Übersetzungen
des
Tao Te King gibt es zu Dutzenden. Meist sind sie nebulös
und kaum verständlich, weil sie sich von der Denkwelt
des Chinesischen nicht lösen können. Gusto Gräser,
selbst Einsiedler und Erdenwanderer in härenem Gewand,
konnte aus eigener Erfahrung schöpfen und so eine
Nachdichtung schaffen, die nicht an Worten klebt sondern
aus dem Geist des TAO lebt. Durch ihn und in ihm ist der
Chinese Laotse ein Deutscher geworden. Gräsers
Nachdichtung
überzeugt durch die Klarheit und Einfachheit der
Sprache, durch ihren würdevollen Gang und ihr
kraftvolles Pathos. Der Sinn wird sinnlich, wird hörbar,
plastische Poesie. Die Weisheit des Chinesen bleibt
nicht länger eine ferne Sage, sie wird Forderung des
Tages, Anruf und Mahnung zur Wandlung. Wir sind gemeint,
Menschen des 21. Jahrhunderts. Die Gelehrsamkeit fällt
weg, das Wort des großen Alten wird wieder jung. Gräser
war
ein Wanderer, lebte auf und von der Straße, schlief in
Wäldern, wohnte in Felshöhlen. Der frische Wind seines
sturmbewegten Lebens fegt den Staub vom vergilbten
Pergament. Mit einem Nachwort von Hermann
Müller
Broschur,
143
Seiten mit zahlreichen Abbildungen - 5. verbesserte
Auflage - ISBN: 9783937726007 - EUR
14,00 Umbruch Verlag Recklinghausen
Gusto
Gräser
Gedichte des Wanderers
Herausgegeben von Frank Milautzcki, Klingenberg
Limitierte und numerierte Ausgabe
Der
Monte
Verità
bei Ascona, von Gusto Gräser mitbegründet, wurde zu
Beginn des Jahrhunderts
ein
geistiges Zentrum, das schöpferische Kräfte aus ganz
Europa an sich zog. Jahrzehntelang hat der
"Stromer", der "Vagabund", der "lachende
Siebenbürger" in deutschsprachigen Großstädten
"öffentliche Gespräche" abgehalten, hat auf
Spruchkarten und Flugblättern, vor allem aber im
Gespräch seine Mitmenschen aufzurütteln versucht.
Seine Gedichte wollten nicht "Kunst" sein, sind
immer Ansprache und Mahnung. Sein Lebenswerk ist
ungedruckt geblieben. Seine Zeitgenossen kannten nur
Bruchstücke, Vorläufiges, Zufälliges. Heute erst,
mit dieser Auswahl, hat der Leser die Möglichkeit,
sich ein eigenes Urteil zu bilden. Besser aber:
teilzuhaben an einem Vermögen, teilzunehmen an einer
Befreiung. Es handelt sich um eine Auswahl, eine
Zusammenstellung von Gedichten und Sprüchen, wie sie
der Dichter selber nie gegeben hat und wohl nie
gegeben hätte. Gräser hat seine Goldkörner zwischen
Sand und Kiesgeröll vergraben. Sie auszusieben und
blankzureiben wäre ihm als Verzerrung der
Wirklichkeit erschienen, der Wirklichkeit, die immer
auch banal, unrein, gemischt und schlicht alltäglich
ist. Mit wunderlicher Fremdheit schauen uns diese
Texte an, lassen uns zurückschaudern vor so viel
brausender Bejahungskraft. Herausgegeben von Hermann
Müller
Diese
erste und einzige Lebensbeschreibung des
Dichterpropheten bietet auf 145 Seiten die wichtigsten
Originaltexte und Fotos, die zu seinen Lebzeiten
entstanden sind. Mit
einem
Kapitel über seine Jugend bei Diefenbach und mit Bildern
aus der Alternativ-Siedlung „Grünhorst“ bei Berlin. Mit
ausführlichen Literaturangaben und zahlreichen Fotos und
Faksimiles.
Umbruch Verlag
Recklinghausen, € 15.00. ISBN 978-3-937726-07-6
Weiterführende
Literatur
in Auswahl zu Arthur Gustav Gräser
Grundlegende
Schriften
fett geschrieben
Weiterführende
Literatur
ist auch in den jeweiligen Kapiteln zu finden
(siehe auch Karl
Wilhelm
Diefenbach)
Andratschke,
Thomas
(Hg.)
Mythos Heimat.
Worpswede und die europäischen Künstler-kolonien.
Sandstein Verlag, Dresden 2016.
Zitat:
Hermann Hesse … zog es zu Gusto Gräser, den er in
seiner Höhle in Arcegno besuchte, um etwas von ihm
zu lernen, was in seinen Büchern immer wieder eine
Rolle spielt: den Rückzug in die Einsamkeit, das
Ausgesetztsein in der Natur, die Askese, die
radikale Außenseiterrrolle.
Appignanesi, Lisa
Dreams
of
Innocence. London: HarperCollins, 1994.
Aschenbeck,
Nils
Reformarchitektur.
Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne.
Verlag Birkhäuser, Basel 2016.
Aschenbeck führt die Entstehung der modernen
Architektur auf die Licht-Luft-Hütten der
Lebensreformer und ihre Sanatoriumsbauten zurück.
Ihr Ideal der Einfachheit und Ursprünglichkeit habe
zu einer Reduktion des Hauses auf seine Urform
geführt: die Hütte. Damit hätten sie einen neuen
Beginn gesetzt.
Zitat: „Das um 1900 auf dem Monte Veritá und an
anderen Orten etablierte neue
Architekturverständnis, das das
Architekturverständnis des 19. Jahrhunderts auf den
Kopf gestellt hatte, war unmittelbare Ursache für
einen weitreichenden architektonischen Wandel
weltweit. Das moderne Appartementgebäude, das auf
den ersten Blick sowohl einem Sanatorium als auch
einem Schnell-dampfer glich, gründete auf der
Reformbewegung. Es ist – bis heute – der Standardtyp
der Wohnarchitektur geblieben, wird kaum verändert
von Trondheim bis Sydney gebaut.
Wir sehen, dass die moderne Architektur, das Neue
Bauen, die Neue Sachlichkeit, die Moderne oder auch
die Zweite Moderne Weiterungen und Fortentwicklungen
der Reform sind. Erst die Reform hat das Denken
etabliert, das dieser Architektur zugrunde liegt.“
(S. 283)
Below,
Jürgen (Hg.)
Hermann Hesse „Der Vogel kämpft
sich aus dem Ei“ Eine
dokumentarische Recherche der Krisenjahre
1916-1920
Igel Verlag, Hamburg 2017
Bermbach,
Udo
Richard
Wagners Weg zur Lebensreform
Wagner in der Diskussion, Bd. 17
Königshausen und Neumann Verlag, Würzburg 2018
ISBN 9783826064708
Gebunden, 256 Seiten
Udo Bermbach, von Haus aus
Politologe und Wagnerforscher, hat ein Buch zur
Geschichte der Lebensreform geschrieben, das
manches Kompendium zum Thema in den verdienten
Schatten stellt. Anschaulich und plastisch, weil
er sich konzentriert auf ... Weiterlesen
Dans:
Esprit gandhien avant la lettre de 1890 à 1918
et réception de Gandhi de 1918 à 1945 en
Allemagne.
Par
Danielle Bernard, professeure agrégée
d'allemand, Edition de novembre 2000 corrigée et
complétée en mars 2022.
(Gandhianische und
nicht-gandhianische Aspekte von Gusto Gräser,
einem Wahrheitssucher, Eklektiker, reisenden
Künstler, Einzelgänger, Anarchisten und
Rebellen.
In: Esprit gandhien avant la lettre de 1890 à
1918 et réception de Gandhi de 1918 à 1945 en
Allemagne.
Von Danielle Bernard, Professorin für Deutsch,
Ausgabe vom November 2000, korrigiert und
ergänzt im März 2022.)
Berlinische
Galerie
(Hg.)
Visionäre der
Moderne. Paul Scheerbart, Bruno Taut, Paul Goesch.
Scheidegger & Spiess, Zürich 2016.
Zitat:
„Das ist letzten Endes, das was wir wollen: die
Utopie!“ formulierte Walter Gropius
begeistert.
Bodmer, Hans-Caspar (Hg.)
Monte
Verità.
Landschaft,
Kunst, Geschichte. Frauenfeld Stuttgart
Wien 2000, Verlag Huber.
Bollmann,
Stefan
Monte Verità 1900
Der Traum vom alternativen Leben beginnt
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017
Blankenstein, Christian
Gusto Gräser – der
europäische "Gandhi"
Unter dieser Überschrift zeichnet
Christian Blankenstein, ein altkatholischer
Theologe in Wien, ein kurzes Lebensbild von Gusto
Gräser. Es ist enthalten in seinem Buch: Die
Merk-würdigen von Gestern und ihre Spuren im
Heute. 15 Portraits aus Österreich, erschienen im
Verlag Traugott Butz, Nordhausen 2011; dort auf
den Seiten 146-160.
Blankenstein bietet ein
gründlich recherchiertes (wenn auch nicht
fehlerfreies) Portrait, das sich vor allem, nach
seiner eigenen Aussage, auf die Gräser-Webseite
stützt. Er kann also dem hier bewanderten Leser,
außer in seinen Akzentuierungen, wenig Neues bieten.
Darum dürfte es genügen, jene Abschnitte hier
anzuzeigen, die relativ eigenständig sind oder einen
Aspekt besonders hervorheben.
Blankenstein geht einigermaßen ausführlich auf die
familiäre Herkunft Gräsers ein:
Anhand der von Daniel Gräser 1885 zusammengestellten
„Graeser-Biederfeldschen Familienchronik“ gelingt es
leicht, sich ein Bild jenes geistigen Umfeldes zu
machen, das Gräser hervorgebracht hat. Am Anfang
steht die Legende von der dickköpfigen
Aufrichtigkeit jenes Ahnen, der im Chorgestühl der
Schäßburger Bergkirche Beleidigungen gegen den
Magistrat verfasst hatte.
Vor die Alternative gestellt, zu widerrufen oder
auszuwandern, wählte er letzteres und geht in die
Gegend des Dorfes Mediasch. Gesichert jedoch ist das
Faktum, dass bereits vor dem Jahre 1664 dort
Angehörige der Familie Graeser sesshaft waren und
Stephan Graeser 1664-1686 das Amt des Bürgermeisters
bekleidete. Übte man in der Graeser’schen Familie
zunächst das Schneidergewerbe aus, so wird Daniel
(1752-1833), der in Jena Theologie studiert, Pfarrer
und als Siebzigjähriger zum Bischof der
Evangelischen Kirche in Siebenbürgen bestellt. Die
Familie Graeser weist schließlich ein weites
Spektrum von Berufen auf, das vom Berufssoldaten,
Kommunal-Politiker, Kirchenmann, Historiker und
Juristen bis hin zum Dichter und Maler reichen wird.
Eine geistige Elite in Siebenbürgen also! Im
Geburtsjahr Gusto Gräsers 1879 weist die „Allgemeine
Deutsche Biographie“ gleich drei Vertreter der
Familie auf. Schule und Kirche sind die beiden
Grundfesten der Siebenbürger Sachsen, die sie zwecks
Aufrechterhaltung ihrer Identität stets hochhielten.
Waren sie doch ethnisch wie religiös eine
Minderheit. So werden diese beiden Anker des
Volkstums auch in der Familie Graeser von Generation
zu Generation weitergegeben. (S.147)
Über Gräsers Rebellion gegen die Schule berichtet
Blankenstein:
Noch schlimmer wird es für ihn, als er am 30. August
1890 an das Brukenthal-Gymnasium nach Schäßburg
[Hermannstadt!] wechselt und er der Enfernung wegen
zu Fremden – noch dazu Lehrern – in Kost und Logis
muss! Glücklich erweist sich der Umstand letztlich
dennoch, als Gusto am 1. November 1891 in das Haus
des Malers Carl Dörschlag (1832-1917) zieht. Dieser,
ein bedeutender Portrait- und Landschaftsmaler,
fungiert gleichzeitig als Zeichenlehrer am
Gymnasium. Er war es, der als erster die
künstlerische Ader des Jungen fördert. Dies bringt
Gusto einerseits Erfüllung, ändert aber nichts an
seinem Desinteresse an der Mathematik. So kommt, was
kommen muss: der Spross einer bekannten
Akademiker-Familie fällt durch und verlässt das
Gymnasium. (148)
Über „die Kolonie auf dem Monte Verità“ von Ascona,
von den Brüdern Gräser im Herbst 1900 zusammen mit
andern begründet, räsonniert der Theologe:
Ein Berg begegnet uns immer wieder in den Religionen
der Welt, denken wir beispielsweise an den Berg der
Gesetzestafeln des Moses oder die Bergpredigt des
Jesus von Nazareth. Von oben sieht die Welt nicht
nur anders aus – die veränderte Perspektive vermag
auch das eigene Denken zu verändern, neue Maßstäbe
werden bedeutsam. Gräser und seine Gefährten
glaubten den richtigen Platz für einen Neuanfang
gefunden zu haben: eine Kontrastgesellschaft soll
aufgebaut werden, Gräser sieht in ihr eine Art
Liebeskommune, die Aussteiger aller Art mit offenen
Armen aufnehmen soll. Nachdem Gräser inzwischen jede
Art von Reglement und äußerer Ordnung ablehnt, soll
es ein Ort werden, wo sich der Mensch entfalten
kann.
Vordergründig irritiert die Bezeichnung „Monte
Verità“, denn es geht dort weniger um die
„Wahrheit“, sondern um die Möglichkeit „wahrhaftig“
zu leben und den Zwängen der Geschäftswelt und den
Regeln der Gesellschaft zu entfliehen. (151)
Blankenstein zitiert auch aus dem Bericht von Carlo
Arnaldo, dem ersten Chronisten des Monte Verità:
In seinem Artikel „Die Naturmenschen“, der am 20.
August 1903 in San Francisco erscheint, heisst es:
„Ich fuhr über den Lago Maggiore und bestieg den
Heiligen Berg der Göttin Natur, den seine seltsamen
Bewohner Monte della Verita – Berg der Wahrheit -
nennen … Weiter oben trafen wir den ersten
Naturmenschen (Anm. Karl bzw. Gusto Gräser). Er war
gerade beim Bau eines kleinen Steinhauses … Noch nie
habe ich einen so schönen Mann gesehen, nicht nur im
ästhetischen Sinn, sondern auch nach den
charakteristischen Zeichen wahrer Gesundheit. Er
trägt die Haare lang und einen kurzen Bart; eine
leichte Tunika, an der linken Seite aufgehängt,
lässt die Arme für die Arbeit frei und entblößt bis
zur Mitte einen hageren muskulösen Körper
praxitelesker Volkommenheit. Ich sagte mir, so
müssten die Bewohner der Erde ausgesehen haben, als
unsere Zivilisation die Rasse noch nicht verdorben
hatte…“ (152)
Blankenstein befasst sich ausführlich mit Hermann
Hesse und dessen „lebenslanger Bewunderung und
Freundschaft zu Gräser“. Er zitiert eine wenig
bekannte Stelle aus dem ‚Glasperlenspiel’:
Hermann Hesse schildert … seine Eindrücke auf dem
Monte Verità folgendermaßen: „Bei der Ankunft gegen
Abend blickte eine kleine grüne Oasenlandschaft ihn
freundlich an, er sah Bäume ragen und hörte eine
Ziege meckern, glaubte im grünen Schatten die
Umrisse von Hüttendächern zu entdecken und
Menschennähe zu wittern … Mit Einbruch der Dämmerung
kam er in die kleine Siedlung. Es wohnten hier,
ähnlich wie in einem Kloster, sogenannte
Zurückgezogene … aus verschiedenen Städten und
Ortschaften, die sich hier in der Abgeschiedenheit
eine Unterkunft geschaffen hatten, um ungestört sich
einem einfachen, reinen Leben der Stille und
Kontemplation zu ergeben.“ (152f.)
Aus einem Flugblatt des Wanderpropheten teilt
Blankenstein einen ebenfalls kaum bekannten Auszug
mit:
In Berlin, wo die Familie ein Jahr bleibt, verteilt
Gräser 1912 Flugschriften mit dem Titel „Heimat“ und
„Ein Freund ist da“. In letzterem ist seine heftige
Gesellschaftskritik unverkennbar: „O, Ihr blutlosen
Anstandspuppen! Hüllt Euch nur weiter in Eure mit
tausend hüpschen Phrasen verbrämten Mäntelchen – Ihr
über alle Äusserlichkeiten Erhabenen! Macht nur
weiter, Ihr Macher! … Geht, Ihr Memmen! … Oder wollt
Ihr hüpsch sittsam beim Alten bleiben, beim guten
alten, doch so christlichen Mietmenschentum? …
Trottet also nicht mehr nach der sittsamen Lüge,
öffentliche Meinung genannt, sonst verdient Ihr
Trottel, nicht aber Menschen zu heissen…“ (153f.)
Blankenstein bewertet den Einfluss, den Laotse auf
Gräser gehabt hat, hoch und widmet dieser Frage eine
ausführliche Betrachtung, die den gelernten
Theologen verrät – der sich allerdings hier auf ein
Neugebiet wagt:
Nachdem Gräser bereits 1912 in Stuttgart über Laotse
und das Tao spricht, ist davon auszugehen, dass er
wahrscheinlich schon in seiner Höhlenzeit begonnen
hat, sich mit diesem Thema intensiv zu beschäftigen.
Nach der Lektüre von Gräsers Nachdichtung schreibt
Hesse im einem Brief im Sommer 1919: „Die Weisheit,
die uns nottut, steht bei Laotse, und sie ins
Europäische zu übersetzen, ist die einzige geistige
Aufgabe, die wir zur Zeit haben.“
Um Gräsers Werk und Absicht verstehen zu können,
muss man zunächst einen Blick in die
Religionsgeschichte werfen, was das alte China
angeht. […] Laotse hat im 6. Jahrhundert v. Chr. mit
seinem Buch „Tao-te-king“, einer Zusammenfassung von
81 Rätselworten, etwas geschaffen, das heute zu den
Perlen der Weltliteratur gehört. … Die Botschaft des
Tao-te-king, die Besinnung auf das Eine, Unendliche,
Wesentliche, das allem Werden und Wandel
zugrundeliegt, das Loslösen vom Kampf der
menschlichen Leidenschaften, von Krieg,
Herrschsucht, Wissen, Scheintugend, also von all den
Äußerlichkeiten, fasziniert Gräser.
Der Leser soll seine Gedanken hinlenken auf die
Stille, die Himmel, Erde und Menschen trägt. Es ist
also letztlich jener Zustand als Ideal anzustreben,
der eine abgeklärte Gelassenheit und zugleich eine
innige Verbundenheit mit allen Wesen und Dingen
bedeutet. Nur wenn der Mensch loslässt (vgl. den
Mystiker Meister Eckhart), wird er frei und
glücklich. […] Was die Rätselworte angeht, so müht
sich Gräser nicht um eine Übersetzung, sondern um
eine Neubelebung ihrer Botschaft in moderner
Sprache. Er macht sich also an die Arbeit der
Nachdichtung und liest den Erfolg seiner Arbeit
einem ausgewählten Kreise vor. Laotse steht für die
Ernsthaftigkeit und Einsamkeit eines abgehobenen
Gelehrten, Gräser, der als „der lachende
Siebenbürger“ bezeichnet wird, zeigt sich als dem
Leben zugewandter Philosoph, den Hermann Hesse im
Steppenwolf folgende Devise prägen lässt: „Du sollst
leben und das Lachen lernen.“ (156)
Blankenstein findet treffende Worte für das
Verhältnis der beiden Philosophen, bringt auch
einige Beispiele aus Gräsers Tao-Buch. Indem er
allerdings viel über den alten Chinesen und über das
eigene dichterische Werk des Siebenbürgers fast gar
nichts sagt, verschiebt er die Gewichte gewaltig.
Denn dieses Werk ist keine Nachahmung sondern aus
eigener Erfahrung geschöpft, aus der Not und dem
Kampf eines freiwillig Armen, der in der
Katastrophenzeit des zwanzigsten Jahrhunderts seine
einsame Stimme erhebt. Seine Worte sind ebensowenig
„Rätselworte“ wie die des Meisters Lao, sondern
klare, verständliche, ja erleuchtende Botschaften,
Schlüsselworte zu den Geheimnissen des Daseins.
Gräser hat zwar Anregungen von vielen Seiten dankbar
aufgenommen, aber er ist ein „Schüler“ nur des
eigenen Selbst.
Die Arbeit von Blankenstein ist sachlich im Ton,
klar und verständlich geschrieben, durch passende
Zitate anschaulich gemacht und trotz einiger
Missverständnisse und Ungenauigkeiten im großen und
ganzen zuverlässig. (Einen „Bruder Otto“ von Gräser
hat es nie gegeben, und ein „KZ Großöhmig“ wird man
in den Geschichtsbüchern vergeblich suchen!) Da der
Verfasser auf Gräsers eigenständiges dichterisches
Werk nicht eingeht, kann dessen bleibende Bedeutung
nicht sichtbar werden. Trotz solcher Einschränkungen
bietet Blankenstein auf kaum fünfzehn Seiten eine
informative, angenehm zu lesende Einführung in den
Lebensgang des großen Siebenbürgers.
Blum, Iris
«Monte Verità am Säntis – Lebensreform in der
Ostschweiz 1900–1950»
VGS Verlagsgenossenschaft St.Gallen, St.Gallen 2022;
352 Seiten, Hardcover mit zahlreichen SW-Abbildungen Rezension
Ein Sammelband zum Gedankengut der "radical
traditionalists". Der
amerikanische Kulturhistoriker Gordon Kennedy
kommt in seinem Beitrag zu dem erstaunlichen
Ergebnis, dass die Wurzeln der amerikanischen
Hippie-Bewegung weniger in Indien liegen als in
der deutschen Lebensreform, die schon seit 1900
durch Auswanderer in die Staaten gebracht wurde:
"What a devastating blow to find out that it
wasn't the Hopis, Hindus, Tibetans, or some
universal 'all-is-one' doctrine that inspired the
hippies - it was Germany after all."
Gordon würdigt Gusto Gräser als Hauptfigur
dieser Bewegung und bietet Bilder von Gräser,
Hesse, Fidus und Diefenbach.
Canottiere,
Lorena
Verdad
Banoe Books. Wien 2017
Ein Comic
„Sie
versuchten,
den neuen Menschen zu erschaffen. Dieser
sonnige
Hügel, der Monte Verità von Ascona, bleibt
für
viele der Abglanz eines Traumes.“
(Lorena Canottiere)
"...
Hesse, ergriffen von dem Wunsch nach einer
Lebensweise, die der Wirklichkeit neue Farben
verleihen würde, bewies seine geistige
Verwandtschaft mit Gräser, indem er
dessen Einladung annahm, ihm auf den Monte
Verita oberhalb von Ascona zu folgen. ..."
Carnelli,
Silvia
Die Heimkehr des
Ikarus. In: Gusto Gräser, TAO. Das heilende
Geheimnis. Recklinghausen 2016, S.103-106.
Zitat:
Als Gegenstück zur radikalen „Dekonstruktion“ der
Gegenwart entwirft Gusto Gräser die Konstruktion
einer neuen Menschheit … Gusto Gräser bietet auch
sein ureigenes Menschenideal an. Jener Mensch, der
dem Weg seines Taos folgt – im Sichfreimachen von
sozialen Vorschriften, so wie der Dichter selbst
sich freimachte -, wird „helfend heilend“ … Er wird
ein Tänzer und ein Tor, ein weiser Narr
Carstensen,
T.
u. Schmid, M. (Hg.)
Die Literatur der
Lebensreform. Kulturkritik und Aufbruchstimmung um
1900. Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
Zitate:
Der Monte Verità … ist ein Ort der Gegenbewegung,
ein Ort der Verlangsamung, welcher der
Beschleunigungserfahrung um 1900 etwas
entgegenzusetzen versucht. Man sehnt sich nach
Befreiung von etablierten Normen … (195).
Niemand verkörperte das Aussteigertum in dem um 1902
eröffneten Sanatorium besser als Gusto Gräser. (18)
Cepl
-
Kaufmann, Gertrude
"Die Boheme
zwischen Lebensreform und Lebensflucht",
Aufsatz in "Nomadische Existenzen", Tagungsband des
Fritz-Hüser-Instituts 11. Mai 2007, S. 55-73,
Herausgegeben von Walter Fähnders, Klartext Verlag,
Essen 2007, ISBN 978-3-89861-814-4 Auszüge
Coccia,
Emanuele
Die Wurzeln der Welt
- Eine Philosophie der Pflanzen
Ein italienischer Denker, von der Biologie
herkommend, lehrt uns die Welt mit anderen Augen
sehen.
Eine Schwäche hat allerdings sein bahnbrechendes
Werk: Begriffe wie „Mischung“ und „Atmosphäre“, die
er in den Mittelpunkt stellt, sind viel zu farblos
und zu alltäglich, um seine Weltsicht attraktiv und
einsichtig zu machen. Auszüge und Kommentar
Gibt es einen Dichter, der ihm auf die Sprünge
hilft? Ist dies Gusto Gräser?
Emanuele Coccia:
Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der
Pflanzen, München, Carl Hanser Verlag, 5. Auflage
2018
Silvio
Gesell
in München 1919. Erinnerungen und Dokumente aus
der Zeit vor, während und nach der ersten
bayerischen Räterepublik. Hann. Münden
1986.
Erl, Veronika
Monte
Verità - Sanatorium der Utopien
Auszug aus Gelebte Utopien - Siedlungsprojekte der
Lebensreform - 2021, Julius-Maximilians-Universität
Würzburg
Ferentschik, Klaus
Gustav
Arthur
Gräser. In: Harald Szeemann, Wunderkammer
Österreich,Wien/New York 1996, S. 245.
Gajek, Bernhard
Der
Prophet
und der Dichter. Gusto Gräser, Hermann Hesse und
der Monte Verità. In: Schweizer
Monatshefte, Zürich. 59. Jg., 1979, Heft 7, S.
639-643.
Green, Martin
Mountain of
Truth. The Counterculture begins. Ascona,
1900-1920. Hanover and London: University Press of
New England, 1986.
Green, Martin
Prophets
of
a New Age. The Politics of Hope from the
eighteenth through the twenty-first Centuries.New York: Scribner's, 1992.
Ascona
ist für Green der zentrale Leuchtturm, die
"Stadt auf dem Berge", die das NEUE ZEITALTER (
NEW AGE) keimhaft und symbolhaft verkörpert. Wer
immer auch in seiner umfassenden Zusammenschau
der alternativ-grünen Bewegungen auftaucht
– ob Gandhi oder Tolstoi, ob Gary Snyder,
Kerouac, Lawrence oder Max Weber, ob Tagore oder
Bernard Shaw, ob Rushdie, Shelley oder Rikli, ob
Hesse oder Hildegard von Bingen - wird als
„Asconan“ bezeichnet oder in kontrastierende
Beziehung zu „Ascona“
gesetzt.
„Asconan“ oder „asconesisch“ ist eine Idee, eine
Weltsicht, eine Gesinnung. Und es ist die
Weltsicht von Gusto Gräser. Die arbeitet er
heraus.
Greiner, Steffen
Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu
den ersten Querdenkern.
Klett Cotta, Stuttgart 2022, 272 Seiten
Besprechungen dazu >>>>> Hier!
Grohmann, Adolf
Die
Vegetarier-Ansiedelung
in Ascona und die sogenannten Naturmenschen im
Tessin.Halle a. S.:
Carl Marhold, 1904. - Nachdruck: Edizioni della
Rondine, Ascona 1997.
Guerra, Gabriele (Herausgeber)
Tra
ribellione e conservazione. Monte Verità e la
cultura tedesca.
A cura die Gabriele Guerra, Roma, 2019
(Zwischen Rebellion und Bewahrung. Der Monte Verità
und die deutsche Kultur.
Herausgegeben von Gabriele Guerra, Rom, 2019)
Mit Beiträgen in deutscher Sprache und in
italienischer Sprache.
Heelas, Paul
The
New
Age Movement. The Celebration of the Self and
the Sacralization of Modernity.Blackwell
Publishers, Oxford and Cambridge (USA) 1966.
Hermand, Jost
Grüne
Utopien
in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen
Bewußtseins. Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt/M. 1991.
Heuer,
Gottfried
M.
Freud’s
outstanding Colleague / Jung’s ‚Twin Brother‘. The
suppressed psychoanalytic and political
significance of Otto Gross. Routledge,
London and New York 2016.
Zitat: Ascona was then the countercultural capital of
Europe, a nodal point where advocates of radical
innovative ideas – from nutrition, vegetarianism,
nudism, and modern dance, to alternative
spiritualities, including theosophy and the occult,
as well as communism and anarchism - congregated. It
was the centre forLebensreform, reform of life in
every aspect … „It is easy to link it with Berkeley,
the Paris May, the Berlin communes, the peace
movement, women’s emancipation, the gay movement,
and the greens … Half a century later, Ascona is
everywhere“ (George Devereux).
Considering Ascona’s impact from the today’s
post-modern perspective, we might rather speak of
an espace culturel positiviste … thus
considering a geographical place simultaneously as a
psycho-topos – a place in the soul: there is an
Ascona within each of us‘. (121-123)
Heydt,
von der, Erich
etc.
Ascona und
sein Berg Monte Verità
Gebundene Ausgabe, 1979, Verlag Arche 176 Seiten
von Eduard von der Heydt (Autor), Erich Mühsam
(Autor), Jakob Flach (Autor), Richard Seewald
(Autor), Eduard von Erdberg (Autor), Rudolf Jakob
Humm (Autor), Friedrich Glauser (Autor), Peter
Schifferli (Herausgeber), Andreas Schifferli
(Fotograf), Lis Boehner (Illustrator)
Hlade,
Josef L.
Auf
Kur
und Diät mit Wagner, Kapp und
Nietzsche
Wasserdoktoren, Vegetarier und
das kulturelle Leben im 19. Jahrhundert: Von
der Naturheilkunde zur Lebensreform
Taschenbuch, ibidem Verlag, 2015,348
Seiten
Es
war
Mitte September 1851, als Wagner die
erste von seinen zahlreichen
‚Kaltwasser-Kuren' antrat. Von da an war
er begeisterter ‚Wasserfreund', der
täglich verschiedene Wasseranwendungen
praktizierte und auch auf eine strenge
Diät achtete. Wasserfreund blieb er sein
Leben lang. Als Wagner seine Ideen für
eine mögliche Regeneration präsentierte,
zeigte er sich schließlich auch als
Anhänger des Vegetarismus, der sich in
Deutschland aus der Wasserkur heraus
entwickelte. Es ist anzunehmen, dass
Wagner sich bei dieser Idee zur
Erneuerung an Konzepten der Lebensreform
orientierte, in deren Zentrum
Wasserheilkunde und Vegetarismus
standen. Es kann sogar behauptet werden,
dass Wagners sogenannte ‚Kunstreligion'
in ungeahnter Weise von
naturheilkundlichen bzw. vegetarischen
Ideen beeinflusst wurde. In diesem Sinne
verglich bereits Friedrich Nietzsche das
Erlösungskonzept der Lebensreformer mit
dem von Wagner. Josef Hlade lädt den
Leser dazu ein, ihm in die faszinierende
Welt des 19. Jahrhunderts und seiner
immer noch aktuellen Themen zu folgen.
Begleiten wir Wagner beim Versuch, ein
‚Naturmensch' zu werden, und gehen wir
mit Nietzsche auf ‚Gesundheitsjagd' -
und lernen Ernst Kapps amerikanische
Kolonie Sisterdale kennen, die zeigt,
dass Ideale der Wasserheilkunde mit
Ideen des utopischen Sozialismus Hand in
Hand gingen.
Hofmann, Ida
Hofmann, Ida
Vegetabilismus!
Vegetarismus! Blätter zur Verbreitung
vegetarischer Lebensweise
Büchlein von Ida Hofmann, 1905 Ein Gründungsdokument des MV, muss 1901
geschrieben worden sein, zu einer Zeit also, als
noch Gemeinsamkeit im Denken und Handeln unter den
Gründern vorhanden war, vor der Spaltung, vor dem
Auszug der Sezessionisten, als die Hoffnung noch
grün war und die hohen Ideale noch nicht von der
Praxis beschädigt. Ein feurig flammender Aufruf
zweifellos. und eine Darlegung der Grundgedanken
der Siedler in der Ausrichtung und aus der
Perspektive von Ida: FEMINISMUS + LEBENSREFORM +
patriarchaler Sozialismus + eine Prise
Freireligion. der letzte Punkt wurde bisher meist
übersehen. hier ist jetzt zu beobachten, wie aus
ursprünglich urchristlichen Vorstellungen – bei
Tolstoi, bei Guttzeit, bei Baltzer und anderen –
eine neue art von
SPIRITUALISMUS/IDEALISMUS/RELIGIONSPHILOSOPHIE
herauswächst. Stichwort: WAHRHEIT oder SUCHE NACH
DER WAHRHEIT. Der krönende Unterschied, der den
Monte Verità aus den profanen Naturheilanstalten
heraushebt.
Hofmann, Ida
Monte
Verità. Wahrheit ohne Dichtung.
Aus dem Leben erzählt, 1906 Beschreibung der Gründung und der ersten Jahre
der Naturheilanstalt Monte Verità und der damit
verbundenen Personen, insbesondere auch Karl und
Gusto Gräser.
Holbein,
Ulrich
Fünf ziemlich
radikale Naturpropheten. Christian Wagner aus
Warmbronn, Karl Wilhelm Diefenbach, Gustaf Nagel,
Arthur Gustav Gräser, Willy Sophus Ackermann.
Synergia, Basel, Zürich, Roßdorf 2016.
Zitat:
Laotse befreite sich erst nach lebenslanger
Beamtenlaufbahn, als Pensionär, aus seinen
beruflichen Banden. Henry David Thoreau lebte bloß
zwei Jahre in den Wäldern, statt zwanzig oder mehr.
Rousseau folgte seinem eigenen „Zurück zur Natur“
nur sehr in Maßen.
Gusto Gräser lebte viel rousseauhafter und
taogemäßer als Rousseau und Laotse. (94)
Korol, Martin
Dada,
Präexil
und Die
Freie Zeitung
– Der deutsche "Steppenwolf" Hugo Ball, der
Tänzer Ernst Bloch und ihre Frauen, Weggefährten
und Gegner in der Schweiz 1916-1919.
Bremen-Tartu-Sofia-Freudenstein 2002.
Kuschel,
Karl-Josef
Thematisiert u.a. Hesses Aufenthalt im Wald von
Arcegno („Wüste Thebais“)
Format 14x22 cm, ca 712 Seiten
Teil A. »Näher bei Laotse als bei Buddha« Hermann
Hesses Suche nach einem eigenen Weg zwischen
Christentum, Buddhismus und Taoismus
Prolog I: Erinnerungen an ein Leben mit Indien,
China und Japan
I. Im Bücherreich des »Zauberers«
II. »Sehnsüchtige Blicke nach Osten«: »Asien« in
Europa um 1900
III. Selbstversuche im Geiste Buddhas und der
»Wüstenväter«
IV. Buddha und die Suche nach dem eigenen Weg
V. Die Asien-Reise: Karambolage mit der Wirklichkeit
VI. Die große Krise: der Krieg und die Folgen
VII. Eine Buddha-Dichtung zur Befreiung vom
Buddhismus
VIII. Die Entdeckung des Taoismus
IX. Überleben in chaotischer Zeit: Laotse und das
»Taoteking«
X. Späte Liebe: Zen – eine Verbindung von Indien und
China
Teil B: Kunst als Beitrag zur Lebenskunst Laotse
und Buddha – Modellfiguren des Verhaltens: Bertolt
Brecht
Prolog II: Chinas und Japans Spuren deuten: Ein Gang
durch Brechts letzte Wohnung
I. Brecht und die Wende zum Marxismus
II. Was man von Asiens Kunst und Künstlern lernen
kann
III. Schreiben in rastloser Bewegung: Die
Svendborger Polyphonie
IV. Brecht und der Buddhismus
V. Ein »Gleichnis vom brennenden Haus«: Das große
Buddha-Gedicht
VI. Brecht und der Taoismus
VII. »Das Harte unterliegt«: Das große
Laotse-Gedicht
VIII. »Laotse«, Benjamin und die deutsche Emigration
IX. »Buddha« und »Laotse« in den
»Kalendergeschichten« (1949)
Epilog: »Was ist das mit dem Wasser?« Hesse und
Brecht im Vergleich
Im
Fluss der Dinge
Hermann
Hesse und Bertolt Brecht im Dialog mit
Buddha, Laotse und Zen
Patmos Verlag, Ostfildern 2018
Kommentar:
Der Tübinger Theologieprofessor Karl-Jofef Kuschel
behandelt in seinem Buch auf den Seiten 114 bis 168
sehr ausführlich Hesses Noviziat bei Gusto Gräser im
Frühjahr 1907. Es ist die erste umfassende
Darstellung der lange unbekannt gebliebenen
religiösen Grunderfahrung des Dichters. Sie
ereignete sich im Wald und in den Felsen von
Arcegno, in der von Hesse so genannten „Wüste
Thebais“. In der oberägyptischen Wüste bei Theben
hatten die frühen Christen die einsame
Gewissensentscheidung von Jesus nachzuvollziehen
versucht. So hoffte nun auch Hesse in der kargen
Einöde des Gebirges im Südtessin auf Erlösung aus
tiefer Depression: „Ruhe, Befreiung und Einswerden
mit der Natur“. Allerdings erhoffte er sie nicht vom
alttestamentarischen Jahwe sondern von der Natur,
und sein Prophet hieß nicht Johannes sondern Gusto
Gräser. Diesen Wanderer und Dichter aus Siebenbürgen
haben viele mit dem Täufer verglichen. Auch Kuschel
weiß ihn gegen Missverständnis und Vorurteil zu
verteidigen:
Gräser,
angetan
mit einer lang hängenden Tunika, die Haare mit
einem ledernen Stirnband zurückgebunden, barfuß
oder höchstens Sandalen an den Füßen, seinen
gesamten Besitz in eine Tasche gestopft,
verkörpert nicht einfach den Typus des
„Landstreichers oder Bohemien“, sondern eher den
eines „Mönchs und Propheten“. Als solchen hat
Hesse ihn wahrgenommen. (Kuschel 120)
Als solchen, als Propheten, hat Hesse ihn
wahrgenommen! Für Kuschel ist es kein Zufall, „dass
der Monte Verità gerade auch solche Menschen
magnetisch anzieht, die einen besonderen religiösen
Weg gehen wollen … Der Berg hat in vielen Religionen
einen sinnstiftenden Symbolcharakter“ (117). Die
Berge stellten die Nähe zu den göttlichen Mächten
dar. Diese Nähe suchte dort auch der schon
erfolgreiche aber seelisch unbefriedigte
Schriftsteller aus Calw.
Von
Anfang
April bis Anfang Mai 1907 hat Hesse gut vier
Wochen auf dem „Wahrheitsberg“ verbracht …
Einzelheiten lassen sich den „Notizen eines
'Naturmenschen'“ entnehmen, die Hesse ein Jahr
später, am 1. April 1908, im „März“ unter dem
Titel „In den Felsen. Notizen eines
'Naturmenschen'“ erscheinen lässt. (121)
Als „Naturmenschen“ wurden die Brüder Karl und Gusto
Gräser bezeichnet, unter diesem Namen waren sie
damals bis nach Californien und Batavia bekannt. So
nannte sich nun auch der Schriftsteller in seinem
intimen Bekentnisbericht.
Hesse
präsentiert
sich seinen Lesern in einer verschlüsselten
Buddha- und Wüstenväter-Rolle. Sie hatte er auf
dem Berg ausprobiert. „Das dreißigste Jahr, in
dem ich stehe“, schreibt er nach der Rückkehr
vom „Berg“ Ende Juli 1907, „hat mir eine heftige
Krise gebracht, zunächst körperlich mit
Kranksein, Kur und langsamer Heilung, dann aber
auch innerlich. Wenn ein bis dahin sinnenfroher
Mensch auf Tafel und Becher, Zigaretten und
Kaffee verzichtet, will er es nicht gezwungen
tun, sondern macht sich eine entsprechend
Philosophie dazu“.
Hesse versteht sich freilich nicht als Wüstenvater,
eher als Wüstensohn, und schon gar nicht als Buddha,
sondern als Lehrling eines solchen, als „Novize“. Er
folgt einem näheren Vorbild.
An
das
Lebensmuster des Buddha erinnert der Rückzug in
völlige Einsamkeit und die radikale
Entschlossenheit, durch Kontrolle des Körpers
den Geist in Zucht zu nehmen … Buddha hatte es
nicht anders gemacht. Schon er war in die Wälder
zu den Wanderasketen gezogen und hatte sich
strengster Askese unterzogen. Diese „Rolle“
probiert jetzt auch Hesse aus.
Der Schriftsteller musste sein Vorbild nicht in
Büchern suchen, der „Wanderasket“ stand lebendig vor
ihm, hatte ihn in Gaienhofen besucht und nach Ascona
gelockt. Hesse bezog zwar eine Wohnhütte in der
Kuranstalt von Oedenkoven auf dem Monte Verità, aber
sein eigentliches Ziel war ein anderes: der
„Felsenberg“ von Arcegno. Diese Landschaft schildert
er in den „Notizen“ unter dem Titel „In den Felsen“.
An
das
Lebensmuster der Wüstenväter erinnert vieles in
den „Notizen“. Wie sie lebt Hesse ja bewusst „in
den Felsen“. Wie sie hatte er das äußere Leben
auf ein Minimum reduziert ... Wie sie unterzieht
er sich radikalem Fasten, ernährt sich streng
vegetarisch, erträgt Hitze, Kälte und Nässe ...
Wie beim Eintritt in ein Kloster legt der
„Novize“ auch hier alle Kleider ab. Symbolisch
ein Bruch mit dem Gewohnten, ein Rückgang zur
Urschöpfung … Und wie ein Wüstenvater lebt man
hier in einer felsigen Gegend … Er ist jetzt der
Mann im Fels, der Felsenmann! (122ff.).
Noch einmal: Dieses Leben im Fels spielte sich
nicht, wie Kuschel irrtümlich annimmt, auf dem
„Monte Verità“ genannten Hügel ab (wo es gar keine
Felsen gibt), sondern im Wald von Arcegno, oberhalb
von Losone, auf dem Monte Barbescio, wo sich Gräsers
Grotte befindet. Kuschel fährt fort:
Nach
der
Rückkehr vom Monte Verità taucht Hesse noch
einmal in die Welt frühchristlicher Eremiten ab,
in die Welt der Männer mit den härenen Kleidern.
„Dieser Tage habe ich wieder eine Legende
geschrieben“, teilt er Jakob Schaffner am 30.
September 1907 mit, „ … Diese Welt ist mir
merkwürdig vertraut und ich wandle in der Wüste
Thebais heimischer als am Bodensee“. …
„In der
Wüste Thebais heimischer als am Bodensee“? …
Deutlicher kann man sich mit eigenen,
tiefsitzenden Wünschen kaum „outen“. (126f.)
Es sind nicht nur Wünsche, es handelt sich um eine
tiefgehende Erschütterung, die Hesses Leben für
immer durchstimmen wird. Sein Urerlebnis von 1907
schlägt z. B. in „Siddharta“ unübersehbar durch, wie
der Verfasser zeigt.
Kuschel wendet sich dann der Erzählung „Freunde“ zu,
in der sich Hesses Gräser-Erfahrung noch deutlicher
spiegelt als in den „Notizen“. Er zitiert
ausführlich die Gespräche zwischen dem „bäurischen
Denker“ Heinrich Wirth und dem um seine Freundschaft
werbenden Besucher Hans Calwer, in dem wir sofort
den aus Calw stammenden Verfasser erkennen.
Hans
gibt
seine Stadtwohnung einschließlich Klavierspielen
auf und zieht zu Wirth aufs Land. Wirth hat eine
innere Freiheit erreicht, also gibt Hans seine
Freiheit auf, um sich ganz bewusst Wirth zu
unterwerfen, um „einmal von unten auf zu
dienen“. (163)
Hier deutet sich der spätere „Knecht“ schon an.
Durch seine Dichtung wollte Hesse seinem Meister
dienen. Durch sie hat er die Botschaft des
Einsiedlers in den Felsen in der ganzen Welt
verbreitet – namenlos, wie es sich für einen
taostisch-buddhistisch Denkenden von selbst
versteht. Zunächst aber:
Hesse
lässt
sein alter ego Hans Calwer scheitern, so wie er
selber auf dem Monte Verità gescheitert ist.
(164)
Warum scheiterte Hesse? Weil er
den
„Gleichmut“
vom Erkennen her hatte erzwingen wollen. Denn
„Gleichmut“, „wunderbare Seelenstillle“ und die
vollkommene innere Ruhe erreicht man gerade
nicht durch ein äußeres „Du sollst“, „Du musst“.
Im Gegenteil. Diese aufgesetzte moralische
Forderung ist der entscheidende Grund, warum
Hans Calwer bei der Imitation seines Freundes
scheitert, scheitern muss. (164)
Es handelt sich um eine „Imitatio“, die im ersten
Anlauf nicht gelingt. Hesse wird neun Jahre später,
durch Leiden gereift und politisch bedrängt, einen
zweiten Versuch unternehmen und zu einer tieferen
Erkenntnis seines “Freundes und Führers“ gelangen.
Im Frühjahr 1907 verlässt er Gusto Gräser nach
wenigen Wochen, zieht sich wieder ins bürgerliche
Leben zurück. Kuschel hebt in seiner feinsinnigen
Analyse zwar heraus, dass „Hesse mit Heinrich Wirth
erstmals in seinem Werk eine Figur in deutschem
Kontext entwirft, die den Weg des Buddha konsequent
gehen will“ (165), aber er weiß auch und betont,
dass dieser Wirth nur „beinahe Buddhist“ ist, also
kein wirklicher. Dass er andere Wege gelten lässt:
„Askese, Jesus, Tolstoi oder sonst etwas“ (166).
Eben wie Gusto Gräser, der sich nie als Buddhist
oder Taoist verstanden hat sondern als er selbst:
als der „Freund“, der „Mann“, der „Erdsternsohn“.
Der immer gelehrt hat, wie sein dichterisches
Ebenbild, dass „die Imitation eines fremden Wegs
Ausdruck ist einer Selbsttäuschung, einer
Fremdbestimmung“ (166). Dessen Losung lautete: „Hüt
Dich vor Mir – Du komm zu Dir!“
Kuschel arbeitet das Verhältnis Hesses zu Gräser
sorgfältig, gründlich und überzeugend heraus. Es ist
die typische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler
oder vielmehr von Meister und Jünger. Eine
archetypische Situation. Dies umsomehr, als sie auf
einem Berg, in Wald und Felsen sich abspielt. Der
„Felsenberg“ von Arcegno, der Monte Barbescio, wird
zu Hesses Weltenberg.
Aber nun die Überraschung, die paradoxe Behauptung
von Kuschel: dass Gräser der Lehrer von Hermann
Hesse war, sei „durch nichts belegt“ (121)!
Das ist sehr wohl belegt!! Wenn denn dieses
Offenkundige überhaupt noch „belegt“ werden muss!
Kuschel, der sich sonst so gründlich in die
Quellenlage eingearbeitet hat, scheint ausgerechnet
die einschlägige Hauptquelle nicht zu kennen: die
Aussage nämlich von Hesses Sohn Heiner, die
abgedruckt ist in dem Buch von Michael Santen: „Auf
den Spuren von Hermann Hesse. Notizen einer
Tessin-Reise. Meerbusch 1987“. Darin erzählt Heiner
Hesse über seines Vaters Zusammenleben mit Gusto
Gräser in der Felsgrotte bei Arcegno:
„Sie haben einige Tage zusammen in der Höhle von
Arcegno verbracht“ (in Santen, S.46).
Dieser eine Satz genügt. Damit erledigt sich
Kuschels Versuch, Hesses Einsiedelei im Wald von
Arcegno abzulösen von der Wirklichkeit des Propheten
aus Siebenbürgen. Hesse folgte Gräser nach Ascona
und begab sich in dessen Höhle. Wer war hier der
Lehrer und wer der Schüler? War etwa Hesse ein
wandernder Prophet und Einsiedler und unterrichtete
nun den geistlich unbedarften, bürgerlich
abgesicherten Gusto Gräser in der Kunst der
Meditation? Oder verhielt es sich vielleicht doch
umgekehrt? Die Erzählung 'Freunde' sagt deutlich
genug, wer hier der Gebende war und wer der
Empfangende. Und ein ganzer Kranz von Erzählungen,
oft in Legendenform, erzählt die selbe Geschichte in
vielfältigen Variationen: Den Gang des Hermann Hesse
in die Felsgrotte von Gusto Gräser, der ihn das
Fasten lehrt und die Versenkung und ihn einführt in
die heiligen Bücher der Inder und Chinesen.
Kuschel selbst gibt eine ausführliche Probe. Er
analysiert Hesses erste „indische Dichtung“: die
Königslegende von 1907 (S. 142-145). Gemeint ist die
Erzählung „Vom indischen König“. Der Dichter habe
damit „erstmals in seinem Werk eine 'Buddha'-Figur
beschrieben, einen Buddha avant la lettre!“ (144).
Hesse lässt seinen meditierenden König „das
erreichen, was ihm versagt blieb. Nach der
Erleuchtung nackt in die Wälder zu gehen und
namenlos darin zu verschwinden, motivisch ein
Vorgriff auf die Vasudeva-Fgur in Hesses
„Siddharta'“ (145).
Wer war dieser meditierende König? Wer ging nackt in
die Wälder von Arcegno und Losone? Wer ist darin so
namenlos verschwunden, dass ein Jahrhundert nach
jenem Geschehen gewisse Gelehrte immer noch
behaupten wollen, es habe ihn – als Lehrer von Hesse
– gar nicht gegeben? Das sei „nicht belegt“, meint
Kuschel. Nur weil die beiden Freunde dummerweise
versäumt haben, nach Locarno zum Notar zu gehen und
sich, samt Amtsstempel und Unterschrift, einen Beleg
ausstellen zu lassen, dass sie nun Freunde geworden
seien.
Schlimmes Versäumnis! Zum Glück gibt es das Zeugnis
von Heiner Hesse, der sich auf einen Brief seines
Vaters beruft. Als ob das noch nötig wäre! Als ob
nicht jeder Schuljunge erkennen könnte, dass
zwischen jenem Einsiedler in der Felsgrotte von
Arcegno und dem runden Dutzend Erzählungen und
Legenden Hesses aus dieser Zeit ein unverkennbarer
Zusammenhang besteht. Dass Hesse in diesen Werken,
ja in seinem ganzen künftigen Lebenswerk, immer
wieder die Geschichte seiner Freundschaft mit Gusto
Gräser erzählt! Als ob es nicht die Notiz im Archiv
von Harald Szeemann gäbe, dass Hesse im April 1907
mit Gräser in Locarno zusammen war! Nicht zu reden
von der Fortsetzung dieses Noviziats in den
Lehrjahren von 1916 bis 18. Als ob Hesse seine
„Buddha“-Figuren hätte erfinden oder aus alten
Scharteken hätte herausdestillieren müssen, wo doch
ein erleuchteter Wanderer und Einsiedler ihm
lebendig und leibhaftig vor Augen stand!
Genug des Unsinns. Es bleibt das Rätsel, welcher
Dämon den gelehrten Herrn Professor in die Wüste der
Verirrung geführt hat. Es bleibt zum Glück aber
auch, und sicherlich etwas länger, sein Verdienst,
die Geschichte von Hesses Jüngerschaft ein Stück
weit erhellt zu haben. Dafür sei dem Verfasser Dank!
Hermann
Müller
Nachsatz:
Die Behauptungen von Kuschel sind
widerlegt durch das Buch von
183 Hesse sucht mehr
als einen angenehmen
Sanatoriumsaufenthalt. Er sucht
etwas Extremes, Erneuerndes, er
sucht nach einer tiefgreifenden
Erfahrung. Deswegen
zieht
er sich in Gusto Gräsers Höhle
in Arcegno zurück und lebt allein
wie ein Einsiedler im Wald.
195 Hesse
beschäftigt dieser Gräser sehr, er
versucht ihn zu fassen, ihn zu
bannen.
233Hermann
Hesse
arbeitet sich in seinen
Erzählungen auch nach Jahren an
einer
Erfahrung ab, die er auf dem
Monte Verità gemacht hat und die
für sein Leben grundlegend
geworden ist. Er kann diese
Gemeinschaft nicht vergessen ...
369
Hesse
träumt in seinem Buch 'Demian' von
der neuen Gemeinschaft und sein
Vorbild
ist der Monte Verità.
Michalzik
weiss
auch sonst über Gusto manch Gutes zu
sagen:
60 Gräser
hat keine Schüler, aber er wird
viele Menschen auf seiner
Wanderschaft beeinflussen und
berühren. Er wird Vorbild,
europaweit bekannt, auch wenn er
nie für sich die Werbetrommel
rührt.
67 Er hat
sich vollkommen vom Leben in der
Gesellschaft abgewendet, er
führt ein Wanderleben, er hat
überhaupt keinen Besitz, ein
vollkommen armer und freier
Mann.
73 Bei
Gräser bedeutet das: Entsagung.
Nur wenn man sich von der
Gesellschaft, den Normen,
Vorstellungen und Wünschen, die
in ihr gelebt werden, lossagt,
kann man eigentliches Dasein
finden. Man muss daran arbeiten,
sich unabhängig von äußeren
Einflüssen zu machen, um zu sich
und zu einem menschenwürdigen
Leben zu gelangen. Armut und
Bedürfnislosigkeit sind dabei
selbstverständlich, ohne sie
gibt es keine Freiheit.
74
Lehrmeisterin soll allein die
Natur sein. Wer sonst?
Das
Wichtigste ist ihm ... die
Verehrung alles Lebendigen. Es
ist nicht nur barbarisch, ein
Tier zu töten, es ist genauso
mörderisch, Blumen zu pflücken.
Jede Form von Aggression ist ihm
zutiefst zuwider. Es geht so
weit, dass er auch nicht für
seine Anschauungen kämpft. Er
glaubt, dass sich das neue
Paradies von selbst bilden wird,
wenn die Menschen mit sich und
der Natur im Reinen sind. Nur
Einsicht kann die Entstehung des
Paradieses bewirken, die aber
wird kommen, da sie
unausweichlich in der Natur
selbst liegt.
So sind für
ihn die Natur, die Schöpfung …
das Ziel seines Denkens.
Gusto ist
ein eigenartiger Mensch. Er
redet von solchen Dingen nicht
nur, er lässt sie auch gleich
Wirklichkeit werden. Er lebt
genau so, wie er es für sich
formuliert hat, wandert umher,
ohne Geld, ohne Besitz, ernährt
sich von dem, was ihm begegnet.
Wie wenn die Natur schon dafür
sorgen würde, dass alles von
selbst einen guten Verlauf
nimmt. Aus dieser Radikalität
wächst seine Kraft.
Selbstverständlich
wird
er auf seinen Wanderungen
ausgelacht und verspottet, aber
das spornt ihn eher an und
bestärkt ihn in seinen
Überzeugungen. Er spürt eigene
Kraft und trainiert diese Kraft.
Außerdem begegnen ihm viele
Menschen nachgerade mit
Ehrfurcht. ... Er erinnert an
einen Apostel, mit seinem Stab,
seiner Kutte, seinen Sandalen,
seiner Würde.
78 Er hat es
in puncto Bedürfnislosigkeit am
weitesten gebracht, er braucht
am wenigsten bürgerliches Leben
und Sicherheit, und vor allem,
er ist der Natur am nächsten.
80 Ich gehe
meiner Wege, sagt er.
81 „Es geht
darum, sein Leben rein und sich
selbst unabhängig zu machen. Man
muss vieles einfach lassen, man
darf sich nicht an die irdischen
Dinge hängen und verlieren. Es
geht bei jedem um sein eigenes
Leben.“
85 Mit
seinem Hirtenstab in der Hand
geht Gusto nicht, nein, er
gleitet! Kinder knien vor ihm
nieder!
Michalzik
geht
ein Schrittchen weiter in Richtung
Wahrheit, aber auch nur ein
Schrittchen. Immerhin lüftet er ein
wenig den Mantel der Verleugnung.
Linse, Ulrich
Ökopax und Anarchie. Eine
Geschichte der ökologischen Bewegungen in
Deutschland. München: Deutscher Taschenbuch
Verlag, 1986.
Linse, Ulrich
Asien
als
Alternative? Die Alternativkulturen der Weimarer
Zeit: Reform des Lebens durch Rückwendung zu
asiatischer Religiosität. In: Hans G.
Kippenberg und Brigitte Luchesi (Hg.),
Religionswissenschaft und Kulturkritik. Marburg:
diagonal, 1991. S. 325-364.
Mehr als ein
Dutzend bekannter Literaturwissenschaftler hat ein
Buch über Aussteiger bei Hermann Broch
geschrieben; im Grund ist es ein Buch über Gusto
Gräser. Die Entdeckung, dass der Siebenbürger das
Urbild für mehrere Aussteigergestalten in der
Dichtung von Broch gewesen ist, dürfte der Anlass
zu diesen Untersuchungen gewesen sein.
Kennedy,
Gordon
Gordon Kennedy lebt
auf einer kalifornischen Biofarm.
Children
of the Sun. A Pictorial Anthology. 'From Germany to
California. 1883-1949’
Das Buch enthält
144 Abbildungen, darunter 13 zu Gusto Gräser;
Auszüge in englischer Sprache hier. Seine These, dass
die amerikanische Alternativbewegung von deutschen
Einwanderern um und nach 1900 angestossen wurde,
wird durch andere Quellen bestätigt und ergänzt.
Meng,
Guofeng
Begegnung
mit dem Eremiten Zur Thematik des Einsiedlertums im Werk von
Hermann Hesse. Bamberger Studien zu Literatur,
Kultur und Medien 25, University of Bamberg Press,
Bamberg, 2019.
"...
Hesse distanzierte sich bewusst von dem Meister
Gräser … Aber er transferiert diesen Prototyp –
quasi unbewusst verehrend ..."
Michalzik, Peter
1900 Vegetarier,
Künstler und Visionäre suchen nach dem neuen
Paradies
DuMont Buchverlag, Köln 2018
„Gräser
ist
der kreativste Kopf, ein vollkommen armer und
freier Mann.“ (Peter
Michalzik)
Mohr, Hubert
Ascona
/
Monte Verità. In: Auffarth, Christoph u.
a. (Hg.): Metzler-Lexikon Religion, Stuttgart
Weimar 1999, Band 1, S. 95-98.
Mühsam,
Erich
Ascona
83 Seiten, gebunden mit Illustrationen, Verlag Klaus
Guhl, 1982
Müller,
Erich Siegfried
Helden
und Harlekins des Höchsten. Gralsburg Verlag,
Kaiserslautern, 1928. Erstauflage. 80 Seiten,
Format ca. 14 x 19 cm
Erich Siegfried
Müller (1902-31), Pfarrer und Schriftsteller,
Stadtvikar in Ludwigshafen und Kaiserslautern,
Pfarrer in Winterbach, gehörte der sog.
Evangelisch-Kirchlichen Friedensvereinigung an,
war Anhänger der Gralsbewegung und mit Max Braun
Herausgeber der Zeitschrift "Die Gralsburg -
Blätter für geistige Erneuerung".
Er war mit Artur
Streiter befreundet. Starb durch Ertrinken.
Christ-Revolutionäre / Inflationsheilige, ähnlich
dem Uracher Kreis um Karl Raichle / Gregor Gog /
Th. Plievier (Weltwende), oder der anarchistischen
Boheme-Siedlung im Roten Luch /Brandenburg
(1921-1936) um Artur Streiter (Zarathustras
Wiederkehr).
Müller, Hermann
Der Dichter und sein
Guru. Hermann Hesse - Gusto Gräser - eine
Freundschaft.
Werdorf, Gisela Lotz, 2. Aufl. 1979.
Müller, Hermann
Was
ist's
mit Gusto Gräser? In: Durchblick, zur
Gegenwart der Zukunft. Stuttgart 1980, Nr. 6. S.
64-68.
Müller, Hermann (Hg.)
Monteveritana.
Mitteilungen aus dem Monte Verità-Archiv
Freudenstein. 1986-1999.
Müller, Hermann
Gusto
Gräser.
Ein Prophet aus Siebenbürgen. In:
Siebenbürgische Semesterblätter, 2. Jg., München
1988, Heft 1, S. 42-58.
Müller, Hermann
Feuertanz
und
Orgie. Otto Groß, Gusto Gräser, C. G. Jung und
der Monte Verità von Ascona.
Freudenstein: Deutsches Monte Verità Archiv, 1998
und 1999.
Müller, Hermann
Güte
der
Seele und Dämonie des Lichts. Ernst Bloch auf
Monte Verità. Freudenstein 2000.
Müller, Hermann
Propheten
und
Dichter auf dem Berg der Wahrheit. Gusto Gräser,
Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann. In: Kai
Buchholz u. a. (Hg.), Die Lebensreform. Entwürfe
zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900.
Darmstadt 2001. Band 1, S. 321-324.
Müller, Hermann
(Hg.)
Der
Eremit
von Ascona. Hermann Hesse in Wald, Fels und
Höhle. Freudenstein: Deutsches Monte
Verità Archiv, 1998 und 1999.
Münzel, Uli
Erinnerungen
an
Hermann Hesse. In: Hermann Hesse in
Augenzeugenberichten. Frankfurt/M.: Suhrkamp,
1987. S. 280-284.
Phillips, Glenn; Kaiser, Philipp;
Chon, Doris; Rigolo, Pietro
(Hg.)
Harald Szeemann,
Museum der Obsessionen
In Zusammenarbeit mit The Getty Research
Institute, Los Angeles: Verlag
Scheidegger
& Spiess, Zürich 2018
Carolyn
Christov-Bkargiev
(CCB) zu Gräser in „Museum der
Obsessionen“:
Diejenigen,
die
tanzten
… Armand Schulthess ist
nur ein Glied in einer Kette von
Figuren, die wir bis zu Gustav
„Gusto“
Gräser (1879-1958),
dem Dichter und Pazifisten,
zurückverfolgen können und weiter bis
zum Philosophen Friedrich Nietzsche
(1844-1900) und noch weiter zurück zu
Dionysos, dem alt-griechischen Gott des
Weines und der rituellen Ekstase. (201)
Nietzsche war auch
ein Bezugspunkt für die Bedeutsamkeit
von Tanz (Rudolf von Laban, Mary Wigman,
etc.) und Vegetarismus. Abgesehen von
Anarchie und Theosophie wurzelt Monte
Verità auch in Nietzsches Vorstellungen
vom Dionysischen. … Es war Nietzsches
revolutionärer Indivi-dualismus, der im
frühen 20. Jahrhundert für so viele
radikale Aussteiger und Kommunitaristen
wie Gräser und Schulthess zum Modell
wurde. (209)
Gustav
Gräser
war visueller Poet und Prophet, ein
früher Naturschützer und Ökologe sowie
Pazifist,
ursprünglich beeinflusst von Karl
Wilhelm Diefenbach, einem
Sozial-reformer und Kummunitaristen,
aber auch von Walt Whitman und
Nietzsche. Skeptisch gegenüber dem
Gemeinschaftsleben, zog Gräser ab 1904
[1902!] in eine Höhle auf dem
Nachbarberg. Um 1911 [1909!] verliess er
die Gegend endgültig und zog nach
Berlin. Er hatte starken Einfluss auf
Hermann Hesse (u. a. bei der Gestaltung
von Siddharta),
nachdem
die beiden zwischen 1906 und 1907 einige
Zeit gemeinsam in der entlegenen Höhle
über dem Monte Verità verbracht hatten.
(208)
Szeemann hielt für
den Rest seines Lebens an seiner Liebe
zum Monte Verità fest. (143)
Auszüge
aus
einem Interview von Kia Vahland mit
der Kuratorin der documenta 13,
Carolyn Christov-Bakargiev, genannt
CCB, in der Süddeutschen Zeitung
(2012):
Sie vertritt eine
nachhumanistische Weltsicht und fordert das
Wahlrecht für Bienen und Erdbeeren.
Schließlich ist Carolyn Christov-Bakargiev
davon überzeugt, dass sich in einer wahren
Demokratie alle äußern dürfen. Ein Gespräch
mit der künstlerischen Leiterin der
Documenta. Interview: Kia Vahland.
Sie lässt es grünen und
blühen. Es gibt einen Kräutergarten,
es gibt ein Wasserbecken mit
Gerste-Umrandung, es gibt eigens gepflanzte
Apfelbäume, künstliche Hügel, auf denen
Johannisbeeren wachsen. Außerdem gibt es
Hunde, nicht nur Darsi, die gerade mal
wieder entfleucht ist. Es gibt Esel, Ameisen,
Schmetterlinge, dazu viele Felsen und
Steine. Es gibt vieles, was keine
Kunst ist, sondern Natur. »Aber das ist ja
gerade der Unsinn«, sagt CCB. »Viele meinen,
es gebe da einen Unterschied zwischen Kultur
und Natur. Aber den gibt es nicht.«
Warum sollten nicht auch Tiere
wählen dürfen? Und können nicht auch Steine
etwas fühlen? Welches Bild hat Darsi von der
Welt? Solche Fragen sind es, die CCB
umtreiben. Natürlich zucken da viele zurück,
rufen Esoterik! Magisches Denken! Animismus!
»Das hat mit Esoterik nichts zu tun«, sagt
CCB, und ihre Stimme wird mit einem Mal sehr
klein. »Ich weiß, man wird mir vorwerfen,
den intellektuellen Diskurs zu verraten,
ausgerechnet mir, die so lange für den
Feminismus, für eine aufgeklärte
Gesellschaft gestritten hat.« Doch
unerschrocken wagt sie sich auch in dieses
Minenfeld vor: Sie will das kritische
Bewusstsein, um das doch sonst alles kreist,
zurückstellen. Denn wenn diese Documenta
eine Botschaft hat, dann diese: Der Mensch ist nicht der
Mittelpunkt.
SZ:
Kann alles auf der Welt
Kunst sein?
Christov-Bakargiev: Alles
kann Material für Kunst sein. Die Definition
von Kunst, so wie ein Künstler über Kunst
denkt, ist nicht in den Grenzen der
Disziplinen zu denken. Ich denke nicht, dass die
Werke der Menschen besser sind als andere
Werke. Auch Ihr Körper steckt voller
Bakterien, ist besetzt von anderen
Lebewesen, Sie sind von anderen Realitäten
durchdrungen. Ich teile nicht die Weltsicht
der Moderne seit der Aufklärung, immer
Kategorien bilden zu müssen. Den Impuls,
Unterschiede zu definieren, teile
ich nicht.
SZ: Ich
bin ich und damit anders als meine Umwelt,
ist dieser Impuls nicht Grundlage der
Subjektivität und damit auch des
kreativen Schaffens?
Christov-Bakargiev: Nein!
Ich bin Feministin, ich glaube, das Subjekt ist ein
kontinuierliches Sich-Durchdringen mit
anderen, die sogenannten Subjekte sind
auch Objekte. Nicht
der Fußballer ist das Subjekt, der Ball
entscheidet die Richtung, in die er fliegt.
Sie sprechen vom Standpunkt der westlichen
Philosophie aus, die interessiert mich aber
nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ich weiß
nicht, ob ich ein Subjekt bin.
Poley,
Stefanie
Bericht
über die Veranstaltung des “Freundeskreis Paul
Goesch e. V.“ im Jahr 2016. Sonderdruck,
Köln 2016.
Polster,
Bernd
Das wahre Bauhaus
Wie eine kleine deutsche Hochschule, die es nur
wenige Jahre gab, weltweit zur Legende wurde. Mit
Zeichnungen von Bernd Polster. Kempen 2019
Rinser, Luise
Hermann
Hesse
und die fernöstliche Philosophie. In:
Hermann Hesse und die Religion. Hg. von Friedrich
Bran und Martin Pfeifer. Bad Liebenzell 1990, S.
17-31.
Sánchez, Marcela
Sánchez, Marcela
Schmid,
M.,
Carstensen, T.
(Hg.)
Die
Literatur
der Lebensreform. Kulturkritik und
Aufbruchstimmung um 1900. >>>
Siehe
oben unter Carstensen.
Schroeck, Otfried
Die Siedlung
Grünhorst im Roten Luch – das „grüne Herz
Deutschlands“ (1930 bis 1936). In:
Landkreis Märkisch-Oderland - Jahrbuch 2016,
Paperback, 216 Seiten
Zitat:
In der Siedlung Grünhorst fanden sich die
verschiedensten Strömungen der Reformbewegung
(Siedler, Wandervögel, völkische Sozialisten,
Jugendbewegung, Vegetarier, Kommunisten) zu-sammen.
Prominenteste Vertreter dieses für Grünhorst
typischen Spektrums waren neben Gusto Gräser der
Biosoph und Philosoph Ernst Fuhrmann, der Historiker
der Naturheilbewegung Hugo Hertwig, der
anarcho-sozialistische Schriftsteller Franz Jung,
der Wandervogel und politische Schriftsteller
Karl-Otto Paetel, der Maler und Christsozialist Max
Schulze-Sölde, der Wandervogel und Unternehmer
Friedrich Muck-Lamberty, Otto Großöhmig, der 1979 in
der BRD die Partei „Die Grünen“ mitbegründete, Harro
Schulze-Boysen, später ein führender
Widerstandskämpfer innerhalb der „Roten Kapelle“,
und andere. Mit der Machtergreifung der
National-sozialisten wurde der lose Bund um
Grünhorst zerschlagen und 1936 die Siedlung
angezündet.
Schupke,
Kai
u. Schreiber, Daniel (Hg.)
BRÜCKE und die
Lebensreform. Buchheim Stiftung, Feldafing
2016.
Zitat:
Anders als Diefenbach sammelt Gräser keine Anhänger
und fordert auch keine Unterwerfung, sondern will
durch sein Beispiel wirken. Was damit gemeint ist,
drückt der Frühromantiker Schleiermacher am besten
aus:
„ […] an einer heiligen Person ist alles
bedeutend. So mögen sie denn das Wesen derselben
darstellen in allen ihren Bewegungen […] die heilige
Innigkeit, mit der sie alles behandeln, zeige das
auch bei Kleinigkeiten. Die majestätische Ruhe, mit
der sie das Große und das Kleine gleichsetzen,
beweise, dass sie alles auf das Unwandelbare
beziehen, und in allem auf die gleiche Weise die
Gottheit erblicken […] der immer rege und offene
Sinn, dem das Seltenste und das Gemeinste nicht
entgeht, zeige, wie unermüdet sie das Universum
suchen und seine Äußerungen belauschen. Wenn so ihr
ganzes Leben und jede Bewegung ihrer inneren und
äußeren Gestalt ein priesterliches Kunstwerk ist, so
wird vielleicht durch diese stumme Sprache manchen
der Sinn aufgehen für das, was in ihnen wohnt.“ (
22f.)
Schwab, Andreas
Schwab, Andreas und Lafranchi,
Claudia (Hg.)
Steinke,
Klaus
„Ein
wunderbarer Mann, der jeder Aufmerksamkeit
wert ist“. (Klaus Steinke)
Teehaus, Tanz
und Berg der Wahrheit Zeitreisen rund
um die Stuttgarter Weissenburg
Silberburg-Verlag, Tübingen 2018
Auszug:
Hermann Hesse und der Monte
Verità
Es ist der Dichter und Schriftsteller
Hermann Hesse, der schon Jahre zuvor nachhaltig
von Gusto Gräser beeinflusst ist, als er sich im
Frühling 1907 von Gaienhofen aus auf den Weg zu
seiner persönlichen „Morgenlandfahrt“ macht. Er
pilgert auf Einladung seines Freundes Gusto
Gräser, den er seit mehreren Jahren kennt, auf den
Monte Verità, den Berg der Wahrheit, der sein
Zauberberg bei Ascona im Tessin werden wird. Schon
sein erster Roman, 'Peter Camenzind' (1904), der
ihm den „Durchbruch“ brachte, war von Gräser
inspiriert gewesen.
Einige Wochen lebt Hesse auf
dem Monte Verità ein Eremitenleben abseits des
Hüttendorfes und Sanatoriumsbetriebs in Gräsers
eigener Felshöhle und Laubhütte. Hesse trinkt
Quellwasser, fastet, meditiert, klettert in den
Felsen, gräbt sich bis zum Hals in die Erde ein,
führt Gespräche, und versucht in der Wildnis eine
Visionssuche und Bewusstseinserweiterung in Gang
zu setzen. Die gedankliche Auseinandersetzung mit
dem Lebensvorbild Gusto Gräser steht – von Hesse
unausgesprochen – hinter vielen wesentlichen
Büchern Hesses, die Kultbücher für die rund
siebzig Jahre jüngeren „Enkel“ der
Reform-Kolonisten von Ascona werden: Siddharta,
Demian, Steppenwolf und das Glasperlenspiel. Sie
werden in millionenfacher Auflage, weltweit
übersetzt, zur Offenbarung für die Generation der
Aussteiger aus der modernen Konsumgesellschaft,
und Gräser tritt als literarisches Vorbild darin
auf: „Dieser einfache, kindliche Mann machte
Eindruck auf Reichardt. Er predigte nicht Haß und
Kampf, sondern war in stolzer Demut überzeugt, daß
auf dem Grunde seiner Lehre ganz von selbst ein
neues paradiesisches Menschen-dasein erblühen
werde, dessen er selbst sich schon teilhaftig
fühlte. Sein oberstes Gebot war: „Du sollst nicht
töten!“, was er nicht nur auf Mitmenschen und
Tiere bezog, sondern als eine grenzenlose
Verehrung alles Lebendigen auffaßte“ (Hermann
Hesse: Der Weltverbesserer, 1910).
„Er war weder alt noch jung, er sah
nicht wie ein Lehrer noch wie ein Soldat aus, er
sah aus wie ein Mensch – der Mensch, als wäre er
soeben aus der Dunkelheit des Werdens gestiegen,
der erste von seiner Art“ (Hermann Hesse:
Zarathustras Wiederkehr, 1919).
„Kinder knien vor ihm nieder“
Es ist ein einfacher Grashalm, den
Gusto Gräser gerne in seiner bedürfnislosen
Lebensweise als Visitenkarte benutzt. Seine
lebensreformerische Grundeinstellung basiert auf
einem lebens-frohen, zugleich genügsamen
Lebenswandel: Verzicht auf Fleisch und
überflüssigen Besitz, ein praktizierter
Liebeskommunismus, der Mut, der eigenen Natur
gemäß zu leben und Tiere und Pflanzen als
gleichberechtigte Lebewesen anzuerkennen. Er lebt
von Vorträgen, Einladungen und dem Verkauf von
Gedichten und Spruchkarten. „Bloßfüssig oder mit
Sandalen an den Füssen schreitet er dahin, ein
Täschchen mit dichterischen Ergüssen umgegürtet,
einen Hirten-stab in der Hand. Kinder knien vor
ihm nieder, denn sie meinen, der Heiland erschiene
ihnen“ (Ida Hofmann-Oedenkoven, 1906). Seine
nächsten literarischen Verwandten sind wohl Henry
David Thoreau und Walt Whitman.
„Gusto Gräser verkörperte die
radikale Alternative des Ausbruchs aus der
technisierten und militarisierten europäischen
Zivilisation. Er lebte auf der Straße oder in
einer Höhle, lehnte regelmäßige Arbeit und
jeglichen Zwang ab, predigte Gewaltlosigkeit und
Vegetarismus aus Verehrung vor allen Formen des
Lebens, befasste sich mit den kontemplativen
Lehren des Laotse und verkündete als simples
Lebensmotto, das Edle und Gute neben dem Bösen
aufbauen zu wollen. Sein moralischer Anspruch und
sein außer-gewöhnlicher Lebensstil trugen ihm
heftige Gegenreaktionen weniger radikaler Reformer
ein. ... Gräser, der 1958 als einsamer Poet in
München starb, nachdem er die Zeit des
Nationalsozialismus als marginalisierter Vagabund
überstanden hatte, kann mit seinen pazifistischen
und ökologischen Ideen von einer Erneuerung des
Lebens fernab von Militarisierung und
Industrialisierung als ein – wenn auch vergessener
– Vorläufer der Alternativbewegung … angesehen
werden, deren Ziele er in seiner Lebensweise
verkörperte, lange bevor sie formuliert wurden“
(Elisabeth Ries in „Pioniere, Propheten,
Professoren“, 2004, S. 25).
Hermann Müller's Rede zum Buch
„Teehaus, Tanz und Berg der Wahrheit“, so hat
Klaus Steinke sein Buch benannt. „Berg der
Wahrheit!“ Ist etwa die Weissenburg ein neuer
Berg Sinai, ein Berg Tabor? Das wäre wirklich
eine Neuigkeit! Nein.
Gemeint
ist
ein Hügel über Ascona, der 1900 Monte Verità
getauft wurde, Berg der Wahrheit. Und gemeint
ist zweitens eine legendenhafte, Erzählung von
Hermann Hesse. Sie berichtet dichterisch vom
Zug einer Schar von Wanderern und Tänzern, die
auf dem Weg ins Morgenland sind, auf dem
uralten Menschenweg in die Heimat des Lichts.
Diese Wanderer kommen vom Monte Verità, sie
bewegen sich auf Stuttgart zu, und ihr
Anführer, der „Oberste ihres Bundes“, ist
Gusto Gräser.
Wer
ist
dieser Gusto Gräser? Und was hat er mit
Stuttgart zu tun?
Der
Dichter
und Denker aus Siebenbürgen hat im Herbst 1900
die Aussteigersiedlung auf dem Monte Verità
von Ascona begründet. Er lebte dort zeitweise
in einer Felsgrotte in den Bergen. Dort hat
ihn 1907 der junge Schriftsteller Hermann
Hesse besucht. Er hat einige Wochen mit ihm
zusammengelebt, als Einsiedler im Wald,
fastend, nackt gehend und meditierend, als
Schüler des Eremiten Gusto Gräser. Der hat ihn
die Meditation gelehrt und den Tanz. Hesse,
der pietistische Schwabe, war zwar offen für
die Meditation, nicht aber für den Tanz, schon
gar nicht für den ekstatischen Nackttanz, den
Gräser mit Freunden in Mondschein-nächten im
Wald von Arcegno vollführte. In einer
Erzählung erschlägt er den Waldheiligen mit
dem dritten Auge, der seine Schüler zum Tanzen
antreibt, und flieht aus dem Wald. Hesse
kehrte ins bürgerliche Leben zurück.
Für
den
Eremiten Gusto Gräser gab dies den Anstoss,
ebenfalls den Wald zu verlassen und zu den
Menschen in die Städte zu gehen. So kam er
1907 nach Stuttgart. Hier hat er seine ersten
Freunde gefunden: einen Dichter, einen Maler
und einen Kaufmann. Sie sammelten um sich eine
„heilige Schar“. Und nach dem Krieg zogen sie
mit Gräser singend und tanzend durch
Thüringen. „Ganz Thüringen tanzt!“, schrieb
damals der Verleger Eugen Diederichs,
Zehntausende tanzten. Tanz war die Botschaft,
freier, spontaner Ausdruckstanz war die
Botschaft des Monte Verità.
Gräser
hatte
ihn 1900 in Paris bei Raymond und Isadora
Duncan kennen gelernt. Er brachte ihn nach
Ascona und entwickelte daraus eine neue, noch
freiere, wildere Form: Ein ekstatischer,
regelloser, expressiver Ausdruckstanz, in dem
die Menschen ihr eigenes Selbst entdecken
sollten. Eine körperliche Selbstbefreiung mit
Toben, Stampfen, Stöhnen und Schreien, eine
frühe Urschreitherapie. Sein Landsmann Rudolf
von Laban hat diesen frühen Ausdruckstanz
professionalisiert und 1917, im sogenannten
„Sonnenfest“, vor Gräsers Höhle zelebriert.
Wenige Jahre später hat Laban seine Schule
nach Stuttgart verlegt. Ob Ida Herion bei ihm
gelernt hat, wissen wir nicht. Aber sie konnte
ihn sicher nicht übersehen, und ihr eigener
Stil war dem von Laban so nahe verwandt, dass
heute einige ihrer Nackttanzszenen dem Monte
Verità zugeschrieben werden.
Gusto
Gräser
also war der Vortänzer, sozusagen der Urtänzer
des freien Ausdruckstanzes.
Um
es
kurz zu machen: Gräser hat 1913 bis 1915 in
Stuttgart nicht nur seine Taodichtung
vorgetragen, er hat allsonntäglich
Waldandachten bei der Schillereiche auf dem
Bopser gehalten. Er wurde ausgewiesen, wie so
oft, Stuttgart konnte ihn nicht ertragen. Er
kam zu früh. Aber er kam wieder, 1919, 1929,
1931 und öfter. Er kam vor allem zurück in den
Dichtungen von Hermann Hesse. Hesse hat ihn zu
seinem Meister erwählt und ihn als solchen
dichterisch gefeiert.
Als
er
nämlich von dem triumphalen Tänzerzug der
Neuen Schar von 1920 erfuhr, schämte er sich.
Er bereute seine Flucht und fuhr nach
Stuttgart, um sich zu informieren. Aus den
Berichten eines hiesigen Zeugen entstand dann
seine mythische Erzählung 'Die
Morgenlandfahrt'. Hesses Morgenlandfahrer sind
besitzlose Wanderer, sie singen, sie spielen
und tanzen, sie ziehen durch Schwaben, sie
lagern sich bei Urach. Es ist ein Tänzerzug.
Es war ein Tänzerzug. Auf der Lichthöh über
Leonberg haben sie im Wald getanzt.
Schülerinnen der Herionschule waren sicher
dabei. Sie zogen weiter nach Indien.
Und
noch
einmal kam der Wahrheitsberg nach Stuttgart,
als nach dem zweiten Krieg Hesses
'Glasperlenspiel' erschien. Dieses Werk
gipfelt in dem zeremoniellen Nackttanz eines
Jünglings, eines Wanderers, Läufers und
Naturburschen, in dem ohne weiteres das
Vorbild Gusto Gräser zu erkennen ist. Für
diesen Tänzer, der die aufgehende Sonne
festlich begrüsst, opfert sich Knecht, opfert
sich Hermann Hesse. Der Dichter aus Calw
feiert den ekstatischen Ausduckstanz, er
erhöht ihn zum religiösen Ritual.
Mit
Gusto
Gräser, mit seinen Wanderfreunden, mit Rudolf
von Laban, mit der 'Morgenlandfahrt' und dem
'Glasperlenspiel' kam der Berg der Wahrheit
nach Stuttgart. Er hat Spuren hinterlassen.
Das Buch von Klaus Steinke deckt einige davon
auf.
Ich
danke
Ihnen.
Grußrede
von
Hermann Müller zur Buchpräsentation im Marmorsaal
der
Villa Weißenburg am 18. März 2018
Szeemann,
Harald
Museum der
Obsessionen von/über/zu/mit Harald Szeemann
Berlin, Merve Verlag, 1981
Darin schreibt Szeemann:
„Ich bin ein sogenannter
'wilder' Denker, der sich am mythischen und
utopischen Gehalt der Hervorbringungen
menschlichen Geistes und menschlicher Tätigkeit
labt“ (20).
Diese Neigung führte ihn zum
Monte Verità. Ihm schwebte vor, nicht mehr in
einem Museum „sondern direkt in der Landschaft
und wenn immer möglich auf einem Heiligen Berg
auszustellen. MONTE VERITA. Der Berg der
Wahrheit als Summe von Ideologien in einer
mütterlichen Landschaft“ (177).
Harald Szeemann im sogenannten
'Elisarion' auf dem Monte Verità von Ascona
Vinzenz,
Alexandra
Vision
'Gesamtkunstwerk'
Performative Interaktion als künstlerische Form
Verlag: transcript, 1. Auflage 2018, ISBN:
978-3-8376-4138-7
Seit Richard Wagner meint der Begriff
'Gesamtkunstwerk' die Einheit aller künstlerischen
Disziplinen. Im Zuge ganzheitlicher Bestrebungen in
der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts nimmt das
Konzept, dem die Möglichkeit der Transformation der
Gesellschaft zugeschrieben wird, eine zentrale
Position ein.
Anhand zahlreicher Beispiele, die vom Umkreis der
Anthroposophischen Gesellschaft bis zum Bauhaus, von
Hermann Nitsch bis Joseph Beuys reichen, zeigt
Alexandra Vinzenz, dass die Verbindung von Ästhetik
und Politik trotz ihrer visionären Anlage nicht an
Reiz verloren hat.
Dr. phil. Alexandra Vinzenz, geb. 1983, ist
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
Europäische Kunstgeschichte der Universität
Heidelberg. Vorher war sie u.a. am
Kunstgeschichtlichen Institut der
Philipps-Universität Marburg beschäftigt. Sie
promovierte am Institut für Kunstgeschichte der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz und erhielt
dafür ein Promotionsstipendium des Landes
Rheinland-Pfalz.
Wagner,
Christoph
Lichtwärts!
Lebensreform, Jugendbewegung und Wandervogel – die
ersten Ökos im Südwesten (1880–1940)
Verlag regionalkultur, Bahnhofstraße 2, 76698
Ubstadt-Weiher, 2026, www.verlag-regionalkultur.de
Um 1900 entstand in
Deutschland ein erstes Bewusstsein für
die Schattenseiten des industriellen Fortschritts:
Die Jugend- und Wandervogelbewegung begehrten gegen
„Naturfrevel“ und krankmachende Lebensbedingungen
auf. Vegetarier, Naturfreunde,
idealistische Siedler,
Reformpädagogen, Alkoholgegner, Licht-,
Luft- und Sonnenanbeter sowie Anhänger von
Kleiderreform und Naturheilkunde
machten sich für eine umfassende Lebensreform stark,
die alternativ-utopische
Lebensmodelle, ein anderes Naturverständnis
und ein neues Körperbewusstsein
umfasste. Im Südwesten war
die Lebensreformbewegung besonders
rührig. In zahlreichen
Vereinen, Bünden, Verlagen,
Zeitschriften, Reformhäusern, Naturheilsanatorien,
alkoholfreien Cafés, vegetarischen Speisehäusern,
Versuchsschulen und Aussteigersiedlungen wurden neue
Ideen erprobt, die auf ganz Deutschland
ausstrahlten.
Christoph Wagner zeichnet die Geschichte dieser
ersten Ökos im Südwesten in ihrer ganzen Vielfalt
nach, wobei auch die düsteren Seiten
(Irrationalismus, Rassenlehre,
Antisemitismus) nicht ausgespart bleiben.
Watson,
Peter
Das Zeitalter des Nichts.
Eine Ideen- und Kulturgeschichte von Friedrich
Nietzsche bis Richard Dawkins. C.
Bertelsmann, München 2016.
Zitat:
Der Nietzscheanismus war dort [auf dem Monte Verità]
allgegenwärtig, allerdings weniger in seiner „Wille
zur Macht“-Ausprägung als durch das Dionysische und
das Ziel einer ekstatischen Dynamik. … Die Kolonie
verfügte tatsächlich über all die Elemente der
Gegenkultur, die sich später vor allem in Amerika
entwickeln sollte. … Das entscheidendste … Element
der Monte-Verità-Idee war der Rückzug aus dem
urbanen Leben, um einen „neuen Menschenschlag“ zu
erschaffen, einen nachchristlich-säkularen, der das
Menschsein in all seiner Fülle und Gestalt einer
gelebten „Vagabondage“ sowie durch Tanz zum Ausdruck
bringen sollte. (61 f.)
Weidermann, Volker
„Gusto
Gräser ist dabei, eine Art Weltstar zu
werden. Es ist der Name 'Demian',unter dem er
berühmt werden wird.“ (Volker Weidermann)
Träumer - Als die
Dichter die Macht übernahmen
1919, Revolution in München – und alle sind vor Ort:
Ernst Toller, Thomas Mann, Erich Mühsam, Rainer
Maria Rilke, Gustav Landauer, Oskar Maria Graf,
Viktor Klemperer, Klaus Mann ...
Kiepenheuer
& Witsch, 2017, 288 Seiten, gebunden
Auszug:
Gusto
Gräser
als Demian
Aus
„Träumer“
von Volker Weidermann
Am
nächsten
Abend gehen sie [Oskar Maria Graf
und der Maler Georg Schrimpf] zu
einer Versammlung, auf der Gusto
Gräser reden soll.
Und
er
redet.
„Der
Saal
war ziemlich voll. Geraucht
sollte nicht werden. Wir
rauchten. Es ging auch bereits
laut zu. Vorne saßen
schwärmerische Mädchen mit
Gretchenfrisur, alte Jungfern,
Wandervögel, idealistische
Sonderlinge und dergleichen.“
Und Spartakisten. Und Volk.
Es
wird
grauenvoll. Gräser predigt vom Geist
der Gewaltlosigkeit. „Ach was,
Geist! Schnaps brauchen wir!“ kräht
Graf. Einer schreit: „Ziegenbock!“.
Gräser macht segnende
Handbewegungen. Er preist die Natur.
„Grasfressen und faulenzen ist
sinnwidrig!“ ruft Graf. Ein anderer
„Nieder mit der Natur! Es lebe die
Technik!“
Gräser
predigt
weiter. Die Menge höhnt und lacht
und tobt. „Wir sind keine Menschen
mehr!“ ruft Gräser. „Nein, Viecher!“
brüllt Graf. Ein Spartakist erobert
die Bühne. Hält die übliche
Propagandarede. Die Zuhörer
amüsieren sich prächtig.
Nach
der
Veranstaltung kehrte Gräser zum
Schorsch zurück. Schorschs Freunde
verspotteten ihn, grob, gemein und
verletzend. Er sei doch nur für die
Natur. Also: „Morgen bitte Lager
nehmen im Englischen Garten“, befahl
Graf ihm.
Zwei
Tage
später ging er dann wirklich. Man
sah ihn weiterhin tagsüber durch die
Straßen Münchens ziehen, meist
verfolgt von einer Horde grölender
Kinder. Es hieß, er habe Unterkunft
in einem Ziegenstall gefunden.
Doch
Gusto
Gräser ist gerade
dabei,
eine Art Weltstar zu werden. Er weiß
es nur noch nicht. Und auch nicht
unter seinem eigenen Namen Gusto
Gräser, sondern in literarischer
Verkleidung, als einer, der Menschen
auf dem Weg nach innen führt, zu
einem neuen Gott, zu sich selbst. Es ist der Name
„Demian“, unter dem er berühmt
werden wird. Eine Erzählung
unter diesem Namen ist soeben in der
Zeitschrft „Neue Rundschau“ des S.
Fischer Verlages als Vorabdruck
erschienen. Im Februar der erste
Teil, in der April-Nummer der
zweite. Geschrieben hatte die
Erzählung ein gewisser Emil
Sinclair, niemand kannte ihn, weder
der Verleger Samuel Fischer noch der
Lektor Oskar Loerke wussten, wer der
junge Debütant war. Dieser Emil
Sinclar schreibt die Geschichte
seiner Wandlung, aus der
Orientierungslosigkeit der alten
Vorkriegszeit in ein neues Leben,
ein neues Licht. Er folgt einem
sonderbaren Freund und Führer,
zusammen mit dessen Mutter schließen
sie einen Bund. Der sonderbare
Freund Max Demian ist ein weiser,
unschuldiger Prediger. „Hundert und
mehr Jahre lang“, erklärt er seinem
staunenden Freund Sinclair, „hat
Europa bloß noch studiert und
Fabriken gebaut! Sie wissen genau,
wieviel Gramm Pulver man braucht, um
einen Menschen zu töten, aber sie
wissen nicht, wie man zu Gott betet,
sie wissen nicht einmal, wie man
eine Stunde lang vergnügt sein
kann.“
So
und
so ähnlich sind Max Demians
Ansprachen an den sehnsüchtig
Lauschenden. „Was die Natur mit dem
Menschen will, steht in den
Einzelnen geschrieben, in dir und
mir. Es stand in Jesus, es stand in
Nietzsche. Für diese allein
wichtigen Strömungen – die natürlich
jeden Tag anders aussehen können,
wird Raum sein, wenn die heutigen
Gemeinschaften zusammenbrechen.“
Max
Demian
sieht den kommenden Krieg voraus,
den Rausch, der die Menschen
zusammenschweißen wird. „Es wird
vielleicht ein großer Krieg werden,
ein sehr großer Krieg. Aber auch das
ist bloß der Anfang. Das Neue
beginnt, und das Neue wird für die,
die am Alten hängen, entsetzlich
sein.“
Etwas
Neues,
etwas nie Dagewesenes kämpft sich
frei, in den Schlachten Europas, so
sieht es dieser wunderliche Prophet.
„Es kämpfte sich ein Riesenvogel aus
dem Ei, und das Ei war die Welt, und
die Welt mußte in Trümmer gehen.“ Um
neu zu werden, ganz und gar neu. „In
der Tiefe war etwas im Werden. Etwas
wie eine neue Menschlichlichkeit.“
Das
Buch
wird in Deutschland und Europa ein
fantastischer Erfolg werden, der
Autor wird als Führer der Jugend
gefeiert. Als Thomas Mann die
Erzählung einige Wochen später
liest, ist er begeistert, fragt
sich, wie sich alle fragen, wer nur
dieser Emil Sinclair sein könne, und
stellt erstaunt fest, dass es
geradezu ein geschwisterliches Buch
zu dem von ihm wieder begonnenen
„Zauberberg“ sei. Auch hier bricht
der Weltkrieg „als Lösung“ am Ende
in das Romangeschehen ein.
Dieser
Emil
Sinclair wird für den Text noch im
selben Jahr den Fontane-Preis für
das beste deutsche Erstlingswerk
erhalten. Und erst im nächsten Jahr
muss der Autor ihn wieder
zurückgeben. Denn er ist kein
Debütant. Und er heißt auch nicht
Sinclair. Der Autor ist Hermann
Hesse, damals 41 Jahre alt, und er
war mit Büchern wie „Unterm Rad“ und
„Peter Camenzind“ längst eine
Berühmtheit in der Welt der
Literatur.
Früh
schon
war er Gusto Gräser begegnet. 1907
war er dem Wandernden auf den Monte
Verità im Tessin gefolgt. In einer
Holzhütte wohnend, verbrachte er
mehrere Wochen in der Nähe des
Freundes, lebte selbst für einige
Zeit in den Felsen bei der Höhle von
Arcegno, nackt, fastend und
meditierend.
Doch
Hesse
kehrte in sein bürgerliches Leben
zurück, verspottete Gräser bald
schon in seiner höhnischen Erzählung
„Doktor Knölges Ende“ als einen in
den Bäumen hängenden Gorilla.
Im
Krieg
kam es zu einer neuen Annäherung.
Hesse wurde zu Gräsers
„dichterischem Verkünder“. Seine
Reformsiedlung auf dem Monte Verità
wurde für Hermann Hesse zu einer
„Trauminsel der Erfüllung“, Beispiel
und Vorbild „einer anderen Art zu
leben“.
Doch
als
der Krieg zu Ende war, das Ei also
in Trümmern lag und allen voran
München sich bereit zu machen schien
für eine neue Menschlichkeit, gingen
die beiden Männer unterschiedliche
Wege. Anfang 1919 schrieb Gusto
Gräser an Hermann Hesse in Bern:
„Der BAUM des Lebens keimt und kommt
ja doch nur von Selber. - Er gründet
ein und grünet auf, wenn die
Eisblöcke der Verstandes- und
Gegenstandswirtschft Ihm nicht mehr
beklemmend im Wege stehn. - Drum
Tauwind ins Winterland, TAO-wind in
die hirnfrostig verfrorene Welt.“ Er
war unterwegs in die neue Wärme, zur
neuen Menschlichkeit und schönen
Gemeinschaft, die er in München für
sich und die Seinen erhoffte.
Und
er
hoffte wohl, vielleicht war er auch
sicher, dass auch der Freund ihm
nach Deutschland, nach München
folgen würde. Viele in Deutschland
dachten so. Hermann Hesse, der
schwäbische Kriegsgegner in der
Schweiz – wohin sollte er denn, wenn
nicht nach München?
Doch
da
täuschten sich alle. Hesse hat
seinen Demian nach München
geschickt. Er selbst flieht in die
andere Richtung. ...
Der
sonderbare
langhaarige Freund mit den Sandalen
und den Texten im Ledersäckchen, der
Hesse so vieles vorgelebt und
vorgeredet hatte, hat einen anderen
Plan. Er redet, sammelt Menschen um
sich, lässt sich verhöhnen in der
Stadt der Träumer und
Weltverbesserer. Die Liebe wollen
beide auf ihre Weise in die Welt
tragen.
Aus
Volker
Weidermann: Träumer. Als die
Dichter die Macht übernahmen Köln
2017, S. 186-191
Weise, Otto
Hermann
Müller:
Der Dichter und sein Guru. In: Jahrbuch
des Archivs der deutschen Jugendbewegung. Burg
Ludwigstein: Stiftung Burg Ludwigstein, 1978, S.
196-199.
Szittya, Emil
Das
Kuriositäten-Kabinett. Konstanz 1923.
Neudruck Berlin 1979.
Wyrwoll, Karl
Ernst
Moritz Engert. Monographie Dokumentation Katalog.
Ernst-Moritz-Engert Museum der Stadt Hadamar,
1988.
Robert
Landmann (eigentlich Werner Ackermann) 1892 in
Antwerpen geboren, Verfasser mehrerer Romane, Stücke und
Hörspiele, Journalist in Genf, Ascona, Berlin, Saint
Tropez, Istanbul und Antwerpen. 1923 hat Landmann in
Ascona zusammen mit seinen FreundenHugo Wilkens und
William Werner die von Henri Oedenkoven gegründete
Siedlung Monte Verità erworben und 1925 an BaronEduard
von der Heydt verkauft.
Ein Kompendium
des
Wissens um den Wahrheitsberg, ein Lexikon zum
Nachschlagen. Alles ist da: das Spirituelle,
das zeit- und kulturgeschichtliche, das
Alternative und Ökologische. Und zugleich das
Faktisch-Reale mit einer Genauigkeit und
Vollständigkeit, wie sie noch nicht da gewesen
ist, bis auf die Grundstücksnummern im
Kataster.
Die
Bändchen
im
Format A5 (je etwa 100-120 Seiten, viele Abbildungen, je
CHF 15.-) im Selbstverlag des Verfassers werden in der
Rezeption des Hotels Monte Verità und in der Casa Anatta
angeboten.
Edité aux PPUR
(Presses polytechniques et universitaires
romandes),
collection "Le savoir suisse". 142 p., 2011,
10,90 € (17,50 francs suisses).
Das
Buch
von Kaj Noschis bietet die bisher beste
Einführung in die Geschichte des Monte Verità.
Ich kenne kein anderes Werk zum Thema, das auf
so wenigen Seiten eine solche Fülle von - zum
Teil neuen - Informationen böte: von den ersten
Anfängen bis zur Gegenwart, von den Pionieren
bis zu den Gelehrten von Eranos. Es wäre sehr zu
wünschen, dass dieses Buch ins Deutsche
übersetzt würde.
Unglücklicherweise
steht
seinen großen Vorzügen ein großes Manko
gegenüber: Noschis verkennt die Hauptperson, den
eigentlichen Geistgründer des Wahrheitsbergs:
den Dichter-propheten Gusto Gräser. Er scheint
dessen Lebenswerk nicht zu kennen und ihn auch
nicht sonderlich zu schätzen. Dazuhin ist seine
Darstellung in diesem Abschnitt voller
faktischer Fehler. Weil nun aber der eigentliche
Inspirator dieser Siedlung nicht erkannt wird,
muss Noschis trügerischen Ersatz suchen, um die
Kreativität und Attraktivität des Ortes zu
erklären. In seiner Not verfällt er auf die
Idee, in einem fiktiven „genius loci“ den Grund
für die außerordentliche Ausstrahlungskraft von
Ascona zu suchen. Ein absurder Einfall! Nicht
Landschaften schaffen Ideen sondern Menschen.
In
einer
zweiten Auflage müsste das Kapitel „Gusto
Gräser“ völlig neu bearbeitet werden. Dann
könnte dieses sonst so verdienstvolle Buch zu
einem wirklichen Standardwerk werden.
Zu
der
Beziehung
Gräser-Hesse sagt Noschis u. a.: „Gusto,
der
Pilger, der seine Friedensbotschaft verkündet,
beeindruckt den Schriftsteller und führt ihn auf
den Monte Verità (62). – Die Gestalt des Gusto
Gräser hat sich in die Vorstellungswelt von
Hesse eingeschrieben (64). – Gewisse
Hauptgestalten seiner Bücher sind geprägt von
jenen Menschen, die er in Ascona beobachtete:
wie sie sich abmühten in ihrem Suchen, in
ihrem Hören auf die Natur, wie sie ihre
Weltschau mitteilen wollten und zugleich litten
an ihrem unaufhebbaren Anderssein (68f.).“
Hermann
Müller
Bereits
vor
100 Jahren (und vorher) wanderten, statt
Hundertausende, einige abzählbare, markante
Frühhippies durch die Welt, barfüssige
Weltverbesserer, Wanderprediger, verspottet
als Kohlrabi-Apostel und Kartoffel-Christusse,
die mit dem ‚Zurück zur Natur’ ernst machten
und das ganze Programm von 1967 bis 1976
bereits draufhatten: Pazifismus, freie Liebe,
Technikkritik, Spiesserverachtung, lange
Haare, Nudismus, Vegetarismus. Einerseits
gerieten selbst die wichtigsten Gestalten von
damals sehr in Vergessenheit, andererseits
erhielten sich viele Text- und Bilddokumente,
von denen sich einiges in diesem Buch
wiederfindet.
Der
Webmaster
meint:
Schon oberflächliche
Lektüre
des G. Gräser gewidmeten Teils
dieses Buches
zeigt allerdings, dass so
manches aus der Luft gegriffen
oder masslos übertrieben ist
und damit ein verzerrtes,
negativ gefärbtes Bild
entsteht. Quellenangaben
fehlen.
Diese
autobiographische
Erzählung
kommt den Erfahrungen Hesses im Jahre
1907
näher als 'Der Weltverbesserer'. In der
Gestalt des Heinrich Wirth
ist
Gusto Gräser zweifelsfrei zu erkennen.
DIE DUNKLE UND WILDE
SEITE DER SEELE
Hermann
Hesse.
Briefwechsel mit seinem Psychoanalytiker Josef
Bernhard Lang. Darin eine weitere Bestätigung für
die enge Verbundenheit der Familien Gräser und
Hesse. Gräsers Familie wohnte 1919 im Haus von Mia
Hesse in Ascona.
“Mit
Hermann
Hesse durchs Tessin – Ein Reisebegleiter von
Regina Bucher”
Was mit einem Kuraufenthalt 1907 auf dem
legendären Monte Verità begann, entwickelte sich
für Hermann Hesse zu einer lebenslangen
Faszination: 1919 siedelte er nach Montagnola im
Tessin über und lebte dort bis zu seinem Tod
1962. Seiner Begeisterung für diese
abwechslungsreiche Seen- und Berglandschaft mit
ihren pittoresken Dörfern hat er in zahlreichen
Erzählungen, Briefen und nicht zuletzt in seinen
Aquarellen Ausdruck verliehen. Zehn
Spaziergänge
führen
den Leser auf die Spuren Hesses.
José Morella, in spanischer Sprache,
in LUKE
nº 169 Febrero 2016 Como caminos en la niebla
(Wie Wege im Nebel)
José Morella wurde 1972 in Ibiza geboren. Er hat einen
Abschluss in Literaturtheorie und vergleichender
Literaturwissenschaft. Er lebt derzeit in Barcelona, wo er
Spanisch unterrichtet. Er veröffentlichte die Romane La
fatiga del vampiro (2004) und Asuntos propios, Finalist
des Herralde-Preises für Romane im Jahr 2009. Er ist auch
der Autor der Gedichte Tambor de luz (2001). Er hat auch
die Dichter Ferreira Gullar und Douglas Dunn ins Spanische
übersetzt.
... und LUKE-Mitarbeiter
Morella
schreibt
über Gusto (Original
in
spanisch hier):
Gusto Gräser, der berühmte
„Naturmensch“ des Monte Verita, schrieb ein halbes Leben
lang an einer neuen Version des Tao te King
von Lao Tse. Gusto konnte kein Chinesisch, er übertrug
das Buch nur nach der Übersetzung von Richard Wilhelm.
Der Grundgedanke dieses Buches besteht darin, die
Wirklichkeit nicht zu zwingen, nicht mit zu viel
Anstrengung darauf zu bestehen, dass das geschieht, was
wir uns wünschen, und dass nicht geschehe, was wir nicht
wollen. Eine traditionelle chinesische Erzählung erklärt
das so:
Ein
Pilger
sieht aus der Entfernung, wie ein heftiger Gewittersturm
eine Holzbrücke mit sich nimmt. Deshalb fallen ein Alter
und ein junger Mann ins Meer. Das Wasser ist sehr
bewegt. Einige Sekunden später sieht der Pilger, wie der
Alte ganz nah am Strand auftaucht und ans Festland
schwimmt. Der junge Mann taucht niemals auf und
ertrinkt. Der Pilger geht zu dem Alten und fragt ihn:
Wie ist es möglich, dass der Junge es nicht geschafft
hat herauszukommen und Sie hier so ruhig stehen und ihre
Kleider auswinden, als sei nichts geschehen? Der Alte
antwortet ihm: Dieser Junge hat zu viel Widerstand
geleistet, er hat zu viel Kraft darauf verwendet
herauszukommen. Er hat gestrampelt und mit den Armen
gegen die Strömung gerudert, die unendlich mächtiger war
als er und ist dann ertrunken. Ich habe das Gegenteil
getan. Ich habe mich ergeben, habe alle Muskeln
entspannt wie ein Säugling, der von seiner Mutter
gestillt worden ist. Ohne Anstrengung. Die inneren
Strömungen haben mich an die Oberfläche getragen, so wie
eine Katze eine Spinne auf ihrem Rücken trägt. Ich habe
nichts getan um zu überleben. Deshalb lebe ich auch
noch.
Gusto
flüchtete
sich in die Natur und versuchte nur mit dem
Allernotwendigsten zu überleben, weil er fühlte, dass
die Zeit, in der er leben musste, dem, was Lao Tse
vorschlug, diametral entgegengesetzt war. Eine Welt, in
der es die Norm war, die Wirklichkeit zu zwingen: Die
Produktion auf dem Land und in den Fabriken wurde
mechanisiert, der Gebrauch von Chemikalien in der
Landwirtschaft eingeführt; die Eisenbahn verkürzte die
Entfernungen in einem für die damalige Zeit
unvorstellbaren Maße. Henry Ford war dabei, das erste
Fließband einzurichten. Gusto misstraute dem, was für
andere unbezweifelbare Verbesserungen waren. Er sagte
den Ersten Weltkrieg voraus, in dem auch die Fähigkeit
zu töten mechanisiert wurde und Tausende an einem
einzigen Tag starben. Als sie ihn rekrutieren wollten,
erklärte er sich als Pazifist und Wehrdienstverweigerer.
Sie verurteilten ihn zum Tode. Nach drei Tagen, in denen
er jeden Augenblick damit rechnete erschossen zu werden,
erreichte er die Einlieferung in eine Irrenanstalt,
indem er vorgab verrückt zu sein. Dann kehrte er mit
seiner Familie zurück zum Monte Verita und lebte dort
weiter wie zuvor: nackt, barfuß, ohne zu heiraten und
zog seine Kinder selbstständig groß, ohne sie in die
Schule zu geben. Auf Geld verzichtete er ganz und gar
und ernährte sich von dem, was er anbaute. Ein einfaches
Leben, wie es einfacher nicht sein konnte. Oft besprach
er seine Version des Tao, an der er unablässig
arbeitete, mit dem Schriftsteller Hermann Hesse. Hesse,
ein Vielgelesener, intelligenter und talentierter als
Gusto, scheute sich in keiner Weise, ihn als seinen
Meister anzuerkennen. Er hätte es ihm gerne nachgetan,
hatte aber nicht den nötigen Mut, den Wunsch nach
Aufstieg und Erfolg aus seinem Leben zu verbannen. Gusto
nahm nie Rücksicht darauf, was andere von ihm dachten.
Keiner der Intellektuellen oder Bohemiens des Monte
Verita hatte im Entferntesten seine Bescheidenheit, noch
seinen Mut.
Er
wollte
die Welt ebenso verändern wie Otto [Gross],
aber auf andere Art und Weise. Seine Veränderung war
innerlich und ruhig, die Ottos dagegen voller Unrast,
Eifer und Angst. Einen Text von Lao Tse gab er
folgendermaßen wieder: „Tao, du, Heimat aller! Die
Behäbigen und Satten finden dich nie. Aber denen, die es
vorziehen, durstig und hungrig umherzuziehen, denen
öffnest du die Türen voll und ganz: ihnen blühen die
Bäume, ihnen lächeln glänzende Früchte, die von
übervollen Zweigen hängen. Den Schnellen, die ohne
Verzögerung alles öffnen und wissen wollen, denen
schließt du dich zu“.
Grundlegende
Biografie
über die Puppenmacherin Käthe Kruse, auch über ihre
Zeit auf dem Monte Verità. Es wird klar, dass die
Aussteiger um die Brüder Gräser ihr Anstoss
und Möglichkeit zu Selbstfindung
und Entfaltung ihrer kreativen Fähigkeiten
gaben.
Frank
Milautzcki Reinhard
Goering
- ein Unbekannter auf dem Berg der Wahrheit
54 Seiten, 10 Abb., € 7.80, Verlag Proberaum 3,
Trennfurter Straße 14, 63911 Klingenberg. E-mail: wuestenschiff@t-online.de Rezension
von
2006/7 über
paradiesische
Gärten, Schöpfungsmythen und Sozialutopien enthält
auch eine Darstellung des Monte Verità mit Bildern von
Gusto Gräser.
Im Katalog sind viele seltene Bilder in hervorragender
Qualität . Mit Kapiteln über den Monte Verità und dessen
Ableger auf Kabakon
in der Südsee . 211 Seiten
Konsumismus,
Angst
vor Überfremdung, Kampf der Frau um ihre Rechte,
Burn-out des Mittelstandes, Genetik: Die großen
Fragen des Jahres 2009 versetzten schon 1909 die
Europäer in einen Taumel.
Cultural, economic and political life before the First
World War. This was a time in which old certainties
broke down and many people lost their bearings. At the
heart of this vibrant Europe, was a contradiction that
would cause its collapse: the new, modern world of mass
production, urban life, technological warfare and a
rapidly growing working class that was still ruled by
men who preferred the image of dashing cavalry officers
to the prosaic slaughter of the machine gun, and
national mythology to political cohesion and democracy.
Wolfgang
Wackernagel
MYSTIQUE, AVANTGARDE ET MARGINALITÉ DANS LE SILLAGE DU
MONTE VERITÀ
In: Mystique: la passion de l’Un, de l’Antiquité à nos
jours Edité par Alain Dierkens et Bénoit Beyer de Ryke.
Éditions de l'Université de Bruxelles. Problèmes de
l'histoire des religions, tome XV. Bruxelles 2005, S.
175-186. Sieben Fotos von Gräser und Monte Verità nach S.
160
Wegkreuzungen. Dreizehn
Lebensbilder Hans
Bergel
hat große Bücher geschrieben, und er hat liebenswerte
Bücher geschrieben. Neben das Riesenepos „Die Wiederkehr
der Wölfe“ von 2006, das ich in der Nachbarschaft von
Tolstois „Krieg und Frieden“ sehe, stellte er jetzt die
„Wegkreuzungen.
Dreizehn
Lebensbilder“.
Das Buch nahm mich durch das angenehme Format und die
Eleganz der Aufmachung sofort nach Erhalt schon vom
Äußeren her gefangen.
...
Die
Charakterstudie über Deutschlands „lachenden Apostel“,
den 1879 in Siebenbürgen geborenen Gustav Arthur Gräser,
gerät ihm zum geistvollen Exkurs in die Kulturgeschichte
Europas der vorletzten Jahrhundertwende. ...
Rythme et
civilisation dans la pensée allemande
autour de 1900 Thèse de Doctorat Discipline : Etudes
germaniques Présentée par Olivier
HANSE
UNIVERSITÉ RENNES 2 – HAUTE BRETAGNE
Unité de Recherche GRAAL JE 2314
Ecole Doctorale : Humanités et Sciences de
l’Homme Année de soutenance : 2007
Français
English
Deutsch
Autour
de
1900 en Allemagne, l’ « arythmie » des
individus est présentée par un certain
nombre d’auteurs comme le symptôme d’une
civilisation malade, qu’il faut à tout prix
sauver du déclin. La disparition du rythme,
constatée dans un grand nombre de
disciplines, semble par ailleurs accuser le
triomphe d’une vision matérialiste et «
microscopique » du monde, qui rend l’homme
aveugle aux miracles du vivant, tandis que
dans les écoles et dans les universités
s’impose un modèle de formation
utilitariste, qui privilégie les savoirs
techniques au détriment de l’intuition, de
l’esprit de synthèse et de la créativité.
Parallèlement à ce diagnostic, le même
concept de rythme, que l’on suppose avoir
joué, à l’origine, un grand rôle dans la
socialisation de l’être humain et dans le
développement de la culture, se retrouve au
centre de projets utopiques fondés sur la
gymnastique et la danse, qui visent à
retransformer un corps social « mécanisé »
et « disloqué » en une communauté saine et
fraternelle. Par-delà les conflits de
terminologie et de méthode qui opposent les
différents représentants du « mouvement du
rythme », cette étude tente d’éclairer les
motivations individuelles et collectives de
ce discours, de faire ressortir les
mécanismes psychosociaux qui le traversent,
ainsi que les causes de son succès, tout en
le replaçant dans le contexte historique,
social et culturel qui lui a donné
naissance.
Around
1900
in Germany, people’s “arrhythmia” was
presented by a certain number of authors as
the symptom of a sick civilisation that
absolutely needed to be saved from decline.
The disappearance of rhythm observed in a
large number of fields seemed moreover to
affirm the triumph of a materialistic and
“microscopic” vision of the world which
blinded man to the miracles of life, while
in schools and universities a model of
utilitarian tuition was being asserted that
favoured technical knowledge to the
prejudice of intuition, sense of synthesis
and creativity. Concurrently to this
diagnosis, the same conception of rhythm
that is supposed to have initially played a
great role in the socialization of mankind
and in the development of culture, is to be
found at the heart of utopian undertakings
based on gymnastics and dance aimed at
retransforming a “mechanised” and
“dislocated” social body into a healthy and
fraternal community. Beyond conflicts of
terminology and method opposing different
representatives of the “rhythm movement”,
this study endeavours to enlighten
individual and collective motivations of
this discourse, to bring out the
psychosocial mechanisms that traverse it, as
well as the reasons for its success, while
repositioning it in the historical, social
and cultural context that engendered it.
"Hauptziel
dieser Arbeit ist es, die Grundlagen des
Rhythmus-Diskurses in den Jahren 1880-1925
aufzudecken und im Sinne einer
'Sozialgeschichte der Ideen' herauszuarbeiten,
inwiefern er gesellschaftliche Sachverhalte
widerspiegelt bzw. durch den kulturellen und
sozialgeschichtlichen Zusammenhang seiner
Entstehung und Verbreitung beleuchtet werden
kann. Der 'Rhythmus' soll dabei nicht auf eine
bestimmte Definition reduziert werden, sondern
es soll vielmehr begriffsgeschichtlich gezeigt
werden, inwiefern er über seine primäre
Bezeichnungsfunktion hinaus 'kommunikatives
Eigengewicht' gewinnt und seine konkrete
Verwendung, so vielfältig sie auch sein mag,
die Ängste und Hoffnungen einer bestimmten
sozialen Schicht artikuliert."
Claudio Rossetti, von 2002
bis 2011 Direktor der Fondazione Monte Verità setzte
während dieser Zeit viele Ideen und Visionen um, die
er im Buch “Raggi di cultura – A Spectrum of
Culture” festhält: 120 Seiten und viele Fotografien
ermöglichen einen Einblick in die kulturellen
Ereignisse. Erhältlich ist das zweisprachige Buch
(Italienisch und Englisch) für CHF 20.- beim Centro
Monte Verità (Tel . 091 785
40 40, E-Mail
info@monteverita.org). Der Erlös geht an das “Forum
Diritti Umani”.
Luschner
in "Raggi di Cultura - A Spectrum of Culture":
‚Die
deutsche
Seele’
von
Thea
Dorn und Richard Wagner. Albrecht Knaus Verlag,
München 2011. 560 Seiten, viele Abbildungen. € 26.99
Aus
dem
Vorwort:
„Wir
machen
uns
keine Sorgen, dass Deutschland sich abschafft. Wir
sehen nur, dass es sich herunterwirtschaftet. Sein
Gedächtnis verliert. Die einen haben die deutsche
Scham, die keiner ablegen kann, der diesem Land
entstammt, zum Schuldpanzer verhärtet, hinter dem
sie sich verschanzen. Die Verbrechen des
Nationalsozialismus sind ihnen weniger Schmach und
Schmerz als der Beweis, dass alles Deutsche mit der
Wurzel ausgerissen gehört. Die anderen tummeln sich
in dem Kahlschlag, den die wohl-meinenden Nashörner
angerichtet haben. Ihnen fehlt nichts, solange der
Fernseher läuft und im Kühlschrank genügend Bier
steht. Und dennoch spüren wir ein wachsendes
Deutschlandsehnen.“
Ein
wichtiges
Buch! Hier folgen einige Auszüge, die Diefenbach und
Gräser betreffen. Die Verfasser sind allerdings sehr
im Irrtum, wenn sie glauben, der Monte Verità habe
nicht mehr als Hüllenlosigkeit zu bieten gehabt. In
Wirklichkeit erlebten hier die Emigranten aus
Alteuropa – Reformer,Dichter
und Künstler –eine
„Revolution der Seele“, eine Ausweitung und
Befreiung nicht der deutschen Seele allein, aber
gerade auch der deutschen, hin zu einem
weltumgreifenden, menschheitumfassenden,
anationalen, kosmopolitischen „Reich der Seele“, das
Indien und China, Russland und Amerika genauso in
sich schloss wie die besten deutschen Traditionen.
„Es gab hier einfach alles, was im übrigen Europa
nicht existieren konnte, verboten wurde, die
Menschen nicht zu leben wagen konnten. Hier wurde es
versucht; vorgelebt, existierend, nicht bloß
theoretisch angeschaut“, schrieb damals der
Dramatiker Reinhard Goering. „Entschieden, man war
ja jenseits von Europa.“ Und ein anderer Gast und
Gräserfreund, Hermann Hesse: „Hier war Liebe und
Seele, hier lebte das Märchen und der Traum“.
„Schick“
war
das Leben dieser Aussteiger-Siedler nicht im
geringsten, vielmehr härteste Realität: Arbeit und
Hunger, Kampf und Gefahr. Nicht Wenige sind daran
zerbrochen, starben durch Selbstmord oder im
Irrenhaus. Erst im ahnungslosen Nachschmecken des
Feuilletons wurde daraus ein „schicker Mythos“.
Aufrufe
von
Gusto Gräser, um 1914
Raus!
Raus aus den verpesteten Städten! Raus aus den engen
Gassen! Raus aus dem „stahlharten Gehäuse“ von
Bürokratie und Industrie, von Technik und
Geldwirtschaft! …
Rousseau
ist seit über hundert Jahren tot – doch nie und
nirgends fíndet sein Ruf „Zurück zur Natur!“ ein
kräftigeres Echo als im deutschsprachigen Raum an der
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Am
wörtlichsten nehmen das große anti-zivilisatorische
„Raus!“ jene, die glauben, die Kluft zwischen Leib und
Seele, zwischen Kosmos und Mensch, zwischen Reich und
Arm schließen zu können, indem sie die Hüllen fallen
lassen.
Der
erste Nudist aus Überzeugung ist der Maler Karl
Wilhelm Diefenbach. Seine Konversion zum
Lebensreform-Glauben geschieht in den 1870er Jahren:
Nach einer Typhus-Erkrankung muss er operiert werden,
sein rechter Arm bleibt verkrüppelt. Diefenbach ist
überzeugt, Naturheilkunde und fleischlose Kost hätten
ihn kuriert, weshalb er zum Verkünder einer
vegetarisch-naturnahen Lebensweise wird. Barfuß, mit
wildem Haarwuchs und in eine Kutte gekleidet wandelt
er durch München und predigt gegen den „Verzehr von
Tierfetzen“. Obwohl man im Schwabing jener Jahre
esoterische Exzentriker gewohnt ist, kommt es zu
regelmäßigen Zusammenstößen zwischen dem
„Kohlrabiapostel“ und der Obrigkeit. 1887 zieht sich
Diefenbach nach Höllriegelskreuth ins Isartal zurück –
und gründet dort in einem stillgelegten Steinbruch die
erste Kommune, in der nach seinen Vorstellungen gelebt
werden darf bzw. muss. Der Aussteiger entpuppt sich –
wie manch einer nach ihm - als autoritärer Guru:
Fleisch, Tabak, Alkohol, Privatbesitz und bürgerliche
Ehe sind tabu, der Meister bestimmt, wer wann mit wem
in welcher Weise verkehren darf oder auch nicht.
Gemeinsam wird ein Körperkult zelebriert, der auf
„Licht, Luft, Sonne, Nacktheit und Beschwingtheit“
fußt.
Weltanschaulich
nicht
weniger aufgeladen, aber deutlich mondäner gibt sich
die Künstler-Kolonie „Monte Verità“, die 1900 auf
einem Hügel oberhalb des schweizerischen Ascona
u. a. von Gusto Gräser gegründet wird. Seine ersten
Erfahrungen mit alternativem Leben hat der
siebenbürgische Dichter bei Diefenbach gesammelt. Der
Friede zwischen Pazifisten und Anarchisten, Nudisten
und Ausdruckstänzerinnen, Anthroposophen und
Psychoanalytikern, Veganern und Vegetariern ist zwar
stets ein wackliger, dennoch existiert die Kolonie in
ihrer ursprünglichen Form bis 1920. (Und kann heute
noch als Hotel/Museum/Konferenzcenter besucht werden.)
Prominente Gäste wie der dadaistische Künstler Hans
Arp, der Philosoph Ernst Bloch oder die Schriftsteller
Gerhart Hauptmann und HermannHesse
machen den „Wahrheits-Berg“ zum radikal schicken
Mythos.
Aus
Thea Dorn, Richard Wagner: Die deutsche Seele, S.
153-155
Siedlung in
der Schweiz
Kapitel:
Monte
Verità,
Freidorf BL, Wasserhaus, Werkbundsiedlung Neubühl,
Pantli, Cité du Lignon, Gurten-Gartenstadt.
Künstlermuseum Kapitel:
Monte Verità,
Städtische Galerie im Lenbachhaus, Kügelgenhaus
- Museum der Dresdner Romantik, Altes Rathaus -
Städtische Galerie für moderne Kunst,
Kunstmuseum Pablo Picasso Münster,
Liebermann-Villa, Albrecht-Dürer-Haus, Magritte
Museum, René Magritte Museum, Liste von
Künstlermuseen, Künstlerkolonie Worpswede, Sir
John Soane's Museum, Museum Het Rembrandthuis,
Käthe-Kollwitz-Museum, Villa Stuck, Rubenshaus,
Josef-Hegenbarth-Archiv, Wilhelm Busch -
Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst,
Künstlermuseum Beckers Böll, Otto Dill,
James-Ensor-Haus, Horst-Janssen-Museum,
Max-Ernst-Museum, Münter-Haus, Leonhardi-Museum,
August-Macke-Haus, Georg-Kolbe-Museum, Franz
Marc Museum, Marfa, Ernst Barlach Museum
Ratzeburg, Fundació Joan Miró, Overbeck-Museum,
Musée Rodin, Frans-Hals-Museum, Purrmann-Haus,
Ernst-Barlach-Haus, Antoine-Wiertz-Museum,
Braith-Mali-Museum, Ernst-Barlach-Museum Wedel,
Paula Modersohn-Becker Museum, Feuerbachhaus,
Haus und Garten Claude Monet, Museum Stangenberg
Merck, Musée Picasso Antibes, Künstlermuseum
Heikendorf, Haus Paula Becker, Museum Lothar
Fischer, Constantin Meunier Museum, Museum
Künstlerkolonie Darmstadt, Walchensee-Museum,
Museu Picasso, Wilhelm-Morgner-Haus,
Lettl-Atrium, Teatre-Museu Dalí,
Schilling-Museum, Günter-Grass-Haus,
Jan-Matejko-Haus, Mucha-Museum, Rungehaus,
Otto-Pankok-Museum, Ernst-Barlach-Stiftung.
Auszug
(aus
beiden
Büchern):
Der Monte Verità (dt. Wahrheitsberg) ist ein Hügel
über Ascona, im Kanton Tessin, Schweiz, der in den
ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der
Sitz einer lebensreformerischen Künstlerkolonie war,
die heute als eine der Wiegen der Alternativbewegung
gilt. In ihr sammelte sich der Widerstand gegen die
patriarchale militaristische Kultur und Gesellschaft
der Zeit. Monte Verità wurde ein Zentrum neuer
Bewegungen: Lebensreform, Pazifismus, Anarchismus,
Theosophie, Anthroposophie, OTO, Psychoanalyse,
östliche Weisheit, Ausdruckstanz. Zugleich war der
Monte Verità eine Zitadelle des politischen
Widerstands gegen die autoritären und
chauvinistischen Regime des späten 19. und frühen
20. Jahrhunderts. So war der Kanton Tessin im 19.
Jahrhundert unter anderem Anlaufpunkt verschiedener
russischer Intellektueller, speziell bedeutender
Anarchisten. Neben Graf Pjotr Alexejewitsch
Kropotkin (1842-1921) hielt sich in den Jahren
1873/'74 Michail Bakunin (1814-1876) in
Locarno-Minusio und Lugano, also in direkter Nähe zu
Ascona, auf. Auch nach der Gründung des Sanatoriums
Monte Verità 1900 blieben Anarchisten und Pazifisten
Gäste auf dem Berg. Als Beispiel sei hier nur auf
Erich Mühsam verwiesen. Der politische Aktivist und
Antimilitarist befreundete sich während seiner
Aufenthalte zwischen 1904 und 1908 mit dem Siedler
Gusto Gräser. Vor und während des Ersten Weltkriegs
sammelten sich dort die Pazifisten, Verweigerer,
Emigranten und Flüchtlinge aus den kriegführenden
Staaten: so Hans Arp, Hugo Ball, Ernst Bloch,
Hermann Hesse, Ernst Toller und viele andere. Durch
Hermann Hesse, der seinen Freund, den Mitgründer
Gusto Gräser, in den Meistergestalten seiner
Dichtungen verewigte, durch Gerhart Hauptmann, Bruno
Goetz, Reinhard Goering, Emil Szittya und andere,
vor allem aber durch die Person und das Werk von
Gusto Gräser selbst, wurde der Berg zu einem Mythos.
Casa AnattaGründer dieser Kolonie waren die Brüder
Karl (1875-1920) und Gustav Arthur Gräser
(1879-1958) --> weiterlesen (Wikipedia)
Picus
Verlag, Wien 2022
ISBN 9783711721204
Gebunden, 232 Seiten
Er ist einer der schillerndsten
Vertreter der Lebensreformbewegung
imspäten 19.?Jahrhundert: Der Maler Karl
Wilhelm Diefenbach predigt seine
Heilslehre von Rohkosternährung,
Nacktkörperkultur und freierLiebe als viel
geschmähter »Kohlrabiapostel« auf Münchens
Straßen. Dass er selbst von
wiederkehrenden heftigen Magen-
undGliederschmerzen geplagt wird, schwächt
weder seine Überzeugung noch seine
Ablehnung der konventionellen Medizin. Zu
gesundheitlichengesellen sich regelmäßig
finanzielle Nöte, die der begabte Maler
durch Auftragsarbeiten immer wieder knapp
abwenden kann. In einemverlassenen
Steinbruch in der Nähe von München gründet
er in den 1880er Jahren eine Kommune, doch
damit beginnen seine Probleme erstrichtig
…Felix Kucher erzählt von einem, der die
Welt radikal verändern will und an seinen
eigenen hehren Ansprüchen immer
wiederscheitert.
»Der Mann hat eine Mission:
Nichts weniger als der neue Mensch soll
essein: sich fleischlos ernährend, auf die
Naturmedizin vertrauend, der Ehe und
anderen Zwangssystemen entsagend. Felix
Kucher erzähltmit Verve und kritischer
Empathie von den Aufschwüngen und
Niederschlägen des Karl Wilhelm
Diefenbach.«Günther Steinke,Schaefer
Bücher
Felix Kucher, geboren 1965 in
Klagenfurt, studierte Klassische
Philologie,Theologie und Philosophie in
Graz, Bologna und Klagenfurt. Er lebt und
arbeitet in Klagenfurt und Wien. Im Picus
Verlag erschienen seineRomane
»Malcontenta«, »Kamnik« und »Sie haben
mich nicht gekriegt«
(2021).
felix.kucher.at
Rezensionsnotiz zu Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 28.04.2022
Karl Wilhelm Diefenbach war Maler,
Lebensreformer, Vegetarier, Pazifist und
Impfgegner, erinnert Rezensent Martin Lhotzky.
Eine Weile geriet er in Vergessenheit, der
Schriftsteller Felix Kucher hat ihm jetzt
einen Roman gewidmet, der für Lhotzky auch
eine mit Anekdoten angereicherte Biografie
ist. Allerdings blickt Kucher nur auf die
Lebensjahre zwischen 1880 und 1892, fährt der
Kritiker fort, der hier von allerhand
Verführungen des verheirateten Verfechters der
"freien Liebe" oder seinem eigenwilligen
Auftreten in München liest. Dass Kucher meist
in altmodischem Ton erzählt - und seinen
Helden offenbar nicht immer ganz ernst nimmt -
stört den Rezensenten nicht allzu sehr.
Vergnüglich findet er den Roman trotzdem.
Interessant, mitreißend, aber etwas
merkwürdig. Das hatte ich mir schon bei der
Leseprobe gedacht und doch hat die Geschichte
mich in seinen Bann gezogen. Manchmal las sich
das Buch wie ein verlängerter Wikipediaartikel
- in jedem Fall spricht das dafür, wie extrem
gut das Buch recherchiert zu sein scheint. Ich
habe viel gelernt und man stellt fest, wie
gewisse Trends - Vegetarismus, eine Abneigung
gegen das Impfen - in bestimmten Gruppen immer
wieder auftaucht. Diefenbach war wohl eine
faszinierende Persönlichkeit, keinesfalls aber
eine sympathische, was manchmal etwas
anstrengend war. Und trotzdem habe ich
"Vegetarianer" an einem Tag gelesen.
Mir war
leider bis zu diesem Buch der Autor Felix
Kucher unbekannt, aber das hat sich nun durch
diesen für mich ungewöhnlichen, biografischen
Roman über einen Mann, namens Diefenbach, der
seinen Weg bis zum Ende geht, geändert. Von
dem Buch habe ich anhand des Titels, Cover und
Leseprobe etwas ganz anderes erwartet. Nämlich
einen Roman über Vegetarier und ihr Leben.
Erhalten habe ich aber definitiv etwas
Besseres.
Januar
2023,
Hermann Müller schrieb:
Ja, das Buch
liest sich leicht, ist geschickt komponiert,
der Verfasser hat gründlich recherchiert und
hält sich dicht an die biografischen Fakten.
Er enthält sich eigener Werturteile, gibt sich
sachlich und neutral. Bei genauerem Hinsehen
aber gibt er ein Bild von Diefenbach, das
einer Karikatur ziemlich nahekommt. Nach
seiner Darstellung ist der Maler und Reformer
ein unaufhörlicher Schwätzer und hauptsächlich
mit Geldfragen und Sex beschäftigt. Der
Verfasser weiß ganz genau, dass sich Frau
Diefenbach im Bett wie ein „reitender
Inkubus“, wie ein „ungestümer Nachtmahr“
benimmt und dass der Meister sich tagtäglich
mit Maja vergnügt. Woher weiß er das? War er
dabei? Nein, das sind die Fantasien des
Autors. Solche Szenen und die ewigen
Geldprobleme stehen aber bei ihm im
Vordergrund. Völlig unterbelichtet bleibt
dagegen das religiöse Ringen von Diefenbach,
seine scharfe Kritik an der katholischen
Kirche und ihren Dogmen. Geradezu skandalös
ist, dass er Diefenbachs Durchbruchserlebnis
auf dem Hohenpeissenberg kläglich banalisiert,
sein visionäres Sonnenaufgangs-Gedicht nicht
einmal erwähnt!! Nach Kucher hat er – gegen
alle Wahrscheinlichkeit und mir bekannte
Befunde - in dieser qualvollen
Entscheidungsnacht Listen seiner
Vortragsthemen zusammengestellt! Sein
erschütterndes, vergeistigtes, tiefernstes
Kruzifixusbild von Höllriegelskreuth soll er
mit Blick auf den Geldgewinn gemalt haben. Das
sind bösartige Unterstellungen! Seine schweren
Leiden werden ebenso banalisiert. Da ist immer
nur von „Gliederweh“ die Rede. Das wort
„Syphilis“ kommt dem Autor nicht über die
Lippen, von Darmvorfall und anderen
Unaussprechlichkeiten ist ohnehin nicht die
Rede.
Kurz: Kuchers Bild von Diefenbach ist
eine recht konservative Flachzeichnung, ohne
Einfühlung und Sympathie für den schweren
Kampf, den dieser mutige Pionier gegen
Macht und Vorurteil seiner Zeit auszufechten
hatte. Dass der Verfasser im ganzen
anschaulich, unterhaltsam und einigermaßen
zuverlässig über seinen Lebensweg informiert,
ist anzuerkennen. Dennoch: Diefenbach hat eine
bessere Würdigung verdient, eine, die ihn
wirklich ernst nimmt.
La
otra piel (Die andere
Haut)
Roman
in spanisch von Marcela
Sanchez Mota
"Deine Mutter ist Sophie
Lenz. Sie lebte in
Ascona". Dies ist das
letzte Geständnis von
Mirellas Vater, einem
Kunsthistoriker, für den
die Wahrheit über ihre
Herkunft der Beginn einer
Suche ist, die sie dazu
bringt, den Aufstieg und
Fall der anarchistischen
Kommune von Ascona in der
Schweiz zu entdecken. Auf
ihrer halluzinatorischen
Reise findet sie die
Spuren derer, die sich
entschlossen haben, am
Rande der Gesellschaft zu
leben, vor der Entfremdung
von Körper und Geist zu
fliehen, die sanften
Barrieren zu überwinden,
die uns von unseren
Albträumen und unseren
wildesten Sehnsüchten nach
Freiheit trennen, selbst
wenn dies zu Verlust,
Gewalt und Wahnsinn führt.
Ein historischer und
zugleich intimer Reise-
und Introspektionsroman,
in dem die Geheimnisse
einer mexikanischen
Familie der Schlüssel zur
Entschlüsselung der
Geschichte der
anarchistischen Kommunen
zu Beginn des 20.
Jahrhunderts sind."
Gammeln
verboten; Gusto Gräser wird in
der Vegetabilistenkommune auf
dem Monte Verità zur Eile
angehalten - und wirbelt im
Wald, Fotos:
Edition Mode
Basler
Zeitung
Montag, 4. November
2019
Die
Spinner vom Monte Verità
Comic
In «Der Berg
der nackten Wahrheiten» vermischt der
Basler Zeichner Jan Bachmann reale
Geschichten mit absurden - und lässt
diese von einer Ziege kommentieren.
Hans Jürg Zinsli
Was für ein Tempo: Erst
vor Jahresfrist veröffentlichte der
Basler Zeichner Jan Bachmann sein
Comicdebüt über Erich Mühsam, jenen
deutschen Anarchisten
und Querdenker, der um 1910 in
der Westschweiz zur Kur weilte.
Und der sich in seinem Tagehuch
da-rüber ausliess, wie ihm die
Berge die Sicht nähmen und wie es
um seinen Stuhlgang bestellt sei.
während er sich zwischen
sexuellen Abenteuern als Dichter zu
profilieren versuchte, Bachmann gewann
der Reise dieses Bohemien ein
Hochstmass an Skurrilität ab, indem er
dessen Tagebuchtexte mit knalligen
Farben, kühnen Perspektiven und
feinironischen Dialogen unterlegte.
Bachmanns zweiter Streich fusst auf
ähnlich kuriosen Tatsachen: «Der Berg
der nackten Wahrheiten» spielt
1900, also zehn Jahre vor dem
Mühsam-Comic, und es kommt hier
ebenfalls zu einem Kultur-Konflikt:
Oben auf dem Monte Verità gründen
Vega-ner (beziehungsweise
vegetabi-listen, wie sie damals hiessen)
eine Kommune, in der man sich
gerne nackt bewegt - was
auswärtige Spanner anzieht. Unten
in Ascona kommen sich währenddessen
junge deutsche Anarchisten und
die ärmliche Dorfbevölkerung in
die Quere. Und dann torkelt
auch noch ein baltischer
Schnapsbaron durch die Gassen, der,
um nicht enterbt zu werden,
heiraten sollte: jedenfalls
schwärmt er von der örtlichen
Wäscherin, möchte aber dem Alkohol
keinesfalls entsagen.
Nusswerfende Anarchisten
Sonderlinge also, wohin
man blickt - das scheint sich als
Bachmanns Spezialität zu
entpuppen, und trotzdem wundert man
sich, wenn der Autor als
Mittelsfigur ausgerechnet eine
sprechende Ziege wählt, die von
Ascona aus den Hügel erklimmt, «Ich
wollte mir nur einmal ansehen was
ihr Spinner hier oben so treibt»,
sagt das Tier und bleibt bei
Gustav «Gusto» Gräser, einem
Kommunenmitbegründer, dessen Handlungen
(wenig) und Meinungen (viel) sie
fortan kommentiert. Mit gutem
Grund: Im Tal unten würde die Ziege
bloss verwurstet werden.
Aber oben herrscht Aufruhr: zum einen,
weil der Kommunengründer Henri
Oedenkoven eine verdächtige
Käserinde gefunden har und den
Sünder ausfindig zu machen sucht.
Zum anderen, weil lauernde
Anarchisten plötzlich mit Walnüssen
werfen, als die
Vegetabilisten-Vordenkerin Ida Hoffmann
einräumt, dass man hier ja bloss
vom Geld der reichen Industrielleneltem
lebe, «um einem Haufen Drückeberger
ein paar gemütliche Jahre zu
finanzieren». Gusto (der später in
einer Höhle zu Losone hausen und
dort mit Hermann Hesse Laotse lesen
wird) entgegnet cool: «Was bringt
mir eine tragfähige Wirtschaft, ln
der ich nicht gammeln darf?»
Bei aller Komik und Absurdität: Hier
wird der Comic insofern spannend, als er
von einer Zeit erzählt, in der es
durchaus denkbar schien, dass sich neben
dem Kapitalismus und dem
Kommunismus eine dritte Weltanschauung
herausbilden könnte, die
von solchen
Alternativbewegungen ausging,
Bachmann hält sich da abermals eng
an die Quellen, mehrmals wird zum
Beispiel auf Harald Szeemanns
Ausstellungskatalog zu dessen
berühmter Monte-Verità-Ausstellung
von 1978 verwiesen,
«Kein Jesus im Predigen»
Und die Ziege? Die arme
Dorfbevölkerung fordert natürlich
Bezahlung für das Tier, worauf Gust:o
munter ln die Dorfkirche reinstolziert,
um kundzutun, dass die Ziege ja
freiwillig zu ihm gekommen sei. Er
bietet dann allerdings einen Handel an,
der sogar den Pfarrer verblüfft:
Statt Geld, das Gusto nicht hat,
offeriert er einen selbst
choreografierten Sonnentanz auf dem
Marktplatz - woraufhin es in der Kirche
zu Prügeln kommt. und die Ziege
merkt nachdenklich an: «Also ein
Jesus im Predigen ist er nicht
gerade!»
Spätestens hier wird deutlich, wie sich
Bachmann nicht nur zeichnerisch,
sondern auch erzählerisch stark an Joann
Sfars Comic-Klassiker «Die Katze
des Rabbiners» orientiert. Dort,
bei Sfar, debattiert die titelgebende
Katze gerne über religiöseThemen im
Allgemeinen und übers Judentum im
Speziellen.
Bei Jan Bachmann bleibt die erzählende
Ziege wortkarger; dafür formt und färbt
Bachmann die Körper von Mensch und
Tier auf so abenteuerliche Art,
dass man sich in einer
expressionistischen Märchenwelt wähnt.
Zugleich sind wir Teil einer
Gesellschaft, die ebenso ernst
wie lachhaft erscheint in ihren
Bemühungen, vom
vorgespurten Lebensweg abzuweichen.
In dieser Hinsicht ist «Der Berg
der nackten Wahrheiten» eine
einzigartige Erfahrung.
Bedauerlich bloss, dass einige
orthografische Fehler das Lesevergnügen
schmälern. Und schade auch, dass die
Erzählung nach 80 Seiten bereits
abbricht und ein längerer Epilog
folgt, wie der deutsche Bankier
(und spätere Nazi) Eduard von der
Heydt 1926 den Monte Verità erwarb.
Lieber hätte man den Ansichten der
Ziege («Ich würde mein
Verhältnis zu dieser Gemeinschaft
als kritisch-solidarisch
bezeichnen») noch etwas länger
gelauscht.
Jan Bachmann; Der Berg dar
nackten Wahrheiten. Edition
Moderne, Zürich 2019. 112 Seiten,
ca. 30 Franken.
Berkel, Christian, Der
Apfelbaum. Roman. Berlin 2018
Die
Familie des Schauspielers Christian Berkel
bietet tollen Stoff, das ist für Felix Stephan
keine Frage: Der Großvater war anarchischer
Nudist auf dem Monte
Verità und Liebhaber von Erich Mühsam,
die Großmutter kämpfte mit den Internationalen
Brigaden in Spanien, die Tante arbeitete für
Hermes in Paris und die Eltern verloren sich in
der Nazizeit, um sich erst in den Fünfziger
Jahren wieder in Berlin zu
begegnen. (Perlentaucher)
Zitat
S. 92:
In die
längst zur Neige gehende Romantik hineingeboren,
in die aufstrebende Industriewelt, in die sie
sich nicht fügen konnten und wollten, waren sie
aus allen Himmelsrichtungen hierher gekommen,
mit ihrer Sehnsucht, ihrer Hoffnung, ihrem
Willen, etwas Neues zu wagen. Eine Lebensreform
sollte es werden. Ein Paradies. Eine Gegenwelt
für all jene, die nicht geschaffen waren, das
auszuhalten, was war, was noch kommen sollte,
was keiner vorhersah. Ein Utopieraum für
Künstler und Parias, eine neue Kultur, die dem
Patriarchat den nackten Hintern ins Gesicht
streckte, die alle Autoritäten, die bürgerlichen
Institutionen, den rapide wachsenden
Kapitalismus verachtete.
Das
Buch von Marie-Laure de Cazotte behandelt das Leben
des Psychoanalytikers Otto Gross (1877-1920). Als
Nebenfigur, wie es zunächst scheint, tritt auch
Gusto Gräser auf. Als meditierender Druide, der
Laotse rezitiert und vor allem als Tänzer bildet er
im Hintergrund ein Leitthema des Romans und zugleich
ein Leitbild für Otto Gross. Der Psychiater wird zum
Tänzer gemacht. Der biographischen Wirklichkeit
entspricht das nicht. Der Kopfmensch Gross war eher
leibfeindlich, schämte sich seines Körpers,
vernachlässigte ihn, er tanzte nicht. Cazotte gibt
in ihrer Erzählung ein ergreifendes Bild der Leiden
des Psychoanalytikers. Zugleich idealisiert sie ihn.
Der radikale Revolutionär wird mit Gusto Gräser
amalgamiert, gewinnt Mäßigung und Milde. Es entsteht
ein monteveritanischer Zwitter: Otto-Gusto, der
tanzende Theoretiker der sexuellen Revolution.
Von Eleusius nach
Denderah, die unterdrückte Evolution Auszüge aus dem Roman im Internet (2003) von
Pierre (?) Arnim (?)
Der Roman handelt vom Weg zur Erleuchtung und
geistigen Entwicklung der Menschheit. Eine Station
auf diesem Weg ist der Monte Verità. Die -
vermutlich biografisch fundierte -
Lebensgeschichte eines Arnim genannten Deutschen,
der mit den Wandervogel-Idealen
aufwächst, sich für Gusto Gräser, Rudolf von Laban
und den Monte Verità begeistert.
Gusto Gräsers Goldmedaille an der Weltausstellung in
Budapest 1896 und als Maler Möckel.
Lang,
Thomas,
Immer nach Hause.
Roman. Berlin Verlag, Berlin 2016.
Zitat: "Der gute Hirte geht vorbei.Er weidet mich
auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen
Wasser. … Der närrische Jesus ruft den Kindern in
sehr deutsch klingendem Italienisch etwas zu, worauf
diese noch lauter johlen. Plötzlich wirkt das Ganze
wie ein eingeübtes Spiel. Jesus wandelt ungerührt
die Promenade hinab …" (85)
"… der Gedanke, nicht länger Staat und Geld
untertan zu sein, sondern innere Freiheit zu
gewinnen durch den Verzicht auf weltliche Güter.
Gelegentlich bei den Leuten zu arbeiten, um etwas zu
essen zu haben. Spott und Feindschaft friedfertig zu
begegnen, sind weitere Parallelen. Aber Franziskus
folgte einem göttlichen Gesetz, Gräser folgte eher
seinen eigenen Regeln." (159)
Szittya,
Emil
(1925), Klaps oder
Wie sich Ahasver als Saint Germain entpuppt.
Roman. Gustav Kiepenheuer Verlag, Potsdam.
Prange, Oliver, Das
Sonnenfest, Roman, Edition D, Zürich 2016.
Zitat: "Er hatte alles vorausgesagt, vorausgemalt,
vorausgesungen mit seiner prophetischen Kraft …
Gusto hatte mich aufgerichtet, mein Bewusstsein
geschärft, war mir aber nie ein Meister geworden,
kein Führer, aber – ein Freund.
Er hatte nach Wahrheit gesucht und Wahrheit nicht
nur gefunden, sondern auch geschaffen." (310)
>>>>> Weitere Auszüge
und Kommentar, hier!
Szittya,
Emil, Die
Internationale der Außenseiter. Roman. Ts.
im DLA Marbach.
Drei
Frauen
um Gusto
Drei Frauen haben sich in Gusto
verliebt:
Marie-Laure de Cazotte, die
Französin; Marcela Sánchez, die Mexikanerin;
Véronique Rizzo, die Französin sizilianischer
Herkunft.
Film:
Gusto Gräser:
Der Eremit vom Monte Verità (1879-1958) / L'eremita
del Monte Verità (1879-1958)
Kann
bei bestellt werden.
E-Mail-Adresse bitte abtippen.
Si
può ordinare
da .
Scriva l'indirizzo.
Film
documentario
sulla
figura di Gusto Gräser "L'eremita del Monte Verità"
girato nel 2006 dal regista svizzero Christoph Kühn.
Il documentario ripercorre la vita di questo eremita,
visionario, pacifista e fondatore della comunità di
Monte Verità. Per l'occasione la Televisione Svizzera
TSI ha prodotto il doppiaggio in lingua italiana.
Nach
einer
göttlichen Eingebung verbrannte der noch junge, bereits
erfolgreiche Maler Gustav Arthur Gräser aus Siebenbürgen
seine Werke und wurde zu dem glühenden Naturverehrer Gusto
Gräser. Fernab der Städte mit ihren zivilisatorischen
Auswüchsen gründete er mit anderen Aussteigern um die
Jahrhundertwende in der Südschweiz die Landkommune Monte
Verità oberhalb Asconas, deren legendärer Ruf weit über
die Landesgrenze drang und Neugierige aus allen Ländern
anlockte.
Damit beginnt die bewegte Geschichte des
Wanderdichters und „barfüssigen Propheten“ Gusto Gräser
(1879), in dessen Leben sich alle wichtigen sozialen,
kulturellen und politischen Strömungen des 20.
Jahrhunderts treffen: Gräser war Vegetarier und
Kriegsgegner, Vordenker einer neuen Menschheit ohne Herr
und Knecht und Zerstörung der Natur, Ikone mehrerer
Jugendbewegungen und Leitfigur neugegründeter Parteien,
die von heute aus gesehen als Vorläufer der Grünen gelten.
Einer von Gräsers Verehrern war Hermann
Hesse, der seinen Freund und Meister in dem Bestseller
DEMIAN als Verheisser eines kommenden irdischen Paradieses
porträtierte und ihn damit für die Nachwelt unsterblich
machte.
1958
starb
Gräser vereinsamt in seiner Dachkammer in München, ohne
eine einzige Zeile seines grossen Werkes gedruckt zu
sehen.
Im Film von Christoph Kühn zeichnen
Freunde und Familienmitglieder den Weg dieses unbeugsamen
Aussenseiters nach, der zu Unrecht in Vergessenheit
geraten ist. Gräsers Spruchbilder, reiches Fotomaterial
und Ausschnitte aus seinem poetischen Werk runden dieses
berührende Portrait eines „Lao-tse des Westens“ ab.
Film: Wo
sind wir mit dem Sozialstaat gelandet
? Leben
am Rand der Gesellschaft
Ein Film von
Laura und Ingo Wilkenshoff.
Aufruf zum kulturellen Neuanfang.
Der Film zeigt
die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten 150
Jahren an Hand der Entstehung der Wohnungslosenhilfe
und der Gründung des Sozialstaates. Er gibt Einblicke
in die Vagabundenkultur der letzten 150 Jahre, von
Peter Hille bis zu Charlie Chaplin, den
Anarchisten und der Entstehung der Arbeiterbewegug. Er
zeigt
die Gandhi-Bewegung im Deutschland der 20er Jahre und
den Vagabundenkongress mit Gusto Gräser, dem Guru
Herman Hesses.
Es ist auch eine Diskussion über soziale Ausgrenzung,
Vermögensumverteilung und den Bruch durch die
Gesellschaft, Finanzkrise, Harz4, vererbte
Chancenlosigkeit und Bildungsdefizite. Die sozialen
Organisationen beklagen den Rückzug des Staates aus
dem Sozialen und die Abkehr vom Grundgesetz.
Die Premiere
fand am 17.12.2010 im Big Buttinsky,
Osnabrück statt.
DVD hier erhältlich: 10 Euro + Porto. Einfach eine
Email mit Lieferadresse an freie_kuenstler@hotmail.com
schicken. Per Nachnahme bezahlen.
Jawohl,
jawohl, wir Stromer, wir strömen, dass es
braust, durch
Winter
und durch Sommer, nur frischer, freiher,
frommer, weil
Euer
Sumpf uns graust, weil
sonst,
Ihr Kummerhöcker, Euch nichts zur Sonne
lockt und
Ihr
wie Haubenstöcker, wie krumme Sündenböcker noch
ganz
in Staat verstockt! Wohlauf,
Ihr
Praven, Guten, mit uns zur Flamme fluten, so
wohnen
wir mit Euch, so blüht Urheimatreich!
Wohin des Wegs? – Wohin? O mein – hinein,
Geselle, nur hinein! In
meinem
Auge hab ich nichts als in dem Glanz des
jungen Lichts treu
meines
Wegs zu schreiten – mit
all
dem Grünen, all dem Blühn, so zieh ich Tritt
um Tritt dahin und
frag
nach keinen Weiten. Komm
mit
auch Du statt
immerzu nach Zielen auszuschauen. Wohin
hinaus?
Im Erdenhaus blühn wonnigliche Auen. Die
Ziele
hab ich all durchschaut – erst
hinter
ihnen blüht und blaut das
Leben
aller Weiten. Komm,
Du!
Das Glücke hat
nicht Stand, wohlauf,
und
lass uns unverwandt und
treuer,
guter Dingen mit
ihm
ins Leben springen!
Hei, so ein Stromer,
alleweltdurchreisend, durchwanderwohnend,
wie
die Sterne kreisend, voll
seelgen
Schwungs, mit Welle, Wolk und Thau fallwallend
durch
und durch ins ewge Blau – mit
dem
Urstromer unser, der die Welt in
ihrer
Schwerwucht Wunderschwebe hält, wildstill
durchblitzend
sie von Pol zu Pol, durchströmend
sie
mit urgewaltgem Wohl, Allvatermutter
-
hah – Allsternenwohl
! *
Wandern, wohin? Wohinaus, wohinein? Wandeln
Allhier! Das, Gesell,
wird das Heitre sein! *
Weitere
Filme:
Der größte Vogel kann nicht fliegen,
Ascona
Film von Wilfried Schöller und Peter de Leuw.
(Hessischer Rundfunk,
Wiesbaden?)
Gesendet am Mittwoch,
16.August 1978 in der ARD,
23.15 bis 0.15
Monte Verità
Film von Harald Szeemann und Ludy Kessler.
45', TV Svizzera
italiana, Lugano 1978
Jugend und Natur
Südwestfunk Baden-Baden. Sprecherin
Karin Howard,
Sendung des ARD am
Sonntag, den 13.August 1978,
11.15 bis 12 Uhr
Zwischen Bakunin und Birchermüsli
RIAS Berlin, Blende 1, 1978
Laban's Dance Festival
Von Renzo Bottinelli. 1988 in RTSI (RadiotelevisioneSvizzera)
Monte Verità
Von Henry Colomer. Fernsehfilm des Senders
Arte.
Sendung am 10. 12.
1997, 20.45-21.50
„Monte
Verità“
heißt ein Dokumentarfilm von Henry Colomer über eine
Aussteigerkolonie der radikalökologischen Art: Auch zu
Beginn dieses Jahrhunderts schon wollten die Freunde
der Natur dem Lärm und dem Dreck der Großstadt
entfliehen, den Wäldern und Wiesen Tag und Nacht
verbunden sein, den Körper der Sonne darbieten, ohne
die Öffentlichkeit zu erregen, barfuß über die Moose
gehen und zwischen den Bäumen tanzen. Um ein mehr oder
weniger phantastisches Paradies auf Erden aufbauen zu
können, ließ sich eine Gruppe der in Deutschland
entstandenen Bewegung, die sich den neuen Lebensformen
verschrieben hatte, auf einem Hügel oberhalb von
Ascona in der italienischsprachigen Schweiz nieder. In
nur wenigen Jahren wurde der „Berg der Wahrheit“ im
Tessin zu einem Zentrum für europäische
Schriftsteller, Tänzer und Musiker. Redéfinir les conditions du bonheur sur
terre, fuir les grandes villes, la misère, la
pollution et tout reprendre à partir de zéro, tel
est le programme d'une poignée de colons qui
s'installent au début du siècle sur une petite
colline de la Suisse italienne, Monte Verità, où ils
fondent une colonie utopique. Anarchistes, nudistes,
végétariens, ils sont l`'avantgarde d'un réseau qui
s'est développé en Allemagne sous le nom de
"mouvement de réforme de la vie". En quelques ans
Monte Verità devient un modèle de vie alternative,
qui attire les plus grands noms de l'intelligentsia
européenne: peintres, hommes politiques, écrivains,
danseurs et musiciens passent un jour ou l'autre à
Monte Verità. Parmi eux: Erich Mühsam, anarchiste en
première ligne au moment de la révolte spartakiste
de 1918, Rudolph von Laban, choréographe et
rénovateur de la danse moderne, Otto Gross,
psychanalyste et pionier de la libération sexuelle
et enfin Gusto Gräser, "poète aux pieds nus",écrivain
inspirateur et modèle de tous les vagabonds de Hermann
Hesse. Violentes, contrastées, les
destinées de ces quatre révoltés font apparaître
Monte Verità comme un laboratoire où se sont
articulés les thèmes de la révolte et du retour aux
sources. Ils ont en commun d'avoir séjourné à Monte
Verità en même temps que les fondateurs et surtout
d'avoir assumé une dimension prophétique
représentative de la colonie.
Monte Verità
Kulturfilme von Werner Weick
RSI, Schweiz, gezeigt
im Centro Culturale Monte Verità,
Dezember 2000
Monte Verità
Spielfilm
Regie: Stefan Jäger
Drehbuch: Kornelija Naraks
Besetzung: Maresi Riegner, Max Hubacher, Julia Jentsch
2021, 1 Stunde 56 Minuten
Anfang des 20. Jahrhunderts
machten sich einige Aussteiger auf die Suche nach dem
Paradies und fanden es schließlich auf dem Schweizer
Berg Monte Verità. Dort gründete Ida Hofman (Julia
Jentsch) ein Sanatorium. Die zweifache Mutter Hanna
Leitner (Maresi Riegner) macht sich bereits kurz nach
der Eröffnung des Sanatoriums auf den Weg von Wien in
die Schweiz, um endlich aus ihrer bürgerlichen Rolle
auszubrechen und Abstand von ihrem Ehemann zu
gewinnen, der sie sexuell belästigt. Doch was ihre
Angstzustände ausgelöst hat, erfährt sie erst bei
ihrer Therapie mit dem Psychoanalytiker Otto Gross
(Max Hubacher). Was sie nicht weiß: Ihr Arzt hat ein
großes Drogenproblem und ist auf dem Berg, um von den
Substanzen wegzukommen. Hermann Hesse (Joel Basman),
die Tänzerin Isadora Duncan, die Berliner
Bürgermeistertochter Lotte Hattemer (Hannah
Herzsprung), die sich ebenfalls im Sanatorium
aufhalten, und Ida fordern von Hanna immer wieder,
sich endlich ihrer eigenen Stimme bewusst zu werden.
Hanna ist in der Zwickmühle: Eigentlich ist sie in die
Schweiz gegangen, um wieder geheilt zu ihrer Familie
zurückzukehren, doch seit sie hier ist, verstärkt sich
ihr Wunsch, sich als Künstlerin zu verwirklichen ...
Hanna wünscht sich nichts sehnlicher, als aus
ihrer bürgerlichen Rolle auszubrechen. Sie hinterlässt
ihre Familie und flieht ins Sanatorium Monte Verità.
Sie wird vor eine Entscheidung gestellt: Kann sie zu
ihrer Familie zurückkehren, ohne sich selbst
aufzugeben?
Der Monte Veritá war ein mythischer Ort, an
dem vor 120 Jahren begann, was heute noch die
Alternativszene prägt. Ein neuer Film erzählt die
Geschichte einer Frau, die sich dort mithilfe eines
drogensüchtigen Arzts aus der Enge ihrer bürgerlichen
Ehe befreien will
Es war paradoxerweise der technische
Fortschritt, der den Aufstand der „Naturmenschen“
gegen den technischen Fortschritt ermöglichte. Durch
den Bau des Gotthardtunnels 1880 war Ascona im Tessin
näher an die Zentren der deutschsprachigen Länder
herangerückt. Erst dieser Anschluss ans europäische
Eisenbahnnetz machte den Ort in der italienischen
Schweiz zum Sehnsuchtsziel von Aussteigern aller Art.
Die Pioniere waren noch zu Fuß aus München
gekommen, wo sie in der Schwabinger
Intellektuellenszene die Idee eines vegetarischen
Gemeinschaftsprojekts entwickelt hatten und dann, nach
einer langen Wanderung, in der italienischsprachigen
Schweiz auf einem Hang oberhalb des Lago Maggiore den
idealen Ort dafür entdeckten und ihn Monte Verità –
Berg der Wahrheit – nannten. Dagegen kommt Hannah
Leitner (Maresi Riegner) schon per Zug aus Wien. Sie
sucht auf dem Berg Erlösung von ihren bürgerlichen
Neurosen und wird in Ascona gleich von einem
einheimischen Knaben in Empfang genommen, der sich
offenbar darauf spezialisiert hat, solche
touristischen Sinnsucher zu führen und dafür ein
kleines Geld zu kassieren.
Selbstverwirklichung
Hannah ist eine der wenigen fiktiven
Gestalten in dem Film „Monte Verità.
Der Rausch der Freiheit“, den der Regisseur Stefan Jäger nach einem
Drehbuch von Kornelija Naraks gedreht hat. Die anderen
sind reale prominente Figuren der vor dem 1. Weltkrieg
vor allem in Deutschland, aber auch der Schweiz und
Österreich blühenden Alternativszene: Der Psychiater
Otto Gross (Max Hubacher), der die Lehren Freuds als
Anleitung zum Drogenmissbrauch und freiem Sex
missversteht. Die Pianistin und Frauenrechtlerin Ida
Hoffmann (Julia Jentsch), die zusammen mit ihrem
Lebensgefährten, dem belgischen Industriellensohn
Henri Oedenkoven (Michael Finger), das Grundstück für
die Utopie entdeckt, gekauft und ausgebaut hat. Die
Aktivistin – wie man sie heute nennen würde – Lotte
Hattemer (Hannah Herzsprung), eine Mitbegründerin des
Monte Veritá, die aber nicht recht in den im Grunde
kommerziellen Sanatoriumsbetrieb, den Hoffmann und
Oedenkoven eingerichtet haben, passt. Und der gerade
berühmt werdende Schriftsteller Hermann Hesse (Joel
Basman). Auch die legendäre Ausdruckstänzerin Isadora
Duncan schaut mal vorbei.
Sie alle sind Teil dessen, was Historiker
heute unter dem Begriff Lebensreform zusammenfassen.
Das war eine große kulturelle und quasireligiöse
Aufbruchsbewegung, die in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts begann und an Bedeutung mit Reformation
und Romantik zu vergleichen ist. Der Monte Veritá
und andere Projekte, die sich rundherum in Ascona
ansiedelten, sind Symbolorte für die Lebensreform
– ein bisschen so wie Woodstock und San Francisco
für die Hippies der 1960er Jahre.
Die Lebensreform und wir
Die Lebensreform
ist heute weitgehend unbekannt, obwohl sie massiv
bis in die Gegenwart nachwirkt. Der ganze
esoterische und alternative Teil des aktuellen
Geisteslebens – von Müsli bis Impfskepsis, von
fleischfreier Ernährung bis zu befreiter
Sexualität, von Freikörperkultur bis hin zu allen
möglichen neoreligiösen Weisheitslehren – hat hier
seine Wurzeln.
Dies ist der geistesgeschichtliche
Hintergrund für Hannah Leitners Flucht aus den
Bedrängnissen ihrer Ehe, in der ihr Ehemann, ein
erfolgreicher konventioneller Porträtfotograf, sie an
der beruflichen Entfaltung hindert und sie sexuell
ausbeutet – er will nach zwei Töchtern unbedingt einen
Sohn, sie will gar nicht mehr mit ihm. Auf dem Monte
Verità findet sie zu sich selbst und wird zur
fotografischen Dokumentaristin der „Balabiott“, der
Nackttänzer, wie die skeptischen Einheimischen die
Aussteiger nennen.
Das alles ist ungemein schön anzuschauen. Die
Kamerafrau Daniela Knapp lässt den Berg und seine
Natur lockend leuchten, die Schauspieler glänzen und
die Moral von der Geschichte ist einwandfrei. Dennoch verzwergt hier eine Sternstunde
der frühen Moderne zum Dekor einer recht banalen aus
gegenwärtig feministischer Perspektive erzählten
Selbstverwirklichungsgeschichte.
Inflationsheilige
Die ganze
hochinteressante Widersprüchlichkeit der
Proto-Hippies von Ascona wird weitgehend
ausgeblendet: Diejenigen, die aus dem Monte Veritá
eine utopische Kommune machen wollten – wie der
faszinierende bärtige Wanderguru Gusto Gräser –
waren zu der Zeit, in der Film spielt, längst
vertrieben. Ida und Henri
führten ein wirtschaftlich betriebenes Sanatorium, auf
dem eine betuchte Kundschaft, mal eine Zeit lang den
Zwängen ihrer Existenz entkommen konnte, um
anschließend umso besser zu funktionieren. Hermann
Hesse kam, weil seine Familiengründung zu einer
Schreibhemmung geführt hatte. Max Weber (nicht im
Film) wollte mit vegetarischer Kost einfach abnehmen.
Nur angedeutet wird auch, welche Kosten die
freie nicht-eheliche Sexualität vor allem Frauen
auferlegte. Lotte Hattemers Tod –wahrscheinlich durch
Einnahme eines Gemischs aus Kokain, Opium und Alkohol
herbeigeführt – war nicht der einzige Selbstmord
einer, die es nicht mehr recht aushielt. Und Gross
wurde schließlich von seinem Vater in eine
Irrenanstalt gesteckt.
Den meisten Kinogängern dürfte das vermutlich
egal sein. „Monte Veritá. Der Rausch der Freiheit“
erhebt ja nicht den Anspruch einer Dokumentation. Und
als psychologisches Kammerspiel, als eine Art Ibsen
light mit Happy End, funktioniert der Film ja. Wer
mehr wissen will, sollte das Monte-Veritá-Kapitel in
Andreas Schwabs gerade erschienenem Buch „Zeit der
Aussteiger“ lesen. Er mag sich
dann fragen, ob die Geschichte im Kino nicht noch
interessanter geworden wäre, wenn sie ein paar mehr
Härten und Lügen aus der Wirklichkeit übernommen
hätte.
Eine weitere kritische
Beschreibung, Analyse und Kommentar von Petra
Brixel:hier
klicken!
Il Monte di Hetty
Dokumentarfilm
von
Theo Buvoli und Alfio De Paoli
über den Monte Verità und Gusto Gräser
Radiotelevisione svizzera RSI, Schweiz, 2. Nov. 2009,
21:00, 43'
Regie: Teo
Buvoli und Alfio di Paoli: von der Lebensreform zu den
beiden Weltkriegen, von den Sechzigerjahren bis zum
neuen Jahrtausend, war und ist Hetty
Rogantini Hüterin einiger sensationeller Kapitel
der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Hügel von Ascona.
Im Elternhaus hat Hetty diese berauschende und
überwältigende Atmosphäre voller Utopien und gelebter
Ideologien der Rückkehr zur Natur eingeatmet.
Im
Jahr
1900 kauften fünf junge Leute einen Hügel in der
Südschweiz, den sie den Monte Verità (Berg der Wahrheit)
nannten. Hier gründeten sie ihre eigene Gesellschaft und
forderten die aktuellen Werte ihrer Zeit heraus. Sie
nahmen Abstand von der Verbrauchergemeinschaft, waren
Vegetarier, erstellte eigene Standards für Kleidung,
Frisuren und Zusammenleben und versammelten die
wichtigsten Künstler und Humanisten der Zeit. Ein
Dokumentarfilm über die alternative Bewegung im
frühen 20. Jahrhundert sie für uns heute bedeutet.
Mit Hilfe von alten Fotografien entstehen
stilisierte Inszenierungen, Animationen, Stimmen und
Klänge. Regisseur Carl Javér schuf eine kreative Geste
einer spirituellen Revolution, die auffallend ist und
viel mit unserer eigenen Zeit gemeinsam hat. Viele der
Hauptkünstler des frühen 20. Jahrhunderts,
Schriftsteller und Philosophen verbrachten Zeit auf dem
Monte Verità - darunter Otto Gross, Martin Buber, Rudolf
von Laban, Mary Wigman, Hermann Hesse, Carl Jung, Erich
Maria Remarque und Paul Klee.
Mary Wigman. Die Seele des Tanzes
Von Christof Debler
und Norbert Buse
Arte, Sonntag,
24.07.11, 11:10 - 12:00
Früher am 23., 26.
und 29. Juni 2008
In
der
Tanzkunst ist ihr Stil bis heute lebendig: Mary Wigman
- Tänzerin und Choreographin. Das Porträt zeigt ihre
berühmtesten Tänzen sucht Stationen ihres Lebens von
Hellerau bis zum Monte Verità auf und lässt
Choreographen zu Wort kommen.
Es
war
Anfang der 30er Jahre, als der Stern der Mary Wigman
auch in Amerika aufging. Ihre ersten Auftritte in der
neuen Welt waren durch eine glänzende PR vorbereitet
und die Säle ausverkauft. Denn auch in Amerika wollte
man wissen, was es auf sich hatte mit der neuen
Bühnensensation aus Deutschland. In jedem Fall war sie
für das Publikum gewöhnungsbedürftig, denn Mary Wigman
tanzte alleine, mit nackten Füßen und nur von ein paar
Trommelrhythmen begleitet. Ihr Gastspiel war dennoch
ein sensationeller Erfolg. Die amerikanische Presse
nennt sie die "Hohepriesterin" des "German Dance". Mit
44 Jahren hat es "die Wigman" endlich geschafft: Sie
ist die erste deutsche Choreographin und Tänzerin mit
Weltgeltung.
Das
verdankte
sie neben ihrer ungewohnten Art zu tanzen auch ihrem
unwiderstehlichen Charisma und ihrer bezwingenden
Bühnenpräsenz. "Ich lebte wie in einem Taumel. Es
schien, als ob alle Journalisten des Landes auf mich
einstürmen würden. Es gab Tage, an denen ich aufwachte
und fürchtete, einen Fotografen unter meinem Bett zu
finden", schrieb sie in ihr Tagebuch. Und dabei war es
noch gar nicht lange her, dass sie in Deutschland noch
in leeren Theatern vor nur zwei Familienangehörigen
auftreten musste.
Der
Einfluss
der Mary Wigman auf die Entwicklung des modernen
Tanzes sollte gewaltig werden. Überall beruft man sich
auf sie, wenn man die Wege des etablierten klassischen
Tanzes verlassen will. Hanya Holm bringt den
Ausdruckstanz endgültig nach Amerika, indem sie die
erste Wigman-Schule in New York eröffnet. In Asien
wird ihr Schüler Takaya Eguchi zum Lehrer von Kazuo
Ohno. Und in Deutschland entsteht das "Tanztheater",
das ohne den Einfluss der Wigman nicht vorstellbar
ist. Dabei war ihre Erfolgszeit nur kurz. Die Nazis
ließen sie bei der Eröffnung der olympischen Spiele
die Massen choreografieren, später galt aber auch sie
als Vertreterin der "entarteten Kunst". Dies bedeutete
das Ende ihrer Karriere. Nach dem Krieg wirkte ihre
expressive Tanzform schon nicht mehr zeitgemäß.
Aber
wie
konnte Mary Wigman werden, was sie wurde? Der Film
zeigt den Weg der Tochter eines Fahrradhändlers aus
Hannover, die sich auf die Suche nach einer eigenen
körperlichen Ausdrucksform macht und dabei den Tanz
revolutioniert. Er zeigt die prägenden Stationen ihres
Lebens, von Hellerau bis zum Monte Verità. Die
Dokumentation bietet Ausschnitte aus ihren
berühmtesten Tänzen, unter anderem dem "Hexentanz" und
dem Zyklus "Schwingende Landschaft" sowie aus einer
zeitgenössischen Hommage von Susanne Linke an Mary
Wigman mit dem Titel "Wandlung". Auch wenn
Wigman-Tänze heute nicht mehr zum Repertoire der
Tanzkompagnien gehören, so sieht man doch, wie sich
die unterschiedlichsten Choreografen, von Murray Lewis
über Susanne Linke bis zu Sasha Waltz, auf sie
berufen.
Europa
ist
bekanntlich nichts für schwache Nerven. Geht die eine
Krise, kommt die nächste. Scheint man endlich auf dem
Weg, nationale Egoismen überwinden zu können, ergreift
irgendwo auf dem Kontinent ein besonders
chauvinistischer Quälgeist das Wort. Und ewig droht
der Kollaps. Das ist heute so, das war vor über 100
Jahren so.
Damals, in den Nullerjahren des letzten Jahrhunderts,
traf sich eine Gruppe europa-begeisterter und zugleich
europamüder Intellektueller in Riva am Gardasee, um
sich im Reform-Sanatorium des berühmten Dr. Hartungen
kurieren zu lassen. Kafka und Freud waren hier ebenso
Stammgäste wie Rudolf Steiner und Karl May. Der
Kontinent drohte auseinanderzubrechen, bei Dr.
Hartungen wurde die erhöhte Reizbarkeit der sensiblen
Europäer und darbenden Geistesgrößen behandelt.
Neurasthenie, Nervenschwäche, Überforderung mit den
schnellen Veränderungen der Zeit, so lautetet der
Befund des Homöopathen. Er verordnete Wasserbäder und
Trennkost, bei Tisch wurde Esperanto gesprochen.
Alternativmedizin gegen die große europäische
Depression, Kunstsprache gegen die europäische
Kakophonie.
Der europäische
Patient
Unter den Gästen im Sanatorium befand sich auch Thomas
Mann, der neben seinem Unbehagen mit der Zeit auch
sein Unbehagen mit den schlechten Kritiken zu seinem
ersten Roman "Die Buddenbrooks" auszukurieren
gedachte. Er hatte damit sogar Erfolg; in Riva fasste
er die Idee zu seinem "Zauberberg", jenes dann erst
1924 erschienenen Opus Magnum über den europäischen
Patienten, der fernab allen ideologischen Getöses
feinnervig das eigene Selbst auslotet.
"Sanatorium Europa" heißt treffend eine Dokumentation
auf Arte, die die gegenwärtige Krise des Kontinents
zum Anlass nimmt, um aufzuzeigen, wie Künstler und
Intellektuelle vor über 100 Jahren auf die Krise am
Vorabend des Ersten Weltkrieges reagierten.
Desorientierung, Überreizung und der Verlust von
Verbindlichkeiten, der Mensch im Allgemeinen und der
Geistesmensch im Besonderen kamen einfach nicht mehr
zurecht mit den Beschleunigungs- und Verfallsprozessen
der Zeit.
Im Film sagt die Politologin Ulrike Guérot: "Man kann
es rückkoppeln zu heute, wo wir mit dem
Burn-out-Begriff eine ähnliche Zeitkrankheit versuchen
zu erfassen von Leuten, die offensichtlich in ihrer
Arbeitssituation in Überforderung geraten und sich in
der heutigen Zeit nicht mehr verorten können."
Doch die Doku von Julia Benkert beschreibt nicht nur
einen verzagten Rückzug aus einer Welt, die sich
selbst aus den Fugen hebt, sie beschreibt auch soziale
Gegenentwürfe. Etwa die der beherzten Lebensreformer
auf dem Monte Verità. Der Erste Weltkrieg war schon
ausgebrochen, da suchten die Anthroposophen und
Anarchisten, die Nudisten und Okkultisten auf dem
Hügel im Schweizer Kanton Tessin nach neuen, heute
würde man sagen: nachhaltigen Gesellschaftsmodellen.
Nackt jäten, Fallobst
sammeln
Unter ihnen war auch der Schriftsteller Hermann Hesse,
der anfänglich noch Spaß am nackt jäten und Fallobst
einsammeln hatte, dem bald aber die alternativen
Lebensentwürfe nur noch wie ein dümmlicher
romantischer Atavismus vorkamen. Oder wie er selbst es
formulierte: "Vegetarier, Vegetarianer,
Vegetabalisten, Rohkostler, Frugivoren und
Gemischtkostler - der Versuch des Menschen, sich zum
Affen zurückzubilden."
Gleichwohl fühlte sich Hesse stark von dem Guru Gusto
Gräser angezogen, der nackt in einer Höhle lebte.
Radikale Selbsthinterfragung, Naturmystik und
biblische Heils-lehren gingen bei der
Aussteiger-Avantgarde à la Gräser Hand in Hand. Bei
Hesse heißt es später, inspiriert von Gräser und
dessen Grotten-Individualismus: "Es gab keine, keine,
keine Pflicht für erwachte Menschen als die eine: sich
selber zu suchen."
Ein Satz mit ambivalenter Botschaft: Einklang mit sich
und der Welt, Ego auf Crashkurs, den Satz kann man als
Aufforderung zu dem einen wie dem anderen lesen. Er
würde auch ganz gut ins Therapieprogramm
stressgeplagter Selbstoptimierer und Supermanager von
heute passen. Aber natürlich, so legt die Doku nahe,
ist das Ich-Ich-Ich bei Hesse eines, das einer
größeren Idee untergeordnet ist, das sich unter dem
europäischen Sternenkranz zu entfalten hat.
Filmautorin Benkert verweist auf die Offenbarung
Johannes, die auch auf Hesse großen Eindruck gemacht
hat. Es geht darin um die Erscheinung einer
Gebärenden, über ihrem Haupt strahlt ein Kranz von
zwölf fünfzackigen Sternen. Hier wird ein biblischer
Urmythos zum Symbol eines neuen, eines mütterlichen
Europas.
Hat aber nichts mit der mächtigsten Politikerin des
Kontinents zu tun, die gerne "Mutti" genannt wird,
sondern mit einer Idee, die größer ist als jede
einzelne Person. Und die allen Burn-outs zum Trotz die
letzten 100 Jahre überstanden hat.
Gusto Gräser – Diogenes aus Schwabing
Dokumentation
(43 min, in Bearbeitung)
Regie, Buch, Schnitt: Frank Fiedler (*1945), Absolvent
der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
Der Schwede Viking Eggeling entwickelte
1917 in Ascona, zusammen mit dem
französischen Lyriker Yvan
Goll, später mit dem Dadaisten Hans Richter, die ersten abstrakten Filme... SYMPHONIE DIAGONALE
PAR VIKING EGGELING
Capri-Revolution
von Mario Martone Eine Verbindung zum Monte Verità
Nach den
Filmfestspielen von Venedig 2018 kam der Film Capri-Revolution in die
Kinos. Hier versuchen wir, den Kontext zu
rekonstruieren, in dem der Regisseur die Erfahrung
des Monte Verità neu erfand, eine grundlegende
historische Tatsache für die Entwicklung des
modernen Tanzes. (Italienisch)
Videos:
Videodokumentation
Monte
Verità: L'utopie
d'un
nouvel age / Utopien
einer
neuen Zeit Ausdruckstanz,
Frankreich
1996 Dauer
/
duration: 53', Band / tape: 880
Choreographie
/
choreography: Rudolf
Laban,
Mary Wigman Regie
/
direction: Henry Colomer Tanz
/
dancers: Rudolf
Laban,
Mary Wigman Musik
/
music: Cécile LePrado Produktion
/
production: AMIP;
La Sept/Arte; Pathé Télévision; Periplus Ltd.; TSI
Televizione Svizzera Italiana
So
freuet
Euch, hah,
feuert,
feuert Euch – aufs
neue
wird gegründet, entzündet neu Menschsein
im
Erdsternreich herzgottentfacht
–
aus
dem
nahfern urtraulich schimmerlacht die: ERDSTERNZEIT
– Weltheimkehrzeit, wo
müheseelig
allbereit der Mensch sein
winzig
Lebenslicht einflicht
mit
Herzenswonnepflicht zum
Himmel
aller Himmel: „Selbstheimatsein“ des
–
Schlüssel – der – Verzicht! *
Monte Verità - Träume eines
anderen Lebens
Zuerst ein Spaziergang im Park mit szenischen
Überraschungen, dann ein Theaterstück mit viel Musik
und Tanz und als Abschluss ein
vegetarisch-anarchistisches Buffet. Der verzaubernde
Freilichstspiel-Abend auf dem Monte Verità geht den
Spuren der Geschichte dieses magischen Ortes nach.
Eveline
Hasler,
die im Tessin lebende Schriftstellerin, kennt die Höhle
in ihrer Nähe. Sie ist keine Fiktion. Genau wie auch
Hesses Erlebnisse dort als Einsiedler keine Fiktion
sind. Es ist das Kapitel aus seinem Leben, das bis heute
das unbekannteste geblieben ist. Und dabei ist es eines
der wichtigsten, die Hermann Hesse besser verstehen
lassen. Die Erfahrungen in der Höhle in der Nähe des
Monte Verità, in die er mehrere Male in seinem Leben
zurückgekehrt war, sie erzählen die Begegnung und
Freundschaft Hesses zum Naturmenschen Gusto Gräser.
Hermann Müller beschreibt in seiner genialen Arbeit von
1972 "Der Dichter und sein Guru" wie Gräser das Motiv
der Führergestalt in sämtlichen folgenden Werken Hesses
wird - und mitunter so stark wie kaum die Figur des
Demian begründet. Hesse selbst hatte diese "peinliche"
Freundschaft mit dem Rohkostler und Tao Te
King-Übersetzer oft geleugnet; zu bösartig waren die
Reaktionen von Freunden darauf. Diese Arbeit Hermann
Müllers nimmt Hasler für ihre Erzählung zur Grundlage.
Sie entwirft verwoben mit Originaltexten Hesses ein
feinsinnig psychologisches Portrait einer entscheidenden
Existenzerfahrung. Wir hungern mit Hesse in der
Felshöhle und erwachen mit ihm.
Radiosendung vom 16.11.1985
Bayerischer Rundfunk
Gusto
Gräser "Beruf
Naturmensch" Ein
Porträt von Michael Skasa
The Field - Monte Verita
from 101 Underworld
Am 03.04.2016 veröffentlicht "High Tech German
Electro Music?" -
Discover Sounds From Deepest Part of Underworld - Come
down to us
Auf der Insel Kabakon wirkte der Naturschwärmer August Engelhardt,
der dort einen „Sonnenorden“ gründete und für Naturkost und Nudismus
eintrat. Die Plantagenbesitzerin Emma Forsayth, Tochter einer
Samoanerin und eines amerikanischen Pflanzers, war offenbar von dem
langhaarigen Deutschen angetan und stellte ihm das Land zur
Verfügung. Dreißig Mitglieder soll Engelhardts „äquatoriale
Siedlungsgemeinschaft“ in ihren besten Zeiten gehabt haben.