeitpunkt. Er verlässt die Stadt wieder und träumt, während er geht, so vor sich hin. Er meint in seinem Rücken eine Menschenmenge zu haben, die ihm folgt. Er setzt sich auf eine Bank. Dort beginnt er dann zu schlafen und zu träumen. In diesem Traum spricht er zu der Menge. Als er wieder aufwacht, glaubt er, der wiedergekehrte Christus zu sein.


Zu der Erzählung schreibt der Hauptmann-Biograph Peter Sprengel:

Diefenbach-Schüler ist die Hauptfigur in Hauptmanns „Apostel“. Intensiver als die Endfassung des „Abenteuers meiner Jugend“ schildert die unveröffentlichte Vorstufe von 1930 das Auftreten Johannes Guttzeits, der das Modell abgegeben hat, am Pfingstsonntag 1888: Kleidung und Gestalt (durchaus in Übereinstimmung mit der Novelle), die am Limmatquai um ihn gestaute Menge, seine Predigt gegen den Luxus, die erregte Frage des Patriziersohns (wie Benjamin Glasers im Roman): „Was soll ich tun, daß ich selig werde?“

Niemals habe ich jedenfalls eine so augenfällige, gegenwartsstarke Illustration evangelischer Vorgänge vorher und nachher erlebt. Es war eine wahrhaft heilige Szene, die durch kein Oberammergau zu erreichen ist.

Wenig später hat Hauptmann wahrscheinlich einem Treffen beigewohnt, zu dem ein Kreis junger Intellektueller Guttzeit einlud; möglich, daß er dabei die Broschüre des Predigers erworben hat, die sich heute noch im Nachlaß (unter den Vorarbeiten zu „Quint“) befindet.

Auf eine derartige Einladung bezieht sich Guttzeit in der erregten Zuschrift, zu der ihn das Erscheinen der Novelle in „Moderne Dichtung“ veranlaßt:

O welche schaurige Glaubenslosigkeit gegenüber dem Menschen und der Zeit mus in einem Geiste herschen, der die erhabensten Empfindungen und Wünsche als aus einer heuchlerischen, gelbsüchtigen Sele hervorgegangen auch nur darstellen kann!

Mit welchem Recht leugnet Hauptmanns Antwort jede persönliche Beziehung? „Ich verspüre auch nie in meinem Leben sozusagen bloß photographische Gelüste.“

Aus Peter Sprengel:
Die Wirklichkeit der Mythen. Untersuchungen zum Werk Gerhart Hauptmanns aufgrund des handschriftlichen Nachlasses. Berlin 1982., S. 88f. 


Die Frage von Peter Sprengel ist voll berechtigt. Denn es handelt sich zweifellos um eine naturnahes Porträt des Johannes Guttzeit.
Hier die Erzählung:

Der Apostel

Spät am Abend war er in Zürich angelangt. Eine Dachkammer in der »Taube«, ein wenig Brot und klares Wasser, bevor er sich niederlegte: das genügte ihm.

Er schlief unruhig wenige Stunden. Schon kurz nach vier erhob er sich. Der Kopf schmerzte ihn. Er schob es auf die lange Eisenbahnfahrt vom gestrigen Tage. Um so etwas auszuhalten mußte man Nerven wie Seile haben. Er haßte diese Bahnen mit ihrem ewigen Gerüttel, Gestampf und Gepolter, mit ihren jagenden Bildern; – er haßte sie und mit ihnen die meisten anderen der sogenannten Errungenschaften dieser sogenannten Kultur.

Durch den Gotthard allein … es war wirklich eine Tortur, durch den Gotthard zu fahren: dazusitzen, beim Scheine eines zuckenden Lämpchens, mit dem Bewußtsein, diese ungeheure Steinmasse über sich zu haben. Dazu dieses markerschütternde Konzert von Geräuschen im Ohr. Es war eine Tortur, es war zum Verrücktwerden! In einen Zustand war er hineingeraten, in eine Angst, kaum zu glauben. Wenn das nahe Rauschen so zurücksank und dann wieder daherkam, daherfuhr wie die ganze Hölle und so tosend wurde, daß es alles in einem förmlich zerschlug … nie und nimmer würde er nochmals durch den Gotthard fahren!

Man hatte nur einen Kopf. Wenn der einmal aufgestört war – der Bienenschwarm da drinnen – da mochte der Teufel wieder Ruhe schaffen: alles brach durch seine Grenzen, verlor die natürlichen Dimensionen, dehnte sich hoch auf und hatte einen eigenen Willen.

Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun sollte es damit ein Ende haben. Der kalte, klare Morgen mußte das seinige tun. Übrigens würde er von hier ab nach Deutschland hinein zu Fuße reisen.

Er wusch sich und zog die Kleider über. Als er die Sandalen unterband, tauchte ihm flüchtig auf, wie er zu dem Kostüm, das er trug und das ihn von allen übrigen Menschen unterschied, gekommen war: die Gestalt Meister Diefenbachs ging vorüber. – Dann war es ein Sprung in frühe Jahre: er sah sich selbst in der sogenannten Normaltracht zur Schule gehen – der Glatzkopf des Vaters blickte hinter dem Ladentische der Apotheke hervor, die Tracht des Sohnes milde bespöttelnd. Die Mutter hatte doch immer gesagt, er sei kein Hypochonder. Der Glatzkopf und das junge Frauengesicht schoben sich nebeneinander. Welch ein ungeheurer Unterschied! Daß er das früher nie bemerkt hatte.

Die Sandalen saßen fest. Er legte den Strick, der die weiße Frieskutte zusammenhielt, um die Hüften und eine Schnur rund um den Kopf.

Auf dem Hausflur der Herberge war ein alter Spiegel angebracht. Einen Augenblick im Vorübergehen hielt er inne, um sich zu mustern. Wirklich! – er sah aus wie ein Apostel. Das heilige Blond der langen Haare, der starke, rote, keilförmige Bart, das kühne, feste und doch so unendlich milde Gesicht, die weiße Mönchskutte, die seine schöne, straffe Gestalt, seinen elastischen, soldatisch geschulten Körper zu voller Geltung brachte.

Mit Wohlgefallen spiegelte er sich. Warum sollte er es auch nicht? Warum sollte er sich selbst nicht bewundern, da er doch nicht aufhörte, die Natur zu bestaunen in allem, was sie hervorbrachte? Er lief ja durch die Welt von Wunder zu Wunder, und Dinge, von anderen nicht beachtet, erzeugten in ihm religiöse Schauer. Übrigens nahm sie sich gut aus – die Neuerung dieses Morgens: man konnte ja denken, diese Schnur um den Kopf habe den Zweck, das Haar zusammenzuhalten. Daß sie einem Heiligenscheine ähnelte, hatte nichts auf sich. Heilige gab es nicht mehr, oder besser: der Heiligenschein kam jedem Naturerzeugnis, auch dem kleinsten Blümchen oder Käferchen zu, und dessen Auge war ein profanes Auge, der nicht über allem solche Heiligenscheine schweben sah. – –

Auf der Straße war noch niemand: einsamer Sonnenschein lag darauf; hie und da der lange, ein wenig schräge Schatten eines Hauses. Er bog in ein Seitengäßchen, das bergan stieg, und klomm bald zwischen Wiesen und Obstgärten hin aufwärts.

Bisweilen ein hochgiebliges, altväterisches Häuschen, ein enges, mit Blumen vollgepfropftes Hausgärtchen, dann wieder eine Wiese oder ein Weinberg. Der Ruch des weißen Jasmins, des blauen Flieders und des dunkelbrennenden Goldlacks erfüllte stellenweise die reine und starke Luft, daß er sie wohlig in sich sog wie einen gewürzten Wein.

Er fühlte sich freier nach jedem Schritt.

Wie wenn ein Dorn aus seinem Herzen sich löste, war ihm zu Sinn, als es ihm das Auge so still und unwiderstehlich nach außen zog. Das Dunkel in ihm ward aufgesogen von all dem Licht. Die Köpfchen des gelben Löwenzahns, gleich unzähligen, kleinen Sonnen in das sprießende Grün des Wegrandes gelegt, blendeten ihn fast. Durch den schweren Blütenregen der Obstbäume schossen die Sonnenstrahlen schräg in den wiesigen Grund, ihn mit goldigen Tupfen überdeckend. So honigsüß dufteten die Birken. Und so viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß sprach aus dem verlorenen Sumsen früher Bienen.

Sorgfältig vermied er im Aufsteigen irgend etwas zu beschädigen oder gar zu vernichten, was Leben hatte. Das kleinste Käferchen wurde umgangen, die zudringliche Wespe vorsichtig verscheucht. Er liebte die Mücken und Fliegen brüderlich, und zu töten, – auch nur den allergewöhnlichsten Kohlweißling – schien ihm das schwerste aller Verbrechen.

Blumen, halbwelk, von Kinderhänden ausgerauft, hob er vom Wege auf, um sie irgendwo ins Wasser zu werfen. Er selbst pflückte niemals Veilchen oder Rosen, um sich damit zu schmücken. Er verabscheute Sträuße und Kränze; er wollte alles an seinem Ort.

Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er sich selbst nicht sehen konnte, bedauerte er. Er selbst mit seinem edlen Gange, einsam in der Frühe auf die Berge steigend: das hätte ein Motiv abgegeben für einen großen Maler –: und das Bild stand vor seiner Phantasie.

Dann sah er sich um, ob nicht doch vielleicht irgendeine menschliche Seele bereits wach sei und ihn sehen könne. Niemand war zu erblicken.

Übrigens fing das merkwürdige Schwatzen – im Ohr oder gar im Kopf drinnen, er wußte nicht wo – wieder an. Seit einigen Wochen plagte es ihn. Sicherlich waren es Blutstockungen. Man mußte laufen, sich anstrengen, das Blut in schnelleren Umlauf versetzen –

Und er beschleunigte seine Schritte.

Allmählich war er so über die Dächer der Häuser hinausgekommen. Er stand ruhend still und hatte alle Pracht unter sich. Eine Erschütterung überkam ihn. Ein Gefühl tiefer Zerknirschung brannte in ihm angesichts dieser wundervollen Tiefe. – Lange ließ er das verzückte Auge umherschwelgen: – über alles hin, zu der Spitze des jenseitigen Berges, dessen schründige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. – Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des Sees den Talgrund ausfüllte, wo die weichen, grasigen Uferhügel daraus hervorstiegen, grüne Polster, überschüttet, soweit die Sehkraft reichte, mit Blüten und wieder Blüten. Dazwischen Häuschen, Villen und Dörfer, deren Fenster elektrisch aufblitzten, deren rote Dächer und Türme leuchteten.

Nur im Süden, fern, verband ein grauer, silberiger Duft See und Himmel und verdeckte die Landschaft; aber über ihm, fein und weiß leuchtend, auf das blasse Blau der Luft gelegt, schemenhaft tauchten sie auf – einem ungeheuren Silberschatz vergleichbar – in langer sich verlierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge.

Dort haftete sein Blick – starr – lange. Als es ihn los ließ, blieb nichts Festes mehr in ihm. Alles weich, aufgelöst. Tränen und Schluchzen.

Er ging weiter.

Von oben her, wo die Buchen anfingen, traf das Geschrei des Kuckucks sein Ohr: jene zwei Noten, die sich wiederholen, aussetzen, um dann wieder und wieder zu beginnen. Er ging weiter, nunmehr für sich und grüblerisch.

Mysteriöse Rührungen waren ihm angesichts der Natur nichts Ungewöhnliches, so stark und jäh wie diesmal indes hatten sie ihn noch niemals befallen. – Es war eben sein Naturgefühl, das stärker und tiefer wurde. Nichts war begreiflicher, und es tat nicht not, sich darüber hypochondrische Gedanken zu machen. Übrigens fing es an, sich in ihm zu verdichten, zu gestalten, zu erbauen. Kaum daß Minuten vergingen, und alles in ihm war gebunden und fest.

Er stand still, wieder schauend. Nun war es die Stadt unten, die ihn anzog und abstieß. Wie ein grauer, widerlicher Schorf erschien sie ihm, wie ein Grind, der weiter fressen würde, in dies Paradies hineingeimpft: Steinhaufen an Steinhaufen, spärliches Grün dazwischen. Er begriff, daß der Mensch das allergefährlichste Ungeziefer sei. Jawohl, das stand außer Zweifel: Städte waren nicht besser als Beulen, Auswüchse der Kultur. Ihr Anblick verursachte ihm Ekel und Weh.

Zwischen den Buchen angelangt, ließ er sich nieder. Lang ausgestreckt, den Kopf dicht an der Erde, Humus- und Grasgeruch einziehend, die transparenten, grünen Halme dicht vor den Augen, lag er da. Ein Behagen erfüllte ihn so, eine schwellende Liebe, eine taumelnde Glückseligkeit. Wie Silbersäulen die Buchenstämme. Der wogende und rauschende, sonnengolddurchschlagene, grüne Baldachin darüber, der Gesang, die Freude, der eifrige und lachende Jubel der Vögel. Er schloß die Augen, er gab sich ganz hin. – –

Dabei stieg ihm der Traum der Nacht auf: eine fremde Stimmung zuerst, ein Herzklopfen, eine Gehobenheit, die eine Vorstellung mitbrachte, über deren Ursprung er grübeln mußte. Endlich kam die Erinnerung –: zwischen Tag und Abend. Eine endlose, staubige, italienische Landstraße, noch erhitzt, flimmernde Wärme ausströmend. Landleute kommen vom Felde, braun, bunt, zerlumpt. Männer, Weiber und Kinder mit schwarzen, stechenden und glaubenskranken Augen. Ärmliche Hütten schräg drüben. Über sie her einfältiges, katholisches Aveglockengebimmel. Er selbst bestaubt, müde, hungernd, dürstend. Er schreitet langsam, die Leute knien am Wegrand, sie falten die Hände, sie beten ihn an. Ihm ist weich, ihm ist groß.

Er lag und hing an dem Bilde. Fieber, Wollust, göttliche Hoheitsschauer wühlten in ihm. Er erhob sich Gott gleich.

Nun war er bestürzt, als er die Augen auftat. Wie eine Säule aus Wasser brach es zusammen und verrann.

Sich selbst fragend und zur Rede stellend, drang er ins Waldinnere. Er machte sich Vorwürfe über sein verzücktes Träumen; es kam wider seinen Willen und Entschluß. Die Wucht seiner Gefühle machte ihm bange, dennoch aber: es konnte sein, daß seine nagende Angst ohne Grund war.

Übrigens wuchs die Angst, obgleich es ihm jetzt gerade ganz klar wurde, daß sie grundlos war.

Sie hatten ihn wirklich verehrt, die Italiener, deren Dörfer er zu Fuß durchzogen hatte. Sie waren gekommen, um ihre Kinder von ihm segnen zu lassen. Warum sollte er nicht segnen, wenn andere Priester segnen durften? Er hatte etwas – er hatte mehr mitzuteilen als sie. Es gab ein Wort, ein einziges wundervolles Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was er brachte, darin lag alles verschlossen – alles – alles.

Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende Blut war das Zeichen des Kampfes. Diesen Kampf hörte er toben, unaufhörlich, im Wachen und Schlafen. Es waren Brüder und Brüder, Schwestern und Schwestern, die sich erschlugen. Er liebte sie alle, er sah ihr Wüten und rang die Hände in Schmerz und Verzweiflung.

Mit der Stimme des Donners reden zu können wünschte er glühend. Angesichts der tosenden Schlacht, auf einem Felsblock, allen sichtbar, stehend, mußte man rufen und winken. Zu warnen vor dem Bruder- und Schwestermord, hinzuweisen auf den Weg zum Frieden war eine Forderung des Gewissens.

Er kannte diesen Weg. Man betrat ihn durch ein Tor mit der Aufschrift: Natur.

Mut und Eifer hatte die Angst seiner Seele allmählich wieder verdrängt. Er ging, nicht wissend wohin, predigend im Geiste und bei sich selbst zu allem Volke redend: ihr seid Fresser und Weinsäufer. Auf euren Tafeln prangen kannibalisch Tierkadaver. Laßt ab vom Schlemmen! Laßt ab vom ruchlosen Morde der Kreaturen! Früchte des Feldes seien eure Nahrung! Eure seidnen Betten, eure Polster, eure kostbaren Möbel und Kleider, tragt alles zusammen, werft die Fackeln hinein, daß die Flamme himmelan schlage und es verzehre! Habt ihr das getan, dann kommt – kommt alle, die ihr mühselig und beladen seid und folgt mir nach! In ein Land will ich euch führen, wo Tiger und Büffel nebeneinander weiden, wo die Schlangen ohne Gift und die Bienen ohne Stachel sind. Dort wird der Haß in euch sterben und die ewige Liebe lebendig werden.

Ihm schwoll das Herz. Wie ein reißender Strom stürzte der Schwall strafender, tröstender und ermahnender Worte. Sein ganzer Körper bebte in Leidenschaft. Mit hinreißender Stärke überkam ihn der Drang, seine ganze Liebe und Sehnsucht auszuströmen. Als müsse er den Bäumen und Vögeln predigen, war ihm zumut. Die Kraft seiner Rede mußte unwiderstehlich sein. Er hätte das Eichhorn, welches in Bogensprüngen zwischen den Stämmen hinhuschte, mit einem einzigen Worte bannen und zu sich rufen können. Er wußte es, wußte es sicher, wie man weiß, daß der Stein fällt. Eine Allmacht war in ihm: die Allmacht der Wahrheit.

Plötzlich hörte der Wald auf. Fast erschreckt, geblendet, wie jemand, der aus einem tiefen Schacht aufsteigt, sah er die Welt. Aber es hörte nicht auf in ihm zu wirken. Mit eins kam Richtung in seine Schritte. Er stieg niederwärts, den abschüssigen Weg laufend und springend.

Wie ein Soldat, der stürmt, das Ziel im Auge, kam er sich nun vor. Einmal im Laufen, war es schwer sich aufzuhalten. Die schnelle, heftige Bewegung aber weckte etwas: eine Lust, eine Art Begeisterung, eine Tollheit.

Das Bewußtsein kam, und mit Grausen sah er sich selbst in großen Sätzen bergab eilen. Etwas in ihm wollte hastig hemmen, Einhalt tun, aber schon war es ein Meer, das die Dämme durchbrochen hatte. Ein lähmender Schreck blieb geduckt im Grunde seiner Seele und ein entsetztes, namenloses Staunen dazu.

Sein Körper indes, wie etwas Fremdes, tobte entfesselt. Er schlug mit den Händen, knirschte mit den Zähnen und stampfte den Boden. Er lachte – lachte lauter und lauter, ohne daß es abriß.

Als er zu sich kam, zitterte er. Fast gelähmt vor Entsetzen, hielt er den Stamm einer jungen Linde umklammert. Nur mit Vorsicht und stets in Angst vor der Wiederkehr des Unbekannten, Fürchterlichen ging er dann weiter. Aber er wurde doch wieder frei und sicher, so daß er am Ende über seine Angst lächeln konnte.

Nun, unter dem festen Gleichmaß seiner Schritte, angesichts der ersten Häuser, kam die Erinnerung seiner Soldatenzeit. Wie oft, das Herz mit dem tauben Hochgefühl befriedigter Eitelkeit zum Bersten gefüllt, hatte er als Leutnant, an der Seite der Truppe, unter klingendem Spiele Einzug gehalten. Er dachte es kaum, und schon hatte in seinem Kopfe die markige, feurige Marschmusik eingesetzt, durch die er so oft fanatisiert worden war. Sie klang in seinem Ohr und bewirkte, daß er die Füße in Takt setzte und Kopf und Brust ungewöhnlich stolz trug. Sie legte das sieghafte Lächeln um seine Lippen und den lebendigen Glanz in seine Augen. So marschierend lauschte er zugleich in sich hinein, verwundert, daß er so jeden Ton, jeden Akkord, jedes Instrument scharf unterschied, bis auf das Nachschüttern des Zusammenschlags von Pauke und Becken. Er wußte nicht, sollte ihn die Stärke seiner Vorstellungskraft beunruhigen oder erfreuen. Ohne Zweifel war es eine Fähigkeit. Er hatte die Fähigkeit zur Musik. Er würde sicher große Kompositionen geschaffen haben. Wie viele Fähigkeiten mochten überhaupt in ihm erstickt worden sein! Übrigens war das gleichgültig. Alle Kunst war Unsinn, Gift. Es gab andere, wichtigere Dinge für ihn zu tun.

Ein Mädchen in blauem Kattun, mit einem rosa Brusttuch, eine Kanne aus Blech in der Hand, welches augenscheinlich Milch austrug, kam ihm entgegen. Er hatte sie mit dem Blick gestreift und bemerkt, wie sie erstaunt über seinen Anblick still stand und groß auf ihn blickte. Sie grüßte dann kleinlaut mit ehrfürchtiger Betonung, und er ging gemessen und ernst dankend an ihr vorüber.

Sofort war alles in ihm verstummt. Weit hinaus wuchs er im Augenblick über seine bisherigen kleinen Vorstellungen. Wenn er noch etwas wie Musik in seinem Ohre trug, so war es jedenfalls keine irdische Melodie. Mit einer Empfindung schritt er, wie wenn er trockenen Fußes über Wasser ginge. So hehr und groß kam er sich vor, daß er sich selbst zur Demut ermahnte. Und wie er das tat, mußte er sich an Christi Einzug in Jerusalem erinnern und schließlich der Worte: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig.

Noch eine Zeitlang fühlte er den Blick des Mädchens sich nachfolgen. Aus irgendwelchem Grunde hielt er im Gehen möglichst genau die Mitte des Fahrdamms inne, auch als er eine Biegung machte in eine breite, weiße, sich abwärts senkende Straße hinein. Dabei wie unter einem Zwange stehend, mußte er immer und immer wiederholen: Dein König kommt zu dir.

Kinderstimmen sangen diese Worte. Sie lagen ihm noch ungeformt zwischen Gaumen und Zunge. Aus dem unartikulierten Geräusch seines Atems konnte er sie heraushören. Dazwischen Hosianna, rauschende Palmenwedel, Jauchzen, bleiche, verzückte Gesichter. Dann wieder jähe Stille – Einsamkeit.

Er sah auf, voll Verwunderung. Wie leere Kulissen alles. Häuser aus Stein rechts und links, stumm, nüchtern, schläfrig. Nachdenklich prüfte er. Allmählich, da es feststand, begann sein Inneres sich daran zu ordnen. So wurde er klein, einfach, und fing an nüchtern zu schauen.

Hier und da war ein Fenster geöffnet. Der Kopf eines Hausmädchens wurde sichtbar, man klopfte einen Betteppich aus. Ein Student, schwarzhaarig, mit wulstigen Lippen, augenscheinlich ein Russe, drehte auf dem Fensterbrett seine Frühstückszigarette. Und schon wurde es lebendiger auf der Straße. Die Augen auf den Boden geheftet, unterließ er es doch nicht, verstohlen zu beobachten. Oft sah er mitten hinein in ein breites, freches Lachen. Oft bemerkte er, wie Staunen den Spott bannte. Aber hinter seinem Rücken befreite sich dann der Spott, und dreiste Reden, spitz und beißend, flogen ihm nach.

Mit jedem Schritt unter so viel Stichen und Schlägen wurde ihm alltäglicher zu Sinn. Ein Krampf saß ihm in der Kehle. Der alte bittere, hoffnungslose Gram trat hervor. Wie eine Mauer, dick, unübersteiglich, richtete sie sich auf vor ihm, die grausame Blindheit der Menschen.

Nun schien es ihm auf einmal, als ob alles Leugnen unnütz sei. Er war doch wohl nur eine eitle, kleine, flache Natur. Ihm geschah doch wohl recht, wenn man ihn verhöhnte und verspottete. So empfand er minutenlang die Pein und Scham eines entlarvten Hochstaplers und den Wunsch, von aller Welt fortzulaufen, sich zu verkriechen, zu verstecken, oder auf irgendeine Weise seinem Leben überhaupt ein Ende zu machen.

Wäre er jetzt allein gewesen, würde er den Strick um seinen Kopf, der wie ein Heiligenschein aussah, heruntergerissen und verbrannt haben. Wie unter einer Narrenkrone aus Papier, halb vernichtet vor Scham, ging er darunter.

In enge, labyrinthische Gäßchen ohne Sonne hatte er eingelenkt. Ein kleines Fensterchen voller Backware zog ihn an. Er öffnete die Glastür und trat in den Laden. Der Bäcker sah ihn an – die Bäckersfrau – er wählte ein kleines Brot, sagte nichts und ging.

Vor der Tür hatte sich eine Schar Neugieriger angesammelt: eine alte Frau, Kinder, ein Schlächtergesell, die Mulde mit roten Fleischstücken auf der Schulter. Er überflog ihre Gesichter, es war nichts Freches darin, und ging mitten durch sie hin seines Weges.

Mit welchem Ausdruck sie ihn alle angeblickt hatten! Erst die Bäckersleute. Als ob er des kleinen Brotes nicht zum Essen bedürfe, sondern vielmehr, um damit ein Wunder zu tun. Und weshalb warteten die Leute auf ihn vor den Türen? Es mußte doch einen Grund haben. Und nun gar das Getrappel und Geflüster hinter ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Weshalb verfolgte man ihn?

Er horchte gespannt und wurde bald inne, daß er ein Gefolge von Kindern hinter sich hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine Plätze mit alten Brunnen darauf, absichtlich umkehrend und die Richtung wechselnd, vergewisserte er sich, daß der kleine Trupp nicht von ihm abließ.

Warum verfolgten sie ihn und ließen sich nicht genügen an seinem Anblick? Erwarteten sie mehr von ihm? Hofften sie in der Tat von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches, Wundervolles zu sehen? Es kam ihm vor, als spräche aus der eintönigen Hast der Geräusche ihrer Füße ein starker Glaube, ja mehr als dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige Menschen voll Größe und Reinheit, so oft am Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen unwiderstehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu verrichten, und die größte Schmach würde ihm klein erschienen sein im Vergleiche zu dem Eingeständnis seiner Unkraft.

Bis an den Limmatquai war er inzwischen gelangt, und noch immer folgten ihm die Kleinen. Einige trabten, die größeren machten unmäßig lange Schritte, um ihm nachzukommen. In abgebrochenen Worten, mit dem feierlichen Flüsterton der Kirche vorgebracht, bestand ihre Unterhaltung. Es war ihm bisher nicht gelungen, etwas von dem, was sie sprachen, zu verstehen. Plötzlich aber – er hatte es ganz deutlich gehört – wurden die Worte »Herr Jesus« ausgesprochen.

Die Wirkung eines Zaubers lag in diesen Worten. Er fühlte sich aufgehoben durch sie, gestärkt, wiederhergestellt.

Jesus war verhöhnt worden: man hatte ihn geschlagen, angespien und ans Kreuz genagelt. In Verachtung und Spott bestand der Lohn aller Propheten. Sein eigenes bißchen Leiden kam nicht in Betracht. Kleine, feige Nadelstiche hatte man ihm versetzt. Ein Zärtling, der daran zugrunde ging!

Zum Kampf war man da. Wunden bewiesen den Krieger. Spott und Hohn der Menge … wo gab es höhere Ehrenzeichen?! Die Brust damit geschmückt, durfte man stolz und frei blicken. Und überdies: aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir dein Lob zugerichtet.

Vor einer Frau, die Orangen feilbot, blieb er stehen. Sogleich hielten auch die Kleinen im Laufen inne, und ein Haufe Neugieriger staute sich auf dem Bürgersteig. Er hätte seine Früchte gern ohne alles Reden gekauft. Mit einer Spannung warteten die Leute auf sein erstes Wort, die ihn befangen und scheu machte. Ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß er eine Illusion zu schonen hatte, daß es von der Art, wie er sprach, abhing, ob seine Hörer ihm weiter folgten oder enttäuscht davonschlichen. Aber es war nicht zu vermeiden, die Hökerfrau fragte und schwatzte zu viel, und so mußte er endlich reden.

Er war beruhigt und zufrieden, sobald er seine eigene Stimme vernahm; etwas Singendes und Getragenes lag darin, eine feierliche und gleichsam melancholische Würde, die, wie er überzeugt war, Eindruck machen mußte. Er hatte sich kaum je so reden hören, und indem er sprach, wurde ihm das Reden selbst zum Genuß, wie dem Sänger der Gesang. Auf der Brücke, unter die hinein der blaugrüne See seine Wellen schlug, hielt er abermals an. Über das Geländer gebeugt, nahm er aufs neue Licht, Farbe und Frische des Morgens in sich auf. Der ungestüme, stärkende Wind, der den See herauffuhr, wehte ihm den Bart über die Schulter und umspülte ihm Stirn und Brust wie ein kaltes Bad.

Und nun aus der mutigen Aufwallung seines Innern stieg es auf als ein fester Entschluß. Die Zeit war gekommen. Etwas mußte geschehen. In ihm war eine Kraft, die Menschheit aufzurütteln. Jawohl! und sie mochten lachen, spotten und ihn verhöhnen, er würde sie dennoch erlösen, alle, alle!

Nun fing er an, tief und verschlossen zu grübeln. Daß es geschehen würde, stand nun fest; wie es geschehen würde, mußte erwogen werden. Man feierte heute Pfingsten, und das war gut. Um Pfingsten hatten die Jünger Jesu mit feurigen Zungen geredet. Die Feierstimmung bedeutete Empfänglichkeit. Einem erschlossenen Acker gleichen die Seelen der Menschen an Feiertagen.

Tiefer und tiefer ging er in sich hinein, bis er in Räume eindrang, weit, hoch, unendlich. Und so ganz versunken war er mit allen Sinnen in diese zweite Welt, daß er wie ein Schlafender nur willenlos sich fortbewegte. Von allem, was ihn umgab, drang nichts mehr in sein Bewußtsein außer dem Getrappel der Kinderfüßchen hinter ihm.

Gleichmäßig eine Zeitlang, schwoll es allmählich an, wie wenn den Wenigen, die ihm folgten, andere sich angeschlossen hätten. Und stärker und stärker immer, als ob aus Einzelnen Hunderte, aus Hunderten Tausende geworden wären.

Ganz plötzlich wurde er aufmerksam, und nun war es, als ob hinter ihm drein Heeresmassen sich wälzten.

In seinen Füßen bis in die Knöchel hinauf spürte er ein Erzittern des Erdreiches. Er vernahm hinter sich starkes Atmen, heißes, hastiges Geflüster. Er vernahm Frohlocken, kurz abgerissen, halb unterdrückt, das sich weit zurück fortpflanzte und erst in tiefen Fernen echohaft erstarb.

Was das bedeutete, wußte er wohl. Daß es so überraschend schnell kam, hatte er nicht erwartet. Durch seine Glieder brannte der Stolz eines Feldherrn, und das Bewußtsein einer unerhörten Verantwortung lastete nicht schwerer auf ihm wie der Strick auf seinem Kopfe. Er war ja der, der er war. Er wußte ja den Weg, den er sie führen mußte. Er spürte ja aus dem Lachen und Drängen seiner Seele, daß es ihm nahe war, jenes Endglück der Welt, wonach die blinden Menschen mit blutenden Augen und Händen so viele Jahrtausende vergebens gesucht hatten.

So schritt er voran – er – er – also doch er! und in die Stapfen seiner Füße stürzten die Völker wie Meereswogen. Zu ihm blickten sie auf, die Milliarden. Der letzte Spötter war längst verstummt. Der letzte Verächter war eine Mythe geworden.

So schritt er voran, dem Gebirge entgegen. Dort oben war die Grenze, dahinter lag das Land, wo das Glück im Arme des Friedens ewig ruhte. Und schon jetzt durchdrang ihn das Glück mit einer Wucht und Gewalt, die ihm bewies, daß man athletische Muskeln nötig hatte, um es zu ertragen.

Er hatte sie, er hatte athletische Muskeln. Sein Leben, sein Dasein war jetzt nur ein wollüstiges, spielendes Kraftentfalten.

Eine Lust kam ihn an, mit Felsen und Bäumen Fangball zu spielen. Aber hinter ihm rauschten die seidenen Banner, drängte und dröhnte unaufhaltsam die ungeheure Wallfahrt der Menschen.

Man rief, man lockte, man winkte; schwarze, blaue, rote Schleier flatterten; blonde offene Frauenhaare; graue und weiße Köpfe nickten; Fleisch bloßer, nerviger Arme leuchtete auf; begeisterte Augen, zum Himmel blickend, oder flammend auf ihn gerichtet, voll reinen Glaubens: auf ihn, der voranschritt.

Und nun sprach er es aus, ganz leise, kaum hörbar, das heilige Kleinodwort: – Weltfriede! Aber es lebte und flog zurück von einem zum andern. Es war ein Gemurmel der Ergriffenheit und Feierlichkeit. Von ferne her kam der Wind und brachte weiche Akkorde beginnender Choräle. Gedämpfte Posaunenklänge, Menschenstimmen, welche zaghaft und rein sangen; bis etwas brach, wie das Eis eines Stromes, und ein Gesang emporschwoll wie von tausend brausenden Orgeln. Ein Gesang, der ganz Seele und Sturm war und eine alte Melodie hatte, die er kannte: »Nun danket alle Gott.«

Er kam zu sich. Sein Herz hämmerte. Er war nahe am Weinen. Vor seinen Augen schwammen weiße Punkte durcheinander. Seine Glieder waren wie zerschlagen.

Er setzte sich auf eine Bank nieder, die am See stand, und fing an, das Brot zu essen, das er sich gekauft hatte. Dann schälte er die Orange und drückt die kalte Schale an seine Stirn. Mit Andacht, wie der Christ die Hostie, genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht zu Ende, als er müde zurücksank. Ein wenig Schlaf würde ihm willkommen gewesen sein. Ja, wenn das so leicht wäre: ausruhen. Wie soll man ruhen, wenn es im Kopfe drinnen endlos wühlt und gärt? Wenn das Herz heraus will, wenn es einen zieht ins Unbestimmte, – wenn man eine Mission hat, die verlangt, daß man sich ihr unterziehe – wenn die Menschen draußen warten und sich die Köpfe zerbrechen? Wie soll man ruhen und schlafen, wo es not tut zu handeln?

Es war ein peinigender Zustand, wie er so dalag. Fragen und Fragen und nie eine Antwort. Graue, quälende Leere, mitunter schmerzende Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er denken. Man steht, zieht mit aller Kraft am Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht sich nicht mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren und Stemmen. Der Eimer soll herauf. Man dürstet zum Verschmachten. Das Rad gibt nicht nach. Weder vor- noch rückwärts schiebt sich das Seil. – Eine Plage war das, eine Qual – beinahe ein physisches Leiden. Als er Schritte vernahm, freute er sich der Ablenkung. Ja, du lieber Gott! Was war das überhaupt für ein Gedanke gewesen, jetzt schlafen zu wollen! Er stand auf, verwundert, daß er sich in seiner Kammer befand, und öffnete die Tür nach dem Flur. Seine Mutter, wie er wußte, stand auf dem Gange, und er mußte sie hereinlassen. Sie kam, sah ihn an mit strahlender Bewunderung, ihre Lippen zitterten, und sie faltete in Ehrfurcht ihre Hände. Er legte ihr die Hände aufs Haupt und sprach: stehe auf! – und – die Kranke erhob sich und konnte gehen. Und wie sie sich aufrichtete, erkannte er, daß es nicht seine Mutter war, sondern er, der Dulder von Nazareth. Nicht nur geheilt hatte er ihn; er hatte ihn lebendig gemacht. Noch wehten die Grabtücher um Jesu Leib. Er kam auf ihn zu und schritt in ihn hinein. Und eine unbeschreibliche Musik tönte, als er so in ihn hineinging. Den ganzen geheimnisvollen Vorgang als die Gewalt Jesu in der seinigen sich auflöste, empfand er genau. Er sah nun die Jünger, die den Meister suchten. Aus ihnen trat Petrus auf ihn zu und sagte: Rabbi! – »Ich bin es gab er zur Antwort. Und Petrus kam näher, ganz nahe, berührte seinen Augapfel und begann ihn zu drehen: der Jünger drehte den Erdball. Die Stunde war da, sich dem Volke zu zeigen. Auf den Balkon des Saales, den er bewohnte, trat er hinaus. Unten wogte die Menge, und in das Brausen und Wogen sang eine einzige dünne Kinderstimme: »Christ ist erstanden.«

Sie hatte kaum begonnen, als das Eisen des Balkons nachgab. Er erschrak heftig, wachte auf, rieb sich die Augen und wurde inne, daß er auf der Bank eingeschlafen war. –

Gegen Mittag mochte es sein. Er wollte wieder hinauf in den Buchenwald, um seine Zeit abzuwarten Die Sonne sollte ihn weihen, dort oben.

Noch immer kühle und reine Luft, wie er den Berg hinanstieg. Hymnen der Vögel. Der Himmel wie eine blaßblaue, leere Kristallschale. Alles so makellos. Alles so neu.

Auch er selbst war neu. Er betrachtete seine Hand, es war die Hand eines Gottes; und wie frei und rein war sein Geist! Und diese Ungebundenheit der Glieder, diese völlige innere Sicherheit und Skrupellosigkeit. Grübeln und Denken lag ihm nun weltfern. Er lächelte voll Mitleid, wenn er an die Philosophen dieser Welt zurückdachte. Daß sie mit ihrem Grübeln etwas ergründen wollten, war so rührend, wie wenn etwa ein Kind sich abmüht, mit seinen zwei bloßen Ärmchen in die Luft zu fliegen.

Nein, nein – dazu gehören Flügel, breite Riesenschwingen eines Adlers – Kraft eines Gottes!

Er trug etwas wie einen ungeheuren Diamanten in seinem Kopfe, dessen Licht alle schwarzen Tiefen und Abgründe hell machte: da war kein Dunkel mehr in seinem Bereich … Das große Wissen war angebrochen. –

Die Glocken der Kirchen begannen zu läuten. Ein Gewühl und Gebrause von Tönen erfüllte das Tal. Mit einer erznen Zunge schien die Luft zu sprechen.

Er beugte sich vor und lauschte, als es zu ihm heraufkam. Er senkte das Haupt nicht, er kniete nicht nieder. Er horchte lächelnd wie auf eines alten Freundes Stimme, und doch war es Gottvater, der mit seinem Sohne redete.

*



 




Gerhart Hauptmanns Insel-Utopie

Das Chaos, das uns umgab, schien uns seelenlos und überlebt zu sein.
Wir wollten fliehen,
wollten ein neues Leben anfangen, am liebsten auf einer entlegenen Insel im Ozean.
 Bei dem, was wir planten, wären wir im Bereiche der christlichen Zivilisation gestört,
ja verfemt worden. Ich erinnere mich, dass wir die Ehe nicht dulden wollten,
ebenso, dass wir die Weltverneinung des Christentums mit ihrer Verachtung des Leibes
 und der natürlichen Triebe als verderblichen Wahnsinn bekämpften.
 Unter "die Meinen" also verstand ich Freunde, verstand ich schöne junge Frauen,
die, einem Liebes- und Schönheitskult hingegeben,
meine Insel bevölkern sollten.
 Buch der Leidenschaft  
*
Er (Hauptmann) sah aus wie das unverdorbene Kind der Berge und Wälder, das schon durch sein äußeres Erscheinen allein Widerspruch gegen die Sitten der Weltstadt zu erheben schien. Er war ausgesprochener Natur- und Gesundheitsapostel und hatte in Zürich ein heiliges Gelöbnis abgelegt, seine Seele und seinen Leib
 nie wieder mit tierischer Kost und spirituösen Getränken zu beflecken.

Julius Hart  
*
Die Brissago-Inseln im Lago Maggiore
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs dachte Hauptmann daran, sie zu erwerben.
*
Denn wir sind übereingekommen ...
auf jungfräulichem Land einen Staat,
eine Siedlung zu gründen
und in ihr die größtmögliche Summe
von Glück allbereits hier
auf der Erde den Bürgern der Kolonie
 zu vermitteln.

Anna  
*
Ikarien hieß die Kolonie, die Kolonisten also Ikarier.
Der lichtbegierige Ikarus wollte mit Flügeln aus Wachs die Sonne erreichen.
 So verstanden, waren auch wir Ikarier.                                              
Das Abenteuer meiner Jugend  
*
Was uns verbindet und verband, ist eine gemeinsame Utopie. …
Jeder, er sei, wer er wolle, arbeitet täglich an seiner Utopie. ….
Und ebenso arbeitet die Masse, die Nation, die Menschheit an ihrer Utopie ….
 Über jedem Dorf, wieviel mehr über jeder Stadt, schwebt millionenfältig die Utopie.
 Wir waren jung, wir waren glückselig.
Auf Grund dieses Umstandes, auf Grund der Neigung, die uns zusammenschloß,
erstrebten wir eine noch höhere, ja die höchste Glückseligkeit.

Buch der Leidenschaft  
*
Der Leitsatz, der immer wiederkehrte, hieß: Rückkehr zur Natur. …
Wir stellten dem Heiligen Geiste den heiligen Leib gegenüber, weil wir der Ansicht waren,
dass ein heiliger, reiner Leib allein für den Heiligen Geist bewohnbar sei ...
Wir dürsteten alle nach Schönheit! Wir lechzten danach ...
Wir schwärmten für nackte Spiele und Ringkämpfe in der Palästra und dachten dabei
an das heitere Wohlgefühl, das den nackten, klaren Leib überkommt,
sofern er die Kleider, Lumpen und Fetzen von sich geworfen.
Schönheit!
Schon im Suchen danach empfanden wir Glück.

Der Venezianer 
*



Gerhart Hauptmann auf dem Berg der Wahrheit


Im Januar 1919 ist Gerhart Hauptmann verzweifelt. Seit Tagen toben in Berlin blutige Straßenkämpfe. Der Dichter sieht nur noch "Brand, Mord, Raub, Diebstahl, Vergewaltigung" (Diarium 1917 bis 1933, S. 35). Er flüchtet sich nach Ascona, besteigt den Monte Verità.

Warum Ascona? Was oder wen sucht der Dichter auf dem „Berg der Wahrheit“?

Hauptmann sieht den Untergang der abendländischen Werte vor Augen. Er vermerkt dazu in seinem Tagebuch am 8. Januar 1919: "Schöpfer dieser Werte sind freilich zumeist Besitzlose. ... Arm waren, um nur wenige der reichsten aller Menschen zu nennen, Gotamo Buddho, Sokrates, Jesus von Nazareth" (Diarium S. 32). Die Parole des Zeitgeistes aber scheint ihm zu sein: "Nichts sei euch heilig, etwas Heiliges gibt es nicht" (Diarium 35). Dieses verlorene Heilige sucht er in Ascona, bei den reichen Armen des Monte Verità.

"Der nackte Leib und seine Reinheit und Kultus, wie ich ihn mit siebzehn Jahren trieb", notiert sich Gerhart Hauptmann, etwas wehmütig, im Jahre 1906 (GH und Ida Orloff, S. 52). Als Schüler hatte er mit Kameraden einen Bund gegründet. "Der Jünglingsbund, den wir bildeten, mußte, durch Sympathie geschaffen, naturgemäß kommunistisch sein. Da gab es nichts, materiell oder ideell, was wir uns gegenseitig nicht mitteilten. ... Das Chaos, das uns umgab, schien uns seelenlos und überlebt zu sein. Wir wollten fliehen, wollten ein neues Leben anfangen, am liebsten auf einer entlegenen Insel im Ozean. Bei dem, was wir planten, wären wir im Bereiche der christlichen Zivilisation gestört, ja verfemt worden. Ich erinnere mich, dass wir die Ehe nicht dulden wollten, ebenso, dass wir die Weltverneinung des Christentums mit ihrer Verachtung des Leibes und der natürlichen Triebe als verderblichen Wahnsinn bekämpften. Unter die "Meinen" also verstand ich Freunde, verstand ich schöne junge Frauen, die, einem Liebes- und Schönheitskult hingegeben, meine Insel bevölkern sollten. (SW VII, 207)

Hauptmann entwarf einen Tempelbau und reiste sogar nach Amerika in der Absicht, dort "eine neue Gesellschaftsordnung auf einer natürlichen Grundlage zu errichten" (SW X, 93). Er zog aufs Land, grub die Erde um, trug Jägersche Reformtracht, schlief im Jägerschen Wollsack. Auch war er unter dem Einfluss von Auguste Forel zum Alkoholgegner geworden.

Kurz: Bevor es einen Monte Verità gab, gab es schon einen heimlichen Monteveritaner - Gerhart Hauptmann. Wovon er jahrelang geträumt, was er über Jahrzehnte geplant und dann doch nicht geschaffen hatte, das verwirklichten die Siedler von Ascona. Es versteht sich von selbst, dass dieses Unternehmen ihn brennend interessieren musste.

Schon 1888 hatte er in Zürich den Naturapostel Johannes Guttzeit kennengelernt; um 1904, wenn nicht schon früher, lernte er Gusto Gräser kennen. Seit diesen Begegnungen zieht die Gestalt eines wandernden, sonnenanbetenden, eines jesuanischen Naturpredigers durch seine Dichtung. Er erscheint zunächst als christlich-dionysischer "Apostel", dann als "Narr in Christo Emanuel Quint" und wandelt sich schließlich im "Ketzer von Soana-Ascona" zum offenen Verkünder des Dionysos. Alle drei sind sie Sonnenanbeter - wie Hauptmann selbst.

Freilich, die Zweifel und Ängste, die ihn schon an der Verwirklichung seines Siedlungsprojekts gehindert hatten, bleiben Hauptmann treu. Sinnbildlich dafür erfriert sein Emanuel Quint im Schnee der Alpen, auf dem Weg ins Tessin. Als dann aber im revolutionären Deutschland für Hauptmann die tradierten Werte untergehen, da leuchtet ihm umso heller das Licht seiner Sonnen-Leib-Liebes-und Natur-Utopie – im fernen Ascona. Er besteigt den Monte Verità, sucht den Mann, der dieses Licht wie kein anderer verkörpert, sucht Gusto Gräser. Er findet ihn nicht. Wie später der Till seiner Dichtung brütet Hauptmann in einer Taverne von Locarno, verzweifelnd und hoffend. Sein Till, im Epos, hat am selben Ort eine Vision: Ein von Wunden befreiter, ein apollinischer Heiland lädt ihn ein, ihn auf seinem Berg, den Almen über der Maggia, zu besuchen, "wo still meine Lämmer Jahrtausende weiden". Till sucht ihn, findet ihn nicht, versinkt in den Strudeln der Maggia.

Für Hauptmanns Ascona-und-Locarno-Zeit gibt es einen Zeugen. Ein Schweizer Student aus berühmter Familie, der spätere Gelehrte Christoph Bernoulli erzählt, wie er Hauptmann im März 1919 im Zug kennengelernt hat und ihm dann im Hotel in Locarno wieder begegnet:

„Als ich am Abend des Ankunftstages beschloß, einen Orientierungsgang durchs ganze Hotel zu tun, stieß ich im Kellergeschoß in der Taverne auf den Dichter, der alleine hinter einer Flasche Chianti Platz genommen hatte und mit einer einladenden Handbewegung mich fragte, ob ich nicht ein Glas Wein mit ihm trinken wolle, worauf ich unbeholfen und zögernd antwortete: ‚Doch, sehr gerne.’ In diesem Augenblick stand Hauptmann auf, verbeugte sich leicht ironisch und sagte zu meinem nicht geringen Erstaunen: ‚Ich heiße Dr. Hauptmann.’ (218) ...

In den kommenden Wochen gingen wir manchen Vormittag spazieren, an den Nachmittagen unternahm man en famille Ausfahrten in die Locarneser Täler, nicht selten aßen wir gemeinsam in einer Trattoria des Centovalli, und manchmal bat mich der Dichter am Abend in sein Kellerrefugium, um zu plaudern. Zu Hauptmanns gestoßen waren inzwischen ihr jüngster Sohn Benvenuto, zusammen mit Martin Bodmer. Eugen d'Albert, der mit seiner wienerischen Frau ebenfalls in unserem Hotel wohnte, war oft mit von der Partie. ... Hin und wieder erschien der in der Nähe lebende Emil Ludwig und las aus seinem neugebackenen ‚Goethe’ vor. (219) ...

Gerhart Hauptmann mit Emil Ludwig in Ascona

Gerhart Hauptmann mit Emil Ludwig in Ascona

Auf dem Monte Verità lebten damals die letzten Vertreter jener ‚Zurück-zur-Natur-Bewegung’, die zivilisationsfeindlich einem Troglodysmus huldigten, Milch vom Euter der Ziegen tranken, ihr Brot selber buken, Früchte vom Baum und Zweig aßen und in weltanschaulichen Lufthemden herumgingen. Sie hatten ungeschnittenes Haupthaar, lange Bärte und sahen aus wie Propheten oder wilde Männer und waren die lebendigen Vertreter eines organisierten Fluchtversuches, die den Gleichgewichtszustand mit den heiligen Gesetzen der Natur auf gewaltlosem Wege erreichen wollten.

Bei einem unserer Spaziergänge auf dem ‚Hügel der Wahrheit’ begegneten wir einem schönen bärtigen Greise in härenem Gewande und Schlapphut und kamen mit ihm ins Gespräch. Er betonte, wie glücklich er hier lebe, und sagte, daß er niemals mehr sein geruhsames, naturverbundenes Leben mit dem eines Bürgers der geschäftigen Welt tauschen würde. Ich fragte ihn dann höflich, ob er wisse, mit wem er spreche, und als ich den Namen Gerhart Hauptmann aussprach, verneigte er sich leicht und sagte: ‚Ich grüße den Schöpfer der Weber.’ Und dieser Herr, ich wies auf d'Albert, sei der Komponist der Oper Tiefland. Herr Emil Ludwig dagegen sei ein bekannter Schriftsteller und ein Nachbar aus Ronco. Der schöne Alte hob nur die Achseln und meinte, in die Oper gehe er prinzipiell nicht, sie sei für ihn das Denaturierteste, was er kenne, und neuere Bücher lese er auch nicht - und mit einer weltmännischen Verbeugung gegen uns alle und einem freundlichen ‚Ich bedaure’ ließ er uns stehen und ging seines Weges. Zwei Welten hatten sich kurz berührt.“ (220)

(Aus: Christoph Bernoulli: Erinnerungen an Gerhart Hauptmann. In: Derselbe, Ausgewählte Vorträge und Schriften. Hg. von Peter Nathan. O. O., o. J., S. 217-220.)

In der Tat: zwei Welten, die sich da berührten. Auf der einen Seite die Welt von Besitz, Kultur und Männermoral, kurz: der Zivilisation, auf der andern Seite die Welt der Natur, des Mythos und der weiblich-mütterlichen Urmoral. Denn unverkennbar und vermutlich ungewollt vom Verfasser schleichen sich mythische Züge in seine Darstellung. Dass die Bewohner des Berges troglodytisch in Höhlen gewohnt und Milch vom Euter der Ziegen getrunken hätten, kann nicht auf Augenschein beruhen. Vielmehr schlagen hier mythische oder zumindest archaisch-antikische Urmuster durch. Auch glaubt man die Stimme Gerhart Hauptmanns durchzuhören, der das Wort "troglodytisch" gern im Munde führte und in der Gestalt des Hirten so etwas wie einen menschlichen Archetypus erblickte.1 Sein "Ketzer von Soana" wird vom Priester zum Ziegenhirten; sein Till ist bei Locarno auf der Suche nach einem göttlichen "Hirten". Und den schönen Alten vom Berg umgibt in der Darstellung Bernoullis der freundlich-prophetische Glanz des "edlen Wilden".

Wem sind die Wanderer auf dem Berg damals begegnet? Die kecke Freimütigkeit des Alten, sein gelassener Stolz scheinen ganz auf Carlo Vester zu passen, der damals mit der Verwaltung des Anwesens betraut war. Er war der Herr in diesem Revier. Doch konnte man ihn als Greis bezeichnen? Vester, im gleichen Jahr wie Gräser geboren, war damals vierzig Jahre alt. Seine zottelige Mähne und sein von Falten durchfurchtes Gesicht ließen ihn allerdings älter erscheinen.

Carlo Vester Carlo Vester mit Sohn
Carlo Vester Carlo Vester mit Sohn

Doch wie auch immer: Hier sollte nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass Bernoullis Bild der Bergbewohner durch seine Gespräche mit Hauptmann geprägt erscheint. Er sieht sie mit den Augen des Dichters, und der projiziert seinen eigenen Mythos in die Landschaft: den des urtümlichen Hirten, der durch seine Verwobenheit in Natur den "metaphysischen Keim" in sich zu kraftvoller Blüte entfaltet hat. Hauptmann sucht den "göttlichen Hirten", den dionysischen Naturheiligen, den heidnischen Heiland. Er sucht ihn dort, wo Gräser seine Felshöhle hatte: in einer Steilwand hoch über den Strudeln der Maggia bei Ponte Brolla.

Im Krieg hatte er die Novelle 'Der Ketzer von Soana' geschrieben, die schon im Titel, anagrammatisch, das Wort AS(C)ONA enthält. Sobald die Grenzen geöffnet waren, fuhr er dorthin. In seinem 1928 veröffentlichten Epos verarbeitet er seine vergebliche Suche nach dem "Ketzer von Ascona".

Und Till, er brach auf, denn er wollte die Maggia
sehn. Es trieb ihn, den Ort seines nahenden Tods zu erreichen. ...
Ponte Brolla! hier raset das Kind, und es tobet heraklisch
durch das zwängende Tor ...
Till verbrachte die Zeit bis zum Abend ...
Wo verschlaf ich die Nacht? sinnt er endlich. Der Herbergen bieten
viele sich, und sie haben vertrauenerweckende Schilder: ...
Eine nennet sich: Sprung in den Himmel und eine: Zum Heiland.
Nun, der Sprung in den Himmel hat Zeit, denkt der Pilgrim und bückt sich
allbereits in der Tür, die ins Wirtshaus Zum Heiland hineinführt. ...
Und Till schläfert's ... Denn er sah einen Mann, einen Hirten, der schweigend hereintrat.
Er allein, niemand sonst sah den Gast. ... Es umgab ihn ein Lichtschein. ...
"Ich bin der, den du kennst", sagt der Fremdling,
"dessen Name dich lud, hier im Hause dein Nachtmahl zu essen.
Wunden weis' ich dir nicht oder Narben an Händen und Füßen,
kein zermartertes, blutendes Haupt, das, von Dornen zerrissen,
eitrig starrt, noch den schwarzen, von Striemen geborstenen Rücken.
Alles dieses ist lange verheilt und verharscht und vergessen.
Bester, sei mir willkommen, und morgen dann gehst du den Weg wohl
nach der Klamm deines Stroms, nach den brausenden Schnellen der Maggia,
wenig Schritte von hier. Und darüber hinaus in die Höhen,
eines Tages, wo still meine Lämmer Jahrtausende weiden.
Sieh, es geht ein Gerücht, ich sei nicht am Balken gestorben,
sondern lebend von liebenden Händen heruntergenommen. ...
Willst du mehr von mir wissen, besuche mich, Till!"
... Till erreichte die Tobel der Maggia
und erquickete Augen und Herz. ...
"Hört", so fragt er den Landmann, der tief seine Hacke hineinschlägt
in den knirschenden Grund, "hört und sagt mir, wo ist hier ein Hirte,
so und so von Gestalt? Und wo weidet der Hirt seine Herden?" -
... Ach, es war in dem Narren ein Wille
aufgebrochen, womöglich am Feuer des Hirten zu schmelzen
und sein heitres und letztes Geheimnis von ihm zu erfahren.
Und zu trinken begehrete er aus demselbigen Quellbrunn,
der die Herden des Hirten mit ewiger Wonne beglückte.

(Aus Gerhart Hauptmann: Till Eulenspiegel.
In: Das erzählerische Werk. Frankfurt/M. 1964, Bd. 4, S. 452-457)

Hauptmann zitiert einmal zustimmend ein Wort von Balzac: "Vor Gott gehöre ich der Religion des heiligen Johannes an" (SW VIII, 1054). Die Gestalt des Vaters Johannes zieht sich durch eine ganze Reihe von Werken bis hin zu seinem letzten unvollendeten Roman 'Der neue Christophorus'. Er ist "der Jünger, den der Herr am meisten liebte, / und der den Tod nicht sah noch sehen sollte" (in Gregor 423), der also auch in unseren Tagen unterwegs ist. Ein Wanderer wie der ewige Jude, aber ein Schuldloser, ein Lichtbringer. Ihm glaubt Hauptmann begegnet zu sein:


Mir ist Johannes einst begegnet: Er! ...
Er ging vorüber nur, und doch: es blieb in mir
unsterblich, was in seiner Seele Umkreis,
durch den ich schritt, in meine Seele drang:
es wahrhaft nennen - das vermag kein Wort.

(Zit. n. Gregor 423)

Dieser Pater Johannes liebt "mit allem Gut und Böse die Welt" (SW X, 860). Er ist ein Weltfrommer, ein Weltfreund. Er trägt Rübezahlzüge und, wie Till, die Schellen eines Narren. Im Epos 'Till Eulenspiegel' erscheint er als Naturapostel mit den bekannten Zügen Gusto Gräsers. In seinem unvollendeten Spätwerk wird er so etwas wie der leitende Schutzgeist des neuen Heilands namens Erdmann, von dem der Dichter sagt: "Das wäre also meine Absicht mit diesem Merlin-Erdmann: den Menschen mit der Erde inniger und auf religiöse Art zu verbinden" (SW X, 1088).

In 'Till' hatte Hauptmann den Naturapostel Johannes noch mit mildem Spott behandelt; von seiner Wiederkehr im 'Neuen Christophorus' sagt er: "Der sogenannte neue Christophorus läßt mich nicht los. Was er erstrebt, habe ich zu verspotten nicht angestanden, heut aber bin ich für die Erlösung der Menschheit umgestimmt" (SW X; 860). Der immer zweifelnde und schwankende Dichter hat sich am Ende für die Utopie des "Narren" entschieden, für die Hoffnung, "den Menschen mit der Erde inniger und auf religiöse Art zu verbinden".

Hauptmanns blumiger Hügel über dem Tale der Maggia


O mein Gott, das Geheimnis im Lotos! Om!

Wie wäre das, Till: du entferntest dich leise vom Kehraus

und gewönnest die selige Stille, die mehr ist als Schweigen?

Hanglos hausetest du etwa wohl auf dem blumigsten Hügel,

pinienduftend die Einsiedelei, in dem Tale der Maggia,

dort, wo diese zur Freiheit durchs felsichte Tor

sich den Weg gräbt?

. . .

Om! O mein Gott, das Geheimnis im Lotos!

Frau Stocksmayr beim Sticken in einer Felsgrotte bei Ponte Brolla

Foto: Archivio Fondazione Monte Verità (ASTi), Fondo Harald Szeemann

Die Einsiedlerin in der Grotte

Das Bild zeigt Frau Stocksmayr, eine Freundin und Hausgenossin der Gräsers, in einer Felsgrotte bei Ponte Brolla im Maggiatal, um 1919. Die Szene erinnert stark an Verse von Gerhart Hauptmann im siebenten Abenteuer seines Epos ‚Till Eulenspiegel’:

Hanglos hausetest du etwa wohl auf dem blumigsten Hügel, / pinienduftend die Einsiedelei, in dem Tale der Maggia, / dort, wo diese zur Freiheit durchs felsichte Tor sich den Weg gräbt.“

Mit dem „felsichten Tor“ der Maggia sind zweifellos die Schnellen von Ponte Brolla gemeint, die im Till-Gedicht nicht nur erwähnt werden sondern am Ende in den Brennpunkt des Geschehens rücken. Hauptmann hatte im Frühjahr 1919, auf der Flucht vor der Revolution, einige Monate in Locarno verbracht. Er war auf den Höhen über Losone gewandert, hatte mehrfach den Monte Verità bestiegen und auch die Tobel von Ponte Brolla besucht. Mit dem „blumigsten Hügel“, auf dem Till gerne hausen würde, dürfte der Monte Verità gemeint sein, genauer: sein Hinterland um Losone mit den Felsen von Arcegno. Der Hügel über dem Tal und die Einsiedelei im Fels sind in Hauptmanns Versen in einem Bild zusammengefasst.

In dieser Landschaft endet die Gaukelfahrt seines Till Eulenspiegel, in diese Landschaft flüchtete sich seine Erlösungssehnsucht. Till entspinnt seine Fantasie im siebenten Abenteuer, während er bei der Hochzeitsfeier eines abgedankten Königs den unterhaltsamen Narren spielt. Es ist sicher die Wunschfantasie seines Dichters, eine Erinnerung - und eine bleibende Hoffnung.

Om!“ Mitten im Lärm der gesellschaftlichen Zerstreuungen schweift des Dichters Sehnsucht ab in eine Stille, die mehr ist als Schweigen, in die Hanglosigkeit, das Nichtanhaften eines Buddha. „Om!“ Und diese Hoffnung, dieser Wunsch verbindet sich mit einem Hügel über der Maggia und einer Einsiedelei in ihrem Tal.

 

Blick von der Grotte Gusto Gräsers auf den Durchbruch der Maggia bei Ponte Brolla

Dort also, an diesen Plätzen, muss Hauptmann Zeiten der Loslösung erlebt haben. Sie waren ihm Orte der Befreiung von Hängen und Zwängen – oder er projizierte sein Wünschen an diese Orte. Eine Einsiedelei im Tal, mit Pinien und Reben und Grotte. Und ein blumiger Hügel darüber, den wir, dem Gedicht entsprechend, auf den Felsen von Arcegno zu suchen haben, mit der Höhle des Einsiedlers aus Siebenbürgen.

Immer wieder schweift Tills Fantasie aus der Wirrnis der Zeit in sein zeitloses Wunschland. So im zehnten Abenteuer:

Doch im Ernste: ich bin auf dem Weg nach der seligen Insel,

die ich schon als Knabe ersehnt und manchmal erblickte. …

ich haudre vom Schlachthof zum Gral sozusagen …

Und dann reise ich fort, immerfort durch die Wüste des Daseins,

durch die Wildnis der Welt und hinaus aus den Grenzen der Menschheit,

bis ich endlich den Ort in der Stille der Wälder gefunden,

wo man tritt in den Berg. (306, 10. A.)

Hier, in der Stille der Wälder, im Berg, wohnt der neue von Hauptmann entworfene und gefundene Jesus, ein Apoll und ein Buddha zugleich, der ihn in sein zeitloses Reich ruft:

So verschied ich und wachte dann auf und erstand in das Ew’ge.

Doch dem Zeitlichen blieb ich gestorben: hier liegt das Geheimnis.

Auch du, Till, stirbst der Zeit. Wer allein in ihr lebt, lebte niemals:

und wer tot ist, vermag auch in ihr, in der Zeit, nicht zu sterben.

Der nur stirbt ihr, der, dienend im höheren Dienst, ihr gedient hat

und sein Opfer gebracht. Und so sei mir willkommen

im Ew’gen!“

Die Landschaft um den Monte Verità ist für Hauptmann ein Ort poetischer Epiphanie, eine Schwelle in die Ewigkeit. Hier auf den Höhen weidet der göttliche Hirt seine Herden. In der locarneser Kneipe ‚Zum Heiland’ erscheint er dem vor sich hindämmernden Till.

Denn er sah einen Mann, einen Hirten, der schweigend hereintrat. …

Es umgab ihn ein Lichtschein ...

Ich bin der, den du kennst“, sagt der Fremdling,

dessen Name dich lud, hier im Hause dein Nachtmahl zu essen.

Er lädt ihn ein:

Bester, sei mir willkommen, und morgen gehst du den Weg wohl

nach der Klamm deines Stroms, nach den brausenden Schnellen der Maggia,

wenig Schritte von hier. Und darüber hinaus in die Höhen,

eines Tages, wo still meine Lämmer Jahrtausende weiden.“

Die Schnellen der Maggia brausen bei Ponte Brolla, und auf den Höhen darüber befindet sich im Berg die Grotte Gusto Gräsers. Till – oder ist es Hauptmann? – macht sich auf den Weg.

Ach, es war in dem Narren ein Wille

aufgebrochen, womöglich am Feuer des Hirten zu schmelzen

und sein heitres und letztes Geheimnis von ihm zu erfahren.

Und zu trinken begehrete er aus demselbigen Quellbrunn,

der die Herden des Hirten mit ewiger Wonne beglückte.

Till aber findet den göttlichen Hirten nicht und stürzt in den Tod.

 

Die Brissago-Inseln im Lago Maggiore

 Die allerglückseligsten Inseln

Gerhart Hauptmanns konkrete Utopie

Merkwürdigerweise ist das Motiv "Lebensreform" in Leben und Werk von Gerhart Hauptmann bisher kaum behandelt worden. Ein Ansatz in dieser Richtung findet sich in dem Aufsatz von Felix A. Voigt 'Die Insel der Seligen' in der Germ.-Romanischen Monatsschrift 22 von 1934. Allerdings sieht Voigt, sicher zu Unrecht, den Hauptmannschen Traum von der "Sonneninsel" vorwiegend literarisch inspiriert.

Immerhin geht aus seiner Übersicht hervor, dass Hauptmanns Beschäftigung mit diesem Motiv im Zeitraum um 1918/19/20 ihren Höhepunkt erreicht. In diesen Jahren entstehen, nach dem Abschluss des KETZER VON SOANA (1917), das Dramenfragment DIE BÜRGERIN (1918), die kleine Schrift VELAS TESTAMENT (um 1918?), eine Episode der Idylle JUNGLICHT (1919), zugleich auch schon die Anfänge von DIE INSEL DER GROSSEN MUTTER (1919) und, etwas später, das kleine Epos DIE BLAUE BLUME (1923). In allen diesen Werken findet Voigt das Motiv der Sonneninsel, die bei Hauptmann nicht etwa nur als sinnliches Südseeparadies vorgestellt wird sondern, wie aus dem frühen Drama HELIOS von 1896 deutlich genug hervorgeht, als bewusster mythischer Gegenentwurf zu christlicher Weltentsagung. (Die Namen Helios und Helixoia wählt Hauptmann in vielleicht ungewollter aber dennoch bezeichnender Parallele zu Diefenbach, der seinen erstgeborenen Sohn, ein Dutzend Jahre früher, Helios genannt hatte. Und der auf Capri seine Sonneninsel fand.)

Wenn also Hauptmann im Frühjahr 1919 den Monte Verità besteigt, wenn er begehrliche Blicke über die Brissago-Inseln im Lago Maggiore schweifen lässt, wenn er das Castello Materno in Ascona in Augenschein nimmt und erwerben will, und wenn er gleichzeitig mit brennendem Eifer sich auf die Schriften von Bachofen stürzt, dann leitet ihn ohne Zweifel in alledem der Traum seiner Utopie. Es ist ja auch nicht so, dass die mehrmaligen Umgänge auf Monte Verità, wie Bernoulli sie bezeugt, nur Verdauungsspaziergänge ums Haus gewesen wären. Vom Hotel in Locarno ist der Monte Verità drei Kilometer entfernt. Hauptmann musste erst nach Ascona oder Losone fahren und dann entweder zu Fuß den steilen Aufstieg von Ascona her auf sich nehmen (eine Fahrstraße vom Ort her gab es damals noch nicht) oder den längeren Weg im Norden des Berges von Losone her. Oder er musste ein Fahrzeug mieten und sich auf den Berg kutschieren lassen. Will sagen: ein erheblicher Aufwand an Energie war nötig, eine bewusste Zielsetzung. Es handelte sich also nicht um zufällige und beliebige "Spaziergänge", vielmehr um gezielte Exkursionen, ja, wenn man Hauptmanns Motivlage kennt, muss man sagen: um Explorationen. 

Von der Sonneninsel in HELIOS sagt Voigt:

„Die im Herzen heidnisch gebliebene Bevölkerung [auf dem Festland] sehnt sich nach den Frühlings- und Götterfesten, die früher drüben auf der Insel gefeiert wurden.“

Und er zitiert den lockenden Ausruf des Knaben Helios:

"Dort lebt ein Volk, ganz anders als Ihr. Und immer im neunzehnten Jahre kommt Apollo zu ihnen herab, tanzend, Kithara spielend, von kreisenden Schwärmen singender Schwäne begleitet". (Voigt a. a. O., S.283)

Kreidezeichnung von Rudolf von Laban

So ähnlich sehnt sich Hauptmann im Frühjahr 1919 nach den Sonnenfesten (ob er sie kannte oder nicht), die früher auf dem Berg gefeiert wurden, träumt noch einmal seinen Jugendtraum. Er hofft auf das Kommen des (oder auf die Begegnung mit dem) tanzenden und singenden Apoll. (Den sucht am selben Ort sein Till!)

          Das Sonnenfest von 1917

 Die Tänzertruppe von Laban

Aber die Stätte ist verlassen, die Häuser sind verschlossen, die Hütten stehn verwaist. Die Utopie, so musste Hauptmann es erleben, war, wieder einmal, gescheitert. Der Dichter bewegt sich in einer toten Stadt, einer "Totenstadt" – wie sie im GROSSEN TRAUM dann dichterisch wiederkehrt. Dass er dort die Verwirklichung der Utopie für unmöglich erklärt, mag auch Reflex der Enttäuschung sein, die er auf dem „Berg der Wahrheit“ erlebt hat.

Voigt berichtet des weiteren über eine visionäre Szene der Idylle JUNGLICHT, die um diese Zeit entstanden sein soll:

In einer Vision Maxens (der später Lutz heißt) wird geschildert, wie durch den Bekehrungseifer der Herrnhuter Apostel alles Ideale aus dem Hause hinausgeworfen wird: die Musikinstrumente fliegen hinaus, Komponisten und Dichter verlassen es fluchtartig ... Alles aber nimmt Helios auf seinen Wagen, um sie zu den allerglückseligsten Inseln zu bringen. (Voigt, a. a. O., S. 286)

So auch, scheint mir, sah Hauptmann im Winter 1919 durch Niederlage und Revolution mehr als je "alles Ideale aus dem Hause hinausgeworfen", verließ fluchtartig das in Hass und Hader untergehende Deutschland und suchte seinen Idealen auf  den "allerglückseligsten Inseln" im und am Lago Maggiore eine neue Heimat zu geben – die er dann doch nicht gefunden hat. Noch im KETZER VON SOANA hatte seine Utopie in sinnlichen Farben geglüht. Jetzt, auf dem Höhepunkt seines durch die Kriegsnot neu entzündeten, zur Erlösungshoffnung gesteigerten Phantasierens, folgt die Enttäuschung, die Ernüchterung, der Absturz. Till stürzt ab, lässt sich fallen in die mütterlichen Strudel. Der Abstieg in den "Großen Traum" beginnt.

Dass Hauptmann, wie Gräser, die auf Erden nicht zu verwirklichende Utopie dann umgeschmolzen hat in einen Mythos der Utopie, das steht auf einem anderen Blatt. Damit beginnt, hier wie dort, die dichterische Fort- und Umsetzung der "Sonneninsel" von Ascona.

Lotte Hattemer auf dem Monte Verità


Tills letzte Landschaft


Dies ist eine historische Aufnahme, etwa um 1900: Blick vom Monte Verità auf Losone und das Maggiatal. Ziemlich genau in der Bildmitte sieht man den Kirchturm von San Giorgio aufragen. Hinter San Giorgio beginnt ein Fußweg, hinauf in die bewaldeten Hügel und Hänge, der zur Grotte Gusto Gräsers führt. Hermann Hesse ist diesen Weg oft gegangen, er nannte ihn seinen „Eremitensteig“. Auch Gerhart Hauptmann ist auf den Höhen über Losone gewandert, als er im Frühjahr 1919 sich monatelang in Locarno aufhielt. Auch sein Ziel, wie Hesses, muss die „Pagangrott“ gewesen sein, die sich in den Abhängen am linken Bildrand befindet. Dafür und davon spricht seine Dichtung.

Von seinem Hotel in Locarno hatte er in etwa diesen Blick, freilich aus einer anderen Perspektive. Am rechten Bildrand sind in halber Höhe in der Verlängerung die in Hauptmanns ‚Till’ erwähnten „brausenden Schnellen“ (455) oder „Tobel der Maggia“ (457) zu denken: der Felsgrotte Gräsers genau gegenüber. Es handelt sich also um die Landschaft, in der Tills letztes Abenteuer spielt, wo er sein „Grab an den Schnellen der Maggia“ findet (462).

Hermann Hesse mit seinen Söhnen beim Baden in der Maggia bei Ponte Brolla,

 1918

 Die Schnellen der Maggia

Ein Jahr vor Hauptmann hielt sich auch Hesse in der Gegend von Locarno auf. Auch er war, und dies schon seit vielen Jahren, auf der Suche nach dem seltsamen „Hirten“, auch er ließ die Blicke kreisen über den Talgrund, „wo der Ort für ein Hüttchen sich böte, die kleine Behausung“, wo er finden könnte, was er suchte: „den seligen Stillstand“ (457). Schon 1916 hatte er seinen Freund Gustav Gamper beauftragt, ein Häuschen in Waldnähe für ihn zu suchen, und 1918 schrieb er an Emil Molt, er würde gern in Ascona sich ankaufen.

So auch Gerhart Hauptmann 1919. Er hatte ein Auge auf das „Castello San Materno“ geworfen, „ein altes Schloß langobardischen Ursprungs“, das dann die Eltern der Tänzerin Charlotte Bara kauften. „Das Schloß gehörte damals dem französischen Grafen de Loppinot, der sich geweigert hatte, es einem anderen Interessenten – dem Dichter Gerhart Hauptmann – zu verkaufen, weil dieser ihm – man schrieb das Jahr 1919! – als ‚boche’ nicht genehm war“ (Riess 1964, S. 116).

Das Castello San Materno in Ascona

Früher schon, noch vor seiner Abreise in den Süden, hatte Hauptmann eine andere, noch attraktivere Ansiedlungsmöglichkeit im Blick gehabt: die große Brissago-Insel im Lago Maggiore. Offenbar wollte er bewusst dort seinen seit Jugendtagen geträumten Sonnenstaat verwirklichen, seine matriarchale „Insel der Großen Mutter“.

Immer wieder schwebt Hauptmann in diesen Jahren das Bild einer einsamen Insel vor. Einer Ozeaninsel mit südlicher Vegetation galt schon ein Traum von 1898; letztlich ist es, wie Hauptmann selbst bemerkt, die Robinson-Crusoe-Begeisterung seiner Kindheit, die in ähnlichen Äußerungen seines „Isolierungsdrangs“ fortlebt. 1918 oder 1919 erkundigt sich Hauptmann nach der Möglichkeit, die Brissago-Inseln im Lago Maggiore käuflich zu erwerben; glücklicherweise kommt er bald von dem Plan ab … Was sich im Leben nicht verwirklichen läßt, wird Literatur. (Sprengel: Mythen, S. 118f.)

Aus beiden Hoffnungen oder Absichten ist also nichts geworden. Nicht er, der hamburgische Kaufhausbesitzer Emden konnte auf dem subtropischen Eiland im See seine erotischen Wünsche sich erfüllen. Hauptmann fand einen bescheideneren Ankerplatz für seine Utopie dann auf einer anderen Insel, hoch im Norden, auf Hiddensee.

         Foto: Gela

Venus auf der Brissago-Insel



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1 "Hier ist an die außerordentlich hohe Wertung zu erinnern, die das Hirtendasein im Hauptmanns Griechischem Frühling erfährt: als ursprünglichste Lebensform und 'beste Ernährung für den metaphysischen Keim im Menschen‘ (CA VII 78), Grundlage somit aller Mythen- und Religionsbildung." (Peter Sprengel: Gerhart Hauptmann. Epoche - Werk - Wirkung. München 1984, S. 219)


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